Roadies träumen oft von teuren Aero-Laufrädern. In kaum einem anderen Bereich wird so viel Geld ausgegeben. Doch schick und teuer allein reicht nicht immer aus. Hier erfährst du, warum die nächsten Wheels nicht nur tief sein müssen und wie die richtige Reifenwahl die Aerodynamik verbessern kann.

Tiefe Laufräder sehen schnell aus und sparen Watt – klingt erstmal einleuchtend, doch warum eigentlich? Klar, aerodynamischer, tiefer und weniger Luftwiderstand, aber mal ehrlich: Die wenigsten steigen noch durch, wenn Radfahren zur Raketenwissenschaft wird.
Dazu kommt, selbst wenn man einen groben Überblick hat, dass tiefe Laufräder nicht immer das Allheilmittel schlechthin darstellen. Denn die Aerodynamik ist komplizierter als man denkt, und was an dem einen Bike funktioniert, muss mit einem anderen Fahrer und Bike nicht unbedingt klappen. Aber was ist dann dran an den viel gepredigten Faustformeln zur optimalen Felgendimension wie 105 % und der 4:1-Regel? Warum neben den Faustformeln vor allem die Reifenwahl über die volle Watt-Ersparnis entscheidet und einen 3.000-€-Laufradsatz erst zum richtigen High-Performer macht, erfahrt ihr hier.

„Wen interessiert Aero eigentlich, ich bin doch Kletter-Spezialist!“

Außerdem bin ich doch sowieso zu langsam oder liebe das Klettern, da brauche ich kein Aero-Gedöhns.

Aero ist gekommen, um zu bleiben, und Gewicht allein ist nicht alles, denn in vielen Fällen spielen die letzten Gramm auch keine besonders große Rolle. Das zeigt schon ein kurzer Blick auf die 2023 British Hill Climb Championships: Neben absoluten Leichtbau-Kisten ging eben auch Andrew Feather auf einem Cannondale SuperSix EVO an den Start. Klar hat er das LAB71-Bike mit ein paar Tricks unter 6 kg bekommen, doch mit Sicherheit hat vor allem die Aero-Fähigkeit des modernen Allrounders zum Sieg beigetragen. Auch eines der modernsten Kletter-Bikes, das Factor O2 VAM, kommt trotz Leichtbau nicht an der Optimierung im Windkanal vorbei. Und selbst ohne die Geschwindigkeit der Kletterprofis können wir von schnellen Bikes profitieren. Nicht zuletzt haben die Allrounder der letzten Jahre gezeigt, dass ein aerodynamisches Bike im Durchschnitt immer schneller ist als der Leichtbau-Kletter-Kumpel.
Außerdem, wer hoch fährt, muss auch wieder runter, und dabei ist die Geschwindigkeit ordentlich hoch!

Felge oder Reifen? – Die Kombi macht’s!

Felge und Reifen – an dieser Kombination führt nichts vorbei. Doch warum stimmen wir beides viel zu selten aufeinander ab? Wie spielen die beiden Komponenten zusammen? Seit wann geht es bei Reifen eigentlich um Aerodynamik? Zählt da nicht nur der Rollwiderstand? Yes, erstmal klar, Reifen haben auf den ersten Blick eine Aufgabe, und das ist der Kontakt zum Boden. Denn ohne die Kraftübertragung zwischen Bike und Umwelt bewegt sich das Rad nicht vom Fleck. Doch da ist noch viel mehr, und wie so oft beginnt alles mit der richtigen Reifenbreite.

Um kurz den seit Jahren gärenden Diskurs um die perfekte Reifenbreite anzuheizen: Breiter ist nicht unbedingt schneller. Bitte was, breiter ist langsamer? Ja, denn zumindest was die Aerodynamik angeht, können breitere Reifen langsamer sein. Denn breiter bedingt einen größeren frontalen Querschnitt und damit mehr Luft, die um das Rad bewegt werden muss. Allerdings bestimmt nicht nur der frontale Querschnitt die Aerodynamik. Auch die Reibung zwischen Bike und Luft sowie mögliche Verwirbelungen sind ausschlaggebend. Und genau hier setzen tiefe Laufräder an. Ein Problem haben allerdings auch tiefe Laufräder: Der Übergang zwischen Reifen und Felgen ist normalerweise recht unaerodynamisch und kann schnell die ach so hervorragende Effizienz der teuren Felgen verhauen. Genau dem wollten Syncros und Schwalbe entgegenwirken und haben mit den Capital SL Aero-Laufrädern und Schwalbe Pro Aero-Reifen die vermeintlich ideale Kombination geschaffen, um das letzte Quäntchen Effizienz herauszukitzeln. Dazu gesellen sich weitere speziell auf perfekte Aerodynamik abgestimmte Reifen, sozusagen der neueste Hit der Rad-Branche.

CADEX-Felgen und hauseigene Aero-Reifen? So stellen sich die Hersteller die perfekte Kombi vor.

Ok, Aerodynamik ist also eine Sache, aber dafür haben breite Reifen einen geringeren Rollwiderstand?
So zumindest der aktuelle Konsens, und breitere Reifen können durch einen runderen, und bei gleichem Druck kleineren, Auflagepunkt tatsächlich schneller sein. Als weiterer unschlagbarer Vorteil breiterer Pneus gesellt sich eine höhere Compliance hinzu, und davon profitiert jeder.

Faustregel für die neueste Technik?

105-%-Regel, was ist das denn bitte? Sind Radfahren und Training denn noch nicht kompliziert genug? Hört sich vielleicht kompliziert an, ist aber ziemlich einfach umzusetzen. So bestimmt die Regel doch nur die optimale Felgenbreite im Verhältnis zum Reifen, denn diese sollte knapp 5 % breiter sein als der Reifen. Der Gedanke ist, den schon besprochenen Luftstrom so elegant wie möglich am Rad vorbei zu leiten, und dafür ist ein Aero-Profil, wie es tiefe Laufräder bieten, essenziell. Aber eben auch der Übergang zwischen Reifen und Felge ist wichtig. Der Luftstrom soll also nicht abreißen und sich an der Oberfläche „entlanghangeln“. Etwas breitere Felgen helfen, den verwirbelten Luftstrom durch die Reifen aufzufangen und über die Felge gleiten zu lassen.

Um zusätzlich etwas Salz in die Wunde zu streuen, wird gerne das 4:1-Verhältnis ins Spiel gebracht. In der Theorie funktioniert ein Aero-Profil nur wirklich gut, wenn es viermal so lang ist wie breit. Auf Laufrädern mit 28c-Reifen und 30 mm breiten Felgen bedeutet das eine Länge von 120 mm, also eine Felgentiefe von 90–100 mm – für die meisten kaum umzusetzen und eine Horrorvorstellung bei Seitenwind. Sind wir also bald wieder auf 23c-Reifen unterwegs? Vermutlich nicht. Die Vorteile breiterer Reifen überwiegen in den meisten Einsatzszenarien die Aero-Gains durch die optimale Felgentiefe.

Strikt nach der Regel: Durch die extreme Breite der Roval Rapide CLX sollen auch breite Reifen aerodynamisch effizient werden.

Tire first, Wheels second? – Der einfache Weg zum idealen Laufrad

Grip, Rollwiderstand, Pannenschutz – darüber entscheidet der richtige Reifen, aber auch Dämpfung spielt hier eine Rolle. Im Vergleich dazu machen Laufräder recht wenig. Klar Steifigkeit, Kurvenverhalten und natürlich Aero-Gains. Aber die einzelnen Laufräder verschiedener Hersteller liegen deutlich dichter beisammen als Reifen.
Reifen werden zudem oft an die Streckenbedingungen angepasst. Schmale Zeitfahr-Reifen für die schnellen Sommer-Rides auf frischem Asphalt, und breite Reifen für die Paris–Roubaix-Challenge oder den Gran Fondo Strade Bianche? Also warum nicht die Laufräder nach den Reifen wählen?

In der Theorie der richtige Ansatz, aber mal ehrlich, auch wenn man vom Materialwagen der World-Tour-Teams träumt, wer hat schon den Luxus, nach Begebenheit die Reifen und Laufräder, ja sogar das Bike zu wechseln? Leider viel zu wenige. Daher, wenn schon investiert, warum nicht bewusst und clever? Und auch wenn das nur eine einmalige Wahl des Laufrads ist, können wir doch das für uns perfekte Modell wählen. Wer weiß, welche Reifenbreite er fährt, kann, wenn auch nur einmal, tatsächlich die Laufräder nach den Reifen wählen. Richtig also: Reifenbreite first und Laufräder second!
Für die aktuell beliebteste Reifenbreite 28c bedeutet das beispielsweise eine etwas breitere Felge mit großer Maulweite – und für maximale Effizienz: natürlich so tief wie möglich!

Wir alle lieben den Look tiefer Carbon-Laufräder am Race-Bike, ja auch am Allroad und Gravel macht es einfach richtig was her. Doch mit ein paar Überlegungen lässt sich das Setup ganz einfach optimieren. Welchen Reifen und welche Breite will ich fahren, was passt gut zum Rahmen, und welche Felge brauche ich dafür? Mit etwas Zeit und den passenden Faustregeln zur Hand lässt sich auch ganz ohne Windkanal eine richtig gute Kombination auftreiben.

Tiefe Laufräder sehen schick aus und können einen weit bringen, doch sie sind kein Allheilmittel. Denn bei der blendenden Optik vergisst man schnell, worauf die Räder stehen. Der Reifen ist nicht nur dein einziger Kontakt zum Boden und bestimmt über Traktion sowie Rollwiderstand, sondern auch über die Aero-Effizienz des ach so teuren Laufrades. Aber passen Pneu und Felge perfekt zusammen, ergibt sich eine Kombination, die die Aerodynamik wahrlich verzaubern kann.


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Text: Calvin Zajac Fotos: Robin Schmitt, Jan Richter, Julian Schwede