Wenn einer über Schotterpisten fliegen kann, dann Rallye-Legende Walter Röhrl. Wir waren mit Walter, dem neuen YT Szepter und dem neuen Porsche 911 Dakar im Gravel-Paradies und haben den Schotter fliegen lassen. Warum Walters Arzt ihm einen Dachschaden attestierte, er Eddy Merckx zur Verzweiflung gebracht hat und vielleicht auch Rad-Weltmeister hätte werden können, erfahrt ihr natürlich auch!

Ohrenbetäubender Lärm. Große Staubwolken ziehen den Hang hinauf. Zum Glück wird an unserer Abbruchkante heute nicht gesprengt. Die schweren Bagger und Muldenkipper des Steinbruchs sind noch in vollem Gange. Und wir mittendrin, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Das Team von YT ist bereits da. YT-Gründer und Auto-Narr Markus Flossmann hat es sich natürlich ebenfalls nicht nehmen lassen, persönlich vorbeizukommen. Der Plan: ordentlich Staub aufwirbeln, Schotter fliegen lassen und eine gute Zeit haben! Und zwar dort, wo der heilige Schotter erschaffen wird. Im Steinbruch, genauer gesagt: im Baresel Steinbruch Ehningen, der keine 20 Minuten von unserem Office entfernt liegt. Nebenbei wollen wir ein Interview mit der 76 Jahre jungen Rallye-Legende Walter Röhrl führen und sehen, was man als Gravel-Biker vom Rallye-Fahren lernen kann. Und wenn man etwas von jemandem lernen kann, dann vom Großmeister selbst.

Walter blickt auf 50 Jahre Race-Erfahrung zurück, zwei Weltmeistertitel und vierzehn Rallye-Siege zurück. Wenn einer weiß, wie man durch offene Schotterkurven fliegt, dann er. Was viele nicht wissen: Auch auf dem Rad hat er außerordentliche Talente.

Die außergewöhnliche Idee kam von GRAN FONDO-Gründer Robin, der auch ganz gerne mal Staub aufwirbelt. Auf vier Rädern genauso wie auf zweien. Mit seinem historischen 911er durch die Wüste Marokkos oder beim Launch des neuen Szepter durch den Staub von Kalifornien. Umso gespannter waren wir, wie das ein Profi – pardon – eine Legende macht!

Eigentlich hätte Walter gar nicht kommen sollen, eine hartnäckige Erkältung wäre dem Zusammentreffen beinahe zum Verhängnis geworden. Glück für uns alle: Er kam trotzdem, denn er hatte genauso Bock auf den Tag wie wir!

Los geht’s. Schnallt euch an! Walter hat auch mit Mitte Siebzig noch keine Freude am Langsam-Fahren gefunden. Andächtige Stille. Walter dreht den Zündschlüssel links neben dem Lenkrad. Der Sechszylinder-Boxermotor heult auf. Ein langer Druck auf den ESP-Schalter, um es zu deaktivieren. Bereit? Ein kurzes Nicken und Walter gibt den 480 Pferden die Sporen. Mit einer unglaublichen Ruhe und Präzision steuert Walter über den abgesteckten Kurs, stellt den Dakar bereits vor der Kurve in die Richtung, wie er aus der Kurve hinausfahren will, und driftet mit der Schnauze extrem nah um das Kurveninnere. Seine Füße tanzen nicht ganz so, wie man es aus den legendären Videos kennt – der Grund? Der 911 Dakar hat das Porsche-Doppelkupplungsgetriebe. Dass es auf der einen Seite 30 Meter tief in den Abgrund geht, lässt uns kalt: Wir sitzen mit Walter im Auto. Dieser Mann verlässt sich nicht auf sein Glück, nur auf Perfektion. Und dabei kennt er kein Pardon. Wie ein Speedboat schwimmen wir über den Schotter, nehmen Bodenwellen und driften mit beeindruckender Souveränität um jede Kurve. Je schneller wir fahren, umso ruhiger werden Walter und seine Lenkbewegungen. Und umso lauter der Schotter, der wie Hagel in die Radkästen prasselt. Runde 1 done. Und es sollten noch zahlreiche weitere folgen. Dazwischen viel Tech-Talk, Tipps und Ratschläge.

Der Tag ist noch lang. Die Sonne brennt durch die Wolken. Pause. Und dann kommt der Hunger. Wie auf unseren GRAN FONDO-Produktionen hat auch dieses Mal Mutti Schmitt für uns gekocht und bringt Bio-Quiche mit Gemüseplatte für alle mit. Kein Catering-Tam-Tam, sondern einfach nur lecker! Mutti Schmitt vereinnahmt dann direkt Walter, stellt ihm einige persönliche Fragen – hat sich da ein heimlicher Fan eingeschlichen? Oder die Vorhut unseres Interviews?

Die Gespräche wandeln sich, werden familiärer und persönlicher. Eine Sache, die Walter mag und zu seiner offenherzigen Art passt. Walter ist keine Legende mit Star-Allüren, im Gegenteil. Vielmehr ein Mensch, der das liebt, was er tut und sich darüber freut, wenn er andere begeistern kann. Nahbar, auch wenn er einen Kopf größer ist als alle anderen! Seine Liebe für Tiere ist ein weiterer Ausdruck dessen. Kommt Walter von Events zurück, freut er sich meist die ganze Autofahrt bereits auf seine Katzen zu Hause. Unser Office-Dog Henry erhält natürlich auch seine Streicheleinheiten!

Ab in die Bib-Short, rauf aufs YT Szepter. Walter – ein erfahrener Roadie –, der aber noch nie auf einem Gravel-Bike saß, ist entzückt von der Kontrolle auf dem groben Schotter. Die Unterschiede zu seinem Straßenrad macht er schnell aus: Reifen, Geometrie, Fahr-Balance und die Dropper-Post. Eine wirklich feine Sache! Walter tritt mühelos die steile Rampe des Steinbruchs hinauf und bleibt gekonnt im Trackstand stehen. Man sieht sofort: Das macht er nicht zum ersten Mal. Zeit, genauer nachzufragen, woher die Bike-Skills kommen. Wir machen es uns im Basecamp gemütlich und starten ins Interview.

Walter Röhrl und Radfahren, wie hat das angefangen?

Das war im Jahr 1984, ich war Fahrer für Audi. Es wurde ein Rennrad-Event in Gießen organisiert, eine Benefizveranstaltung zugunsten krebskranker Kinder. Der damalige Marketing-Chef war absolut begeistert von dieser Idee. Ich selbst hatte weder ein Rennrad noch irgendwelche Rennrad-Erfahrungen, aber er beruhigte mich und meinte, es seien nur 30 Kilometer. Also dachte ich mir, warum nicht? In Gießen angekommen, änderte sich die Situation, als der Marketing-Chef auf mich zukam und mir eröffnete, dass die tatsächliche Distanz satte 130 Kilometer betrug – um Gottes willen. Ich beschloss, mich im Windschatten zu halten, meine Kräfte zu schonen und irgendwie ins Ziel zu kommen. Nach den ersten 30 Kilometern ging es dann auch schon den Feldberg hinauf. Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich grob auf dem 100. Platz. Doch plötzlich lief es bergauf so gut, dass am Gipfel des Feldbergs nur noch drei von uns übrig waren:

Didi Thurau, Klaus-Peter Thaler (Anmerk. d. Red.: zwei der besten deutschen Radrennfahrer) und ich. Die beiden fingen an zu scherzen: „Schau mal, schon wieder ein Motorsportler, der das Rad nur fürs Konditionstraining nutzt.“ Da habe ich ihnen erzählt, dass ich noch nie in meinem Leben auf einem Rennrad gesessen bin. Sie waren baff und haben mich direkt ins Trainingslager eingeladen. Es ging dann sofort eine Woche lang in den Schwarzwald mit den Profis. Mein Einstieg in den Radsport und in eine klasse Zeit.

Zugegeben, alles was ich mache, mache ich extrem. Auf dem Rad war es nichts anderes.
So habe ich den einen oder anderen Radprofi – allen voran Eddy Merckx – am Berg zur Verzweiflung gebracht und habe bis heute eine Menge Spaß auf dem Rad.
Aber ohne Trainingslager geht nix! Das muss man machen!
Ich habe natürlich Trainingsbuch geführt und dürfte bis jetzt gut 42.000 km Rad gefahren sein.

„Nächstes Jahr geht es wieder ins Trainingslager nach Mallorca.“

Wäre eine Radsportkarriere in einem alternativen Leben denkbar gewesen?

Klar, das wäre drin gewesen. Nachdem Klaus-Peter Thaler 1987 zum vierten Mal Cyclocross-Weltmeister geworden ist, hat er mich am letzten Tag des Trainingslagers zum Leistungstest auf die Oppenauer Steige mitgenommen. 8 km – 8,6% Steigung.
Klaus meinte: Da darfst du dich nicht stressen, fahr dein Tempo, ich warte oben.
Warten musste er nicht! Das hat ihn dann gestresst (lacht).

Wie konntest du das Radfahren mit deiner Rallye-Karriere verbinden?

Das Radfahren hat mir unheimlich viel gegeben.
Auf den Rallye-Etappen und auch später auf den Testfahrten hatte ich überall das Rad dabei. Nach zwei Stunden auf dem Rad war der Stress verflogen und der Kopf wieder frei. Einfach klasse! Und auch konditionell konnte ich beim Rallye-Fahren sehr davon profitieren, denn nach 40 Stunden Autofahren brauchst du alle deine Konditions- und Konzentrationsreserven. Das hat mich letztlich einige Minuten schneller gemacht als meine Konkurrenten, die nicht mit der gleichen körperlichen Ausdauer an den Start gegangen sind. Außerdem ist es für mich auch immer ein Umweltaspekt gewesen. Ich habe mir gesagt: Komm, du fährst so viel Auto. Wenn es geht, fährst du mit dem Rad. So bin ich, wo es ging, mit dem Rad gereist, oft nach Österreich in die Ferien oder nach Graz zu Autotests.

Ich habe viel Lebensfreude aus dem Radfahren geschöpft.
Für mich ist es auch immer noch faszinierend, was die Profis heute für eine Leistung auf dem Rad bringen. Das kann man nur beurteilen, wenn man selbst Rad gefahren ist!

Wo siehst du die Parallelen vom Rallye-Fahren zum Radsport?

Das Autofahren muss flowen: weich, rund, sauber.
Das Rennradfahren sehe ich hier ähnlich. Man muss ein Gefühl für die richtige Linie haben. Ein wenig verrückt muss man auch sein: Wenn ich heute meinen Hausberg auf dem Rad hinab fahre, denke ich mir schon manchmal, was wäre, wenn ich mit 70 Sachen stürze? Damals hat man an nichts gedacht. Mein alter Radcomputer konnte nur bis 99,9 km/h messen und hat darüber das Blinken angefangen. Der hat natürlich nur geblinkt.

Beim Autofahren gibt es eine wichtige Regel – möglichst wenig lenken.
Du kannst Vollgas fahren bis zur Kurve, und das musst du möglichst lange beibehalten. Wer später bremst, ist länger schnell. Ein simpler Spruch, aber wahr. Früh genug, so wenig wie möglich lenken und die Straße bis zum Limit ausnutzen, war sicher das Entscheidende. Das lässt sich natürlich auch aufs Radfahren übertragen: Bei meinem ersten und einzigen Fahrradrennen in Siegen habe ich nur deshalb gewonnen. Auf den letzten Kilometern vor dem Zielsprint, in einer steilen Abfahrt konnte ich durch mein Gefühl für die Kurven außen vorbeiziehen. Unten angekommen, war ich schon zu weit weg für meine Verfolger. Die richtige Linie zu finden, ist in beiden Sportarten enorm wichtig und mit unter der Schlüssel zum Erfolg. Ebenso wichtig war es für mich, die Strecken fotografisch im Kopf abzuspeichern. Wer das kann, ist im Vorteil, kommt schneller in einen Flow, fährt vorausschauender und weniger reaktiv. Um sich die Strecke so merken zu können, muss man im Training zu 100% konzentriert bleiben. Ich habe mit meinem Beifahrer während der 12-Stunden-Trainingsfahrt keine fünf Minuten geredet. In dieser Zeit haben sich andere Teams ihre ganze Lebensgeschichte erzählt. Für uns war Konzentration alles: jede Schlüsselstelle abspeichern, für alles einen Plan entwickeln. Vielleicht krankhaft – aber erfolgreich!

Kritisch zu sein, ist ebenfalls essenziell. Ich habe mich nie auf mein Glück verlassen.
Nach jeder Etappe wurde genau analysiert, an welchen Stellen ich Glück hatte.
Während sich andere Fahrer über geglückte waghalsige Manöver mit zwei Rädern an der Grabenkante freuten, habe ich viel Druck auf mich selbst ausgeübt. Ich wollte alle Fehler erkennen, analysieren und zukünftig vermeiden. Diesem Drang nach Perfektion und Kontrolle ist es auch zu verdanken, dass nach 50 Jahren Motorsport nichts an mir verbogen ist und ich immer noch problemlos Radfahren kann.

Was würdest du uns Normalsterblichen und Anfängern raten, um schnell bessere Fahrer zu werden?

Das Beste fürs Autofahren ist ein Wintertraining auf Eis und Schnee: So bekommt man am schnellsten Fahrzeugbeherrschung. Man lernt, wann das Fahrzeug ausbricht, wann man die Lenkung zurücknehmen muss und wie viel Gegenlenken notwendig ist. Dabei muss die Geschwindigkeit nicht so hoch sein – sehr gut für den Anfang und wirklich effektiv. Mit so einem Gravel-Bike kann ich mir das auch ganz gut vorstellen – logischerweise dort, wo Fallen nicht so weh tut!

Die Herausforderung ist, die richtige Balance zu finden: Man darfs nicht übertreiben, in kleinen Schritten lernen und zuallererst das Setup auf den eigenen Körper anpassen. Denn das Lenkrad ist ein Lenkrad, kein Festhalte-Rad. Der Sitz muss also so gut halten, dass man locker lenken kann.

In Kurven muss jede Bewegung am Gasfuß synchron mit der Lenkung einhergehen, sonst ist man immer zu spät dran. Gerade beim Porsche, der die Masse hinten trägt, muss man dem Schwung bei seiner Entstehung durch die Lenkung entgegenwirken. Bricht das Heck aus und du überlegst noch eine Zehntelsekunde, bis du handelst, dann ist es zu spät. Allgemein sollte der Kurveneingang der langsamste Punkt sein. Die Vorderachse muss führen. Ein ausbrechendes Heck lässt sich fangen. Verlieren die Vorderreifen den Halt, fährst du Ski, bis sie wieder Grip finden.

Wie stehst du zu Assistenzsystemen?

Natürlich sind Assistenzsysteme wie ESP und ABS wichtig und haben einen großen Beitrag an der Reduktion der Verkehrstoten. Wer sein Auto aber nicht nur im Alltag, sondern auch zum Spaß fahren möchte, hat Glück, wenn man noch die volle Kontrolle übernehmen kann. Das Schöne am Bike finde ich, dass hier noch alles selbst gesteuert werden muss. Man selbst trägt Verantwortung und muss wissen, was man macht. Das liebe ich unheimlich.

„Das einzige, was er mir attestieren konnte, war allerdings ein Dachschaden.“

Wie verändert sich der Fahrstil mit dem Alter?

Man wird vernünftiger und geht weniger Risiken ein. Das ist ironisch – eigentlich.
Als man noch jung war und das ganze Leben vor sich hatte, ging man aufs Ganze. Und jetzt, mit einer relativ kurzen Restlaufzeit, hat man plötzlich Angst, dass etwas passiert. Alter heißt eben auch Erfahrung gewinnen, und mit der Zeit merkt man, was alles passieren kann.

Auch der Körper macht sich mit 76 Jahren langsam bemerkbar.
Das einzusehen, ist eine andere Sache. Als ich mich auf der letzten Skitour so plagen musste, bin ich zu einem befreundeten Arzt gegangen. Überzeugt davon, dass etwas mit meinem Herz nicht stimmt, denn vor 30 Jahren bin ich die gleiche Tour 3 Minuten schneller gegangen. Das einzige, was er mir attestieren konnte, war allerdings ein Dachschaden. Mit 76 muss man langsam einsehen, dass man sich nicht mehr mit der eigenen Leistung von vor 30 Jahren messen sollte. Meine Oldtimer fahre ich nicht über 3000 U/min, um den Motor zu schonen, das sollte ich mir auch für meinen Körper angewöhnen. Denn da gibt es aktuell nach wie vor nur Vollgas.

Sollte das Leben eher schnell oder langsam sein?

Mit dem Alter fühlt es sich so an, als würde die Zeit immer schneller vorbei gehen. Das ist etwas schade, allerdings habe ich den Genuss des Langsamen immer noch nicht für mich entdeckt. Egal, ob auf dem Rad oder im Auto: Eigentlich hätte ich Zeit, langsam zu machen, aber in mir regt sich das Verlangen, die Strecke so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Ich lebe also immer noch auf der schnellen Seite des Lebens. Damals war das Ziel, Rennen zu gewinnen. Heute möchte ich so viel wie möglich mit meiner Zeit anfangen. Den Druck, den ich mir damals beim Rennenfahren gemacht habe, mache ich mir heute in meiner Freizeit. Auch wenn das bedeutet, dass ich jeden einzelnen Moment nicht voll genießen kann: Meine Oldtimer müssen bewegt werden, dann möchte ich noch Radfahren, und der Rasen mäht sich auch nicht von selbst. Um das alles an einem Tag unterzubringen, muss man Gas geben!


Gas gegeben, das haben wir an diesem Tag auch! Ein gelungener Tag, viele glückliche Gesichter und endlich mal wieder im Dreck gespielt – sowohl im Dakar als auch mit dem Szepter. Vielen Dank an Walter, Porsche und YT: Teamwork makes the dream work! Ein dickes Danke auch an Jan Jessberger sowie das Team vom Steinbruch Baresel, dass wir in den Schotterhimmel durften!


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Text: Jan Richter Fotos: Mike Hunger