Mallorca oder Rolle – sind das wirklich die einzigen Optionen für die kalte Jahreszeit? Wie so oft ist die Welt nicht nur Schwarz und Weiß, denn es gibt mehr Alternativen für Winter-Action auf dem Drop-Bar-Bike. Für einen vorgezogenen Saisonstart haben wir an einigen Stellschrauben gedreht und wurden mit einem ersten Ride des Jahres überrascht, der unsere Erwartungen übertroffen hat.
Wer kennt es nicht? Die große Blechdose mit duftenden Vanillekipferln, die fette Weihnachtsgans und der verstaubte Rollentrainer (sorry Zwift!) haben ihre Spuren hinterlassen. Auf einmal ist die Form nicht mehr das, was sie letzten Sommer war und die Sehnsucht nach frischem Fahrtwind und dem Gefühl, einen Gipfel zu erklimmen, wächst und wächst.
Zeit, zu verzweifeln? Im Gegenteil: Wir holen die Axt raus und unternehmen einen Kaltstart in die Saison. Von 0 auf 100. Ohne Flieger, ohne Sonne, ohne Rolle und auch ohne Mallorca! Stattdessen: tiefe Täler, grüne Tannen und echtes Mistwetter im legendären Schwarzwald. Die Beine sind träge und die Schotterstraßen nass und kalt. Egal!
The first ride of the year – Der Masterplan
Die Location für unseren ersten Ride steht. Direkt vor unserer Haustür liegt der Schwarzwald, Deutschlands größtes zusammenhängendes Mittelgebirge, und mit seinen zahlreichen 1.000 Meter hohen Gipfeln ein Traum zum Radfahren. Zumindest im Sommer …
Aber warum nur in Vorfreude schwelgen, wenn wir den Spaß schon etwas vorziehen können? Der Schwarzwald ist bekannt für seine steilen Anstiege, mega Aussichten und rasante Abfahrten. Das wird epic! Die Euphorie lässt uns vergessen, wie die Bedingungen gerade sind. Die Komoot-Route wird immer länger und anspruchsvoller.
Stop! Realitätscheck! Die Wetter-App sagt 4 Grad und Nieselregen voraus und direkt aus der Winterpause mit Vollgas in die Berge zu fahren, hat noch niemandem gutgetan. Wir brauchen einen Kompromiss. Einen Epic-Ride-Light sozusagen. Etwas, das unsere plätzchenbedingte Formschwäche und die suboptimalen Wetterbedingungen ausgleicht. Und unseren inneren Schweinehund vom Sofa kickt!
That’s it! Wir überlegen, was wir tun können und rufen vom Redaktionssofa aus Anna von TQ-E-Bikes an, ob sie denn nicht noch ein paar coole Gravel-Bikes für uns und unser Vorhaben hätte: Statt der Rennräder wollen wir E-Gravel-Bikes und bauen zusätzlich zur Straße auch noch Waldwege mit ein. Unser Vorteil: Wir müssen nicht direkt ans Limit gehen, haben einen Rettungsanker – den TQ-Motor – dabei und können dennoch eine Unterstützungsstufe runter und einen Gang hochschalten, um richtig ins Schwitzen zu kommen. Apropos Schwitzen: Wir brauchen auf jeden Fall ein After-Ride-Programm, das mit Nacktbaden in der mallorquinischen Abendsonne mithalten kann. Einen krönenden Abschluss für so einen Tag! Und vielleicht auch etwas, das unsere Füße wieder aufwärmt? Gesucht, gefunden: Statt Aprés-Skibar gibt es für uns nur ein Ziel: die Aprés-Ride-Sauna! Plan? Check!
Wir legen den Zielpunkt der Route nach Baiersbronn. Das Wellnesshotel Tanne mit eindrucksvoller Baumhaus-Sauna, Wellness-Tempel und traditionellen Köstlichkeiten aus dem Schwarzwald klingt nach ausreichend Belohnung für den ersten Tag im Sattel 😉 . Wir sind zufrieden mit unserem Masterplan. Die Bikes hängen am Ladegerät, die Klamotten über dem Stuhl. Mit einem Kribbeln im Bauch geht es ins Bett.
Mit dem Rad durch die Wolken
Früh am Morgen machen wir uns auf den Weg. Das Thermometer zeigt 4 Grad, Nebelschwaden ziehen bedrohlich aus dem Tal über die Gipfel und hüllen den Berg in einen dunkelgrauen Schleier. Christoph ist noch angeschlagen. Die Nase läuft. War das wirklich so eine gute Idee?
Wir biegen links ab und der geschotterte Waldweg präsentiert einen amtlichen Anstieg. Normalerweise wäre jetzt der Moment gekommen, an dem man richtig ins Schwitzen kommt. Christoph drückt den kleinen Boost-Knopf am Lenker, gibt so die vollen 300 Watt Unterstützung frei und zieht lachend davon. Keine Spur von schlechter Stimmung und weder das Wetter noch die 18 % Steigung können uns etwas anhaben. Wir sind warm eingepackt, haben zwei Bananen und insgesamt 770 Wh Akkukapazität an Bord. Die kleinen TQ HPR 50-Motoren leisten munter Unterstützung und wir fliegen bergauf.
Ein Blick auf’s Oberrohr offenbart, wie viel Leistung aus den Beinen und wie viel aus dem Motor kommt. Offensichtlich sind wir noch nicht ganz in Form, das ist aber egal. Wir lassen es locker angehen und bleiben weit unter unserer Schwelle. Der Weg schlängelt sich den Berg hinauf, vorbei an schroffen Felswänden und dichtem Nadelwald. Der frische Fahrtwind und der Geruch von nassem Waldboden wirken beruhigend und unterstreichen die andächtige Stimmung.
Plötzlich reißt der dichte Wolkenmantel auf und offenbart einen strahlend blauen Himmel. So schnell wie die Wolken verfliegen auch die Gedanken an die letzten grauen Wochen mit zu vielen Tagen, an denen man nicht auf dem Rad saß. Stattdessen verbreitet sich Euphorie und weckt alte Geister. Einmal kurz aus dem Sattel zum Antesten der Beine und schon fliegen wir über den Double Track. Die Pulsuhr blinkt auf und verrät, dass man sich auch auf dem E-Bike warmfahren kann.
Schneller als erwartet kommt auch schon der höchste Punkt der Route um die Ecke und gibt den Blick auf die Ausläufer des Schwarzwalds frei, die wir hinter uns gelassen haben. Zeit für eine Banane, ein paar Sonnenstrahlen und etwas von dem Gipfel-Feeling, das wir so lange nicht mehr hatten. Schön, wenn ein Plan aufgeht und sich trübe Aussichten zum Gegenteil wenden. Ein kurzer Genuss wärmender Sonne. Wir schließen die Augen und für einen Moment fühlen wir uns als ob wir auf Mallorca wären. Doch schnell aus der Traum: Als die Sonne wieder hinter den Wolken verschwindet und sich die Kälte langsam bemerkbar macht, setzen wir zur Abfahrt an. Nach der Abfahrt geht’s wieder hinauf… und so zieht der Tag dahin: wir passieren Seen, hören unseren Atem, finden unseren Rhythmus und Groove. Wir kommen an toughen Waldarbeitern vorbei, sehen ein scheues Reh durchs Gebüsch huschen und genießen die Stunden im Sattel – im Schwarzwald gibt’s immer was zu entdecken. Und dank E-Motor entdecken wir gerade deutlich mehr, als wir es ohne tun würden.
Kurz vor Dunkelheit rollen wir mit kalten Händen und einem breiten Grinsen im Gesicht in die Hofeinfahrt vom Wellnesshotel Tanne. Akku leer, Energie voll. Wir spüren unsere Beine, der frische Fahrtwind hat die Haut rot gefärbt ,wir sind bereit für den nächsten Programmpunkt unseres Masterplans: Kaltstart mit warmem Ende! Die Saunalandschaft mit Blick auf den Schwarzwald ist jetzt genau das Richtige. Wir parken die Bikes, tauschen Bibshort gegen Bademantel und tauchen ein in den Wellnesstempel.
E-Gravel Bikes – Eine echte Alternative zu Zwift und Mallorca?
Nach einigen Aufgüssen, Eisbad und Heilwasser sitzen wir beim Abendessen, lassen den Tag Revue passieren und diskutieren darüber, wie sich E-Gravel-Bikes als Alternative zu den typischen Drop-Bar-Winteraktivitäten schlagen.
Klar ist Rennradfahren auf Mallorca etwas anderes und E-Bikes als Alternative zum Trainingscamp klingt erstmal schräg. Aber nicht jeder kann oder will zum Radfahren den Flieger nehmen müssen, um dann gestresst in einer Woche die letzten Monate Biken nachzuholen. Während unsere „Hardcore”-Roadie-Freunde noch nicht mal ihre Tickets fürs Mallorca-Trainingscamp gebucht haben, haben wir die Saison schon eingeläutet.
Prinzipiell ist das auch nichts anderes als Grundlagentraining auf der Rolle, nur eben draußen und unabhängig von der Strecke. Man kann seine eigene Leistung gezielt halten und alles, was darüber hinaus benötigt wird, macht der Motor, egal, wie steil der Anstieg ist. Dank griffiger Gravel-Reifen geht das auf Schotter, Trails und nassen Straßen. Wir sind uns einig: Die E-Unterstützung macht die Grundlageneinheit zum vollwertigen Ride Out.
Indem man das ganze Jahr auf dem Rad unterwegs ist, kommt man außerdem nicht nur fit aus dem Winter, sondern hat auch etwas für das eigene Bike-Handling getan. Als wir letztes Jahr mit Walter Röhrl samt Gravel-Bike und Porsche 911 Dakar mit Flatsix statt E-Motor 😉 im Steinbruch unterwegs waren, wollten wir von ihm wissen, wie man am schnellsten seine Fahrtechnik verbessert. Sein Tipp: Je schlechter die Verhältnisse, desto schneller lernt man Fahren. Egal ob Schnee, Eis oder Schlamm, Hauptsache rutschig!
Der hat gut Reden, im Auto sitzt man ja auch schön warm und trocken. Klar gibt es auch im Winter Tage, an denen man selbst mit E-Gravel-Bike, warmer Jacke und Sauna in Aussicht nicht vor die Tür möchte. Dafür ist man aber auch spontan bereit, wenn es aufklart, und wie wir heute gelernt haben. Fortes fortuna adiuvat. Das Glück hilft den Tapferen – und belohnt sie! So auch uns. Wenn man an einem grauen Morgen über seinen Schatten springt, stehen die Chancen gut, dass man positiv überrascht wird und am Abend müde und glücklich ins Bett fällt.
Der Kaltstart in die Saison war ein voller Erfolg und heißer als vermutet. Dank der E-Gravel-Bikes konnten wir unseren Motor langsam auf Touren bringen, ohne Kompromisse bei der Strecke zu machen. Die vielen Eindrücke der Natur des Schwarzwalds, die steilen Berge und die frische Waldluft. Ein Ride Out für Kopf und Seele statt für Trainingsziele und Strava Stats. Smoother in die Saison geht’s nicht!
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Text: Jan Richter Fotos: Antonia Feder