Optisch ist es kaum von einem normalen Rennrad zu unterscheiden: Mit dem Elektro-Rennrad Orbea Gain D10 wollen die Spanier das Rennradfahren radikal demokratisieren. Wir haben das 3.399 € teure Orbea Gain D10 getestet und herausgefunden, ob das innovative und zugleich simple Konzept aufgeht.
Hier findet ihr unsere 5 wichtigsten Erkenntnisse über Elektro-Rennräder. Darüberhinaus kommt ihr hier zu unserem Test über das Focus Project Y. Außerdem liefern wir die Antwort auf die Frage: Sind wir bereit für die Elektro-Rennrad-Revolution?
Zeit, Spaß, Reichweite, Power oder sogar KOMs – das Orbea Gain D10 verspricht, vieles zu gewinnen. Das Entwicklungsziel war laut Orbea ein elektrisch unterstütztes Rennrad, dessen Fahreigenschaften so nah wie möglich am altbekannten und klassischen Rennrad sein sollen.
Das Gewinner-Konzept der Spanier sieht dabei so aus: Im Hinterrad ist ein Nabenmotor installiert, der 250 W leisten und 40 Nm Drehmoment auf die Straße bringen soll. Gespeist wird der Ebikemotion X35-Motor von einem 250-Wh-Akku, der im Unterrohr des Alurahmens sitzt. Über einen Button am Oberrohr lässt sich die Unterstützungsstufe wählen, zugleich dient der Button als minimalistisches Display; die unterschiedlichen LED-Farben zeigen verbleibende Akkukapazität und Unterstützungsstufe an. Zusätzlich gibt es noch eine Smartphone-App, die aktuelle Fahrdaten liefern und als Display verwendet werden kann. Die aufgezeichneten Rides können direkt bei Strava hochgeladen werden – keine Sorge, Strava besitzt eine eigene E-Bike-Kategorie.
Die Automobilindustrie liefert die Technologie
Ebikemotion gehört zum spanischen Automobilzulieferer Stagemotion, an dem auch der Stuttgarter Automobilzulieferer Mahle Anteile hat. Das Gesamtgewicht des 3.399 € teuren Topmodells mit Shimano Ultegra-Ausstattung beträgt 13,65 kg; in Anbetracht des robusten Aluminiumrahmens und der Alu-Anbauteile bleibt Tuning-Potenzial für eine Gewichtsreduktion.
Das Orbea Gain D10 im Detail
Schaltung Shimano Ultegra 2×11
Laufradsatz Airline Corsa
Bremsen Shimano Ultegra
Reifen Kenda K1098*
Motor/Akku Ebikemotion X35/Ebikemotion 250-Wh-Akku
Gewicht 13,65 kg
Preis 3.399 €
* Auf unserem Testbike: Hutchinson Sector28
Die Geometrie des Orbea Gain
Das Orbea Gain im Test
Mit einem definierten Klick auf den Button im Oberrohr schaltet man das Orbea Gain an. Eine weiße LED leuchtet auf und gibt Auskunft darüber, dass der Akku zu mindestens 80 % geladen ist. Mit jeweils einem weiteren Klick auf den Button kann man sich durch die Unterstützungsstufen klicken. Grün bedeutet minimaler Support, Orange mittlere Stufe und Rot maximale Power. Über die App können die jeweiligen Stufen weiter individualisiert werden. Im Testverlauf hatte die App Probleme, die Bluetooth-Verbindung mit dem System zu halten. Das ist zwar für die Einstellung des Motors kein Problem, aber für die Aufzeichnung und Auswertung. Laut Orbea soll beim Serienbike ein Signalverstärker zum Einsatz kommen, der eine konstante Verbindung gewährleisten soll. Die Bedienung des Motors braucht eine kurze Eingewöhnungszeit, hat man das Prinzip und die Farben jedoch verstanden, ist die Bedienung sehr simpel – auch während der Fahrt.
Zeit, Spass, Reichweite, Power oder sogar KOMs – Das Orbea Gain D10 verspricht, vieles zu gewinnen.
Motor-Performance und Handling
Der Ebikemotion X35- Nabenmotor an sich arbeitet sehr natürlich und deutlich leiser als beispielsweise der Fazua-Motor im Focus Project Y und liefert über einen breiten Trittfrequenzbereich hinweg eine konstante Unterstützung. Im Uphill spürt man die Unterstützung bereits in der niedrigsten Stufe, in der stärksten Stufe kann man locker mit durchtrainierten Fahrern mithalten. Die Abgrenzungen zwischen den einzelnen Stufen fallen deutlich aus. In der Ebene kommt das Konzept jedoch an seine Grenzen – bei 25 km/h ist Schluss mit der Unterstützung. Auch wenn der Motor den Abschaltvorgang sehr geschmeidig einleitet, fühlt man sich mit dem Rad oberhalb der Motorenunterstützung so, als würde man im leichten Gegenwind stehen. Das zusätzliche Gewicht am Hinterrad merkt man in der Ebene über 25 km/h und beim Handling. Trotz hoher Steifigkeit und Laufruhe ist das Rad im direkten Vergleich zu klassischen Rennrädern träger und aufgrund der ungleichmäßigen Gewichtsverteilung auch weniger präzise in Kurven. Wünschenswert wären besser dämpfende Anbauteile – in der aktuellen Spezifikation bietet der Alurahmen in Kombination mit dem Alu-Cockpit nur wenig Komfort. Dazu kommt, dass man das Mehrgewicht beim Anbremsen spürt. Die gut dosierbaren Ultegra-Discs gehen mit 160-mm-Scheiben in Ordnung, denkbar und vermutlich sicherer wären jedoch 180-mm-Discs.
Dank des Nabenmotors im Hinterrad erfolgen Gangwechsel beim Orbea deutlich geschmeidiger als bei einem E-Bike mit Mittelmotor, weil deutlich weniger Kraft auf die Schaltungseinheit bzw. Kette einwirkt. Der Nabenmotor stützt sich an den Ausfallenden des Rahmens ab, um seine Leistung auf die Straße zu bringen. Die Motorensteuerung ist für einen Prototyp beachtenswert, einzig das lange Nachschieben des Motors, wenn man den Druck vom Pedal nimmt, ist gewöhnungsbedürftig. Sobald man unter die 25-km/h-Grenze kommt, setzt der Motor harmonisch wieder ein – elegant gelöst!
Trotz der natürlichen und sehr gelungenen Motorperformance bietet das System noch eine deutliche Schwäche: die Sensorik bzw. Datenerfassung. Der Motor bekommt beim Ebikemotion X35-System alle Informationen durch 20 Magnete im Verschlussring der Kassette, deren Position von einem Sensor im Ausfallende erfasst wird. Das heißt, ein Trittfrequenz-Sensor kommt nicht zum Einsatz. Dadurch kann das System nicht nur relativ einfach getunt werden, sondern auch je nach Trittbewegung überlistet werden. Bei leichtem Treten in geringer Trittfrequenz überholt einen der Motor, weil er circa 1 Sekunde lang nachschiebt und die Trittfrequenz nicht erfasst bzw. sie bei der Stärke der Unterstützung nicht mit einkalkuliert.
Ein weiterer noch zu verbessernder Punkt wäre eine schnellere Unterbrechung der Motorunterstützung, sobald man die Bremse betätigt – momentan muss man bei manchen Manövern nicht nur das erhöhte Gewicht, sondern auch die nachlaufende Motorenunterstützung abbremsen.
Fazit
Das Orbea Gain ist eine echte Rennrad-Revolution. Mit der ersten Modellgeneration leisten die Spanier ordentlich Pionierarbeit und haben ein simples sowie sehr gut funktionierendes Elektro-Rennrad auf den Markt gebracht. Die schöne und clevere Integration begeistert, das Handling ist trotz ungleicher Gewichtsverteilung gut und der Preis erschwinglich. Ab 1.899 € darf man ein Gain-Modell sein Eigen nennen und die Welt der E-Rennräder erkunden – die Einsatzzwecke sind extrem vielfältig und erlauben es vielen Fahrern, Freiheit zurückzugewinnen. Bei performance-orientierten und aktiven Fahrern stößt das Konzept jedoch an seine Grenzen.
Tops
– natürliche Motorensteuerung
– Design und Integration
– On-Button, der auch als Display dient
– leichte, geschmeidige Gangwechsel unter Last
– Preis
Flops
– schlecht ausbalancierte Gewichtsverteilung
– geringer Komfort der Alu-Anbauteile
Mehr Informationen findet ihr unter orbea.com
Hier findet ihr unsere 5 wichtigsten Erkenntnisse über Elektro-Rennräder. Darüberhinaus kommt ihr hier zu unserem Test über das Focus Project Y. Außerdem liefern wir die Antwort auf die Frage: Sind wir bereit für die Elektro-Rennrad-Revolution?
Dieser Artikel stammt aus GRAN FONDO Ausgabe #006. Für das beste Lese-Erlebnis empfehlen wir unsere interaktiven Magazin Apps für iPhone & iPad – es lohnt sich! (und ist kostenlos!)
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Text & Fotos: Robin Schmitt