Factor O2 VAM, eines der leichtesten Bikes der letzten Jahre, soll Gewichtsersparnis und Aerodynamik wie kein zweites vereinen. Detaillösungen wie eine integrierte Sattelstütze sind gesetzt. Doch kann das Bike den Ansprüchen gerecht werden, und ist im Road-Race-Bereich überhaupt noch Platz für ausgewiesene Kletter-Spezialisten?

Factor O2 VAM | 6.93 kg in Größe 56 | 9499 € | Hersteller-Website

Factor Bikes und Racing gehen Hand in Hand. Der Drang nach Speed ist von der Bike-Marke nicht wegzudenken, und so ist jedes Modell im Portfolio auf Geschwindigkeit getrimmt. Schon in unserem Gravel-Race-Vergleichstest zeigt sich der Ansatz der Briten, denn mit dem Factor OSTRO Gravel stellen sie ein kompromissloses Aero-Gravel Bike, das seinesgleichen sucht.
Und so dreht sich beim neuen O2 VAM ebenfalls alles darum, das schnellste Bike auf die Räder zu stellen. Doch getreu den O2-Genen geht es nicht vorrangig um aerodynamische Effizienz, denn die Bikes spielen ihre Stärken erst in Anstiegen so richtig aus. Neu beim O2 VAM ist hingegen der Ansatz eines aero-optimierten Kletter-Bikes. Factor nennt das sinngemäß maximale Aerodynamik bei minimalem Gewicht, mit klarem Fokus auf Leichtbau. Und dafür haben die Speed-Experten tief in die Trickkiste gegriffen. Doch hat sich das auch ausgezahlt?

Leicht wie eine Feder und schnell wie der Blitz? – Factor O2 VAM

Das auserkorene Ziel, das perfekte Bike zum Klettern zu erschaffen, verlangt auch in Zeiten von Aero-Everything noch Leichtbau. Denn bergauf kämpfen wir hauptsächlich gegen die Schwerkraft. Dazu kommen die geringeren Geschwindigkeiten, bei denen die Aerodynamik deutlich an Relevanz verliert. Doch je nach Hersteller fallen diese Bikes sehr unterschiedlich aus.
Factor identifiziert zwei Kategorien an Kletter-Bikes: zum einen die puren und auf Leichtbau ausgelegten Kletterspezialisten, die die Aerodynamik allerdings vollends über Bord werfen, und zum anderen die Allrounder. Etwas Aero und etwas Leichtbau sollen einen guten Kompromiss ergeben und ein durchwegs gut funktionierendes Bike für jede Situation ermöglichen – dafür allerdings mit höherem Gewicht.
Und genau hier will Factor aufräumen und bringt eine neue dritte Kategorie ins Spiel, sozusagen Leichtbau mit einem Hauch von Aero-Optimierung. Das Ziel war klar, und die Anweisung des Chefs deutlich: „Bring me the most aerodynamic 700 g frame you can“ kann nur eines bedeuten, ein Bike und ein Ansatz, der so noch nicht existierte. Laut Factor heißt das auch, ein komplettes Bike kommt „Race-ready“, also mit Pedalen und Transponder, auf das UCI-Gewichtslimit von 6,8 kg. Doch zumindest bei unserem Test-Bike in Größe 56 hat das nicht ganz geklappt. Mit der – zugegebenermaßen – zweitklassigen SRAM Force AXS eTap kommt das Bike ohne Pedale auf 6,93 kg. Dafür soll es aber mit der gleichen Steifigkeit wie der Aero-Renner Factor OSTRO VAM glänzen.

Das Streben nach Innovation hat sich Factor zum Motto gemacht und präsentiert es auch stolz mit dem O2 VAM.

Leichtbau und Windtunnel? – Factor O2 VAM

Leichtbau klingt erstmal einfach: so wenig Material wie möglich. Doch auch hier steckt der Teufel im Detail, denn selbst mit modernen Technologien und Materialien sind die 6,8 kg eine Grenze, die nicht jeder knacken kann.
Und so sieht das Factor O2 VAM schon optisch richtig leicht aus: Mit schlank zulaufendem Oberrohr, minimal aerodynamischem Unterrohr und den filigranen Sattelstreben erweckt es einen derart leichten Eindruck wie nur wenige andere Bikes. Dazu gesellt sich die Gabel, klar, auch hier ist so wenig Material wie möglich verbaut, doch auch die Aerodynamik kommt nicht zu kurz. Denn vor allem der geglättete Übergang zwischen Gabelkrone und Rahmen erinnert stark an die Aero-Bikes OSTRO VAM und OSTRO Gravel.

Verstecken sich hier die Aero-Gains? Mit der besonders geformten und schön integrierten Gabel will Factor ein paar Watt einsparen.

Dazu gesellt sich eines der Hauptmerkmale am O2 VAM – die integrierte Sattelstütze soll nicht nur schick aussehen, nein, damit kann Factor auch weitere wichtige Gramm und Watt sparen. Eine coole Lösung, die aus der Masse heraussticht.
Aber ob das ganze Aero-Gerede wirklich funktioniert hat, zeigt sich erst im Windtunnel. Und ja, da war das O2 VAM wirklich! Als vielleicht einziges Kletter-Bike und mit komplett anderen Ansprüchen als die schnellen Race-Bikes musste Factor auch hier neue Wege beschreiten. Denn bei 20 km/h gestaltet sich die Aerodynamik anders als bei 45 km/h, und so ist vor allem das Sitzrohr deutlich breiter geworden, um das Hinterrad im Luftstrom zu verstecken.

Die schmale Front spart nicht nur wertvolle Gramm, auch hier ist der Aero-Ansatz zu erkennen.
Spezieller geht’s wohl kaum: Mit der integrierten Sattelstütze treibt Factor die Detail-Verliebtheit auf die Spitze.

Die High-End-Ausstattung des Factor O2 VAM

Auch bei der Ausstattung hat Factor tief in die Trickkiste gegriffen. Durch die Kooperation mit Black Inc stehen den Briten erstklassige Komponenten zur Verfügung. Und so kommt das O2 VAM mit dem vom OSTRO VAM bekannten Black Inc Integrated Barstem – haptisch ergonomisch, aero-optimiert und natürlich federleicht. Als zusätzliches i-Tüpfelchen wurden die Laufräder speziell für das O2 VAM entwickelt. Die Black Inc 28//33 sind damit auf dem neuesten Stand der Laufradtechnik, mit breiten 23 mm Maulweite und 28,5 mm externer Breite sind sie für 28-mm-Reifen ausgelegt und kommen gleichzeitig auf ein Gewicht von nur 1.118 g!

Auf Hochglanz poliert: Schicker und hochwertiger als das Black Inc-Cockpit kann eine Lenker-Vorbau-Einheit wohl kaum sein.

Passend spect Factor Goodyear Eagle F1R-Reifen. Angetrieben wird unser 9.499 € teures Test-Bike von einer SRAM Force eTap AXS-Gruppe. An unserem Bike ist leider noch die alte Gruppe verbaut. Zudem verzichtet Factor auf ein Powermeter. Wer möchte, bekommt das für knapp 300 € extra dazu. Absolut selten für ein Bike von der Stange ist dafür das CeramicSpeed-Tretlager, was noch einmal den konsequenten Drang nach Effizienz und Race-Performance belegt.

Tuning-Tipp: Powermeter, um die Anstiege am schnellsten zu erklimmen.

Wer Effizienz sagt, muss auch Keramik sagen. Mit dem CeramicSpeed-Tretlager kitzelt Factor das letzte bisschen aus dem Antrieb heraus.
Die alte SRAM Force eTap AXS wird dem hochwertigen Bike allerdings nicht ganz gerecht und erhöht das Gewicht unnötig.

Factor O2 VAM 2023

9.499 €

Ausstattung

Sattelstütze Factor D-Shaped
Bremsen SRAM Force AXS 160/160 mm
Schaltung SRAM Force eTap AXS 2x12
Vorbau Black Inc Integrated Barstem 110 mm
Lenker Black Inc Integrated Barstem 420 mm
Laufräder Black Inc 28/33 12 x 100/12 x 148 mm Through Axle
Reifen Goodyear Eagle F1R 700 x 28c 28
Kurbeln Sram Force AXS 170 mm
Kassette SRAM CS-XG-1270 10-33T

Technische Daten

Größe 45 49 52 54 56 58 61
Gewicht 6.93 kg

Besonderheiten

integrierte Sattelstütze
Ceramicspeed-Tretlager

Preislich bewegt sich das O2 VAM wie alle anderen Bikes der Briten im High-End-Segment. Das „Premium Package“, also Rahmenset und Cockpit, gibt es für 6.049 €. Wer die Black Inc 28//33-Laufräder dazu möchte, muss mit 8.599 € tief in die Tasche greifen. Überraschend günstig ist der Preis für Komplett-Bikes mit SRAM Force eTap AXS oder Shimano ULTEGRA Di2, denn schon für 900 € mehr bekommt man so ein fertiges Bike. Für SRAM RED oder Shimano DURA-ACE Di2 liegt der Preis bei 11.999 €, ein stolzes Stück. Besonders erwähnenswert ist die Option einer individuellen Lackierung: Für knapp 500 € lässt sich das Bike an den eigenen Geschmack anpassen.

Die Geometrie des Factor O2 VAM

Nichts beim Alten, das gilt auch bei der Geometrie. Zwar am Vorgänger O2 orientiert, hat Factor einiges gelernt. Um die beim Klettern bevorzugte, etwas aufrechte Sitzposition zu gewährleisten, hat das O2 VAM etwas mehr Stack und weniger Reach. Erreicht wird das durch ein kürzeres Oberrohr und einen steileren Sitzwinkel. Um in steilem Gelände zu funktionieren, bringt das O2 VAM den Fahrer etwas mehr über das Tretlager und in eine aufrechtere Haltung für langes Fahren in Anstiegen.

Größe 45 49 52 54 56 58 61
Sitzrohr 560 mm 580 mm 620 mm 650 mm 680 mm 700 mm 720 mm
Steuerrohr 109 mm 117 mm 134 mm 154 mm 172 mm 196 mm 211 mm
Lenkwinkel 71.1° 71.7° 72.5° 72.5° 73.3° 73.3° 73.3°
Sitzwinkel 75.5° 74.5° 74° 74° 73,5° 73,5° 73,5°
Kettenstreben 405 mm 405 mm 405 mm 405 mm 405 mm 408 mm 410 mm
Radstand 970 mm 969 mm 971 mm 985 mm 987 mm 1.006 mm 1.022 mm
Reach 360 mm 367 mm 373 mm 381 mm 389 mm 401 mm 410 mm
Stack 502 mm 514 mm 535 mm 552 mm 574 mm 597 mm 611 mm

The Sky is the Limit – Das Factor O2 VAM im Test

Ein Bike mit so klaren Zielen schürt hohe Erwartungen, und die kann das Factor O2 VAM auch durchaus erfüllen. Als ultra-direktes Bike steuert es sich sehr präzise und wendig, beschleunigt unglaublich leicht und macht in Anstiegen einfach nur Spaß. Besonders steile Stücke und kurvige Passagen machen mit dem Bike richtig Laune, hier kann es die Leichtigkeit und das super Ansprechverhalten ausspielen – ein Traum für steile Rampen und lange Alpenpässe.
Bewegt man das Bike abseits von Anstiegen, merkt man aber schnell, dass es sich außerhalb der Komfortzone befindet, denn das in Anstiegen so geliebte direkte Handling vermittelt in Abfahrten und Geraden nicht viel Sicherheit. Für Erfahrene geht das noch gut, Anfänger sollten aber erstmal langsam machen. Und so ist das Bike auch trotz Aero-Optimierung kein Match für Allrounder oder Aero-Bikes, und der höhere Luftwiderstand ist vor allem in der Ebene deutlich zu spüren. Doch spätestens, wenn eine kleine Welle kommt und das O2 VAM mühelos die Rampe erklimmt, ist das Grinsen zurück im Gesicht.

Für wen ist das Factor O2 VAM?

Leichtbau-Fanatiker, Kletter-Fans und tiefe Taschen – hört sich das bekannt an? Dann ist das Factor O2 VAM vielleicht perfekt für dich. Wer viel im bergigen Gelände unterwegs ist und lieber Anstiege erklimmt als Abfahrten herabschießt, kann mit dem Bike richtig glücklich werden. Klar muss aber auch sein: Die tollen Kletterfähigkeiten, die unweigerlich ein Grinsen ins Gesicht zaubern, können nicht über die Geschwindigkeitseinbußen und das nicht ganz einfache Fahrverhalten in der Abfahrt hinwegtäuschen. Wer sich aber bewusst dafür entscheidet, wird mit Sicherheit glücklich und bekommt ein wahrlich einzigartiges Bike.

Fazit zum neuen Factor O2 VAM

Absolute Kletter-Performance – die will das Factor O2 VAM, und die liefert es auch! Bis ans Ende gedacht, überzeugt es mit dem super-agilen und auf Uphill ausgelegten Fahrgefühl. Dazu kommen technische Finessen wie die integrierte Sattelstütze und eine auf geringe Geschwindigkeiten ausgelegte Aerodynamik. Für Bergziegen eine erstklassige und einzigartige Wahl, und das nicht nur wegen des dicken Factor-Logos auf dem Unterrohr. Auch die High-End-Ausstattung von CeramicSpeed und Black Inc machen das Bike zum echten Hingucker.

Tops

  • absolutes Kletter-Bike
  • dynamisches und extrem spaßiges Fahrverhalten im Uphill
  • schön integrierte Sattelstütze
  • individualisierbare Lackierung

Flops

  • nicht ganz überzeugend in der Ebene

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Text: Calvin Zajac Fotos: Jan Richter, Mike Hunger