Wer liebt nicht ein bisschen Rückenwind? Eine neue Generation von E-Rennrädern und E-Gravel-Bikes etabliert sich gerade am Markt – und genau hier gibt es große Unterschiede bei Funktion, Performance und Preis. Wir haben uns mit den E-Motoren-Experten von MAHLE, die sowohl Naben- als auch Mittelmotoren im Angebot haben, zusammengesetzt, um über dieses spannende Thema aufzuklären.
E-Antriebe sieht man immer häufiger, nicht nur bei super performanten E-MTBs und schicken urbanen E-Bikes, sondern auch an Rennrädern und Gravel-Bikes. Dabei trifft man sie am häufigsten in einer von zwei Konfigurationen an: Entweder mit Mittelmotor im Tretlagerbereich oder mit Nabenmotor in der Radachse. Gerade rund um das Thema Nabenmotor herrscht allerdings noch viel Unklarheit und Aufklärungsbedarf. In der E-Bike-Community gilt der Nabenmotor als kleiner Bruder des Mittelmotors. Dabei haben beide Systeme ihre Vor- und Nachteile. Wir haben uns mit den Motorexperten und MythBusters von MAHLE getroffen, um ein paar Mythen zu lüften. MAHLE ist als Technologiekonzern aus der Autobranche bekannt, hat aber auch schon seit vielen Jahren seine Finger im E-Bike-Game im Spiel. Das Portfolio umfasst sowohl Naben- als auch Mittelmotoren. So hat MAHLE beispielsweise zusammen mit Specialized den SL 1.1-Mittelmotor entwickelt, der dem S-Works Turbo Creo SL 2019 zum Testsieg des ersten E-Roadbike-Vergleichstests überhaupt verholfen hat. Auch bei Nabenmotoren ist MAHLE ganz vorne mit dabei und beliefert derzeit Größen wie SCOTT, Mondraker oder BMC mit dem kompakten X20-Antriebssystem. Die Gegenüberstellung von Naben- und Mittelmotor kommt zwar dem Versuch nahe, Äpfel mit Birnen zu vergleichen; und doch stehen viele E-Rennrad-Interessierte genau vor dieser Frage. Wer Obst liebt, kommt allerdings so oder so auf seine Kosten! Deshalb findet ihr hier das geballte Expertenwissen – nicht nur für Tech-Nerds spannend, sondern für alle, die Bock auf etwas elektrischen Rückenwind haben.
Nabenmotor ist nicht gleich Nabenmotor
Nicht nur der Vergleich von Nabenmotor zu Mittelmotor fällt schwer, auch innerhalb der Motoren-Kategorie gibt es zahlreiche unterschiedliche Unterkategorien. So wie es bei Mittelmotoren Light- und Full-Power-Aggregate gibt, so gibt es auch bei Nabenmotoren verschiedene Herangehensweisen, die sich in Aufbau und Konzept sogar noch stärker unterscheiden als bei Mittelmotoren. Neben der Differenzierung in Front- und Heck-Nabenmotor wird vor allem zwischen Getriebe- und Directdrive-Nabenmotoren unterschieden:
Der Directdrive-Nabenmotor und der Getriebe-Nabenmotor
Um eins vorwegzunehmen: Es gibt keine Regel ohne Ausnahme und auch bei den Directdrive-Nabenmotoren gibt es Exoten, die sich nicht an alle Spielregeln halten wollen. Aber allgemein gilt: Directdrive-Nabenmotoren sind größer und schwerer, sie kommen ohne internes Getriebe oder internen Freilauf aus. Der Stator ist fest mit der Radachse verbunden. Der Rotor dreht sich immer um den Stator, darum sind Directdrive-Nabenmotoren auch in der Lage, im Leerlauf wieder Strom zu rekuperieren. Sie kommen vorwiegend in Cargo-Bikes und S-Pedelecs zum Einsatz, weshalb wir sie in dieser Betrachtung etwas außen vor lassen und uns auf den Getriebe-Nabenmotor konzentrieren wollen.
Der Getriebe-Nabenmotor ist de facto der Standard-Nabenmotor von elektrifizierten, schlanken Road-, Gravel- und Citybikes. Er ist in der Regel kleiner und leichter und besitzt einen internen Freilauf sowie ein Getriebe. Der Motor dreht ein zentrales Sonnenrad mit hoher Geschwindigkeit an, das über ein Planetengetriebe in eine langsamere Drehgeschwindigkeit auf das Hinterrad übersetzt wird. Dadurch kann der Elektromotor mit einer für ihn effizienten, höheren Geschwindigkeit arbeiten. Sowohl Motor als auch Getriebe sitzen auf einem Freilauf um die Achse und drehen sich im Leerlauf mit dem Rad mit, weshalb der Getriebe-Nabenmotor keinen Strom rekuperieren kann. In der Theorie ist das Prinzip eines Nabenmotors schnell erklärt, in der Praxis spielen jedoch unzählige Einflussfaktoren in die Funktionsweise und Motorcharakteristik mit ein. Der Teufel steckt im Detail. Aus den Wissenslücken sind einige Mythen entstanden, die sich um den Nabenmotor ranken.
Mythos No.1: Der Nabenmotor ist dem Mittelmotor technisch unterlegen
Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Vielleicht ist das Bike mit Nabenmotor bei euch das erste Mal bei einem Besuch im Baumarkt oder Supermarkt auf dem Radar aufgeploppt. Die Einzelhändler füllten ihre Regale zu Beginn mit No-Name-E-Bikes mit Nabenmotoren, die sich eher über ihren Novelty-Faktor als über ihre Qualität verkauft haben. Besonders viel technische Finesse steckte (noch) nicht in diesen Bikes und der erste Eindruck hat überdauert. Moderne Nabenmotoren müssen sich technisch hingegen nicht mehr hinter Mittelmotoren verstecken. Sie können auf die gleichen High-Tech-Systeme und Hilfsmittel zurückgreifen, um ein ausgereiftes Fahrgefühl zu ermöglichen. Zum Einsatz kommt eine ähnliche Sensorik wie im Mittelmotor: Drehmoment- und Trittfrequenzsensoren, Geschwindigkeits- und Beschleunigungsmesser, Neigungssensoren und, und, und. Die Software, mit der die aufgezeichneten Daten in eine bedarfsgerechte Motorkraftentfaltung übersetzt werden, ist ähnlich aufwendig wie bei Mittelmotoren. Auch die peripheren, technischen „Spielereien“, wie individuell abstimmbare Motorcharakteristik, Connectivity-Funktionen oder modulare Akku-Konzepte findet man an Bikes mit Nabenmotoren. Es mag eine Phase der technologischen Aufholjagd oder noch einfacher der technologischen Evolution von Nabenmotor gegeben haben, bis sie den Mittelmotoren ebenbürtig waren. Doch diese Phase ist inzwischen beendet und auch wir sollten den Mythos der technologischen Unterlegenheit in unseren Köpfen abhaken.
Mythos No.2: Nabenmotor sind was für Low-Budget-E-Bikes
Image ist nichts und alles zugleich. Sowohl bei Nabenmotoren als auch bei Mittelmotoren gibt es günstige Systeme für z.B. Bikes vom Discounter und teure Systeme für das Premiumsegment. In unserer Wahrnehmung dominiert jedoch weiterhin das Bild, dass in günstigen Bikes bevorzugt Nabenmotoren zum Einsatz kommen und in teureren Bikes Mittelmotoren. Ein Blick auf die Preisschilder der von uns zuletzt getesteten Rennräder und Graveller mit Nabenmotor zeichnet jedoch ein anderes Bild. Hersteller rufen zum Teil fünfstellige Summen für ihre motorisierten Schmuckstücke auf und hätten bei diesen stolzen Preisen genug fiskalischen Spielraum, um jedes Motorsystem einzukaufen und in ihren Bikes unterzubringen. Es stimmt zwar, dass der E-Bike-Motoren-Markt ein breites Spektrum an günstigen Nabenmotoren zu bieten hat, die relativ erschwingliche Bikes ermöglichen. Aber für Hersteller aus dem Premiumsegment ist der Preis des Motorsystems bei weitem nicht so ausschlaggebend, wie man womöglich annimmt. Wenn sie zum Nabenmotor greifen, dann weil er ein hohes Maß an Integration erlaubt und auch, weil die Performance stimmt.
Mythos No.3: E-Bikes mit Nabenmotor haben eine schlechte Gewichtsverteilung
Dass Naben- und Mittelmotoren unterschiedliche Gewichtsverteilungen haben, ist nicht wegzudiskutieren. Rein auf das E-Bike bezogen, sitzt bei Mittelmotoren-Bikes der Schwerpunkt in den meisten Fällen zentral zwischen den Rädern über dem Tretlager, was allgemein betrachtet vorteilhaft ist. Bei Nabenmotoren wandert ein Teil der Masse – eben der Motor – nach hinten in die Nabe. Biker mit einem gut geschulten Gespür fürs Fahrrad nehmen solche Unterschiede schon wahr. MAHLE hat mit dem X20-Motor einen der leichtesten Nabenmotor auf dem Markt im Portfolio, er wiegt gerade mal 1,4 kg. Trotzdem konnten wir in unseren Tests ein etwas stärker nachziehendes Hinterrad in Kurven ausmachen. Bei einem offroad-tauglichen E-Gravel-Bike, wie dem Mondraker Dusty XR, sorgt das zusätzliche Gewicht am Heck dafür, dass das Hinterrad auf ruppigen Abfahrten etwas mehr rumpelt. Wer allerdings kein super agiles Bike will oder Kurven-Akrobat ist, der kann mit einem guten E-Rennrad mit Nabenmotor richtig Freude haben. Auf den gesamten Charakter eines Bikes hat das Zusatzgewicht in der Nabe zudem nur einen untergeordneten Einfluss. Entscheidend für das Fahrverhalten bei Bikes mit Hinterrad-Nabemotoren ist das harmonische Zusammenspiel von Gewichtsverteilung und Geometrie. Gerade ein Nabenmotor-System ermöglicht den Herstellern ein hohes Maß an Freiheit bei Rahmendesign, Geometrie, Gesamtgewicht und Q-Faktor. In unseren Praxistests haben wir uns nach einer kurzen Fahrzeit schnell an die hecklastigere Gewichtsverteilung gewöhnt. Ein typisches Nabenmotor-Feeling hat sich trotzdem nicht eingestellt, denn es gibt sowohl dynamische und lebendige als auch träge und eher gemütliche E-Bikes mit Nabenmotoren; oder sogar 2-in-1-Konzepte wie das FMoser Road Force. Dieses variable E-Rennrad wird mit zwei Hinterrädern ausgeliefert, einmal mit und einmal ohne Nabenmotor. Für das richtungsweisende Konzept wurde es mit dem Design Innovation Award ausgezeichnet.
Mythos No.4: Die Frage Naben- oder Mittelmotor ist die Frage nach geringem Gewicht oder mehr Leistung
Hier beißt man bei Gesprächen mit der Bike-Community auf den härtesten Granit. Nabenmotoren werden in mancher Betrachtung auf die Eigenschaften leicht und schwach und Mittelmotor auf stark, aber dafür schwer reduziert. Newtonmeter und Kilogramm sind leicht zu kommunizierende Eckdaten, die genauso leicht in die Marketing-Kampagnen der Hersteller integriert werden. Weder das Gewicht, noch die Nm-Leistung sind allerdings alleine ausschlaggebend für ein Motorsystem. Besonders gegen die geringen Nm-Angaben von Nabenmotoren wehrt sich z.B. MAHLE und betitelt den aktuellen X20-Motor mit 55 Nm. Der Motor selbst leistet nur ein maximales Drehmoment von 23 Nm. Da er seine Kraft jedoch direkt aufs Hinterrad überträgt, statt über eine Gangschaltung, soll er sich in allen Situationen gleichbleibend kraftvoll anfühlen – wie ein vergleichbarer 55-Nm-Mittelmotor. Wenn es nach den Motor-Experten von MAHLE geht, sollte man sich für das Motorkonzept entscheiden, das zum Einsatzgebiet passt, und nicht für das, was die besten Werte auf dem Papier liefert.
It’s a match – Der E-Bike-Motor muss zum Einsatzzweck passen
Klar, man kann es sich einfach machen und sein E-Bike anhand von Kriterien wie Gewicht, Drehmoment und Preis auswählen, doch das ist nicht zielführend. Wichtiger ist zu wissen, wie man sein Bike bewegen will. MAHLE verteilt seine Getriebe-Nabenmotoren vorzugsweise an Hersteller von puristischen Road-, Gravel- und Citybikes. Getriebe-Nabenmotoren sind dank ihrer Funktionsweise bei mittleren und hohen Geschwindigkeiten ideal und kommen sehr nah an den Look and Feel von analogen Bikes ran. Bei langsamen Geschwindigkeiten stoßen sie hingegen an ihre Grenzen. Woran liegt das, wie macht man diese Unterschiede in der Funktionsweise fest?
Trittfrequenz
Der Nabenmotor übt seine Kraft direkt auf das Hinterrad aus. Ihm ist es dabei egal, mit welcher Trittfrequenz ihr unterwegs seid. Hersteller von Nabenmotor sollten daher darauf achten, den effizienten Arbeitsbereich des Motors und die Kraftentfaltungskurve an die real gefahrene Geschwindigkeit anzupassen, mit der die Biker unterwegs sind. Dann kann man entweder im Wiegetritt mit dem richtig großen Blatt den Berg erklimmen oder die Höhenmeter im Spinning-Modus bezwingen – der Motor liefert ein Drehmomentprofil, das zur Geschwindigkeit passt. In der Regel arbeiten Nabenmotoren bei mittleren und hohen Geschwindigkeiten am effizientesten. Bei niedrigen Geschwindigkeiten fühlt sich die Unterstützung schwächer an. Das wird von vielen Bikern auch als natürlicher empfunden, denn die meisten Fahrer nehmen eine Beschleunigung aus dem Stillstand auf 15 km/h z.B. als schwerer wahr als von 15 km/h auf 30 km/h. Im Endeffekt ist man auf E-Bikes mit Nabenmotoren in einer natürlicheren Trittfrequenz unterwegs, so wie man es von einem analogen Bike gewohnt ist. Praktischerweise sind Nabenmotoren dazu mit den gleichen 1-fach- und 2-fach-Schaltungen kompatibel, wie man sie an analogen Bikes vorfindet.
Mittelmotoren können ihre Drehmomentkurven nur indirekt an die Fahrsituation anpassen, da das Moment immer durch die Übersetzung der Gangschaltung wandert, bevor es ans Hinterrad weitergegeben wird. Diese Motoren haben einen eher begrenzten, effizienten Trittfrequenz-Bereich, der üblicherweise zwischen 70–90 Umdrehungen/min liegt. So können Mittelmotoren bereits ab sehr niedrigen Geschwindigkeiten viel Kraft aufbauen, solange man als Biker darauf achtet, die Trittfrequenz konstant in einem effizient hohen Bereich zu halten. Das gelingt nicht jedem E-Bike-Neuling auf Anhieb. Bosch lässt dafür zum Beispiel Schaltempfehlungen auf dem Display anzeigen. Außerhalb des effizienten Trittfrequenzbereichs können Mittelmotoren in Drehmomentlöcher fallen. Damit das bei den E-Bikern nicht zu negativ auffällt, sind moderne Full-Power-Mittelmotoren auf ein sehr hohes Spitzendrehmoment getrimmt, sodass sie selbst außerhalb ihres effizienten Bereichs enorm kraftvoll wirken.
Look and Feel
Auch Bike-Puristen und Ästheten freuen sich über etwas elektrischen Rückenwind auf dem Fahrrad. Im Look and Feel-Department haben E-Bikes mit Nabenmotor einiges zu bieten. Mittelmotoren wie der TQ HPR 50 oder der mit MAHLE entwickelte Specialized SL 1.1-Motor sind inzwischen auch sehr dezent, nicht nur durch ihre minimalen Baumaße, sondern auch durch eine sehr natürlich abgestimmte Motorcharakteristik. Dennoch bleiben die beinahe unsichtbaren Nabenmotoren, die sich zwischen Kassette und Bremsscheibe verstecken, ungeschlagen, wenn es darum geht, einen Analog-Bike-Look umzusetzen. Sie erfordern in der Regel keine Geometrie-Anpassungen, brauchen keine zusätzlich verstärkten Tretlagerbereiche mit Motoraufnahmen oder verursachen breitere Q-Faktoren. Dennoch sollte man ein Bike natürlich speziell für den gewünschten Einsatzzweck designen, da das Handling aufgrund der Gewichtsverteilung im Vergleich zum analogen Bike einfach anders ist. Nabenmotoren-Bikes werden häufig mit einem fest verbauten Akku im Unterrohr ausgeliefert, der besonders schlank ausfällt. Mittelmotoren sind oft länglich geformt und ragen in den Raum hinein, in denen bei analogen Bikes das Unterrohr bereits anfängt. Bei Nabenmotoren bleibt das Unterrohr von Design-Anpassungen unangetastet und der Platz kann komplett für den Akku genutzt werden. So kann dieser auch weiter unten im Rahmen platziert werden. Durch moderne Technik wie Drehmomentsensoren im Tretlager, gut abgestimmte Motorsoftware und der Tatsache, dass die Nabenmotor direkt auf das Hinterrad wirken, anstatt vorne aufs Kettenblatt, fühlen sie sich recht natürlich an – doch ganz so natürlich wie die besten Mittelmotoren zu sein, schaffen sie nicht.
Zum Look and Feel gehören auch Tretwiderstand und Lautstärke. Diese unerwünschten Nebeneffekte sind bei E-Bikes in der Regel immer stärker ausgeprägt als bei analogen Bikes. Dennoch sind aktuelle Motoren inzwischen sehr widerstandsarm. Dabei entkoppeln sie entweder interne Getriebe über einen Freilauf oder sind von sich aus so designt, dass es intern zu nur wenig Widerstand kommt. Die Hersteller selbst geben für ihre Flagship-Motoren einen messbaren Tretwiderstand im niedrigen einstelligen Wattbereich an. Und trotzdem findet sich eine kleine Gruppe an Biker da draußen (wie unseren „Prinzessin auf der Erbse”-Redakteur Calvin, der jedes Watt erspürt), die sich ein komplett tretwiderstandsfreies Pedalieren wünschen. Auch wenn sich die landläufige Meinung hält, dass Nabenmotoren hier von Vorteil sind, kommt es auf die Hersteller-Erfahrung und Qualitätskontrolle an. Genauso ist es auch bei der Lärmentwicklung. Nabenmotoren spricht man einen leiseren Betrieb zu, auch weil sie durch ihre Positionierung weiter hinten im Bike schlechter wahrnehmbar seien. Tatsächlich spielt auch hier wieder die Erfahrung der Motorenhersteller die größere Rolle. Das Noise-Vibration-Harshness-Verhalten (Geräusch, Vibration, Rauhigkeit) von Maschinen ist eine Wissenschaft für sich, mit denen sich Motorenhersteller befassen müssen. Bei Mittelmotoren ist zudem der Rahmen als Resonanzkörper ein weiterer wichtiger Faktor für die Geräuschentwicklung.
Wartung und Verschleiß
Auch beim Thema Wartung und Verschleiß gibt es funktionsbedingte Unterschiede zwischen den Naben- und Mittelmotoren. Wie es der Name schon verrät, haben sowohl Getriebe-Nabenmotoren als auch Mittelmotoren ein internes Getriebe, das einem Verschleiß unterliegt, was jedoch in der Regel für sehr hohe Laufleistungen ausgelegt ist. Während sowohl gut umgesetzte Naben- als auch Mittelmotoren echte Dauerläufer sind und man sie in den meisten Fällen selbst nicht warten kann, werden andere Komponenten durch die Motoren mehr oder weniger ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen, was den restlichen Wartungsaufwand vergrößert. Bei Mittelmotoren sorgt die höhere Kraft, die auf Kette, Kettenblatt und Kassette ausgeübt wird, in der Regel für einen vorzeitigen Verschleiß der Teile. Da sich bei Mittelmotoren Kurbel und Kettenblatt nicht immer fix zueinander drehen und Motoren einen relativ langen Nachlauf haben, kommt es häufiger zu Schaltvorgänge unter Last. Das Kettenblatt dreht noch mit Kraft, während die Kurbel bereits den Druck wegnimmt. Das kann für manche Schaltungen zum Schaltgruppen-Killer werden. Bei besonders kraftvollen Nabenmotoren bedarf es eines etwas stärker ausgelegten Laufrads, einer Drehmomentstütze am Ausfallende und einem entsprechend stark dimensionierten Rahmen um die Achsaufnahme herum. Die elektrische Verbindung vom Nabenmotor zum Akku und Controller sorgt für zusätzliche Leitungen, die den Ausbau des Hinterrads oft erschweren. Das merkt man meist erst, wenn man einen Platten hat und unfreiwillig zum Elektriker wird, obwohl man nur einen Schlauch tauschen wollte. Aber auch hierfür gibt es bereits clevere Lösung wie das MAHLE ACM-System (Automatic Motor Connection) am X20-Motor, das gleichzeitig Drehmomentstütze und Motorconnector in einem ist, wodurch der Aus- und Einbau des Hinterrads wie gewohnt abläuft. Wer die älteren Systeme kennt, weiß wie riesig der Unterschied ist und schätzt die ACM sehr! Aus Erfahrung wissen wir, dass es eine große Gruppe an Bikern gibt, die sich nicht viel mit der Technik und Wartung ihrer Bikes befassen wollen, sondern einfach nur gerne aufsteigen und losfahren würden. Egal, ob mit Rückenwind oder ohne: Früher oder später wird man nicht um die Wartung des Bikes herumkommen. Generell gibt es nicht ein Motorsystem, das dem anderen in dieser Hinsicht überlegen ist, es gibt jedoch besser und schlechter umgesetzte Lösungen, die zumindest den Wartungsaufwand gering halten können.
Die Zukunft des Nabenmotors
Während wir uns bis hierhin nur mit bereits existierenden Einsatzgebieten, Fahrertypen und Technologie-Unterschieden befasst haben, lohnt sich beim Nabenmotor auch ein Blick darauf, was uns hinter dem aktuellen Technologie-Horizont erwartet. Nabenmotoren zeichnen sich durch die Funktionsweise in manchen Einsatzgebieten als besonders flexibel aus, wohingegen der Mittelmotor auf technische Limitationen stößt oder erhöhte Komplexität aufweist. Mit Nabenmotoren sind sogar zweiradgetriebene Bikes, z.B. mit einer Hinterradlenkung oder Torque Vectoring zwischen den Reifen, leicht vorstellbar, die z.B. mit dem Gravel-Bike mehr Grip in sandigen Anstiegen ermöglichen. Erste Allrad-Konzepte wie das Citybike VanMoof V stehen bereits in den Startlöchern, doch wie sie sich tatsächlich schlagen, wird sich zeigen, sobald sie auf den Markt kommen.
Ein Schwert ist nur so gut wie der Arm, der es führt
Bei allen technischen Details, unterschiedlichen Funktions- und Herangehensweisen muss man immer im Hinterkopf behalten, dass es nie alleine auf den Motor oder das Motorsystem ankommt. Den besten Motor oder das beste Motorsystem gibt es nicht. Der beste Motor ist nur so gut, wie das Bike, in dem er steckt. Und er entfaltet nur dann seinen Nutzen, wenn er zusammen mit dem Bike zu den individuellen Anforderungen passt.
Ab und an greifen wir gerne auf etwas Rückenwind zurück, egal ob er aus dem Naben- oder Mittelmotor weht. Denn entgegen vieler Mythen hat keiner der Motoren eine Bike-Kategorie für sich gepachtet. Die grundlegend unterschiedlichen Funktionsweisen bieten Vor- und Nachteile für jeden Einsatzzweck. Und selbst innerhalb eines Motorsystems gibt es Abweichungen. Doch sobald Einsatzgebiet und Motorabstimmung passen und hohe Erfahrungswerte der Hersteller mit ins Spiel kommen, entstehen extrem spaßige Bikes.
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Text: Rudolf Fischer Fotos: Diverse