Ausgabe #019 Gravel Know How

Tire-Inserts – Was bringen sie am Gravel-Bike?

Gravel boomt: mehr Bikes, mehr Zubehör. Breitere Reifen-Laufrad-Systeme verschieben den Einsatzbereich mancher Vertreter der Gattung weit in Richtung Mountainbike-Terrain. Damit hält auch immer mehr MTB-Technik Einzug im Gravel-Bereich. Ein Beispiel: Tire-Inserts. Doch machen die am Gravel-Bike wirklich Sinn? Das erfahrt ihr hier.

Was ist überhaupt ein Tire-Insert?

Tire-Inserts sind Schaum- oder Kunststoffkonstruktionen, die ihren Platz im Inneren des Reifens haben. Dort sollen sie den Reifen bei seiner Tätigkeit unterstützen, schließlich ist der am ungefederten Gravel-Bike das Fahrwerk und daher besonders wichtig für das Fahrverhalten. Dementsprechend wollen Tire-Inserts für eine Reihe positiver Eigenschaften sorgen: von verbessertem Komfort über erhöhte Effizienz bis hin zum Schutz von Reifen und Laufrad vor Durchschlägen. Für alle, die Letztere nicht kennen: Durchschläge sind Ereignisse, bei denen ein Hindernis – ein Stein, eine Wurzel oder etwas anderes – den kompletten Federweg des Reifens in Anspruch nimmt, also bis auf die Felge durchdringt. Dabei wird der Reifen zwischen Hindernis und Felge eingeklemmt und kann beschädigt werden, wie übrigens auch die Felge bei ganz harten Einschlägen. Es gibt verschiedene Aufbauten von Tire-Inserts für Gravel-Bikes, von denen wir die wichtigsten hier kurz beleuchten wollen:

1. Die erste Art von Tire-Insert liegt im Felgenbett, drückt hier den Reifen von innen in seine Position im Felgenhorn und füllt den Reifen je nach Modell von ca. einem bis zu zwei Dritteln aus. Dabei soll der äußere Teil der Tire-Inserts die Reifenflanke von innen stabilisieren. Dadurch verformt sich der Reifen selbst bei niedrigem Reifendruck weniger – so hat man mehr Fahrstabilität in Kurven. Insgesamt soll diese Art der Tire-Inserts einen niedrigeren Luftdruck ermöglichen, ohne dabei Durchschläge zu riskieren. Das soll zu mehr Komfort, mehr Effizienz und letztendlich weniger Ermüdung des Fahrers auf rauem Untergrund führen. Außerdem soll sich das Material des Tire-Inserts bei harten Schlägen zwischen Reifen und Felge klemmen, dadurch das Federelement Reifen zusätzlich dämpfen und einen harten Durchschlag mit Beschädigungen an beiden Komponenten verhindern.
2. Die zweite Art von Tire-Inserts sieht hingegen aus wie ein zweiter Reifen und schmiegt sich von innen an den eigentlichen Reifen. Sie richtet sich an Gravel-Fans, die immer noch mit Schlauch unterwegs sein wollen, denn in den meisten Fällen wird genau der benötigt, um diese Art von Insert in Position zu halten. Dann profitiert der Schlauch aber von der Konstruktion – denn durch die dickere Schicht aus Reifen und Insert wird er weniger anfällig für Platten. Bei dieser Art von Insert ist in der Regel ein kleinerer Schlauch notwendig, da es durch den Insert weniger Platz im Reifen gibt. Dadurch ist auch weniger Luftmenge und damit weniger linearer Federweg im Reifen vorhanden. Die Dämpfung des Reifens kann profitieren, da sich der Schaum des Inserts beim Verdichten anders verhält als die Luft im Schlauch. Leider bleiben die Nachteile eines Schlauchs am Gravel-Bike erhalten: Der Reifen muss härter aufgepumpt werden als im kompletten Tubeless-Setup, was insgesamt für weniger Komfort sorgt. Dafür hat man weniger Sauerei bei einer Panne unterwegs, die im Tubeless-Setup das Einziehen eines Schlauchs und damit auch das Herumfummeln in der Tubeless-Milch nötig machen würde.
3. Die dritte Art von Tire-Inserts liegt ebenfalls im Felgenbett – jedoch mit dem Unterschied, dass sich nicht nur ein Luftkanal über dem Tire-Insert befindet, sondern auch noch ein zweiter zwischen Tire-Insert und Felge. Die beiden Luftkanäle sind aber nicht voneinander abgeschlossen, sondern mit einigen kleinen Löchern verbunden. So soll die Luft im Reifen zwischen den beiden Kanälen hin und her wandern können. In der Theorie wird bei einem Schlag Luft vom äußeren in den inneren Luftkanal gepresst. Da die Löcher zum Austausch nur einen bestimmten Durchfluss erlauben, soll der Federweg des Reifens gedämpft sein. Gleiches soll auch für das Ausfedern gelten, da die komprimierte Luft nur langsam wieder in den äußeren Luftkanal strömen kann.
4. Daneben gibt es noch Tire-Inserts, die an eine Poolnudel erinnern. Sie liegen ohne viel Hightech einfach im Inneren des Reifens und füllen ihn zum Großteil aus. Es befindet sich also relativ wenig zusätzliche Luft im Reifen, wodurch bei dieser Art der Tire-Inserts die Dämpfung von Schlägen größtenteils vom Insert selbst und nicht von der Luft im Reifen erledigt werden muss. Das Federungs- und Dämpfungsverhalten wird dabei hauptsächlich von der Härte des Inserts bestimmt. Auch diese „Reifennudeln“ sollen für einen guten Schutz vor Durchschlägen sorgen und damit auch Reifen und Felge schützen.

Außerdem gibt es Tire-Inserts, die als fertiger Ring geliefert werden. Sie müssen wie ein Reifen auch auf die Felge aufgezogen werden. Dazu muss man das Laufrad natürlich zuerst komplett aus dem Bike ausbauen und dann den Reifen abziehen. Daneben gibt es auch Tire-Inserts, die offen sind, also nicht als Ring, sondern als Streifen geliefert werden. Der Vorteile davon ist, dass diese Art von Tire-Inserts bei montierten Laufrädern in den Reifen eingezogen werden können. Dazu muss nur der Reifen einseitig von der Felge runter und schon kann es losgehen.

Die GRAN FONDO-Meinung zu Tire-Inserts am Gravel-Bike

In Ausgabe #019, hatten wir die Gravel.CX-Inserts von CushCore im Dauertest. Und so sehr uns dieses Modell für bestimmte Anwendungsfälle überzeugt hat, haben wir uns gefragt, was Tire-Inserts über die komplette Bandbreite von Gravel-Anwendungen hinweg bringen. Also vom Einsatz auf fünf Meter breiten, festgewalzten Gravel-Autobahnen im American-Gravel-Style bis hin zu heftigstem Under-Biking auf Mountainbike-Terrain. Deswegen sind wir weitere Tire-Inserts an unterschiedlichen Bikes und auf all diesen Untergründen gefahren, haben diskutiert und unsere Kollegen vom ENDURO Mountainbike Magazin mit ins Boot geholt. So konnten wir uns eine differenzierte Meinung zu Tire-Inserts an Gravel-Bikes bilden – und die kommt hier.

Graveln, das ist ein riesiges Feld an Anwendungen und unter den Gravel-Fans gibt es zig verschiedene Definitionen, wie der eigene Traum vom Graveln eigentlich aussieht. Fakt ist aber: Nur ein Bruchteil der Menschen mit Gravel-Bike findet sich regelmäßig in richtig rauem Gelände wieder oder steuert das gar gezielt an. Wir sprechen hier von einem Gelände, in dem die meisten mit einem Mountainbike besser aufgehoben wären und in dem man mit einem Gravel-Bike schnell ins Under-Biking kommt. Wer dieses Terrain regelmäßig und gezielt mit dem Gravel-Bike aufsucht, der kann über die Nutzung von Tire-Inserts nachdenken. In dem Fall können sich auch Reifen lohnen mit einem stabileren Aufbau, einer widerstandsfähigeren Karkasse und mehr Reifenvolumen. Anders als im Mountainbike-Bereich hat man bei einem Gravel-Reifen-Modell in der Regel nicht die Auswahl zwischen unterschiedlichen Karkassen. Wer also einen stabileren Reifen will, muss häufig zu einem anderen Modell wechseln. Dennoch: Um für einen bestimmten Einsatzzweck gewappnet zu sein, bleibt das wichtigste Upgrade am Gravel-Bike der Reifen, und die wichtigsten Modelle findet ihr in unserem Gravel-Reifen-Vergleichstest.

Die meisten Graveller sind in gemäßigtem Terrain unterwegs, auf Feld- und Waldwegen, Hardpack und Straßen mit schlechtem Asphalt. Dafür muss ein Reifen vor allem einen geringen Rollwiderstand haben. Der Schutz vor Durchschlägen ist nicht so wichtig, denn die sind bei korrekt eingestellten Luftdrücken einfach nicht an der Tagesordnung. Wir finden, dass ein Gravel-Bike meist mit der richtigen Reifenwahl ausreichend an die jeweiligen Verhältnisse angepasst werden kann: mehr Komfort, mehr Effizienz, bessere Dämpfung – all das kann bei korrekt eingestelltem Luftdruck auch von einem gut gewählten Reifen-Laufrad-Luftdruck-System geleistet werden und braucht keinen zusätzlichen Insert. Und viele kommen schon bei der Montage dieser Reifen im Tubeless-Aufbau ans Limit. Absolut verständlich – für euch gibt es hier noch mal eine Anleitung.

Durch Toleranzen bei der Fertigung ist es manchmal schon nicht so einfach, einen bestimmten Gravel-Reifen auf eine bestimmte Felge zu bekommen. Soll dann noch ein Insert dazwischen, wird das schnell zum persönlichen Armageddon, bei dem nur noch der Bike-Shop weiterhelfen kann. Kommt es dann trotz Tire-Insert mal zu einer Panne, ist eine Sauerei vorprogrammiert, wenn man sich an der Reparatur während der Tour versucht. Hier helfen auch die Notlaufeigenschaften mancher Tire-Inserts wenig. Nach 30 km im Notlauf ist der Reifen dann doch hinüber. Hinzu kommt, dass Tire-Inserts euch zwar vor Durchschlägen schützen können. Eure Reifenflanke kann aber trotzdem aufgeschlitzt werden. Das Argument des besseren Pannenschutzes stimmt also nur bedingt.

Doch es gibt Anwendungsfälle, in denen die Stunde von Tire-Inserts schlägt. Und zwar immer dann, wenn man in rauem Gelände im Under-Biking-Style unterwegs ist, seine Limits pushen und nicht vom Gravel- aufs Mountainbike wechseln will. Wenn man großteils auf richtig losem, grobem und ruppigem Untergrund unterwegs ist und die Performance durch geringen Luftdruck steigern will. Und wenn man in diesen Fällen das Limit der Reifen schon voll ausgenutzt hat, sprich den stabilsten Aufbau und das maximale Reifenvolumen gewählt hat, die ins eigene Gravel-Bike passen. Dann können Tire-Inserts helfen, durch geringeren Reifendruck mehr Federweg zu erzeugen, und dabei gleichzeitig Reifen und Felge vor Durchschlägen schützen. Dann können sie durch den geringeren möglichen Reifendruck und eine größere Aufstandsfläche für mehr Grip in Kurven sorgen und dabei die Gefahr von Burping minimieren, also dem plötzlichen Druckabfall, weil sich der Reifen kurz von der Felge löst. Und dann können sie für ein besseres Fahrverhalten sorgen, weil sie bei niedrigem Druck die Reifenflanke stabilisieren. Aber eben wirklich nur dann.

Unser Fazit zu Tire-Inserts auf dem Gravel-Bike

Die breite Masse der Gravel-Fans holt sich allein durch die Wahl des richtigen Reifen-Laufrad-Systems die gewünschten Eigenschaften ans Gravel-Bike. Selbst für grobes Gelände gibt es die richtigen Modelle. Wir sagen daher: Tire-Inserts am Gravel-Bike sind ein Nischenprodukt! Wer sich aber regelmäßig in hartem Gelände mit dem Gravel-Bike austobt, dabei ans Limit der stärksten Reifen kommt und nicht auf ein Mountainbike wechseln will, für den sind Tire-Inserts wie die Gravel.CX von CushCore durchaus sinnvoll.


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Text: Fotos: Peter Walker & Valentin Rühl