Beim Stichwort Graveln in Italien denkt man meistens an schmale Straßen und Wege der Toskana. Keine Frage, die Region hat ihren Reiz. Wer aber in italienische Kultur eintauchen und dazu auf weniger befahrenen Schotterrouten biken will, findet bei den Prosecco Hills einen neuen Gravel Hotspot. Wir haben herausgefunden, was diese Region so besonders macht.
Eine Sache, die wir beim Graveln in Italien inzwischen gelernt haben: Die „Strade Bianche“, die weißen Straßen der Toskana, von denen man geträumt hat, verwandeln sich sehr bald in grobe, mit Geröll bedeckte und fast unfahrbare Pisten. Die Fahrt im coolen Flow wird so schnell zum Horrortrip, wenn man sein Gravel-Bike über Gelände schieben muss, für das es nicht gemacht ist. Als Wahlitaliener hatte ich mich damit abgefunden – bis ich einen Tipp bekam: Die Region Prosecco Hills soll anders sein. Straßen, auf denen man um und über die – teilweise steilen – Weinberge unbeschwert pedalieren kann, sollen die Gravel-Herzen höher schlagen lassen. Und allein schon der Name Processo Hills lässt Bilder in unseren Köpfen entstehen. Es war klar: Dort mussten wir hin.
Doch die Region Prosecco Hills zieht nicht nur Gravel-Aficionados an. Nicht weit entfernt befindet sich die Edelschmiede Sarto. Hier finden klassisch-italienisches Design und Rahmenbau made in Italy zusammen. Kombiniert mit Carbon-Know-How und einer individuellen Kaufberatung baut der Hersteller einzigartige, maßgeschneiderte Bikes für jeden Kunden. Das Sarto Seta Allroad konnte uns bereits im Vergleichstest begeistern und verkörpert High-Speed mit Allroad, wie es nur ein echtes italienisches Bike kann.
Vom Schaumwein beflügelt
In der Region Prosecco Hills angekommen, wurden die Bilder in unseren Köpfen von der grandiosen Landschaft noch übertroffen. Es lohnt sich, bei den Rides den Blick vom Vorbau zu heben und über die Weinberge schweifen zu lassen. Gerade in Italien werden Lebensmittel oder Weine nach ihrer Herkunftsregion bezeichnet. Einer der bekanntesten italienischen Vertreter ist der Prosecco: Der berühmte weiße Schaumwein ist tatsächlich zum Namensgeber für das ganze Gebiet geworden, in dem er produziert wird. Im Nordosten Italiens, an den Ausläufern der Dolomiten und nur eine Autostunde von Venedig entfernt, liegen – gut versteckt – die Prosecco Hills. So versteckt, dass diese Hügel zwischen Conegliano und Valdobbiadene als Bike-Revier bisher kaum bekannt sind.
Auf unserer Entdeckungsreise diente das Dorf Susegana als Ausgangspunkt für unsere Touren. Zu Gast waren wir bei Familie Collato, einer Familie mit langer Geschichte: Die Collatos bauten das beeindruckende Castello San Salvatore, ein Schloss aus dem 13. Jahrhundert südlich des Dorfes – und sie besitzen es noch heute. Damit nicht genug, betreiben sie seit dem Jahr 1110 auch eines der renommiertesten Weingüter der Region, das Borgoluce. Wie bei allen Winzern in der Gegend hat die Arbeit, die sie im Laufe der Jahrhunderte geleistet haben, die Landschaft hier geformt, indem sie die (zumindest für uns und die Winzer) so wichtigen unberührten Schotterstraßen in die steilen terrassierten Weinberge gegraben haben.
Paradies für Gravel-Fans
Außerhalb des Dorfes ist dieser Teil Norditaliens ziemlich verkehrsreich, denn an den Wochenenden strömen Besucher hier hindurch, um Städte, Dörfer und die Berge im Norden zu erreichen. Wir hatten das Glück, dass von unserer Villa, die in einen Agriturismo umgewandelt wurde und ebenfalls der Familie Collato gehört, direkt eine Gravelstrecke startet. So konnten wir von der Haustür aus auf perfekten Gravelstrecken fahren und die vielen kleineren Straßen und Feldwege erreichen, die die Region kreuz und quer durchziehen. So pedalierten wir abseits der stark befahrenen Straßen Richtung Norden, in das Herz der Prosecco Hills.
Im Süden fällt die Topografie in Richtung Venedig und Flachland ab. Aber wenn man nach Norden fährt, stößt man auf kleine Hügel, die bald zu größeren Anstiegen werden, bevor sie zu den „Vor-Dolomiten“ und schließlich zu den echten Dolomiten werden. Je höher wir hinauf kamen, desto weiter wurden die Blicke Richtung Süden, wo breite Täler landwirtschaftlich stärker genutzter werden als im Herzen der Prosecco-Hills. Hier wechseln sich Wälder mit Weinbergen und kleinen Dörfern ab, dazwischen schlängeln sich typisch italienische Asphalt- und Gravelstrecken, die einen dazu verleiten, immer weiter um die nächste Ecke zu fahren, um Neues zu entdecken.
Schon bei den ersten Tritten in die Pedale konnten wir spüren, dass dieses Gebiet das Paradies schlechthin für Gravel-Fahrer ist. Auf den schmalen und kurvenreichen kurzen Asphalt-Abschnitten, die die unberührten weißen Schotterstraßen miteinander verbinden, macht Graveln erst richtig Spaß. Schnell und abwechslungsreich führen sie durch atemberaubende Landschaften, in denen sich gepflegte Weinberge mit rustikalen Weilern und landestypischen Dörfern abwechseln – langweilig wird es hier nie. Man hat das Gefühl, dazuzugehören und mit den Einheimischen eins zu sein, denn die einzigen Fahrzeuge, denen man begegnet, sind Fiat Panda 4×4 der ersten Generation. Abgesehen von den kulinarischen Köstlichkeiten Italiens gibt es nichts, was so typisch italienisch ist wie diese kleinen, schwach motorisierten tollen Kisten. Mit Allradantrieb versteht sich.
Mehr als ein Glas Prosecco – Der Charme einer ganzen Region
Die gesamte Region wird durch ihre geografische Lage von zwei kulturellen Strömungen beeinflusst: im Norden die Bergregion der Dolomiten mit Tradition und Kultur der Dörfer und im Süden die mit Fresken geschmückte, an Kunstschätzen reiche Region, die sich auf der Ebene von Padua erstreckt. Dieses Zusammenspiel zweier Kulturen verleiht den Prosecco Hills eine interessante Atmosphäre. Auf der einen Seite ist man zuverlässig, vergleichsweise wohlhabend und durchorganisiert – definitiv Eigenschaften, die von der germanischen Kultur im Norden geerbt wurden. Auf der anderen Seite kommen die lebhaften südeuropäischen Gene zum Ausdruck. Bauten und Fassaden sind oftmals leicht abgeblättert, was ihnen den Charme vergangener Zeiten verleiht. Durch diesen Kontrast unterscheiden sich die Prosecco Hills deutlich von der Toskana, dem derzeitigen Schwergewicht unter den Gravel-Hochburgen Italiens.
Auf der Weiterfahrt nach Norden erkundeten wir spannende Orte, die uns zuvor von unseren Gastgebern, der Familie Collato, an unserem Frühstückstisch empfohlen wurden. Wir bekamen eine Insiderliste mit den schönsten Gravel-Strecken in der Nähe unseres Ausgangspunkts sowie Tipps für Routen, die über sanfte Hügel führen, um irgendwann in steile Bergetappen überzugehen. Empfohlen wurden uns auch die Weinberge in und um das charmante Dorf Rolle. Oder die extremen Anstiege in der Nähe von Collagu, wo Beton eindeutig der bevorzugte Straßenbelag ist, weil alles andere nur bergab rutschen würde. Ebenfalls auf der Liste: eine Fahrt nach Valdobbiadene und ins Hochgebirge dahinter.
Auch die Fahrt hinauf zum Santuario di Collagù war definitiv ein Highlight. Die ganze Gegend ist üppig grün und mit Weinreben bedeckt. Die Straße hatte abschnittsweise Steigungen von fast 20 %, sodass es eine echte Herausforderung war, den Gipfel zu erreichen. Doch es wartete bereits das nächste Highlight auf uns: Bei Ristoro Collagù, einem kleinen lokalen Erzeuger, konnten wir in landestypischer Umgebung Prosecco probieren – hergestellt nach der traditionellen Methode. Danach waren wir motiviert genug, um weiter nach Norden zu den Ausläufern der Prosecco Hills und dem berühmten Passo San Baldo zu pedalieren.
Sag mir, dass du in Italien bist, ohne mir zu sagen, dass du in Italien bist
Serpentinen-Flow und weitere Genüsse
San Baldo markiert die nördliche Grenze der Prosecco Hills und ist das Tor zu den Dolomiten. Die Strecke ist fast zu schnell zu Ende, um sie zu einer Bastion des Radsports zu machen. Aber die vielen Serpentinen, unterbrochen von zahlreichen Tunneln, sorgen auf jeden Fall für unvergessliche Momente. Während wir einen faszinierenden Einblick in die komplexe Straßenbaukunst erhielten, merkten wir aber auch, wie viele Menschen in dieser Gegend Italiens gerne Auto fahren. Wir sind eindeutig verwöhnt, da wir bisher sehr viel Zeit auf Nebenstraßen verbringen konnten.
Jedes Mal, wenn wir vom Rad gestiegen sind, haben wir irgendwo ein Stück Kulinarik erlebt. Das wird sich in Italien wohl nie ändern! Wir aßen zu Mittag, wo und wann es nötig ist, und so gut wie alle Bars bieten leckere kleine Snacks an. Und abends wurde es noch besser: Wir verwöhnten uns mit einheimischen Speisen wie Risotto, schmackhaftem Fleisch und frittiertem Mozzarella, begleitet von prickelndem Prosecco. Belohnung pur für die Anstrengungen des Tages!
Passend zur kulinarischen Reise durch die ansprechende Region veranstaltet Eroica das Event „Nova Eroica Prosecco Hills“. Ein Gravel-Event, über glatte Schotterpisten an Weinbergen und mittelalterlichen Dörfern vorbei, lässt die Alpenluft schnuppern. Im Mittelpunkt stehen dabei aber nicht das Zählen von Sekunden und der Kampf ums Siegertreppchen. Vielmehr heißt es, die kulinarische Landschaft mit ihrem einzigartigen Schinken, Käse und natürlich dem bekannten Prosecco zu erkunden. Dabei lässt sich für jedes Level an Motivation die richtige Strecke finden, Eroica organisiert drei Routen entlang der Alpen zwischen 50 km und 120 km. Um die Region Prosecco Hills selbst zu erkunden, findet das nächste Event bereits in ein paar Wochen am 30. April statt.
Wir können verstehen, dass viele die Toskana als Italiens Hotspot für Gravel-Biken betrachten. Aber während sich die Toskana mehr und mehr von ihrer Tradition des Straßenradfahrens entfernt, beginnen andere Gebiete – wie auch die Prosecco Hills – sich zu öffnen, jedes mit seinem eigenen Charme und seinen eigenen Vorzügen. Wer Gravel und Italien gleichermaßen liebt, wird dort sicher nicht enttäuscht werden. Auch in puncto Erreichbarkeit sind die Prosecco Hills im Vorteil: Die Flughäfen von Venedig und Verona liegen in der Nähe, und von Mailand aus sind die Prosecco Hills über die Autostrada oder mit so ziemlich jedem Verkehrsmittel leicht zu erreichen, wenn man aus dem Norden kommt. Die Region um Prosecco Hills bietet unendlich viel – durch den leichten Zugang zu hohen Bergen sowie zum Flachland im Süden für uns schon fast mehr als die Toskana. Also rauf aufs Rad, das fantastische Essen genießen und den Prosecco nicht vergessen!
Wir können verstehen, dass viele die Toskana als Italiens Hotspot für Gravel-Biken betrachten. Aber während sich die Toskana mehr und mehr von ihrer Tradition des Straßenradfahrens entfernt, beginnen andere Gebiete – wie auch die Prosecco Hills – sich zu öffnen, jedes mit seinem eigenen Charme und seinen eigenen Vorzügen. Auch in puncto Erreichbarkeit sind die Prosecco Hills im Vorteil: Die Flughäfen von Venedig und Verona liegen in der Nähe, und von Mailand aus sind die Prosecco Hills über die Autostrada oder mit so ziemlich jedem Verkehrsmittel leicht zu erreichen, wenn man aus dem Norden kommt.
Wer Graveln und Italien gleichermaßen liebt, der sollte unbedingt die grandiose Landschaft der Prosecco Hills kennenlernen: Einsame Sträßchen, sanfte Hügel und atemberaubende Ausblicke. Durch die Kombination aus hohen Bergen im Norden und den flachen Stücken im Süden bietet die Region für uns fast schon mehr als die Toskana. Also rauf aufs Rad, die kleinen Sträßchen entdecken, das phantastische Essen genießen und den berühmten Prosecco nicht vergessen!
Vielen Dank an die Familie Collato, die uns auf ihrem Landgut Borgoluce beherbergt hat.
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Text: Phil Gale Fotos: Phil Gale, Benjamin Topf