Manchmal klingt die Wahrheit so unglaublich, dass man es sich gar nicht traut, sie auszusprechen. Wir waren eine Woche auf Mallorca und haben dort 12 der spannendsten und exklusivsten Race-Bikes getestet, um herauszufinden, welches das beste Rennrad für die Insel ist. Das Ergebnis war mehr als verblüffend.

Mythos Mallorca – wer einmal dort war, kommt immer wieder zurück. Und wer noch nicht dort war, sollte unbedingt hin. So lautet das ungeschriebene Gesetz und dadurch gehört Malle auch zum Must-do-Programm unzähliger Deutscher, Briten und Franzosen zur Saisonvorbereitung. Als Tourist findet man auf der überschaubaren Insel bei trockenen Verhältnissen unglaublich gute Straßen, Gebirge mit ordentlich Höhenmetern, Mandelblüten-Duft, leckeres Essen und zahllose Bike- und Service-Anbieter. Klingt nach Spaß? Das war es auch! Basislager war Alaró im Herzen der Insel. Dort lagen alle Bike-Perlen der Insel quasi vor unseren Füßen. Höhenmeter schinden auf dem Weg nach Sa Calobra stand ebenso auf dem Programm wie das Cap Formentor.

Das Testfeld – die große Materialfrage

Wie schlagen sich Carbonbikes gegen Stahl- oder Alu-Racer? Wie groß ist der Unterschied zwischen einem 2.500 € und einem 15.000 € teuren Rennrad? Sind Discs am Rennrad wirklich besser als Felgenbremsen? Auf der Suche nach dem besten Racebike für uns Normalsterbliche haben wir viele überraschende, teils leicht einleuchtende Erkenntnisse gewonnen (und so manchen Strava KOM!). Böse Zungen mögen behaupten, dass das Testfeld zu weit gefasst und in diesem Sinne unfair sei. Wir sind hingegen der Überzeugung, dass die 12 ausgewählten Modelle einen realitätsnahen Querschnitt des Marktangebots bieten und damit eine optimale Orientierung für die Kaufentscheidung. Und auch den „Kleinen“ die Chance gibt, das Testfeld mal richtig aufzumischen.

GRAN FONDO-Finca: Baix de S’era
Bike Schaltgruppe Gewicht Preis
BMC Teammachine SLR01 Shimano Ultegra Di2 7,17 kg 6.499 €
Cannondale SuperSix Evo HiMod Ultegra Di2 Disc Shimano Ultegra Di2 7,31 kg 4.999 €
Canyon Ultimate CF SLX Disc 8.0 Di2 Shimano Ultegra Di2 7,70 kg 4.899 €
Cervélo S3 Disc Ultegra Di2 Shimano Ultegra Di2 7,78 kg 7.299 €
Festka Spectre Space Odyssey Edition Campagnolo Record EPS 7,00 kg 13.999 €
Giant TCR Advanced Pro Disc Shimano Ultegra Di2 7,73 kg 4.199 €
Heroïn H1 Limited Edition Shimano Dura-Ace Di2 7,15 kg 14.900 €
Lapierre Xelius SL 700 Ultimate Shimano Ultegra Di2 7,40 kg 4.999 €
Rose X-Lite CDX 8800 SRAM RED 7,11 kg 3.949 €
Standert Kreissäge SRAM FORCE 1 7,66 kg 2.499 €
Stelbel Antenore Campagnolo Super Record 7,92 kg 7.200 €
Trek Madone 9.5 Ultegra Di2 Shimano Ultegra Di2 7,45 kg 7.999 €

BMC Teammachine SLR01 | 7,17 kg | 6.499 €

Cannondale SuperSix Evo HiMod Ultegra Di2 Disc | 7,31 kg | 4.999 €

Canyon Ultimate CF SLX Disc 8.0 Di2 | 7,70 kg | 4.899 €

Cervélo S3 Disc Ultegra Di2 | 7,78 kg | 7.299 €

Festka Spectre Space Odyssey Edition | 7,00 kg | 13.999 €

Giant TCR Advanced Pro Disc | 7,73 kg | 4.199 €

Heroïn H1 Limited Edition | 7,15 kg | 14.900 €

Lapierre Xelius SL 700 Ultimate | 7,40 kg | 4.999 €

Rose X-Lite CDX 8800 | 7,11 kg | 3.949 €

Standert Kreissäge | 7,66 kg | 2.499 €

Stelbel Antenore | 7,92 kg | 7.200 €

Trek Madone 9.5 Ultegra Di2 | 7,45 kg | 7.999 €

Worauf kommt es bei einem Racebike an?

Wer in Mallorca auf Sekundenjagd gehen möchte, muss sich auf einiges gefasst machen: starke Seitenwinde, schnell wechselnde Wetterbedingungen, unterschiedlichste Straßenbeläge, steile Anstiege, schnelle Abfahrten und enge Serpentinen. Wer die Komplexität dieser blitzschnell variierenden Anforderungen verstanden hat, dem leuchtet ein, dass erstklassige Aerodynamik-Werte und eine kugelsichere Rahmensteifigkeit als Ergebnis ausgeklügelter Laborversuche im Mallorca-Urlaub genauso viel bringen wie Hemd und Krawatte beim Wohnung Streichen.

Eine stimmige Gesamtperformance, Fahrsicherheit, Präzision und reale Effizienz sind fundamentale Parameter für eine erfolgreiche Sekundenjagd. Darüber hinaus spielen Preis, Design, Qualität und natürlich simple Pflege und Wartung eine wichtige Rolle – wer möchte schon mit seinem 10.000-Euro-Renner im mallorquinischen Hinterland mit einer Panne liegen bleiben und vergeblich auf das Fahrradpendant der gelben Engel warten? Unsereins hebt nicht einfach so den Arm und das Team-Car rollt heran. Beim Thema Fahrsicherheit spielen die Bremsperformance, die Fahrstabilität und die Seitenwindanfälligkeit eine große Rolle: Wer später bremst und spurstabiler fährt, ist nicht nur länger schnell, sondern kann sich auch besser konzentrieren; Komfort ist in diesem Kontext ebenfalls ein wichtiger Parameter.

Was für ein Typ bist du? Die Testfahrer

Amateur-Racer, die über 20.000 km im Jahr abstrampeln, professionelle Testfahrer, Fixed-Racer, Carbon-Ingenieure und Beginner. Vom 90-kg-Mann bis zur 50-kg-Frau war alles dabei, genauso wie unterschiedliche Vorlieben bei Kaffeesorten, Afterride-Getränken (Bier vs. Rotwein vs. Gin Tonic) und Musikgeschmack (Valentin hat sich mit seiner Spotify-Playlist leider disqualifiziert!). Kurz: Vielseitiger kann eine Testcrew kaum sein!

Highlights, Enttäuschungen und Erkenntnisse

In diesem Vergleichstest sind wir auf eklatante Unterschiede zwischen aktuellen Rennradmodellen gestoßen, auf unstimmige Gesamtkonzepte und fragwürdige Komponenten, welche die Performance eines ganzen Bikes ruiniert haben. Man merkt deutlich, welche Bikes im Labor konstruiert und welche Spezifikationen am Computer schnell zusammengeklickt wurden und wer die Modelle tatsächlich mit einem erfahrenen Testteam für die Serie ausgereift hat.

„Eklatante Unterschiede zwischen aktuellen Rennradmodellen“

Brauchen wir Discs?
Bremse ist nicht gleich Bremse. Diverse Felgenbremsen lieferten im Testfeld eine tadellose Performance ab, andere enttäuschten und stellten ein echtes Sicherheitsrisiko dar. Insbesondere die Bremsbeläge haben eine große Auswirkung auf die Bremsperformance. So gab es Bremsen wie beispielsweise die Campagnolo Record, die in Kombination mit den Campagnolo Bora One-Laufrädern eine sagenhaft dosier- und kontrollierbare Bremsleistung boten und mit denen wir keine Discs vermissten. Dennoch gilt generell: Discs sind gerade für unerfahrene Fahrer die beste Wahl, da sie in Sachen Dosierbarkeit und Beständigkeit unter diversen Bedingungen in der Regel überlegen sind. Das zusätzliche Systemgewicht von teilweise fast einem Kilo muss man jedoch erst mal schlucken.

Brauchen wir Aero?
„Aero is everything“ war gestern, „Good Times“ ist heute. Im Zeichen der Aero-Optimierung gehen manche Hersteller Kompromisse ein, die auf dem Papier für einen Wow-Effekt sorgen, in der Praxis aber eher mental als real helfen. Oftmals leiden darunter die Usability, ein Service oder Reparaturen um Bike werden zur Mammut-Aufgabe. Features wie die Aero-Klappen am Trek oder windanfällige Hochprofilfelgen am Rose mögen gut aussehen und faszinieren, sind im Alltagsgebrauch jedoch eher von Nachteil. Smart Simplicity ist hier der Schlüssel zum Erfolg, wie es Canyon beispielsweise mit dem Aerocockpit beweist: Es ist voll integriert, die Di2-Junctionbox ist jedoch weiterhin einfach zugänglich.

„Die richtige Balance ist der Schlüssel zu einem überzeugenden Gesamtkonzept: Egal ob Aero, Discs, Rahmenmaterial oder Ausstattung – der Mix macht’s!“

Was bedeutet eigentlich Komfort?
Die meisten Labortests messen Komfort anhand falscher Parameter. Komfort kann nicht durch statische Messung der vertikalen Nachgiebigkeit der Sattelstütze verifiziert werden, weil hier die Eigendämpfung des Materials komplett außer Acht gelassen wird. Carbon ist sehr starr und bietet in der Regel fast keine Eigendämpfung. Verformt es sich, springt es wie eine Sprungfeder in seine ursprüngliche Form zurück. Komfort ergibt sich also vor allem aus der Eigendämpfung des Materials.
Heutige Carbon-Rennräder besitzen deshalb die komplexesten Technologien, um Flex zu erzeugen und den Fahrer zu „federn“ – manche Systeme dämpfen, andere flexen nur. Daraus ergeben sich extreme Unterschiede in Hinblick auf Komfort, Kontrolle und Sicherheit. Wie bei einem Mountainbike bietet ein Fullsuspension nur dann Kontrolle und Komfort, wenn das Fahrwerk eine Dämpfung besitzt, andernfalls bounct man wie ein Gummiball über den Trail.

Was ist das beste Rahmenmaterial?
99 % werden vermutlich für Carbon stimmen und in Bezug auf Steifigkeit und Gewicht mag das sicherlich richtig sein. Doch die Fahrqualität ergibt sich aus mehr Parametern als nur Steifigkeit und Gewicht und geht weit über den Rahmen hinaus – das Gesamtkonzept ist entscheidend. Schließlich können ein falscher Sattel, ein zu weiches Cockpit oder zu steife Laufräder die Bikeperformance genauso dramatisch beeinflussen wie die Charakteristiken des Rahmens selbst. Moderne Carbonbikes versuchen mit speziellen Konstruktionen und Technologien Materialeigenschaften zu imitieren, die wir seit Jahrzehnten von einem anderen Material kennen. Es geht um die Charakteristika von Stahl. Zu Recht erlebt der Stahlrahmenbau derzeit ein wahres Revival, auf dessen Zug selbst die Big Player der Bikeindustrie aufspringen: Totgeglaubte leben länger!

Tops & Flops

Oftmals sind es die Details, die den Unterschied machen: gelungene Integration, erstklassige Ergonomie und mit bedacht gewählte Komponenten. Hier findet ihr alle Tops und Flops der Bikes aus unserem großen Vergleichstest.

Tops

Klassisch gut
Trotzt klassisch schlankem Rahmendesign ist das Tretlager am Festka extrem steif und beweist damit, dass man kein massives Oversize für herausragende Performance benötigt.
Smart Simplicity
Das integrierte Cockpit von Canyon verfügt nicht nur über einen super cleanen Look und eine hochwertige Haptik, sondern erlaubt weiterhin einen einfachen Zugang zu der Shimano Di2-Junctionbox – trotz voller Integration muss der Mechaniker beim Service nicht leiden.
Liebevolle Details
Passionierte Rennradfahrer lieben die zeitlose Handwerkskunst am Stelbel (z. B. die integrierte Sattelklemme) und die formal perfekte Designsprache am Canyon.
Gut und günstig
Die Ausstattung des Standert beweist, dass man mit einem durchdachten Komponenten-Ensemble eine großartige Performance erzielen kann, ohne tief in die Tasche greifen zu müssen.

Flops

Falsche Kombination
Die Bremsperformance am BMC ist nicht nur stark unterdurchschnittlich, sondern verursacht auch ein sicherheitsrelevantes Risiko.
Fatale Bauteile
Einzelne Bauteile können die Performance und das Handling eines gesamten Bikes ruinieren. Beim Lapierre ist es der Zipp Carbon-Lenker.
Fehlende Integration
Bei einem Preis von 14.000 € sollte eine bessere Integration des Campagnolo EPS-Interfaces Standard sein. BMC, Cannondale, Cervélo, Giant und Lapierre haben hier mit der Shimano Di2 Junctionbox ebenfalls Potenzial, spielen jedoch in deutlich niedrigeren Preiskategorien.
An der falschen Stelle gespart
Sowohl Canyon als auch Giant sparen an den Reifen, was die Fahrperformance und -sicherheit erheblich negativ beeinflusst.
Keine Kunst
Carbon lässt neue organische Formen zu, das heißt aber nicht, dass man sich verkünsteln muss – manche Formen treiben Industrie-Designern Tränen in die Augen.
Schlechte Usability
Integration ist gut, aber gerade bei Cervélo, Giant und Heroin ist die Sattelstützverstellung sehr knifflig, bei Trek hinterlässt die Klemmung Spuren.

Das Testfeld – die wichtigsten Bikes, der Testsieger und der Kauftipp

Das Stelbel entsagt der Materialschlacht moderner Carbonbikes und brilliert mit herausragender Performance, zeitlosem Design und individuell-liebevollen Detaillösungen. Und ergattert sich damit den Testsieg. Die beste Allround-Performance bietet Canyon mit dem Ultimate CF SLX Disc, das sich klar den Kauftipp sichert. Festka sprengt alle Budgets, ist jedoch DAS Racebike im Test. Mehr als 10.000 € günstiger, bietet das Standert Kreissäge mit Aluminiumrahmen und durchdachter Ausstattung ebenfalls eine astreine Race-Performance mit einem nicht minder radikalen Konzept. Cannondale liefert für den sportlich-ambitionierten Fahrer ein super rundes Paket – vorausgesetzt, die Lackierung gefällt! Das Heroin H1 Limited Edition fühlt sich wie die leichtfüßigere und exklusivere Version des Canyon Ultimate CF SLX Disc an. Der größte Unterschied: der dreifache Preis!

Die Wahrheit ist hart, aber Ehrlichkeit gewinnt!

Die wichtigste Erkenntnis aus diesem Vergleichstest: Bei der Kaufentscheidung solltest du – selbst bei einem Racebike – nicht nur offensichtliche Parameter wie Komponenten, Gewicht und Preis beurteilen, sondern das große Ganze im Blick haben! Aus diesem Grund liest du auf den nächsten Seiten nichts von irgendwelchen Marketing-Bezeichnungen, fancy Marketing-Technologien oder Laborwerten. Stattdessen zählt nur das, was du in der Realität wirklich spüren kannst. Wofür ist das Bike gut, wofür schlecht geeignet? Und mit welchem Aufwand kann ich es an meine individuellen Bedürfnisse anpassen und optimieren?

Die Quintessenz unseres Vergleichstests und der Testsieger mögen manch einen überraschen. Aber wenn man mal für eine Sekunde ausblendet, wie die Dinge “schon immer gemacht” wurden, erkennt man: Den wahren Charakter eines Bikes kann man nicht über ein paar Labormessungen definieren – selbst bei einem Racebike kommt es auf mehr Eigenschaften an als das Steifigkeit-Gewicht-Verhältnis und die Aerodynamik. Sowohl unser Testsieger als auch der Kauftipp bieten genau das: ein Gesamtpaket, bei dem auf der Straße einfach alles passt.

Alle Bikes im Test: BMC Teammachine SLR01Cannondale SuperSix Evo HiMod Ultegra Di2 DiscCanyon Ultimate CF SLX Disc 8.0 Di2Cervélo S3 Disc Ultegra Di2Festka Spectre Space Odyssey EditionGiant TCR Advanced Pro DiscHeroïn H1 Limited EditionLapierre Xelius SL 700 Ultimate | Rose X-Lite CDX 8800Standert. KreissägeStelbel AntenoreTrek Madone 9.5 Ultegra Di2

Dieser Artikel stammt aus GRAN FONDO Ausgabe #004. Für das beste Lese-Erlebnis empfehlen wir unsere interaktiven Magazin Apps für iPhone & iPad – es lohnt sich! (und ist kostenlos!)


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Text: Robin Schmitt, Manuel Buck, Benjamin Topf Fotos: Julian Mittelstädt, Valentin Rühl