Robin: Lasst uns über neue Märkte sprechen. Hier beim GFNY scheint Südamerika ein riesiger Markt zu sein, oder? Zumindest habe ich enorm viele Kolumbianer gesehen.

Uli: Ja wir haben 1.500 Südamerikaner am Start! Das hat zwei Gründe: Zum einen gibt es dort sehr wenige Rennen bzw. sehr wenige Massenevents. Aber die Rad-Begeisterung in Südamerika ist immens und viele wollen an solchen Events teilnehmen und dafür müssen sie reisen. New York ist nicht unbedingt näher als Europa, aber zumindest in der gleichen Timezone. Und dann fliegen die lieber zu uns. Zum anderen ist New York City einfach extrem beliebt bei vielen Südamerikanern. In Südamerika hast du eine extrem reiche Oberschicht. Und die Reichen kommen halt zu uns und die kaufen jedes Mal ein Rad. Die geben 1.000 $ nur in unserer Expo aus, nur in unserem Shop. Das ist unglaublich. Aber wir haben auch Kolumbianer, für die diese Reise hier ein halbes Jahresgehalt ist. Für Kolumbianer scheint unser Rennen DIE Sache zu sein, das ist so das Prestige-Event. Die sind auch richtig gute Fahrer, die bekommen dann auch einen Sponsor für den einen Flug und von einem anderen das Geld für den Rückflug. Und dann sind die hier irgendwo in einer Jugendherberge und machen das möglich. Es sind also nicht nur die Superreichen, die bei uns mitmachen. Natürliche Selektion gibt es schon. Wenn ein Hotel in Midtown 400 $ pro Nacht kostet, kann sich das natürlich nicht jeder leisten.

Von NYC in die ganze Welt? Das Erfolgskonzept GFNY.
Von NYC in die ganze Welt? Das Erfolgskonzept GFNY.

Robin: Und wie ist die Lage in Südamerika?

Uli: Ehrlich gesagt ist es ein absolutes Chaos. Da fließen Schmiergelder, das ist eine Sauerei. Da muss man beide Augen zudrücken und an den Teilnehmer denken, der glücklich ist, dass so etwas stattfindet. Dagegen ist Europa eine heile Welt.
Wir begeistern die Leute in Südamerika und unser Rennen in Kolumbien ist super geil! Die Kolumbianer gehen ab! Die sind super motiviert … aber alles dort braucht noch etwas Zeit. Wir haben 10–15 Kolumbianer am Start gehabt, die vorne dann Gas gegeben haben, dass es schon nicht mehr schön war. Aber hinterher haben wir die zur Blutkontrolle gebracht und dann hieß es bei einem: „Das ist nicht mein Blut! Das ist manipuliert.“ Und in Kolumbien kamen Beschhimpfungen à la „deine Tochter ist eine Hure“ zum Veranstalter. In Kolumbien gibt es schon Geschichten mit Morddrohungen, wenn irgendwelche Dopingkontrollen rauskommen. Da leben wir hier in einer heilen Welt.

Robin: Zu solchen Drohungen kommt es, wenn die Kontrollen öffentlich gemacht werden?

Uli: Ja, wenn das bekannt gemacht wird, heißt es: „Komm nicht mehr nach Kolumbien!“ Das ist brutal! Das ist verrückt. Und gleichzeitig landest du in Bogotá im Flughafen und da ist alles voll mit Movistar Cycling-Ads – schon im Gangway zum Flughafen. Das ist der Wahnsinn. Und die Stewardess fragt dich: „Du hast einen Helm in der Hand?“ „Ja, ich fahre Radrennen.“ „Ich auch! Wo geht ihr hin?“ Unglaublich … diese Begeisterung! Andererseits sind die absolut verrückt. Das ist unglaublich … An einem Tag geht die Welt unter, alles ist schlimm und am nächsten Tag rufen sie an und es war alles geil! Und zum Thema Sicherheit: Bogotá war für mich viel sicherer als hier in New York. Da hat man als Europäer auch eine falsche Vorstellung. Ich war auch in Mexico City und in Buenos Aires. Da läufst du durch die Straßen und es ist kein Problem. Da gibt es natürlich auch Ecken, um die man nachts besser einen Bogen laufen sollte. Aber man geht auch nachts nicht in die Bronx.

Robin: Okay, kleiner Ortswechsel. Wir hatten den europäischen Markt ja bereits kurz angesprochen. Mit Hameln kommt der GFNY nun nach Deutschland. Wie siehst du die Entwicklung bzw. das Potenzial in Deutschland?

Uli: Der deutsche Markt ist bereits sensationell entwickelt. Wenn du dir das Cyclassics oder das Velothon ansiehst, das existiert schon seit über 20 Jahren in Hamburg mit über 10.000 Teilnehmern. Das sind einige der größten Jedermann-Radrennen der Welt – und sie sind außerhalb Deutschlands kaum bekannt. Das heißt halt Jedermannrennen, das bedeutet, dort dürfen nur Leute ohne Lizenz mitfahren, die trotzdem richtig gut sind. Wir kommen nicht nach Deutschland, um jetzt einen Gran Fondo nach Deutschland zu bringen, sondern weil wir gerne in Deutschland sind. Wir erfinden da nichts Neues.

Robin: Und wo seht ihr die Herausforderungen der nächsten Jahre?

Joko: Bei euch ist wahrscheinlich das Problem, die guten Veranstalter zu finden für die Weiterentwicklung.

Tortour-GFNY-Interview-Joko-Vogel-Uli-Fluhme-2

Uli: Vielleicht auch eher noch die Behörden ein bisschen aufzulockern. Die sagen, sobald ein Radfahrer mit Zeitmessung auf der Straße unterwegs ist, muss alles top abgesperrt sein: „Wir brauchen Hundertschaften. An jeder Garage muss einer stehen.“ Da sind die Deutschen zu deutsch, finde ich. In Italien wird mal kurz ein Freiwilliger an die Kreuzung gestellt. Dann geht da eine Viertelstunde nichts und dann ist der Verkehr wieder offen. Aber es ist einfach auch eine Mentalitätsfrage. Bei uns in den USA ist die Strecke nicht komplett gesperrt, weil es bei uns Regionen gibt, da sind so wenige Autos unterwegs – da komplett abzusperren wäre der Wahnsinn. So können die Sonntagmorgen noch ihren Bagel und Kaffee kaufen wie immer und dann fahren die eben langsamer und es dauert 5 min länger. Ich finde aber, dass auch in anderen Ländern die Vollsperrung übertrieben ist.

Joko: Ja, definitiv. Finde ich auch!

Uli: So wie bei euch … 1.000 km müssten komplett abgesperrt sein! (lacht)

Joko: Das wäre überhaupt nicht machbar, kannst du vergessen. Bei uns gibt es schon mal keinen Massenstart. Also bei der TORTOUR Cyclocross im letzten Februar hatten wir Massenstart, das war cool. Das macht Spaß. Aber bei der Tortour kannst du das vergessen. Das ist ja auch ein ganz anderes Konzept. Aber für ein Rennen, so wie ihr das organisiert, finde ich auch, dass man den gesunden Menschenverstand walten lassen sollte und nur dort absperrt, wo es Sinn macht.

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Die Zeiten von Fünf-Euro-Rennen sind endgültig vorbei. Neue Märkte und neue, potente Zielgruppen sorgen für eine tiefgründige Veränderung des Rennrad-Marktes im positiven wie negativen Sinne. Wir bedanken uns bei Joko und Uli für den Blick hinter die Kulissen und dafür, dass sie trotz der großen Herausforderungen solch einzigartige Events mit viel Einsatz und Herzblut betreiben. Wir freuen uns bereits darauf, auf ihren nächsten Events dabei zu sein!

Ihr wollt wissen, wie es auf der Tortour oder dem GFNY wirklich ist? Dann lest unsere Erfahrungberichte und besucht die Websites der Events: tortour.com und gfny.com


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