Gääähn. Schon wieder ein 10.000-Euro-Aero-Bomber in Anthrazit. Natürlich mit Vollausstattung. Ist das jetzt geil, innovativ oder dekadent? Wir finden: Ein bisschen von allem. Vor allem aber ein bisschen fantasielos. Daher haben wir uns gefragt, warum Luxus oft so wenig inspirierend und so verdammt dröge ist.

Da, genau da ist er, der Luxus. Ein überbezahlter Durchschnittskicker räkelt sich auf einem goldenen Thron, in einer von einem saudischen Prinzen zum Privatjet umfunktionierten Boeing 747. Protzig, geschmacklos und für unser europäisches Empfinden ganz schön obszön. Auf dem Bike setzen wir da lieber auf Understatement – sündhaft teure Carbon-Laufräder ohne Decals, anodisierte Titan-Rahmen, schlichte Kits mit minimalistischen Logos. Ist das etwa auch Luxus? Aber Hallo!


Als Biker wähnt man sich auf der sicheren Seite des öffentlichen Urteils. Der Asket, der auf einem dünn gepolsterten Carbon-Sättelchen den Elementen trotzt. Kein goldener Thron weit und breit. Doch bei Luxus geht es nicht um Komfort oder Bling-Bling. Es geht darum, etwas zu besitzen, was in der eigenen Bezugsgruppe als erstrebenswert gilt – und sich darüber zu definieren. Und hier wird die Luft für uns Roadies und Gravelistas schon dünner.

Ein Hightech-Carbon-Aero-Bolide mit strömungsoptimierten Trinkflaschen ist ein Statement, ein Titan-Rad mit von Hand eingespeichten Laufrädern ein anderes. Schaut her und begreift: „Ich bin der performante Perfektionist auf der Suche nach marginal gains.” Oder: „Ciao, hier kommt der stilsichere Lebemann mit einem Faible für traditionelle Handwerkskunst.” Doch wer seinen kuratierten Luxus-Tretesel als Insignie stilistischer Vollkommenheit begreift, wandelt auf dem schmalen Grat zur vollkommenen Fantasielosigkeit.

Denn was hat es mit Stil oder Exklusivität zu tun, wenn ich mir von einem Konfigurator Standardparts zu einem Bike zusammendengeln, oder vom Algorithmus eines Onlineshops den perfekten Look kreieren lasse? Leider wenig. Das wäre ja alles gar nicht so schlimm, wenn das Ergebnis eine inspirierende stilistische Vielfalt wäre. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Auf uniformen grauen Aero-Racern strampeln wir in uniformen grauen Kits um die Anerkennung der Peer-Group. Und wir geben viel Geld aus. Nicht um aufzufallen. Sondern, um bloß nicht aufzufallen. Wenn Luxus die Bandbreite des Möglichen mit Skurrilem oder Exzentrischen erweitern würde, könnten wir ihn feiern, aber so ist er leider langweilig und deprimierend.

Und in unserem kuratierten Domizil geht das Elend weiter. Ein Vitra-Sessel hier, ein Barcelona-Chair dort und schon wird aus einem x-beliebigen Raum ein repräsentativer Place to be. Wenn wir dann mit der Rolex am Arm die Ingo Maurer-Leuchte anknipsen, erstrahlen wir endgültig im Licht geschmacklicher Unfehlbarkeit. Doch irgendwas wirkt selbst im Schein einer 3.000-Euro-Lampe fahl. Es ist der Mangel an Mut und Eigenständigkeit. Design kann viel. Aber es kann keinen eigenen Stil ersetzen.

Also zurück aufs Rad. Denn auch hier schlägt Prestige Fantasie. Wir sind von klein auf darauf konditioniert, im Vorbeifahren Schaltgruppen oder Laufradsätze zu identifizieren und den Fahrer oder die Fahrerin in eine Schublade zu packen. Unsere Wahrnehmung von “Begehrenswert” folgt dabei 1:1 der Positionierung der Hersteller. Und die orientierte sich lange Zeit vor allem an einer Größe: Gewicht.

Je leichter, desto teurer, desto begehrenswerter. In unserer Welt war Gewichtsoptimierung lange der einzige Maßstab für Exklusivität. Opulenz, Fülle oder Individualität hatten da wenig Raum. Wir überließen die Deutungshoheit darüber, was erstrebenswertes war, ein paar Ingenieuren, die das Layout von Carbonfasern perfektionierten. Das Ergebnis war oft erschreckend kurzlebig. Denn leichter ging immer. Und heute? Gewicht ist nicht mehr die alleinige Götze. Aerodynamik heißt das neue Leitbild. Der Windkanal entscheidet, was High End ist und was nicht. Und da der Wind leider kein ausgeprägtes Interesse an stilistischer Vielfalt hat, sind die Ergebnisse austauschbar.

Bleibt also noch unser Style auf dem Bike. Hier haben wir das Geschmacksempfinden komplett an die Brands ausgelagert. Wir machen uns zu Jüngern einer Marke und folgen brav der Designroute, die uns vorgegeben wird. Luxus löst sich dabei vom Anspruch, herausragende Eigenschaften in Bezug auf Atmungsaktivität, Komfort oder Haltbarkeit zu bieten. Luxus ist die Sicherheit dazuzugehören. Ein 300-Euro-Windbreaker hält nicht nur den Wind ab, sondern wärmt vor allem das eigene Ego.


Aber wie könnte Luxus anders aussehen? Vielleicht doch das blattgoldbelegte und diamantenbesetzte Colnago? Da kämen wir dem Thron im Privatflieger schon näher, würden wenigstens mal anecken und als dekadent gedisst. Oder kann man sich dem Thema Luxus auch von einer anderen Seite nähern?

Eigentlich lieben wir ja Dinge, die eigenständig sind und die nicht auf Teufel komm raus optimiert, perfektioniert und glattgebügelt wurden. Vielleicht müssen wir uns die Zeit nehmen, uns wieder abseits von Schaltgruppen-Hierachien, Aero-Vergleichstest und Brand-Styles mit dem Thema Bike auseinanderzusetzen. Schließlich ist es ja auch Luxus, ein wertgeschätztes Bike mit individuellen Komponenten aufzuwerten oder geliebte Klamotten reparieren zu lassen. Es hat einen Wert, seinen eigenen Stil zu kreieren, statt andere zu kopieren und es ist ein Statement, sich über zu viel Perfektionismus hinwegzusetzen.

Luxus darf also gerne teuer sein, aber bitte nicht langweilig.


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Text: Nils Hofmeister Fotos: Julian Lemme