Carbon, Carbon, Carbon – glaubt man den Kampagnen der Hersteller und den Diskussionen vieler Strava-Asse, kann man ohne das schwarze Gold keine Bestleistung abrufen. Doch gerade in günstigeren Preisregionen wird das Alu-Rennrad absolut unterschätzt. Grund genug für einen Vergleichstest der populärsten Aluräder für den Race-Einsatz. Gibt es die Aluminati wirklich?


Aluminatus, der

Wortart: Substantiv, maskulin
Gebrauch: nur in Fachkreisen
Häufigkeit: gering bis selten

Worttrennung: Alu|mi|na|tus
Betonung: Aluminatus

Bedeutung: Ein Aluminatus ist ein aufgeklärter Rennradfahrer. Er trägt die Kunde der Aluminati in alle Welt und folgt dabei nicht blind dem Carbon-Hype. Er weiß,
dass Alu nicht gleich Alu und Carbon nicht gleich Carbon ist.

Herkunft: zu lateinisch a lumen (Genitiv: a luminis): der vom Licht kommende, der Erleuchtete, i.ü.S. der Leichte.


„Rennräder aus Aluminium sind nur etwas für Einsteiger.“ Man kommt nur schwer umhin, diese Pauschalisierung das eine oder andere Mal mitzuerleben. Klar: Alu-Racebikes bieten aufgrund ihres attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnisses für viele Neuankömmlinge in der Rennradwelt eine spannende Möglichkeit. Doch sind sie viel mehr als das. Ambitionierte Rennfahrer schätzen die Alu-Boliden für ihre Unverwüstlichkeit. Das Alu-Rennrad als zuverlässiges und pfeilschnelles Arbeitstier. In beiden potenziellen Zielgruppen wird eines deutlich: Der Preis spielt immer eine Rolle. Doch sind günstige Carbonbikes eventuell gar die schlechtere Option für viele Fahrer?

Denn Anbauteile haben einen enormen Einfluss auf die Gesamtperformance des Bikes. Kann ein Bike mit Shimano 105-Schaltgruppe gegen eines mit Ultegra Di2 bestehen? Ist es nicht sogar schlauer, einen Alurahmen mit hochwertigen Komponenten auszustatten, statt einen Carbonrahmen mit günstigen Komponenten zu wählen?

Die aktuellen Bike-Neuvorstellungen zeigen es: Im Vorfeld der Tour wurden hauptsächlich aerodynamisch optimierte Racebikes vorgestellt, die z. T. erheblich über dem UCI-Gewichtslimit liegen. Für Carbon- gilt hier das Gleiche wie für Alubikes: Gewicht spielt eine untergeordnete Rolle, wenn es um Speed geht. Leidet die Performance der Alu-Testbikes überhaupt unter dem materialbedingten Mehrgewicht?

Worauf kommt es bei Alu-Rennrädern an?

Zwischen dem Pfeifen des Windes, dem Rattern der Kette und dem Pumpen deines Herzes – da liegt er, der Sweetspot des Geschwindigkeitsrausches. Die Welt um dich herum verschwimmt, während du unaufhaltsam auf der Asphaltwelle in Richtung Glück stürmst. Um dieses Gefühl ungefiltert wahrnehmen zu können, musst du dein Bike vergessen können. Mit allen Sinnen im Hier und Jetzt sein. Darauf kommt es an:

Handling: Auch Ex-Profi David Millar hat es im Rahmen unseres Racebike-Vergleichstests 2018 bestätigt: „Ein Rad, das sich nicht gut manövrieren lässt, ist scheiße.“ Während sich die Geometrien der verschiedenen Bikes auf dem Papier häufig nur marginal unterscheiden, sieht es auf der Straße nur allzu oft ganz anders aus. Liegt das Bike auf der Straße wie ein Drag-Racer oder lässt es sich verspielt durch jedes noch so enge Nadelöhr zirkeln? In Sachen Handling spielen persönliche Vorlieben eine wichtige Rolle, da mit jedem von uns auch eine ganz eigene Fahrweise aufs Rad steigt.

Sicherheit: Wer dem Gipfel entgegensprintet, der will auf der Jagd nach der Bestzeit auch bergab attackieren. Im Idealfall sollte dabei zusätzlich im Downhill Kraft gespart werden können. Vermittelt das Rad ein hohes Maß an Sicherheit, so fällt es uns leichter, unverkrampft in den Carving-Modus zu schalten und zügig und sicher ins Tal zu racen. Ein Rad, das auch bei hohen Geschwindigkeiten genügend Vertrauen vermittelt, inspiriert uns, eigene Limits zu überschreiten, ohne sich panisch an den Lenker zu krallen.

Komfort und Speed … … nein, die Test-Crew schreit hier nicht nach Amphetamin, sondern nach clever generierter Geschwindigkeit. Dabei geht es einerseits darum, wie schnell sich das Bike auf Hochtouren bringen lässt und wie gut es die Geschwindigkeit halten kann. So manches leichtfüßige Bike lässt sich zwar super beschleunigen, schafft es aber nicht, die Geschwindigkeit mitzunehmen. Andererseits geht es um den Komfort und die Sitzposition des Fahrers auf dem Rad. Wer sich wohl im Sattel fühlt, kann eine aerodynamischere Sitzposition länger halten, mehr Power generieren und damit härter am Gas sein. #needforspeed

Design und Qualität: Wo Performance drauf steht, sollte auch Performance drin sein – aber doch bitte im ansprechenden Gewand. In preisaggressiveren Regionen muss man zwangsläufig irgendwann Kompromisse eingehen. Wie viel sinnvolle Integration bietet das Bike? Sind die Übergänge der Rahmenteile lieblos aneinander gebrutzelt oder schön miteinander verbunden? Klappern die Züge? Wie ist die Verarbeitungsqualität? Ein stylishes Rad ist nicht nur schön anzusehen, sondern motiviert auch dazu, mehr zu fahren.

Preis-Leistungs-Verhältnis: Alubikes kauft man häufig aus rationalen Gründen – deshalb ist auch das Preis-Leistungs-Verhältnis ein wichtiges Kriterium in diesem Test. Wie viel Performance bietet das Bike fürs Geld? Wie viel Rennrad bekommt man am Ende wirklich? Alles Fragen, auf die ihr hier Antworten findet.

Das Testfeld

In unserem Test geht es nicht darum, das komplette Spektrum der Alubikes für 2018 abzubilden. Stattdessen haben wir die populärsten und spannendsten Alu-Rennräder des Jahres gegeneinander antreten lassen. Aus diesem Grund begrenzt sich das Testfeld auf das Specialized Allez Sprint Comp, das Cannondale CAAD12 105, das Trek Émonda ALR 6 und das ROSE XEON RS Ultegra Di2. Darüber hinaus wollten wir auch das Canyon Ultimate AL mit in den Test einbeziehen. Leider hatte der Koblenzer Bikeversender derzeit kein entsprechendes Testrad verfügbar. Kann der Ausverkauf der Canyon-Aluminium-Modelle ein Indiz für die wachsende Beliebtheit von Alurädern im Allgemeinen sein?

Bike Antrieb Reifen Gewicht Preis
Specialized Allez Sprint Comp Shimano 105 700 x 24 mm 8,25 kg 1.799 €
Cannondale CAAD12 105 Shimano 105 700 x 25 mm 8,22 kg 1.599 €
Trek Émonda ALR 6 Shimano Ultegra 700 x 25 mm 8,13 kg 2.299 €
ROSE XEON RS Ultegra Di2 Shimano Ultegra Di2 700 x 25 mm 7,11 kg 2.499 €
Specialized Allez Sprint Comp | 8,25 kg | 1.799 €
Cannondale CAAD12 105 | 8,22 kg | 1.599 €
Trek Émonda ALR 6 | 8,13 kg | 2.299 €
ROSE XEON RS Ultegra Di2 | 7,11 kg | 2.499 €

Tops und Flops

Oftmals sind es die Details, die den Unterschied machen: gelungene Integration, erstklassige Ergonomie und mit bedacht gewählte Komponenten. Hier findet ihr alle Tops und Flops der Bikes aus unserem großen Vergleichstest.

Tops

Das ROSE XEON setzt auf eine Shimano Ultegra Di2 – die kleine Dura-Ace Di2 für kleines Geld
Die D’Aluisio Smartweld-Technologie verbessert die Steifigkeit des Specialized-Rahmens und polarisiert mit ihrer Optik
Der Bontrager Aeolus Comp-Laufradsatz im Trek Émonda versprüht echtes Pro-Flair im Gesamtpaket des ALR 6
Die Cannondale Si-Kurbeln mit 30-mm-Welle sorgen für zusätzliche Steifigkeit im CAAD12

Flops

Sämtliche Züge am Specialized Allez Sprint Comp machen einen recht weiten Bogen. Hier darf gekürzt werden
Der Mavic Aksium WTS-Laufradsatz im Cannondale kommt ab Werk mit Mavic Yksion-Reifen – die mit ihrem schmalen Grenzbereich leider nicht überzeugen können
Die Bremsflanken der RS-1400-Laufräder im ROSE XEON generieren wenig Bremskraft
Praktisch für den Mechaniker, ernüchternd für den Betrachter. Die Züge sind beim Trek extern verlegt.

Erkenntnisse

Früher war nicht alles besser – ein Aluminiumbike ist 2018 nicht mehr das, was es vor 10 Jahren einmal war. Die Alurenner sind viel mehr echte, preisgünstige Alternativen, die sich nicht nur in den Garagen der Billigheimer finden. Schön verarbeitete Bikes mit cleveren Details und absolut hervorragender Performance zum fairen Preis – wir sind uns sicher, dass einige Carbonbikes unter realen Bedingungen gegen ihre Alu-Kontrahenten mit ähnlichem Preisschild verlieren würden.

Performance ja, aber nicht um jeden Preis – ein Supersportler muss nicht teuer sein! Der GRAN FONDO-Vergleichstest hat gezeigt, dass wahre Performance kein Vermögen kosten muss und dass man auch auf einem Alu-Rennrad Chancen hat, den KOM zu holen. Auch wenn die Unterschiede zwischen unseren Testrädern groß waren, ist deutlich geworden, dass sich die Top-Bikes des Testfeldes absolut nicht hinter deutlich teureren Carbonrennern verstecken müssen. Unser Fazit: Sitzt das Geld nicht so locker, lieber ein Alu-Rennrad mit Top-Komponenten als ein Carbonrad mit günstigen Anbauteilen!

Aluminium ist nicht gleich Aluminium – und Kreativität lässt sich auch aus Aluminium formen. Die Erde ist keine Scheibe und Rohre sind nicht rund: An unseren Testbikes finden sich mitunter komplexe Rohrformen, die durch innovative Herstellungsprozesse verwirklicht werden können. Während das ROSE mit seiner klassischen Formsprache eher zurückhaltend ist und der filigrane Hinterbau dem Rahmen ein relativ hohes Maß an Compliance verleiht, schreit das Specialized mit seinen Smartweld-Schweißnähten geradezu nach Steifigkeit. Somit spiegelt unser Test wider: Auch auf dem Markt für Alubikes habt ihr die Möglichkeit, euren Favoriten aus unterschiedlichen Konzepten zu wählen.

Vollbremsung … aber sicher – auch ohne Scheibenbremsen! Im Testfeld findet sich kein Bike mit Scheibenbremsen. Der Grund? Hydraulische Bremsen mit Scheibe würden nicht nur den Preispunkt, sondern auch das Gewicht deutlich in die Höhe treiben. Hinzu kommt, dass in günstigeren Preisregionen auch die Scheibenbremsen nicht so gut und deutlich schwerer sind, als es bei Highend-Discs der Fall ist.
Während der Testfahrten wurden große Unterschiede in Sachen Bremsperformance deutlich. So verzögerten die Shimano 105- und die Shimano Ultegra-Stopper am Cannondale und Trek sehr gut, während die Bremsen am ROSE nicht mit den Bremsflanken der RS-1400-Laufräder harmonieren wollten. Auch die Tektro-Bremsen am Specialized können nicht überzeugen.

Ein Racebike muss nicht unbequem sein. ROSE und Trek machen mit ihren Boliden eines klar: Wer den Komfort eines Carbonrenners liebt, wird mit den beiden Bikes nur ein Problem haben – sie sind nicht aus Carbon. Beide Hersteller kombinieren filigrane Sitzstreben mit Sattelstützen aus Carbon und liefern so ein Konzept, dass sowohl bei Jedermann-Rennen als auch bei der sportiven Tour auf rauen Straßen bestehen kann.

Vergleichstests sind unfair – vor allem, wenn das teuerste Bike im Test satte 900 € mehr kostet als das günstigste. Im Verhältnis zum Budgetrahmen des Tests von 2.500 € sind 900 € ein dicker Batzen Geld. Doch zum Glück beurteilen wir die Räder hinsichtlich ihrer Gesamtperformance. Im speziellen Fall konnte die elektrische Schaltung am ROSE nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Cannondale unterm Strich das bessere Bike ist und die Schaltperformance des 105er-Antriebes nicht signifikant hinter der Ultegra herhinkt. Gleichzeitig macht dieser Vergleich klar, dass sich elektronische Schaltgruppen ihren Weg in das Preis-Leistungs-Segment gebahnt haben. Die Ultegra Di2 ist quasi eine kleine Dura-Ace Di2 für kleines Geld. Wenn das mal nicht unfair ist!

Fazit

Dieser Vergleichstest hat es bewiesen: Die Aluminati sind echt und kein mysteriöses Gespenst! Aktuelle Alubikes müssen sich in Sachen Performance oftmals nicht hinter ihren Carbon-Pendants verstecken. Insbesondere wenn es um den Preis geht, kann ein Alu-Rennrad mit besseren Komponenten die deutlich schlauere Option sein als ein Carbonbike mit billigen Anbauteilen. Spannend war es auch zu sehen, wie viel Hightech in den aktuellen Alubikes steckt und wie unterschiedlich die Race-Konzepte der großen Player sind. So glänzt das Specialized Allez Sprint Comp mit seinem kompromisslos steifen Rahmen vor allem durch Laufruhe in Highspeed-Passagen.

Testsieger Cannondale CAAD 12 105

Alle, die auf der Suche nach einem Alu-Allrounder sind, werden mit der eher bequemen Sitzposition des Trek Émonda ALR 6 auf ihre Kosten kommen. Wer hingegen beim Berge Hinauffliegen elektrisch schalten, sein Bike individuell konfigurieren und trotzdem kein Vermögen ausgeben will, der sollte sich das leichtfüßige ROSE XEON RS Ultegra Di2 genauer anschauen. Am Ende des Tests hat es uns vor allem das Cannondale CAAD12 105 für gerade einmal 1.599 € angetan: überragendes Handling, exzellente Optik und ein stimmiges Ausstattungspaket – draufsetzen und losfahren. Ready to Race! Das günstigste Bike im Test ist der verdiente Testsieger – der Chef-Aluminat 2018!

Alle Bikes im Test: Specialized Allez Sprint Comp | Cannondale CAAD12 105 | Trek Émonda ALR 6 | ROSE XEON RS Ultegra Di2


Dieser Artikel ist aus GRAN FONDO Ausgabe #009

Das GRAN FONDO Cycling Magazin erscheint auf Deutsch und Englisch im digitalen App-Format. Ladet euch jetzt die App für iOS oder Android und lest alle Artikel auf eurem Tablet oder Smartphone. Kostenlos!


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als GRAN FONDO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die New-Road-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!

Text: Fotos: Valentin Rühl