Der Sekt brennt im Auge, das Laktat in den Beinen, und auf dem Podium thront der Herrscher über Hardpack und Schotter, der König der Wüste: das beste Gravel-Race-Bike 2023. Worauf es ankommt, wenn ihr abseits des Asphalts eure Träume jagt, haben wir für euch herausgefunden. In unserer eigenen WM mit den 9 heißesten Gravel-Race-Bikes: 3–2–1–peng!

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Unser Anspruch war und ist, euch stets die aufregendsten und innovativsten Gravel-Bikes in einem Test zu präsentieren. Denn der Mythos Gravel-Bike begründet sich im ursprünglichen Versprechen, dein „eines für alles“Bike zu sein. Aber Gravel-Bikes sind nicht mehr gleich Gravel-Bikes.

Nachdem die Alleskönner in den letzten Jahren Waldautobahnen, Schotterpisten, Pilger-Routen und Pendel-Strecken erobert haben, stürmen sie in neuer Formation jetzt als Gravel-Race-Bikes zu Triumphen jenseits des Tarmacs. Spätestens mit der ersten UCI Gravel-WM 2022 ist das Thema Gravel-Racing auch im Profi-Peloton angekommen. Veranstalter entwickeln Race-Formate, die uns den Staub schmecken lassen, und Hersteller neue Gravel-Race-Bikes, die vom Podium träumen lassen.

Bitte nicht noch eine Nische, mag der ein oder andere von euch jetzt denken. Doch wenn schon schnöder Asphalt Raum für Endurance-, Allroad-, Aero- und Climbing-Bikes bietet, dann erst recht Gravel. Denn abseits der Straße beginnt der Wilde Westen der Dropbar-Boliden: keine Regeln, 1.000 Arten von Schotter, Sand oder Hardpack und Millionen von Möglichkeiten sich auszutoben. Gravel-Racing ist eine neue Welt. Eine neue Welt, die gerade entsteht und sich wie das Universum Sekunde um Sekunde ausdehnt. Eine Welt mit vielen offenen Fragen, Mythen und Missverständnissen. Aber wenn du in dieser Welt schnell unterwegs sein willst, dann mit einem Gravel-Race-Bike. Also ab gehts – mit Vollgas in die Nische oder in unserem Fall: mit Vollgas in die Wüste.

In typischer GRAN FONDO-Manier haben wir dazu kurzerhand unsere ganz eigene Gravel-WM veranstaltet und die 9 heißesten Gravel-Race-Bikes gegeneinander antreten lassen. Mit der perfekten Mischung aus Good Vibes, Good Watts und Überschallknall. Allerdings kam der nicht von uns, sondern von der spanischen Luftwaffe, die keinen Kilometer von unserer Teststrecke entfernt Manöver flog und Bomben abwarf. Dass wir selbst auf dem schnellsten Gravel-Race-Bike nicht ganz mit den Kampfjets mithalten konnten, war die erste Erkenntnis – das nächste Mal probieren wir es doch mit rasierten Waden – die anderen waren:

  • Selbst in der Gravel-Race-Nische gibt es gigantische Unterschiede zwischen den Bikes.
  • Optik ≠ Technik. Ähnlich wirkende Bikes waren unterm Hintern teils extrem verschieden, unterschiedlich aussehende Bikes teils sehr ähnlich!
  • Aerodynamik kennt mehr als nur ein Gesetz, oder besser gesagt Ansatz: Im Testfeld gab es sehr unterschiedliche technische Konzepte zur Aero-Optimierung.
  • Mehr Fahrspaß = mehr Bock sich auszupowern = mehr Leistung.

Bevor wir aber das ultimative Gravel-Race-Bike küren können, gibt es noch ein paar fundamentale Fragen zu beantworten. Eine davon: Was ist eigentlich Gravel-Racing? Und worauf kommt es an?

Gravel-Racing ≠ Gravel-Racing

„Ihr seid Verbrecher“ – mit dieser wüsten Beschimpfung in Richtung der Offiziellen feierte Octave Lapize die Erstbefahrung des Col de Aubisque bei der Tour de France 1910. Ein Anstieg dieser Dimension war damals Neuland, dass er auf Schotter gefahren wurde, war hingegen selbstverständlich. Ein Großteil der Strecken war damals nicht asphaltiert. Die Tour de France war ein Gravel-Rennen – notgedrungen. Heute suchen wir unser autofreies Gravel-Glück bewusst abseits des Asphalts. Rennen wie BADLANDS, THE TRAKA oder der TUSCANY TRAIL fordern Kopf, Beine und Bike auf sehr unterschiedliche Arten.

Die Wiedergeburt des Gravel-Racings fand Anfang des Jahrtausends auf den staubigen Farm-Tracks des amerikanischen Mittleren Westens statt. Entlang endloser Mais- und Weizenfelder führen die Pisten hier oft kilometerlang geradeaus, irgendwann kommt ein 90-Grad-Knick und dann geht es kurvenlos weiter bis zum nächsten Abzweig. Lange Anstiege sind hier ebenso Fehlanzeige wie technische Abfahrten. Ein Gravel-Race-Bike, das hier performen will, muss vor allem geradeaus schnell sein. Die Königin dieser Eintagesrennen ist das UNBOUND (ehemals Dirty Kanza). Alle, die hier am Start stehen, sind schon vor der ersten Kurbelumdrehung Gewinner. Sie haben einen der begehrten Startplätze ergattert und machen sich zusammen mit den Pros auf die Strecke, die mit ihren rechtwinkligen Richtungsänderungen aussieht, als ob man Tetris-Klötze umfahren würde. Die klassische Distanz sind 200 Meilen.

Aero ist hier ein Thema, wer aber jetzt an Auflieger denkt, wird enttäuscht. Seit 2023 sind diese beim UNBOUND offiziell verboten, und auch der Weltverband UCI schiebt den Aero-Geweihen am Lenker bei seinen Rennen einen Riegel vor.

Während in den USA Eintages-Events die Szene dominieren, und komplette Gravel-Rennserien die Hobbyfahrer und Pros von der Straße auf den Schotter holen, prägen östlich des Atlantiks mehrtägige Ultra-Endurance-Events das Bild. Der TUSCANY TRAIL oder das BADLANDS im Süden Spaniens sind knüppelharte self-supported Gravel-Races mit Anstiegen, die um die Beine eines Profis, und Abfahrten, die um den Komfort einer Federgabel betteln. Ohne ein präzises Handling und ein gewisses Maß an Restkomfort endet ein Rennen schnell beim Orthopäden.

Seit 2022 mischt auch die UCI beim Gravel-Racing mit. Mit einer eigenen Rennserie und der UCI Gravel-WM versucht der Radsport-Weltverband dem Gravel-Racing einen neuen Rahmen zu geben. Der 194 Kilometer lange WM-Kurs von 2022 war technisch wenig anspruchsvoll und lockte mit seinen langen Asphalt-Passagen auch World-Tour-Profis auf getunten Straßenrädern an den Start.

UNBOUND, BADLANDS oder UCI Gravel-WM? Die Rennen und die Anforderungen an die Bikes sind so unterschiedlich, dass es nicht das perfekte Bike für alle Szenarien und Fahrertypen gibt. Wir haben unsere Test-Bikes daher von 6 verschiedenen Fahrern über den einzigartigen GRAN FONDO Gravel-WM-Kurs prügeln lassen und Stärken und Schwächen der Bikes ans Licht der spanischen Sonne gebracht. So waren wir unterwegs:

Schnell

Egal, ob knackiges Eintages-Event oder mehrtägiges Höhenmetermonster – irgendwann ist Schluss mit Pacing und Pulskontrolle. Wir lieben Speed und wollen uns an dem Gefühl berauschen, dass uns das Bike schneller macht als die Beine.

Staubig

Matsch ist schön und gut, aber auch ätzend. Deshalb sind wir ab in die Wüste gefahren, wo es die besten Gravel-Race-Zutaten gibt: feiner Schotter, komprimierter Hardpack, fliegender Sand. Wir wollen das Knirschen unter den Reifen und die Staubfahnen im Gegenlicht der Abendsonne.

Steil

Für uns gehören Berge zum Gravel-Race-Bike wie Gin zum Tonic. Wir müssen unsere Bikes keine Steilwände rauftragen, aber ohne Kletterfähigkeiten führt kein Weg in den Gravel-Olymp.

Spaßig

Wir nehmen die Bikes ernst. Aber dann hört es auch auf. Wir brauchen keinen Scheck für den Sieger und keinen Pokal für die Vitrine. Wir wollen entdecken, erleben und unsere Grenzen ausloten – unsere Motivation sind wir selbst, die Crew und das Race-Feeling. Ok, wir geben zu: Die Champagnerdusche war schon ganz geil!

Und keine Sorge, niemand von uns wird in naher Zukunft um das Regenbogentrikot des UCI Gravel-Weltmeisters sprinten. Wir suchen also nicht nur extreme Race-Boliden, sondern auch Bikes, mit denen ihr auf eurer Feierabendrunde schnell unterwegs sein könnt. Und so viel vorweg: Wir haben beides gefunden.

Das Testfeld im Überblick

Modell Schaltgruppe Laufradsatz Gewicht Preis
Argon 18 Dark Matter (Zum Test) SRAM Force eTap AXS Hunt 42 Limitless Gravel Disc XDR 8,56 kg [M] 6.950 € 
Berria Belador Allroad 8 (Zum Test) SRAM Rivale eTap AXS Mavic SLR 32 Disc 8,68 kg [M] 3.999 € 
BMC Kaius 01 ONE (Zum Test) SRAM Red eTap AXS Zipp 303 Firecrest 7,72 kg [56] 11.499 € 
Canyon Grail CF SLX 9 eTap (Zum Test) SRAM Red eTap AXS DT Swiss GRC 1100 Spline 8,28 kg [M] 6.499 € 
Factor OSTRO Gravel (Zum Test) SRAM Red eTap AXS Black Inc Thirty Four 8,00 kg [54] 9.799 € 
Fara Cycling F/All-Road (Zum Test) SRAM Red eTap AXS Fulcrum Aerbeat 400 7,88 kg [56] 8.298 € 
Ridley Kanzo Fast (Zum Test) Shimano GRX RX815 Di2 DT Swiss GRC 1400 Spline 8,76 kg [M] 6.729 € 
Specialized S-Works Crux (Zum Test) SRAM Red eTap AXS Roval Terra CLX 7,27 kg [56] 12.800 € 
Trek Checkpoint SLR 9 eTap (Zum Test) SRAM Red eTap AXS Bontrager Aeolus RSL 37V 8,28 kg [56] 12.999 € 
Ø 8.74 kg Ø 6.454 € 

Was macht ein Gravel-Race-Bike zum Gravel-Race-Bike?

Da stehen sie also – unsere 9 Anwärter auf den Gravel-Thron. Doch warum haben wir uns für diese Bikes entschieden und was macht ein Gravel-Race-Bike zum Gravel-Race-Bike?
In den Portfolios der Hersteller findet sich eine enorme Bandbreite an Drop-Bar-Bikes, die alle Ambitionen abseits des Asphalts haben. Hier treffen Cyclocross-Racer auf Allroad-Bikes und designierte Gravel-Race-Bikes auf Adventure- oder Bikepacking-Bikes. Die Grenzen zwischen den Konzepten und Geometrien sind fließend. Unser Testfeld deckt die Bandbreite an Geometrien, Features und Ausstattungen ab, die ein Bike auf dem Papier schnell macht. Doch Papier ist geduldig, und erst auf der Piste zeigt sich, welches Konzept Sieger-Gene in sich trägt.

Gravel-Race-Bike vs. Allroad-Bike

Das Allroad-Bike ist das Schweizer Taschenmesser unter den Rennrädern. Robuster Rahmen, großzügige Reifenfreiheit – 35 mm sollten es mindestens sein –, eine entspannte Sitzposition und gerne auch ein paar clevere Ideen, um Gepäck formvollendet am Rahmen unterzubringen. Das Allroad-Bike ist ein heißer Kandidat für eine längere Bikepacking-Tour, begleitet dich bei Schmuddelwetter mit Schutzblechen ins Büro, lässt dich aber auch beim Ortsschildsprint nicht hängen. Am wohlsten fühlt es sich auf Asphalt, aber – und da wird es für unseren Race-Gravel-Vergleich spannend – es begibt sich gerne auch mal auf Abwege. Feldwege, feiner Schotter und Waldautobahnen sind immer drin. Taugt das Allroad-Bike also zum Gravel-Race-Bike? Mit dem Fara F/All-Road haben wir einen Vertreter dieser Gattung eingeladen und aus der Komfortzone entführt.

Gravel-Race-Bike vs. Race-Bike

Ihr fragt euch, was ein Straßenrad bei einer Gravel-WM zu suchen haben könnte? Nun ja, den Titel. Das Siegerrad der UCI Gravel-WM 2022 war ein modifiziertes Canyon Ultimate CFR – ein reinrassiger Straßenrenner. Die Modifikationen haben es jedoch in sich. Für die Titelkämpfe auf dem trockenen Kurs wurden 33 mm (vorne) und 35 mm (hinten) breite Vittoria Terrain Dry Tubeless-Reifen montiert. Canyon selbst gibt für das Modell jedoch nur eine Reifenbreite von 30 mm frei. Die Reifenfreiheit des filigranen Carbonrahmens wurde also maximal ausgereizt. Was im Trockenen funktioniert, kann bei Nässe zu einem teuren Experiment werden. Wenn sich Schlamm und Matsch zwischen Reifen und Rahmen setzen, sorgt das bestenfalls für Kratzer und schlimmstenfalls für strukturelle Schäden am Rahmen.

Auch wenn es also kurz verlockend erscheint, mit einem brettharten Straßenrad über Gravel-Pisten zu bügeln, limitiert letztlich die Reifenfreiheit den Einsatzbereich. Das Rennrad gehört auf die Straße.

Das Crux hat seine Wurzeln im Cyclocross, gönnt sich aber etwas mehr Reifenfreiheit.

Gravel-Race-Bike vs. Cyclocross-Bike

Cyclocross-Bikes können mit Recht laut hier schreien, wenn es um einen Platz in der Ahnengalerie moderner Gravel-Racer geht. Die stollenbereiften Kurvenkünstler werden hauptsächlich in Belgien und den Niederlanden über schlammige Rundkurse mit giftigen Anstiegen gejagt. Ein hohes Tretlager verhindert das Aufsetzen der Kurbel in Kurven, und ein steiler Lenkwinkel garantiert in Verbindung mit einem kurzen Radstand ein aggressives Einlenken. Cyclocross-Bikes sind reinrassige Racer, und auf einem knackigen Rundkurs mit engen Kurven und Hindernissen müssten sich unsere Gravel-Race-Bikes ganz schön strecken, um dranzubleiben. Andersrum gilt: Je entspannter der Kurs, desto anstrengender wird die Agilität der Crosser. Auf langen Geraden und Hardpack-Highways zählt Geradeauslauf mehr als Einlenkverhalten.

Per Definition fehlt den Cyclocross-Bikes darüber hinaus ein Feature, das die Gravel-Bikes auf die Überholspur bringt. Der Radsport Weltverband UCI limitiert die Reifenbreite bei Cyclocross-Bikes auf 33 mm. Das reicht nicht ganz, um auf allen Terrains das Hinterrad der Gravel-Race-Champs zu halten. Mit dem S-Works Crux steht ein Kandidat an der Startlinie, der seine Wurzeln im Cyclocross hat, das Konzept aber etwas freier interpretiert. Und so viel vorweg: Das Crux ist ein ganz besonderes Rad.

Viel wichtiger als Kategorien und Definitionen ist aber ein anderer Parameter: die eigenen Erwartungen an das Bike. Jenseits von Rennformaten und Herstellerkonzepten zählt vor allem dein Konzept vom perfekten Gravel-Race-Bike.

Was macht ein gutes Gravel-Race-Bike aus?

Hand aufs Herz: Wer von uns ist schon ein World-Tour-Profi? Was uns verbindet, ist, dass wir Freude nicht nur in Watt pro Kilogramm messen. Wenn wir an Gravel denken, haben wir Bilder im Kopf – wir sehen die Sonne am weit entfernten Horizont, Staub und Hardpack. Doch hier enden die Gemeinsamkeiten. Einige von uns träumen von flowigen Trails, andere denken an endlose Hardpack-Pisten und wieder andere hoffen auf hochprozentige Anstiege und technische Abfahrten.

Statt ein gutes Gravel-Bike zu suchen, ist es viel wichtiger, das richtige zu suchen. Das Bike, das zum Terrain, in dem man primär fährt, passt – und natürlich zu den individuellen Ansprüchen und Bedürfnissen: Wer auf maximalen Vortrieb setzt und sich von der Geometrie bereitwillig in eine Aero-Position klemmen lässt, der legt evtl. weniger Wert auf Komfort. Wer Bock auf Highspeed-Geballere hat, der ist vielleicht eher bereit, Agilität gegen Stabilität zu tauschen, und wer in der Compliance den Schlüssel zum Glück sieht, der muss nicht unbedingt das letzte Gramm sparen.

Gravel-Racing: Ist komfortabel schneller als Aero?

Wenn wir uns unser Testfeld anschauen, zeigen sich an den Enden des Spektrums zwei Extreme. Einerseits setzen Kandidaten wie das Trek Checkpoint SLR 9 eTap, das Canyon Grail CF SLX 9 eTap oder das Berria Belador Allroad auf proprietäre Komfort-Konzepte und versuchen, uns zusätzliche Strapazen in Form von harten Schlägen oder ermüdenden Vibrationen zu ersparen. Damit bleibt das Terrain abseits der Straße eine Spielwiese für innovative technische Lösungen jenseits von Federgabel und Dämpfer.

Auf der anderen Seite stehen mit BMC Kaius 01 ONE, Factor OSTRO Gravel und Ridley Kanzo Fast 2023 drei Aero-Boliden, die wirken, als wären sie bei der Tour de France falsch abgebogen und hätten sich eher zufällig in die Wüste verirrt. Das Thema Aero ist im Gravel-Racing angekommen, und es erfordert keine prophetische Begabung, um zu erkennen, dass wir in den nächsten Jahren verstärkt über Rohrprofile und Aero-Bars diskutieren werden. Doch was bedeutet eigentlich Aero bei einem Gravel-Race-Bike?

Im Berria Belador soll ein gefedertes Heck dem Schotter die Schärfe nehmen.
Das Canyon Grail setzt auf eine nachgiebige Sattelstütze, um Vibrationen zu eliminieren.
Tief angesetzte Sitzstreben und ein Sitzrohr, das dem Hinterrad Windschatten spendet, sollen das Ridley Kanzo Fast aerodynamisch nach vorne bringen.
BMC setzt beim Kaius 01 ONE auf ein integriertes und lackiertes Cockpit.

Gravel-Race-Bikes: Ist das Aero oder kann das weg?

Das Design der Aero-Boliden von BMC, Factor und Ridley leitet sich von den jeweiligen Road- bzw. Aero-Road-Bikes ab. Tropfenförmige Rohrprofile gehören ebenso dazu, wie tief angesetzte Sitzstreben, Sitzrohre, die dem rotierenden Hinterrad Windschatten bieten, und Kanten an der Gabelkrone, die den Luftstrom lenken sollen. Dazu kommen integrierte Cockpits und tendenziell schmalere Lenker mit dezentem Flare. Wer von diesen Marginal Gains profitieren möchte, muss konsequenterweise auch seine Kleidung optimieren. Das Flanellhemd taugt in dieser Logik eher zum Bike-putzen als zum Bike-racen.

Neben den konstruktiven Details, mit denen die Hersteller versuchen, dem Wind ein paar Watt abzutrotzen, prägt vor allem die Geometrie die Aerodynamik. Radikale Geometrien zwingen den Fahrer in eine tiefe, kompromisslose Position und reduzieren so den Drag deutlich. Wer schnell ist, kann mit diesen Bikes auch richtig schnell fahren.

Gravel-Race-Bikes: Entspannt sitzen oder entkoppelt fahren?

Beim Komfort ist es ähnlich wie bei der Aerodynamik. Er entsteht durch die Eigendämpfung des Rahmens sowie konstruktiven Details auf der einen und die Geometrie auf der anderen Seite. Ein Bike kann also einen komfortablen Rahmen mit zusätzlichen Komfort-Features, aber eine unkomfortable Geometrie haben. Hinzu kommen natürlich noch weitere Komponenten wie Reifen(-druck), Cockpit in Kombination mit dem Lenkerband sowie der Kontaktpunkt Sattel.

Hersteller wie Trek, Canyon und Berria verbauen Lösungen, die einen direkten Effekt auf die vertikale Compliance – die Nachgiebigkeit des Bikes – haben. Canyon setzt dazu auf das optisch viel diskutierte, leicht flexende Doppeldecker-Carbon-Cockpit und kombiniert es mit einer nachgiebigen Sattelstütze. Berria geht noch einen Schritt weiter und verbaut gleich einen gefederten Hinterbau. Die Konstruktion soll nicht nur Vibrationen dämpfen, sondern auch größere Stöße abfangen. Doch funktioniert das Konzept in Kombination mit der starren Front?

Optisch fragwürdig, funktionell top – der Hoverbar am Canyon Grail schont im Oberlenker die Hände vor kontinuierlichen Erschütterungen.
Mit der IsoSpeed-Dämpfung am Heck setzt Trek auf ein eigenständiges Komfortkonzept.

Fara geht einen anderen Weg. Die entspannte Geometrie ermöglicht eine aufrechte Sitzposition. Auf Dämpfungselemente an Lenker oder Sattelstütze verzichten die Skandinavier. Doch wie nachgiebig ist der Rahmen selbst?

Ein komfortabler Rahmen braucht nicht zwangsläufig auffällige technische Lösungen. Die Geometrie, die Rohrformen und das Layout der Carbonfasern tragen die Hauptlast der Compliance.

Gravel-Race-Bikes: Can you handle it?

Mit einem Gravel-Race-Bike begibst du dich auf unbekanntes Terrain. Schotter ist nicht gleich Schotter, Trails können tückisch sein, und ein vorabendlicher Platzregen macht aus der entspannten Waldautobahn eine fiese Schlammrutsche. Das Handling des Bikes ist entscheidend dafür, wie wohl du dich fühlst, wie viel Vertrauen du aufbaust und letztlich, wie schnell du fahren willst und kannst.

Ein agiles Bike lässt dich zwar im schwierigen Gelände gut aussehen, stresst aber eventuell mit einem schlechten Geradeauslauf. Da immer mehr Bikes mit integrierten Lenker-Vorbau-Einheiten antreten, ist es auch gar nicht mehr so leicht, hier nachträglich etwas zu verändern. Unser Tipp: Wenn du dich nach 10 km auf dem Rad nicht wohl fühlst, wird es auch nach 10.000 km so sein. Also Finger weg.

Gewichtige Gründe gegen Gewichts-Fetischismus am Gravel-Race-Bike

Merkt ihr was? Wir sprechen gerade das erste Mal übers Gewicht. Die Zahl auf der Waage ist noch immer wichtig, aber unser Fahrgefühl hat uns während der Tests so manches Mal hinters Licht geführt oder – anders ausgedrückt – gezeigt, worauf es ankommt! Entscheidender als das absolute Gewicht ist hier die Gewichtsverteilung. Manche Bikes fühlen sich schwerer an als sie sind, andere kaschieren durch ein überzeugendes Handling und enormen Vortrieb ihre Extra-Pfunde. Wir konnten unserer Waage nicht glauben, dass wir – Achtung: Spoiler! – am Ende tatsächlich das schwerste Bike zu unserem Gravel-Race-Champion gekürt haben. Andererseits hat uns auch das leichteste Bike im Testfeld mit seinem spielerischen Vortrieb und seiner Fähigkeit, unsere Beine neu zu befeuern, absolut begeistert. Die beiden Extreme prägen also auf ihre Weise unsere Gravel-WM.

Beim Gravel-Racing fährt Freude vorn

Nicht alles ist quantifizierbar, messbar und begründbar. Beim Graveln ist Raum für Emotionen. Du bist der Natur näher, du bist ihr ausgesetzt, und die Grenze zwischen himmelhochjauchzend und zutodebetrübt ist so schmal wie ein Semislick. Ein Rad, auf dem du dich subjektiv gut fühlst, wird dich motivieren, schnell zu fahren. Vielleicht gibt dir das Handling die Sicherheit, aus der Abfahrt die letzten Prozente rauszuholen, vielleicht ist es das Gefühl am Berg, mit dem leichtesten Rad eine Lücke zu reißen, vielleicht strampelst du dich in einen Aero-Rausch oder vielleicht findest du einfach nur die Lackierung geil – was auch immer dir Freude macht, bringt dich nach vorn.

Tech-Details fürs Gravel-Race-Bike

Hersteller stimmen Komponenten und Anbauteile auf den Einsatzzweck ihrer Modelle ab. Ein gutes Gravel-Race-Bike ist daher im besten Fall mehr als die Summe seiner Teile. Trotzdem gibt es Aspekte, die den Charakter eines Bikes in besonderem Maße prägen und die von den Herstellern unterschiedlich interpretiert werden.

Gravel-Race-Reifen – Hier ist was ins Rollen gekommen

Am Gravel-Race-Bike sind die Reifen mit ihren Aufgaben gewachsen. Reifenbreite, Reifendruck, Felgenbreite, Tire-Inserts … Rund um das Thema Reifen haben sich neue Trends entwickelt. Es lohnt sich aber hinzuschauen. Denn mit wenig Aufwand lässt sich hier viel rausholen.

Reifenbreite – Volle Haftung

Die meisten unserer WM-Teilnehmer bewahren den Bodenkontakt auf 38–40 mm breiten Reifen mit Mischprofil. Ausnahme ist das Fara F/All-Road. Als Allroad-Bike tritt es weniger breitpneuig auf und geht mit dem sparsam profilierten, 35 mm breiten Panaracer Gravel King an den Start. Die gute Nachricht: Kein Reifen bringt uns auf unserem Testkurs ins Schwimmen. Das Niveau an Grip und Traktion ist beeindruckend und wer nicht auf tiefem, schlammigem Untergrund unterwegs ist, kann auf massive Stollen verzichten. Besonders überzeugt hat uns der Specialized Pathfinder Pro. Die Kombination aus durchgängiger Lauffläche und seitlichem Profil sorgt für wehendes Haar auf der Geraden und ruhigen Puls in Kurven. Zusätzlich liefert der Reifen ein beeindruckendes Maß an Komfort.

Wer Reifenbreite sagt, muss auch Felgenbreite sagen. Denn nur, wenn die Innenmaulweite der Felge breit genug ist, um den Reifen gut abzustützen, könnt ihr das Potenzial eurer Pneus ausschöpfen. Ein zu breiter Reifen auf einer zu schmalen Felge kostet Lenkpräzision und Seitenhalt. Klar, wir reden hier über Nuancen. Aber wir sind auch bei der GRAN FONDO Gravel-WM!

Reifendruck – Wenig hilft viel

Kaum etwas verändert den Charakter eines Bikes so stark wie der Luftdruck. Wenn eingefleischte Roadies das erste Mal den Asphalt verlassen, brechen oftmals Welten zusammen: 2,5 Bar – wie soll man mit so wenig Druck überhaupt fahren können? Es geht nicht darum, Extreme auszureizen, sondern das Setup zu finden, das perfekt zu Fahrergewicht, Fahrstil und Kurs passt. Und das ist meistens eine Balance! 0,5 Bar weniger können dabei mehr Komfort bringen als ein Federungselement, und mehr Grip als ein stark profilierter Reifen. Zu wenig Druck lässt den Reifen in Kurven allerdings unangenehm walken und erhöht die Gefahr von Durchschlägen.

Im Netz gibt es verschiedene Rechner, die euch basierend auf Gewicht und Untergrund den passenden Luftdruck ausspucken, doch im Zweifel schlägt die analoge Praxis die digitale Theorie. Also probiert aus und tastet euch auch mal ans Minimum ran. Besonders, wenn der Kurs regelmäßig zwischen Offroad und Asphalt wechselt, ist es wichtig, eine gute Balance zwischen Offroad-Komfort und Onroad-Präzision zu finden. Das Motto heißt: so wenig wie möglich, so viel wie nötig.

Tubeless – Schlauchlos glücklich

7 unserer 9 Test-Bikes stehen ohne Innenleben aus Butyl an der Startlinie. Tubeless ist Standard bei Gravel-Race-Bikes. Ein Tubeless-Setup lässt sich mit geringerem Luftdruck fahren, denn es gibt schlicht keinen Schlauch, der bei Durchschlägen von der Felge malträtiert wird und eure Hoffnungen auf den Sieg platzen lässt. Tubeless bedeutet weniger Rollwiderstand und entfaltet dank Dichtmilch eine selbstheilende Wirkung. Ein Ersatzschlauch gehört trotzdem ins Trikot-Täschchen, denn auch die Dichtmilch gönnt sich mal einen Aussetzer und dann gilt: Reifen runter, Schlauch rein.

Tire-Inserts – Ist Schaumstoff dein Traumstoff?

Wer auf den Schlauch verzichtet, kann seine Felge mit Tire-Inserts verwöhnen. Diese Schaumstoff-Liner werden ins Felgenbett gelegt, um dort Komfort und Pannenschutz zu steigern. Wir haben uns bereits letztes Jahr ausführlich mit dem Thema beschäftigt und sind für uns zu dem Schluss gekommen, dass die Inserts im normalen Gravel-Alltag und leichten Gelände nichts können, was ein guter Reifen mit dem richtigen Luftdruck nicht auch kann. Wenn ihr allerdings euren Traum von einem mehrtägigen Ultraendurance-Event im anspruchsvollen Gelände verwirklichen möchtet und dafür das letzte Quäntchen Performance aus eurem Setup quetschen wollt, schaut euch mal unseren Know-how-Artikel zum Thema Tire-Inserts an.

Komfort am Gravel-Race-Bike: Nicht die Harten kommen in den Gravel-Garten

Der Wunsch nach Komfort war lange als Ausdruck mangelnder Leistungsbereitschaft und mentaler Stärke verpönt. Gravel hat diesen Schwachsinn von der Piste gefegt. Komfort ist nicht nur per se geil, sondern Komfort kann dir auch im Rennen den Allerwertesten retten. So machst du es dir auf dem Weg zum Podium richtig gemütlich.

Runde Sache – Die Reifen sind deine Federgabel

Mit dem richtigen Luftdruck kann ein Reifen nicht nur schnell rollen und Grip aufbauen, sondern dich gerade abseits des Asphalts vor kräftezehrenden Schlägen und Stößen bewahren.

Das sitzt – Ein Sattel muss passen und passen und passen

Wenn du dein Bike fürs Leben gefunden hast, mach dich auf die Suche nach dem Sattel – oder auch andersrum. Ein komfortabler Sattel leitet den Druck Richtung Sitzknochen, fördert die Blutzirkulation und hält dich rutschfrei in Position.

Gut gefiltert – Dämpfungselemente sind eine Spielwiese für Ingenieure

Hersteller stecken viel Grips und Geld in die Entwicklung von technischen Features, die Gravel-Race-Bikes vertikal nachgiebiger machen. Wir bevorzugen gelenkfreie Lösungen, die den Wartungsaufwand minimieren und das Potenzial des Werkstoffs Carbon voll ausnutzen.

Haltung bewahren – Wie gut die Geometrie ist, weißt du am dritten Tag

Gravel-Rennen gehen auch gerne mal in den vierstelligen Kilometerbereich. Eine Geometrie, die auf den ersten 100 km effizient ist, ist es auf den nächsten 900 nicht unbedingt. Mit zunehmender Ermüdung fällt es schwerer, die Spannung zu halten und den Körper in eine Race-Position zu zwingen.

Hand auflegen – Mit dem richtigen Lenker hast du die Ermüdung im Griff

Der Lenker ist ein entscheidender Kontaktpunkt zwischen Körper und Bike. Die meisten Lenker bieten heute angenehm breite Auflageflächen und ermöglichen unterschiedliche Griffpositionen. Integrierte Cockpits schießen dabei jedoch manchmal ein Stück übers Ziel hinaus. Der Übergang zwischen Vorbau und Lenker ist teilweise so raumgreifend gestaltet, dass er den Händen eine Griffposition raubt – auch die Montage von Aero-Bars wird so schwierig.

Gravel-Race-Bike-Antriebe: Wir streuen Sand ins Getriebe

Der Weg zum Gravel-Thron ist immer steinig und manchmal steil. Egal, wie sehr wir uns bemühen, Gangwechsel rechtzeitig zu antizipieren, ab und zu muss das Schaltwerk unsere Konzentrationsmängel ausbaden und die Kette unter Volllast aufs nächste Ritzel wuchten. Aber hey, dafür klebten immerhin noch keine 3 Kilo Schlamm am Schaltwerk. Gravel-Racing ist kein Ponyhof. Weder für die Beine, noch für den Antrieb. Die Schaltung ist gefordert. Die Hersteller haben geliefert.

Das Duell der Schalt-Giganten: Shimano vs. SRAM

An der Startlinie steht es 8:1 – für SRAM! Die Amerikaner sind im Gravel-Segment gut aufgestellt und haben den 1-fach-Antrieb als Übersetzung der Wahl für alles abseits der Straße etabliert. Shimano ist in unserem Feld ausnahmsweise der Exot.

Doch die Shimano GRX RX815 Di2 kann sich behaupten. Das Schaltwerk wechselt schnell und butterweich die Gänge, die Bremsen lassen sich perfekt dosieren, und auch bei der Ergonomie schiebt Shimano seine Hoods zuerst über die Ziellinie. Sie liegen sehr gut in der Hand und springen auch optisch ganz oben aufs Treppchen. Einzig die Schaltlogik mit großen und kleinen Hebeln auf beiden Seiten wirkt etwas tradiert und erfordert zumindest mit Handschuhen eine gut geschulte Feinmotorik.

Schnelle und butterweiche Schaltvorgänge mit der Shimano GRX RX815 Di2 – selbst unter Last am Berg.

Die SRAM AXS-Armada kommt facettenreich daher. Von der neuen Rival über die Force bis zur edlen RED steht alles am Start, was bei SRAM elektronisch schalten kann. Anders als Shimano verzichtet SRAM dabei auf Kabel und setzt konsequent auf wireless. Auch bei der Akku-Strategie gehen die Amerikaner einen anderen Weg und platzieren statt des zentralen Akkus im Sitzrohr kleinere Energiespender an Schaltwerk und Umwerfer (2-fach). Die SRAM-Akkus sind dabei nicht ganz so ausdauernd. Sie können dafür leicht untereinander getauscht und schneller geladen werden. Wer ganz weit fahren und ganz sicher gehen will, findet in seinem Race-Gepäck bestimmt auch noch ein Plätzchen für einen Extra-Akku. In den meisten Fällen machen aber erst die Beine schlapp, bevor der Akku in die Knie geht.

Die Hoods von Force und RED liegen etwas klobiger in der Hand als bei der GRX. Die Ergonomie der Rival gefällt uns da deutlich besser und gibt die Designrichtung für die nächsten Generationen der anderen Gruppen vor. Mit der im März 2023 vorgestellten SRAM Force AXS wird der ergonomische Fortschritt an den Hoods greifbar. Unsere Bikes waren jedoch noch mit der 2022er-Version der Force ausgestattet. Gruppenübergreifend überzeugt die Schaltlogik – links runter, rechts hoch, beide gleichzeitig: vorne. Weniger überzeugend ist die Schaltgeschwindigkeit. Beim Gangwechsel muss SRAM den großen Konkurrenten aus Japan ziehen lassen.

Ach, du dickes Ding – die Hoods der SRAM RED wirken etwas klobig und sind für kleine Hände schwer zu greifen.
Der Einstieg in die elektronische Schaltungswelt: Die SRAM Rival AXS funktioniert zuverlässig, muss aber bei der Schaltgeschwindigkeit die großen Schwestern Force und RED ziehen lassen.

Was beide hervorragend beherrschen, sind Gangwechsel unter Volllast. Die Elektronik zeigt sich bei keinem der Kontrahenten als kapriziöse Diva. Vielmehr vergisst man schnell, dass sie da ist und freut sich über weiche und leise laufende Antriebe.

1-fach-Standard: Dieser Antrieb hat sich im Gravel-Segment durchgesetzt.
2-fach-Antriebe sind an Gravel-Racern die Ausnahme.

Kurbel: 1-fach besser oder doppelt gut?

TDie Gretchenfrage des Gravel-Racings heißt: 1-fach- oder 2-fach-Antrieb? Wir beantworten sie wie folgt:

Auf unserem kurzen WM-Kurs sind wir mit den Bandbreiten und Gangsprüngen der 1-fach-Antriebe wunschlos glücklich geworden. Mit 40er- oder 42er-Kettenblättern vorne und einer 10–44-Kassette hinten konnten wir bergab Gas geben und bergauf attackieren. Nach 200 Kilometern mit Bikepacking-Equipment am Rahmen hätten wir uns auf dem gleichen Kurs wahrscheinlich ein größeres Ritzel hinten gewünscht oder doch auf einen 2-fach-Antrieb geschielt.

Wenn ihr euch für 1-fach entscheidet, gönnt euch also kleine Gänge. Bei den meisten Gravel-Rennen, die ihr in eurem Leben fahren werdet, geht es irgendwann ums Ankommen. Mit einem 38er- oder 40er-Kettenblatt vorn schenkt ihr euch Reserven – und es gibt kaum was Besseres, als am letzten Berg an jemandem vorbei zu pedalieren, der schieben muss.

Eine andere Möglichkeit, mehr Bandbreite aus dem 1-fach-Antrieb rauszuholen, ist das Mullet-Setup von SRAM. Alle neuen SRAM AXS Road- und Gravel-Schaltungen sind auch mit SRAMs MTB-Schaltwerken kompatibel und erschließen euch die wunderbare Welt der 10–50-Kassetten.

Wo haben wir die Gravel-Race-Bikes getestet?

Ein Gravel-Race-Bike muss sich auch im Alltag beweisen. Bei Wind und Nieselregen auf Feld-, Rad- und Waldwegen. Auf der Feierabendrunde am Wochenende und vielleicht sogar beim Pendeln. Die harte Wahrheit ist: 90% der Zeit, die du auf deinem Gravel-Race-Bike verbringst, ist wenig glorreich. Doch das eigentliche Ziel ist zum Glück nicht der Sendemast hinter der Tankstelle oder die Fahrradgarage am Hauptbahnhof, es ist das nächste Abenteuer, der nächste Sommer. Ihr hört den Kies knirschen, ihr schmeckt den Staub und ihr seht die Sonne. Wir auch. Darum haben wir die Bikes erst bei Wind und Wetter gequält und dann in die Wüste entführt.

Hier werden Gravel-Race-Weltmeister geboren

Im Norden Spaniens – zwischen den Pyrenäen und dem Urstromtal des Ebros – liegt ein Garten Eden aus Schotter und Lehm: die Bardenas Reales. Ihr heimlicher Herrscher ist der Cierzo. Ein trockener, kalter, epischer Wind der seit Millionen von Jahren bizarre Schlammskulpturen aus den eiszeitlichen Hochplateaus fräst. Diese Formationen erheben sich wie Denkmäler über die Weite der ockerfarbenen Mondlandschaft und tragen Namen, die nach Herr der Ringe schmecken. Castillo Penaflor oder Cabezo de Sanchicorotta heißen die markanten Gipfel der einzigartigen Halbwüste. Der Coverboy der Bardenas aber ist das ikonische Castil de Tierra – die Festung aus Erde.

Während der Wind Burgen baut, gräbt das Wasser Barrancos. Diese ausgetrockneten Flussbetten und Canyons sind das Ergebnis seltener, dafür aber sintflutartiger Regenfälle in Kombination mit brutalen Hitzesommern. Neben den Barrancos durchziehen unzählige Gravel-Pisten und Trails die Bardenas. Sie führen auf die Abrisskanten der Tafelberge, in die tiefen Schatten der Canyons und bis an den Rand eines Raketentestgeländes der spanischen Luftwaffe – dem Bombodrom.

Explosive Anstiege wechseln sich mit Pumptracks, Aero-Abfahrten und kilometerlangen Geraden ab. Felsplatten wachsen wie Kicker aus dem Hardpack, tiefe Rillen bestrafen zu schwach aufgepumpte Vorderräder, und Millionen Jahre Erosion haben meterdicke Sandsteinplatten zu Schotter geschliffen. Grober, eckiger Schotter, der Schlaglöcher füllt; feiner, runder Schotter, der Steilkurven sprenkelt und Schotter, der sich als Lehm entpuppt, wenn man ihn zwischen den Fingern zerreibt. Über allem wacht das Denkmal des ewigen Schäfers mit seinem treuen Hund.

Hier, wo einst die Könige Aragoniens ein menschenleeres Reich regierten, haben wir den Herrscher über Hardpack und Kies gekrönt – das ultimative Gravel-Race-Bike.

Wer hat getestet?

Calvin
Für Calvin ist Komfort wichtig – wenn er im Bett liegt. Wenn er das nicht tut, fährt er Rad. Und wenn er Rad fährt, ist Komfort nicht so wichtig. Geschwindigkeit schlägt in dem Fall Compliance – wer austrainiert ist und wie Calvin auf 20.000 Jahreskilometer kommt, kann auch nach 200 Rennkilometern geschmeidig über Gavel-Pisten gleiten. Die Physis übernimmt, was in anderen Fällen das Bike leisten muss. Für Calvin ist das perfekte Gravel-Race ein mehrtägiges 1.000-km-Event mit einer ordentlichen Portion Höhenmeter und der vollen Bandbreite an Untergründen. Calvins Leg Crusher kombiniert Highspeed Aero-Passagen auf Asphalt mit Gravel-Autobahnen, Singletrails und Tragepassagen über Gebirgspässe. Das Bike dafür muss agil, aero und leicht sein. Calvins Favorit: das BMC Kaius 01 ONE.
Jan
Für Jan liegt der Schlüssel zur Geschwindigkeit im Komfort. Wer ermüdungsfrei fährt, fährt länger. Und wer länger fährt, ist eher am Meer. Denn dort liegt das Ziel von Jans Gravel-Traum. Nach 150 km über Singletrails, Gravel und Hardpack waschen einem dort die Wellen den Staub von den Waden und der Sand massiert die Schultern. Da Jan bei seinem Streckendesign auf schnelle Asphalt-Passagen verzichtet, spielt Aero nicht die entscheidende Rolle. Ihn begeistert stattdessen die Compliance des Canyon Grail CF SLX 9 eTap. Das komfortabelste Bike im Test nimmt Schlägen die Schärfe und filtert Vibrationen aus den Trails.
Martin
Martin schaut nicht auf einzelne Features. Er sucht ein stimmiges Gesamtkonzept. Mensch und Maschine verschmelzen zu einer Einheit – wobei man bei Martin auch sagen könnte, dass Maschine und Maschine zur Einheit werden. Wenn dieses Konstrukt harmoniert, geht es auf knackigen 100 Kilometern über Schotter zu Stationen, an denen verschiedene Aufgaben bewältigt werden müssen – inkl. Klimmzüge und Reifen-Flicken. Für den Sieger gibt’s danach eine Maniküre. In Martins Fall schließen sich die frisch manikürten Hände am liebsten um den Lenker des Ridley Kanzo Fast 2023. Das Bike gibt ihm Speed, Kontrolle und das Gefühl, jede Situation souverän meistern zu können.
Christoph
Christoph verbringt nicht jeden Tag 16 Stunden im Sattel, aber wenn er es tut, will er ein effizientes Bike, das Kraft in Vortrieb umsetzt, präzise einlenkt und Unebenheiten ausbügelt. Davon dürfte es auf den 650 Kilometern von Madrid nach Lissabon einige geben. Christophs Gravel-Race führt durch die staubige Extremadura der Sonne Richtung Atlantik und endet mit einem vergoldeten Pasteis de Nata an der Mündung des Tejo. Dabei lässt der Sonnenuntergang sein Ridley Kanzo Fast 2023 ebenfalls golden glänzen. Das Ridley fliegt über Bodenwellen dem Meer entgegen und frisst Schotterkilometer wie das Krümelmonster Kekse.
Robin
Robin ist im Herzen Entdecker. Für ihn ist ein Trail die aufregendste Verbindung zwischen zwei Abenteuern. Sein perfektes Gravel-Race führt auf Sand, Schotter und Vulkanasche über die Kanarischen Inseln. Dabei sind nicht nur Beine gefordert, sondern auch Kreativität. Es geht darum, Lösungen zu finden, Strategien zu entwickeln und alles wieder über den Haufen zu schmeißen. Das Race holt dich raus aus dem Alltag und katapultiert dich rein in das Leben der Menschen vor Ort. Du bist dort nicht nur auf der Jagd nach Bestzeiten, sondern auf der Suche nach Begegnungen, einzigartigen Fotos und besonderen Souvenirs. Die Bikepacking-Taschen für die Souvenirs hängen bei Robin am Ridley Kanzo Fast 2023. Komfort trifft hier auf entschlossene Unverwüstlichkeit. Außerdem lässt sich das Bike über den Konfigurator an die eigenen Vorstellungen vom Gravel-Racing anpassen.
Nils
Wenn Nils in die Ferne schweift, ist das Rad meistens in der Nähe. Für ihn führt das perfekte Gravel-Race von den Pyrenäen bis nach Tarifa, durchquert staubige Landschaften, kreuzt karge Gebirge und beinhaltet Pflichtstops in spanischen Bars: Erst wer mit zwei Rentnern im grauen Pullunder einen Cortado getrunken hat, darf weiterfahren. Das Rennen endet mit einem sehnsüchtigen Blick auf Afrika am Strand von Tarifa. Und dort steht es. Etwas mitgenommen nach 1.500 Kilometern. Das Specialized S-Works Crux 2023. Nils kompensiert schamlos das eigene Gewicht mit der Freude am Leichtbau und lässt sich vom Crux immer wieder zu euphorischen Attacken animieren.

Was ist das beste Gravel-Race-Bike 2023?

Bei jeder WM gibt es Sieger und Verlierer. Bei unserer gibt es Sieger, Verlierer und es gibt Spezialisten, die auf Teilstrecken dominiert haben und dann auf anderen Strecken abgefallen sind. Es gibt viele sinnvolle Features, eigenständige Details und stimmige, performante Konzepte. Andererseits gibt es auch Bikes, die uns etwas ratlos zurückgelassen haben, die nicht konsequent zu Ende gedacht wirken und die schlicht nicht so funktionieren wie vom Hersteller erdacht. Vor allem aber gibt es vollkommen unterschiedliche Konzepte und Ausrichtungen.

Auf der einen Seite treiben euch mit dem Factor und dem BMC radikale Aero-Gravel-Racer das Laktat in die Muskeln, auf der anderen Seite versuchen Canyon, Berria und Trek, euch mit Komfort-Innovationen aufs Podium zu bringen. Fara setzt auf einen entspannten Allroad-Ansatz, und für Argon 18 führt der Weg auf den Gravel-Race-Thron durch schweres Gelände.

Testsieger: Das beste Gravel-Race-Bike 2023 – Ridley Kanzo Fast

„Race me!“, brüllt dich das Ridley an und lächelt dabei. Und wenn du dem Befehl des neuen Gravel-Race-Königs folgst, verstehst du warum. Das Bike bietet ein berauschendes Paket aus Aero-Optimierung und Komfort und lässt nicht nur Profis über die Piste fliegen, sondern auch Gravel-Einsteiger. Das Ridley ist auf allen Untergründen so souverän, entspannt und schnell, dass es sich sogar ein bisschen Hüftgold leisten kann und am Ende als schwerstes Bike den Thron besteigt. Dass du dank des cleveren Konfigurators bei Ausstattung und Optik selbst das Zepter in der Hand behältst und dabei nicht zum Sklaven einer überzogenen Preispolitik wirst, ist im positiven Sinn die Krönung.

Ridley Kanzo Fast (Zum Test) / 8,76 kg / 6.729,00 €

Kauftipp: Specialized S-Works Crux

Kein Bike hat für so viel Fliegen zwischen den Zähnen gesorgt wie das S-Works Crux. Wir haben vor Freude über die spielerische Leichtigkeit, mit der das Bike die Anstiege erobert, das Grinsen kaum aus dem Gesicht bekommen. Das S-Works Crux ist die Krönung in puncto Gewicht, Preis und Prestige – gerade weil es ohne auffälliges Aero-Ornat oder effektvolle Lackierung antritt. Der Antritt ist jedoch mehr als standesgemäß. Das Crux fährt der Konkurrenz bei jedem Berg die Noppen aus dem Profil und tänzelt leichtfüßig zum Sieg in der Fahrspaßwertung.

Specialized S-Works Crux (Zum Test) / 7,27 kg / 12.800,00 €

Weitere Gravel-Race-Bikes im Test

Argon 18 Dark Matter (Zum Test)
Das Dark Matter hat sich viel vorgenommen. Etwas zu viel. Der Spagat zwischen Gravel-Racer und Adventure-Bike gelingt am Ende nicht perfekt. Ein richtiger Racer ist das Bike nicht, aber als robuster Buddy für Bikepacking-Touren hat das Argon Potenzial.
Berria Belador Allroad 8 (Zum Test)
Flip-Chip-Gabel vorne und Federung hinten – das Belador Allroad 8 setzt auf Versatilität und Komfort. In der Praxis geht das Konzept leider nicht auf und wirkt einfach nicht stimmig. Da hilft es auch nicht, dass Berria mit dem Belador Allroad 8 viel Technik zum vergleichsweise günstigen Preis bietet.
BMC Kaius 01 ONE (Zum Test)
Schön. Schnell. Das Kaius 01 gibt sowohl bei der optischen Integration als auch im Rennen Vollgas. Als konsequenter Aero-Racer tritt es dir kräftig in den Allerwertesten und lässt dich nicht in Ruhe, bis du zur persönlichen Bestzeit geballert bist. Ein großes Vergnügen und ein sehr teures.
Canyon Grail CF SLX 9 eTap (Zum Test)
Wer über das Grail spricht, spricht meist über den Lenker. Der Doppeldecker auf dem Vorbau polarisiert. Einstimmig ist das Urteil, was den Effekt der Hoverbar angeht. In Kombination mit der speziellen Sattelstütze neutralisiert sie Vibrationen und macht das Bike zum Komfort-Champion und Langstrecken-Liebling.
Factor OSTRO Gravel (Zum Test)
Wenn wir nur einmal im Leben den Begriff kompromisslos verwenden dürfen, dann für das Factor OSTRO Gravel. Das Bike ist knüppelhart und sauschnell. Wer damit Brötchenholen fährt, ist irgendwie selber schuld. Ans OSTRO Gravel gehört eine Startnummer.
Fara Cycling F/All-Road (Zum Test)
In unserem Testfeld ist das F/All-Road ein Außenseiter. Als stilsicheres Allroad-Bike kann es jedoch lange mithalten und manövriert auf den schmalen Semi-Slick-Reifen überraschend souverän durch den Kurs. Wenn es jedoch richtig zu Sache geht, fehlen dem Fara Agilität und Traktion, um ganz vorne dran zu bleiben.
Trek Checkpoint SLR 9 eTap (Zum Test)
IsoSpeed-Dämpfung am Heck und Kofferraum im Unterrohr – das Checkpoint SLR 9 möchte als innovatives Paket überzeugen. Das Bike ist weder extrem schnell, noch extrem leicht, noch extrem aggressiv. Dafür ist es extrem teuer. Wenn euch der Preis nicht schreckt, erwartet euch mit dem Trek Checkpoint SLR 9 ein entspannter Begleiter auf langen Rides.

Was nehmen wir mit?

Die Wüste ist ein guter Lehrer. Neben Staub in den Socken, Narben an den Händen und Laktat in den Beinen, stecken auch spannende Erkenntnisse in unseren Trikot-Taschen.

  • Es gibt Nischen in der Nische.
    So einzigartig Gravel-Race-Bikes auch sind, so unterschiedlich sind sie. Es gibt viele Konzepte, um abseits des Asphalts schnell unterwegs zu sein, und die meisten ergeben Sinn.
  • Aero has come to stay.
    Die aerodynamische Optimierung wird weitergehen – auch im Gravel-Bereich. Aero hat das Potenzial, ein eigenes Segment zu werden. Vielleicht lest ihr bald einen Aero-Gravel-Test von uns.
  • Aero ist eine Haltung.
    Die Position, die du auf dem Rad einnimmst, ist entscheidender als die aerodynamischen Features am Rahmen.
  • Spaß gewinnt.
    Wenn du dich schnell fühlst, kannst du schneller sein. Geschwindigkeit entsteht im Kopf, und ein schnelles Bike macht dich vor allem dort schneller.
  • Komfort ist nichts für Weicheier.
    Ein komfortabler Rahmen ist kein unnötiger Luxus, sondern Teil des Winning Concepts.
  • Lass mal die Luft raus!
    Weniger Reifendruck bringt mehr Grip, Seitenhalt und Komfort. Probier es aus und taste dich an dein perfektes Setup heran.
  • Lenker werden schmaler.
    Die Zeit breiter Lenker mit enormem Flare scheint vorbei. An den Gravel-Race-Bikes dominieren schmale Cockpits.
  • Reife Leistung
    Selbst schmale Reifen mit minimalistischem Profil können im Trockenen gut mithalten.
  • Es gibt nicht das Gravel-Race. Es gibt dein Gravel-Race.
    UNBOUND, BADLANDS oder doch lieber der KOM hoch zur Kuhweide? Du bestimmst, wo dein Gravel-Race beginnt und endet.
  • 10. Es gibt nicht das beste Gravel-Race-Bike. Es gibt dein bestes Gravel-Race-Bike.
    Bevor du an den Start gehst, musst du wissen, was dein Ziel ist.

Fazit


Die Wüste ist ein Inkubator für Innovationen, denn die Brands verfolgen unterschiedliche Entwicklungsziele, um ihre Gravel-Race-Bikes zu Champions zu machen. Das Thema Aero ist auch im Gravel-Racing angekommen, extremer Leichtbau sorgt für Glücksgefühle, und mit Komfort-Innovationen brechen die Designer aus dem gestalterischen Einheitsbrei moderner Road-Rahmen aus. Diese konzeptionelle Vielfalt macht die Gravel-Race-Bikes so aufregend. Es gibt DAS beste Gravel-Race-Bike, und es gibt das beste Gravel-Race-Bike für DICH. Der König ist tot. Lang lebe DEIN König.


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Text: Nils Hofmeister Fotos: Robin Schmitt, Jan Richter, Nils Hofmeister