Von schwer und klobig zu leicht und elegant: E-Antriebe können heute fast unsichtbar in Drop-Bar-Bikes integriert werden. Die neuesten Konzepte sind jedoch nicht nur schön, sondern auch smart. Welche Möglichkeiten bietet die Verknüpfung der Antriebe mit Fahrer- und Routen-Daten und wie verändert ein smartes E-Bike unsere Art zu fahren?

Die letzten Schneehaufen schmelzen in der Frühlingssonne. Der Asphalt glitzert. Die Profis vom Team Bora-GRAN FONDO sind in der Sierra Nevada unterwegs. Alle zusammen und doch jeder für sich. Für jeden einzelnen haben die Trainer ein individuelles Trainingsprofil erstellt. Ein E-Antrieb in der Hinterradnabe steuert die Belastung und unterstützt an steilen Rampen. Das Team hat die geplante Route im Vorfeld über eine App mit dem Antrieb synchronisiert und für jeden Fahrer präzise Leistungsbereiche festgelegt. Herzfrequenz und Wattwerte werden live ans Trainerteam im Teamhotel übertragen. Über eine App können die Betreuer remote ins System eingreifen und die Unterstützung auf Basis der erfassten Daten anpassen. Puls zu hoch und Watt zu niedrig? Unterstützung rauf. Die Qualität des Trainings hat dank der intelligenten Unterstützung nochmal einen Schritt nach vorne gemacht. Die Frühjahrsklassiker können kommen.

Na, haben wir euch gekriegt? Natürlich fahren Straßen-Profis kein smartes E-Bike, weder im Training noch im Rennen (hoffentlich). Der Rennsport ist die letzte Bastion der reinen Lehre von Laktat und Leistung. Doch die Antriebssysteme verändern sich und intelligente, integrierte Technologien eröffnen dem „E“ ganz neue Spielfelder.

Von „starkes E-Bike“ zu „smartes E-Bike“

Als die ersten E-Antriebe auf den Markt kamen, wurden sie belächelt. Betrug oder zumindest Selbstbetrug lautete das Urteil, wenn wir am Berg von einem elektrifizierten Überflieger überholt wurden. Doch von E-Citybikes, über E-Mountainbikes bis hin zu E-Gravel-Bikes hat die Tretunterstützung immer weitere Fahrrad-Gattungen erobert und ist im Bereich der urbanen Mobilität zu einem echten Gamechanger geworden. Anfangs waren dabei vor allem zwei Kennzahlen wichtig: Drehmoment und Akku-Kapazität. Das Ergebnis waren ästhetisch fragwürdige Newtonmeter-Monster mit klobigen Batterien am Rahmen. Mittlerweile sind E-Antriebe sowohl leichter als auch formschöner integriert. Weg also von einem Überfluss an Power und Reichweite, hin zu einer zielgerichteten, smarten Unterstützung. Die neueste Generation smarter Antriebe lässt dabei die Grenzen zwischen E-Bike und analogem Bike auch optisch verschwimmen. Innerhalb der E-Welt sind die Unterschiede zwischen den Antrieben jedoch gewaltig: Ansprechverhalten und Übergang in den nicht-unterstützten Bereich, Gewicht, Gewichtsverteilung und nicht zuletzt digitale Integration und Individualisierbarkeit.

In den meisten Fällen ist der E-Antrieb trotz aller optischen Integration nicht wirklich Teil eines digitalen Gesamtkonzeptes. Proprietäre Apps der Antriebs-Zulieferer konkurrieren mit Lösungen der Bike-Brands und Komponentenhersteller. Displays wetteifern mit Bike-Computern oder Handyhalterungen um Platz am Lenker, und Herzfrequenz- und Wattmessung bilden wie Routenplanung und Trainingsanalyse eine Welt für sich. Dabei bietet gerade die Zusammenführung all dieser Daten und Werte eine Chance. Der E-Antrieb kann so zum smarten Herzstück eines digitalen Bike-Ökosystems werden. Ein smartes E-Bike überzeugt nicht mit reiner Kraft, sondern mit Köpfchen.

Mit dem kompakten X-20 E-Antrieb setzt Mahle auf einen Hinterradantrieb, der vor allem in leichten, sportlichen Rädern zum Einsatz kommen soll. Mit relativ bescheidenem Drehmoment und kleinen, leichten Akkus geht es nicht um brachiale Kraft und maximale Reichweite, sondern um Integration und – Vernetzung.

Für Mahle spielt dabei neben der Hardware vor allem die Software eine Rolle. Ziel ist ein selbstlernendes System, das alle wichtigen Parameter zusammenführt und jeder Fahrerin und jedem Fahrer die Unterstützung liefert, die sie oder er in dem Moment braucht. Die Basis für dieses System sind Daten. Über die Smart Bike-App werden Fahrten hochgeladen und analysiert. Route, Steigungen, Geschwindigkeiten und Eigenleistung des Riders werden dabei automatisch mit Motor- und Akku-Kennzahlen abgeglichen und anonymisiert ausgewertet. Mahle weiß also genau, wann die User auf welches Unterstützungslevel zurückgreifen und wie viel Akku-Kapazität sie wirklich nutzen.

Ein smartes E-Bike bringt Dich sicher nach Hause

Eine Erkenntnis aus Hunderttausenden pedalierter eBike-Kilometer: 85 % der User stellen das Unterstützungslevel zu Beginn der Fahrt einmal ein und ändern es während der Fahrt nicht. 76% wählen dabei mit Level 1 die leichteste Unterstützung. Brauchen sie nicht mehr Leistung? Ist die Umstellung nicht intuitiv? Wollen sie einfach nur fahren?

Als Antwort haben die Entwickler eine neue vierte Unterstützungsstufe entwickelt. Einen smarten adaptiven Support, der basierend auf Gewicht, Steigung und Eigenleistung mal mehr und mal weniger elektrischen Rückenwind bietet. Das Ergebnis: Fahrerinnen und Fahrer sind im Smart Assist-Modus im Schnitt nicht nur fast 4 km/h schneller unterwegs, sondern nutzen auch ihren Akku besonders effizient. Die Idee der adaptiven Unterstützung ist nicht ganz neu, spannend wird sie jedoch, wenn man sie zusammen mit den anderen Daten denkt, die wir heute selbstverständlich erfassen.

So ist es möglich, in Kombination mit einem Herzfrequenzsensor, rein pulsbasiert zu fahren. Erkennt die Software, dass man sich über der vorher definierten Herzfrequenz-Schwelle bewegt, fährt sie die Unterstützung automatisch hoch. Das ist nicht nur für diejenigen interessant, die schweißfrei im Großraumbüro aufschlagen oder effizient trainieren wollen, sondern auch für die, die aus medizinischen Gründen ihre Belastung genau steuern müssen.

Und was, wenn ich eine über Strava geplante Route importieren und so auswerten lassen könnte, dass mich das System mit maximal möglicher Unterstützung und ohne Angst vor einem leeren Akku ans Ziel bringt? Selbst wenn am Ende nochmal ein biestiger Berg wartet. Oder wenn der Algorithmus zusätzlich Live-Wetterdaten auswerten könnte und vorausschauend noch etwas Akku-Leistung für den Gegenwind auf dem Rückweg aufsparen würde? Ein smartes E-Bike würde so vom stumpfen Anschieber zum cleveren Tour-Guide und der Reichweitenangst endgültig den Garaus machen.

Wenn man mit Diego Rodriguez von Mahle spricht, ist diese Angst eh unbegründet. In 75 % der Fahrten werden maximal 30 % Akku-Kapazität genutzt. In den meisten Fällen reicht also der kleine Akku – und der spart Geld und Gewicht. Und in den Bergen? Als Händler kann man auf regionale Daten zurückgreifen und so für unterschiedliche Fahrertypen ein individuelles Akku-Setup konfigurieren. Sprich: mit Daten gegen die Reichweitenangst. Theoretisch könnte es irgendwann sogar möglich sein, das eigene Strava-Profil auswerten zu lassen und auf dieser Basis eine individuelle Akku-Empfehlung zu erhalten.

Doch die Integration von Routen- und Fahrerdaten kann mehr als bloß das Unterstützungslevel anpassen oder Akku-Kapazitäten definieren. Sie kann die Wahrnehmung des E-Antriebs verändern.

Smartes E-Bike: Von der Krücke zum Performance-Booster?

Egal wie elegant versteckt oder dezent unterstützend, in performanten Roadie-Kreisen ist der elektrische Anschieber noch immer als Zeichen von Schwäche verpönt. Was, wenn er zum Inbegriff des smarten watt-basierten Trainings würde? Denn auch wenn das anfangs beschriebene Profi-Szenario aktuell noch utopisch ist, bietet smarte Unterstützung durchaus das Potenzial, besser zu trainieren. Dank der eingebauten Leistungsmessung und der adaptiven Unterstützung ließe sich das System z. B. für das winterliche Grundlagentraining nutzen, vielleicht sogar als Alternative zum Indoor-Trainer – smartes E-Bike statt E-Cycling. Könnte aus der Elektro-Krücke so ein Performance-Booster werden und der E-Antrieb auch in der Rennradwelt einen Fuß in die Tür bekommen?

Die andere Frage ist, wollen wir das alles? Ein System, das mich auf einer geplanten Route mit genau dem Maß an Unterstützung versorgt, die ich brauche, um mich im vordefinierten Puls-Zielkorridor zu bewegen. Verliere ich bei zu viel smarter Steuerung und adaptiver Unterstützung endgültig das Gefühl für das, was ich auf dem Bike mache? Nivelliert das System die Spitzen und Unannehmlichkeiten, die das Fahren letztlich interessant machen?

Fazit

E-Antriebe können mehr als nur anschieben. Mit der intelligenten Verknüpfung von Routen-, Herzfrequenz- und Fahrerdaten haben sie das Potenzial, das Fahren als solches zu verändern. Smoother, smarter, effizienter – wir blicken in eine vollständig vernetzte Bike-Zukunft. Wir können sie blind feiern oder sie grundsätzlich verteufeln. Wir können aber auch mit ihr spielen und dabei Möglichkeiten und Einsatzbereiche entdecken, über die Hersteller vielleicht noch gar nicht nachgedacht haben. Und das ist das eigentlich Spannende.


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als GRAN FONDO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die New-Road-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!

Text: Nils Hofmeister Fotos: Mike Hunger, Julian Schwede