Das Chamois Hagar von Evil Bikes ist das progressivste Gravel-Bike, das wir je getestet haben! In unserem exklusiven Test erfahrt ihr, ob man mit 66,67° Lenkwinkel überhaupt noch um die Kurven kommt und wie sich das Evil im Vergleich mit einem Mountainbike schlägt.

Evil Chamois Hagar GRX | 9,15 kg in Größe L | 4.999,99 €

Die Marke Evil Bikes ist in Mountainbike-Kreisen bekannt für radikale Lösungen und innovative Federungskonzepte. Beim Anblick des brandneuen Chamois Hagar scheint es nun fast so, als hätten sie aus Versehen Dämpfer und Federgabel vergessen und stattdessen einen Rennlenker montiert. Waren es anfangs in der Regel Rennrad-Firmen, die ihre Rahmenkonzepte an die Anforderungen des Gravel-Bereichs angepasst und somit Bikes präsentiert haben, die viel Road-DNA in sich tragen, reiht sich nun auch Evil in den Reigen der Mountainbike-Firmen mit einem Gravel-Bike im Portfolio ein. Angesichts eines Lenkwinkels von 66,67°, einem 50 mm kurzen Vorbau und einer versenkbaren Sattelstütze mit bis zu 185 mm Hub erwartet man eher ein spaßiges Mountainbike-Hardtail. Stattdessen zieht man ein 9,15 kg (Größe L) leichtes Borderline Gravel-Bike aus dem Karton.

Der Clutch-Mechanismus am GRX-Schaltwerk soll das Kettenschlagen vermeiden und kann bei Bedarf auch ausgeschaltet werden.
Die versenkbare Sattelstütze wird über …
… den linken Bremshebel bedient. Clever!

Der Carbon-Rahmen mit seinen organisch geschwungenen Formen erregt trotz dezenter mattschwarzer Lackierung garantiert Aufsehen. Evil hat die asymmetrischen Kettenstreben weit heruntergezogen, sodass 700x50C-Bereifung montiert werden können und laut Hersteller die optimale Schotter-Performance erlauben. Nutzt man einen Umwerfer bzw. entscheidet sich für die Montage von Schutzblechen, können immerhin noch Pneus in 700x40C zum Einsatz kommen. Für ein straßenlastigeres Set-up empfiehlt Evil 700x34C-Reifen und rät gleichzeitig von der Nutzung von Reifen-Laufrad-Kombinationen mit 650x47B ab, da das Tretlager mit 80 mm Absenkung sonst zu tief liegen würde.

Mit den 700x50C WTB Venture TCS-Reifen ist die Baufreiheit am Hinterbau voll ausgereizt

Die eigens für das Chamois Hagar entwickelte Carbon-Gabel ist für die Montage von Schutzblechen vorbereitet, verfügt über Montagemöglichkeiten für Bidons bzw. kleines Gepäck an beiden Seiten und einen Achsstandard von 12×100 mm. Mit 57 mm Offset, 93 mm Trail und 428 mm Axle-to-Crown ist sie nicht zuletzt mit ihren wuchtigen Dimensionen eine beachtliche Erscheinung. Laut Evil ist es aufgrund des Rahmen-Designs unmöglich, jemals einen Kontakt zwischen den eigenen Füßen und dem Vorderrad herzustellen. Toe overlap? Noeverlap!

Breiter Lenker und kurzer Vorbau – für den eingefleischte Rennradfahrer ein (noch?) ungewohntes Bild und ein Testament an das konsequente Konzept des Chamois Hagar.

Evil zeigt sich mit dem Chamois Hagar außerdem ausgesprochen fürsorglich. Die insgesamt sieben Anschraubpunkte (sechs in Größe Small) für Bidons bzw. wahlweise Bags erlauben es dem Fahrer, über fünf Liter Flüssigkeiten mitzuführen. Laut Hersteller also ausreichend Platz für genug Tequila für eine mittelgroße Familie oder eben einen Evil-Fahrer.

Anschraubpunkte soweit das Auge reicht

Wenn es wieder einmal so richtig feuchtfröhlich zugeht, soll der wettergeschützte Rahmen sämtliches Wasser abhalten. Auch der Rahmenschutz am Unterrohr, der zur Montage von Zügen und Leitungen entnommen werden kann, soll angemessenen Schutz vor den Elementen bieten.

Die Ausstattungsvarianten des Chamois Hagar

Das Evil ist sowohl als Rahmen-Set als auch in zwei Komplett-Konfigurationen erhältlich. Dank des im Lieferumfang enthaltenen Umwerfer-Mounts können 2-fach-Antriebe genutzt werden, doch setzt Evil bei beiden ab Werk erhältlichen Optionen auf 1-fach-Schaltgruppen.

So kommt beim Chamois Hagar AXS für 5.999,99 € ein 1×12-Schaltgruppen-Mix aus SRAM AXS X01 Eagle und Force eTap AXS zum Einsatz. Hier soll die Kombination aus einem 38 T-Kettenblatt und der 10–50 T-Kassette für müheloses Klettern und ausreichend Übersetzung für Highspeed-Orgien im Flachen sorgen. Die versenkbare AXS Reverb-Sattelstütze fügt sich lückenlos in das funkgesteuerte SRAM-Ecosystem ein und lässt sich bequem über die Schalthebel bedienen.

Für einen Preis von 4.999,99 € steht das Chamois Hagar GRX mit Shimanos neuer 1×11 GRX-Gravel-Schaltgruppe, einem 40 T-Kettenblatt und einer 11–46 T-Kassette zum Kauf. Bis auf die versenkbare BikeYoke Sattelstütze mit 125-185 mm Hub (je nach Größe) teilt sich das GRX-Modell das gleiche Easton-Cockpit und den gleichen WTB Proterra Light i23-Laufradsatz mit dem AXS-Aufbau. Wer sich an den zusätzlichen Schaltzügen und der etwas geringeren Bandbreite nicht stört, bekommt hier ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis!

Das Rahmen-Set kommt, wie auch die Komplett-Bikes, in den Größen S bis XL, verfügt über einen 12×142 mm Achsstandard hinten und 12×100 mm vorne und kostet 2.999,99 €. Das Rahmen-Set ist außerdem für einen Aufbau mit mechanischen 2-fach- oder elektronischen Di2-Schaltgruppen vorbereitet. Farboptionen? Klar: Mattschwarz.

Die Geometrie des Evil Gravel-Bikes

Neben dem extrem flachen Lenkwinkel zeichnet sich das Chamois Hagar durch zahlreiche weitere Geometrie-Kniffe aus, deren Abstammung aus dem Mountainbike-Bereich man nicht übersehen kann. Der lange Reach wird mit einem 50 mm kurzen Vorbau kombiniert, wodurch das Rahmen-Set mit seinen 430 mm langen Kettenstreben und das durch den Lenkwinkel und den Gabel-Offset von 57 mm ausgesprochen lange Front Center für Laufruhe sorgen soll. Mit einem kleinen Nebeneffekt: So wirklich einfach lässt sich das Evil mit einem Radstand von 1.126 mm nicht verladen. Die Rahmengeometrie zeichnet sich außerdem durch eine über alle Größen hinweg sehr geringe Überstandshöhe aus. Als Fahrer fühlt man sich auf noch keinem Gravel-Bike dem Oberrohr bzw. dem Vorderreifen so fern. An unserem Test-Bike in Größe L kommt ein Lenker in 460 mm Breite und Kurbeln in 172,5 mm Länge zum Einsatz, die dem Konzept angemessen waren.

Größe S M L XL
Sattelrohr 450 mm 470 mm 490 mm 510 mm
Oberrohr 586 mm 605 mm 624 mm 643 mm
Steuerrohr 140 mm 160 mm 180 mm 200 mm
Lenkwinkel 66,67° 66,67° 66,67° 66,67°
Sitzwinkel 70,54° 71,59° 72,47° 73,21°
Kettenstrebe 430 mm 430 mm 430 mm 430 mm
BB Drop 80 mm 80 mm 80 mm 80 mm
Radstand 1.098 mm 1.126 mm 1.154 mm 1.182 mm
Reach 400 mm 420 mm 440 mm 460 mm
Stack 575 mm 594 mm 612 mm 631 mm

Das Evil Chamois Hagar im Test

Im Antritt zeigt sich das Evil bereitwillig und generiert guten Vortrieb. Dabei ist es zwar nicht das leichtfüßigste Gravel-Bike, das wir je gefahren sind, doch bereitet es in jeder Situation maximalen Fahrspaß. Das Bike will mit viel Druck auf dem Pedal gefahren werden und der Weg ins heimische Gravel- bzw. Trail-Paradies kann mit ihm dabei ohne Weiteres auch im flotten Tempo auf Asphalt bewältigt werden. Im Klettermodus zeigt sich die ausladende Front kippelig und scheint nur darauf zu warten, dass man wieder Fahrt aufnimmt. Die Kombination aus WTB Proterra Light i23-Alu-Laufrädern und WTB Venture 700x50C TCS erweist sich als komfortable Lösung. Die Tubeless-Pneus wissen besonders auf kompakten und trockenen Untergründen durch ihr gutes Abrollverhalten, hohen Speed und den berechenbaren Grip zu überzeugen, setzen sich jedoch im schlammigen Terrain durch ihre eher durchschnittliche Selbstreinigung schnell zu.

Jetzt zum Elefanten im Raum: Das Handling des Evil ist für eingefleischte Roadies anfangs ungewohnt. Lässt man sich als Rennradfahrer jedoch einmal darauf ein oder nähert sich dem Bike als Mountainbiker, wird einem schnell klar, wie und wo das Rad am besten funktioniert. Für das Chamois Hagar kann es nicht technisch und ruppig genug sein. Je anspruchsvoller das Gelände wird, umso wohler fühlt man sich auf dem Evil. Sowohl weite Schotterkurven mit hohen Geschwindigkeiten, unberührtes Terrain mit faustgroßen Steinen oder verblockte Singletrails mit Wurzelteppichen meistert das Gravel-Bike mühelos und bleibt dabei ausgesprochen laufruhig. Sehr enge Kurven und geringe Geschwindigkeiten sind hingegen nicht die Paradedisziplin, tendiert es hier doch zum Untersteuern. Eine aktive Gewichtsverlagerung bringt in diesen Situationen mehr Druck aufs Vorderrad und das Bike schneller um die Kurve. Gerade auf den ersten Ausfahrten gilt es, sich hier auszuprobieren. Besonders fahrerfreundlich ist der schier unendliche Freiraum zwischen den Pedalen in der 3-Uhr-Stellung und dem Vorderreifen. Wir können uns kein Szenario vorstellen, bei dem es hier zum Kontakt kommen könnte.

Je schneller man auf dem Evil wird, umso sicherer fühlt man sich. Es ist fast so, als müsse man die Schallmauer durchbrechen.

In Sachen Komfort hält es das Rahmen-Set sportlich straff. Das Heck unseres Test-Bikes mit versenkbarer BikeYoke-Sattelstütze ist bauartbedingt direkt, bietet jedoch an der Front dank Easton EA70 AX-Carbon-Lenker eine solide Vibrationsdämpfung. Für einen Komfortgewinn, der nicht zulasten der Performance geht, gilt es also, den für euch optimalen Reifendruck herauszufinden. Wie das geht, erklären wir euch hier. Der bei normaler Fahrweise durchschnittliche Komfort des Bikes kommt jedoch nicht zufällig. Sobald man es im anspruchsvollen Gelände sportlich und meist im Stehen bewegt, entfaltet es sein volles Potenzial – zu viel Compliance würde in diesen Situationen zu ungewollten Verwindungen führen. Oder wie Evil es sagen würde: „Just like that, shred comes to gravel.“

Tuning-Tipp: Etwas längerer Vorbau für mehr Druck auf dem Vorderrad. Für uns wäre ein 70-80 mm Vorbau perfekt gewesen.

Wie schlägt sich das Evil im Vergleich zu einem Mountainbike?

Wer unsere letzten großen Vergleichstest verfolgt hat weiß, dass wir auch den Vergleich von Mountainbikes und Gravel-Bikes nicht scheuen. Im Gegensatz zum Evil zeigt beispielsweise das Trek Procaliber 9.9 SL Race Shop Limited ein ausgesprochen leichtfüßiges Antrittsverhalten und beschleunigt blitzschnell. Mit 9,02 kg in Größe 18,5” ist es außerdem 130 g leichter als das Evil (Größe L) und weiß durch seine Federgabel und das IsoSpeed-System am Heck bei ruhiger Fahrweise und in Kletterpassagen im Sitzen durch einen besseren Gesamtkomfort zu überzeugen. Wenn es jedoch darum geht Gepäck zu transportieren, die Wahl aus verschiedenen Griffpositionen zu haben oder auch über einen längeren Zeitraum in der Ebene auf kompakten Untergründen mit hoher Geschwindigkeit zu fahren, behält das Evil die Oberhand. In Sachen Trail-Performance steht vor allen Dingen die eigene Präferenz im Vordergrund. Während das Procalbiber weder vor Wurzelteppichen noch vor kleineren Absätzen zurückschreckt, ist die maximale Neigung des Trails durch den relativ steilen Lenkwinkel begrenzt. Hier brilliert das Chamois Hagar mit einem Lenkwinkel, der selbst die moderne Downhill-Elite anerkennend nicken lässt. Dennoch werden die Handgelenke des Evil-Fahrers bereits bei moderaten Schlägen deutlich mehr strapaziert als die des Mountainbikers.

Fazit zum Test

Mit dem Chamois Hagar nähert sich Evil dem Gravel-Sektor mit viel frischen Wind und auf eine ganz unbedarfte Weise. Aufgrund seines kompromisslosen Konzepts ist es das perfekte Rad für progressive Gravel-Jünger, Mountainbiker und alle, die mit einem Dropbar-Bike auch die heimischen Trails unsicher machen wollen. Erfahrene Fahrer, die ihre Limits weiter ausbauen wollen, finden hier einen wahren Spaßgaranten! Wer einen gemäßigten Allrounder sucht, ist mit einem anderen Bike unter Umständen besser beraten.

Tops

  • konsequentes Konzept
  • hohe Laufruhe in anspruchsvollen Situationen
  • zahlreiche Anschraubpunkte

Flops

  • mäßiger Komfort beim Cruisen

Weitere Informationen erhaltet ihr auf evil-bikes.com

Sollte das Evil nicht so ganz nach eurem Gusto sein, schaut doch einmal in unseren aktuellen Gravel-Bike-Vergleichstest!


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Text: Fotos: Valentin Rühl