Viele legendäre Radsport-Geschichten erzählen von Breakaway-Solos, krassen Aufholjagden oder Bestzeiten. Diese nicht. Bei ihr geht es ums nackte Überleben. Und natürlich: Spaß! Wenn ihr wissen wollt, wie es sich anfühlt, 8 Stunden lang in einer Sauna Rad zu fahren, 16 Liter zu trinken, ohne einmal zu pinkeln, und warum Paul Ripke nicht altert, dann gönnt euch diese Story!
Eigentlich war mein Plan ein ganz anderer: Als klar war, dass Canyon ein neues Ultimate launchen würde, das nicht nur Race-Performance, sondern auch leichtfüßiges Dolce Vita erlauben sollte, begann ich, mir damit unvergessliche Rennrad-Trips für meine anstehende Kalifornien-Reise auszumalen: von San Francisco nach L.A. auf dem Highway 1, dem legendären Pacific Coast Highway – 450 Meilen die Küste entlang, mit einem kleinen Redwoods-Abstecher in Santa Cruz, vorbei am 17-Mile-Drive in Monterey, Big Sur, Seeelefanten und Steilküsten. Oder ein kleines Sufferfest auf der Gibraltar Road in Santa Barbara mit anschließender Weinverkostung in einer der 70 Weinkellereien des Santa Ynez Valley – der Toskana Kaliforniens. Oder vielleicht sogar einen Roadie-Escape in den Yosemite-Nationalpark? Und dann kam es, wie es kommen musste: nix mit Dolce Vita, sondern eine der dümmsten Ideen meines Lebens – mit Paul Ripke Radfahren gehen.
Dass Paul und ich an besagtem Sommertag diesen Trip unternahmen, konnten selbst die eingefleischtesten Roadies nicht glauben: „But you’re not doing this today, are you kidding?“ Und da waren wir, im selbstgemachten Abenteuer zwischen Meer und Wüste, im Escape-Room ohne Escape, auf einem 190-km-Sadomaso-Rideo von Newport Beach nach Palm Springs ohne geheimes Safeword. Es gab nichts außer Durchhalten. Die ultimative Challenge. Nicht zum Nachmachen.
Warnhinweis: Diese Story wurde von zwei professionellen Stuntmen durchgeführt und soll keine Inspiration darstellen, ähnlich dummes Zeug zu machen. Ohne professionelle Begleitung (danke Lynus) kann sowas auch schnell tödlich enden. Don’t do this at home!
Ist Paul Ripke vergeben? Sind Karo Kauer und Paul Ripke zusammen?
In Deutschland braucht Paul eigentlich keine Vorstellung, da wir aber viele internationale Leser haben und das Internet vielleicht ganz andere Infos hat und Dinge weiß, wollen wir euch erstmal den Protagonisten vorstellen: Googelt man Paul Ripke, tauchen zahlreiche spannende Fragen auf: Ist Paul Ripke vergeben? Sind Karo Kauer und Paul Ripke zusammen? Wie alt ist Paul und warum ist er bekannt? Nun: Laut Wikipedia ist Paul Ripke im Jahre 1981 geboren und ein deutscher Mode- sowie Sportfotograf, der für seine Fotografien und Videos von Sportlern, Prominenten, Models und anderen Kulturschaffenden produktiv ist. Fragt man ihn, fällt die Antwort anders aus.
Dass er einige der größten Momente der internationalen wie deutschen Sportgeschichte auf besondere Weise eingefangen hat und zahlreiche Weltstars hautnah begleitet, darüber spricht er überraschend beiläufig. Paul sagt von sich selbst, andere könnten alles besser als er. Es gäbe bessere Fotografen, größere Influencer und einfacher zu handelnde Markenbotschafter. Über seine Erfolgszutaten sprechen wir später, Fakt ist: Paul ist einer der einflussreichsten Influencer Deutschlands und kennt gefühlt jede und jeden. Mit seinem Podcast „Alle Wege führen nach Ruhm“ (kurz: AWFNR) betreibt er einen der größten deutschsprachigen Podcasts. Mit PARI hat er sein eigenes Mode-Label und vertreibt mit RIPKYTCHEN seine eigenen Kochbücher. Überhaupt ist er verdammt umtriebig und arbeitet mit globalen Marken wie Porsche, American Express und IWC zusammen. Als begeisterter Roadie steht er auch auf Canyon: Er hat nicht nur ein Ultimate mit Custom-Reifen von Schwalbe, sondern auch mehrere E-MTBs der Koblenzer. Zu einer Partnerschaft kam es jedoch nie. Aber was nicht ist, kann ja noch werden?
Um die Fragen zu beantworten: Paul ist vergeben, aber nicht an die Influencerin Karo Kauer. Mit ihr ist er nur gut befreundet und arbeitet an unzähligen Projekten. Mit seinen drei Kids und seiner Frau Theresa ist er 2016 von Heidelberg nach Newport Beach ausgewandert.
Vom Paradies in die Hölle
Eine sanfte Brise weht durch’s Haar, als wir mit den elektrifizierten Beachcruisern zum Strand von Newport Beach fahren. Einige Surfer sind noch im Wasser, die Sonne hängt in fülligem Rot tief über dem Pazifik. Das könnte das Happy End eines aufregenden Hollywood-Action-Streifens sein. Doch es ist vielmehr die Ruhe vor dem Sturm, das Happy Beginning vor der Hölle: Ich sehe mich bereits in der höllischen Hitze des nächsten Tages leiden und schwitzen, befinde mich körperlich jedoch noch im Paradies. Die Idee: von Newport Beach nach Palm Springs – vom Meer in die Wüste. Dieser 190-km-Ride ist bereits unter normalen Bedingungen ein halbes Himmelfahrtskommando. Unser spezielles Problem: Seit Tagen gibt es eine Excessive Heat Warning für Südkalifornien – eine Hitzewelle, die selbst in kühler Strandnähe weit über 40°C bedeutet. Wie sollte es da erst in der Wüste werden? Als ich auf der Autobahn von Nordkalifornien kommend zu Paul in den Süden gefahren bin, stand bereits auf jeder digitalen Autobahn-Tafel: Extreme Heat Wave. Stay inside & cool. Don’t use power from 3 to 9 pm. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen?
Kinderszenen, Op. 15 – was ist dein Pre-Ride-Ritual?
4:30 Uhr – der Wecker klingelt. Ich bin bereits seit einer halben Stunde wach. Eine gefährliche Mischung aus Vorfreude, Respekt und „wie-dumm-ist-das-eigentlich?“ hat mir meinen Schlaf geraubt. Um die Kühle der Nacht (rund 25° C) auf den ersten Kilometern zu nutzen, haben wir uns vor Sonnenaufgang im PCH verabredet. Auf den ersten Kilometern werden uns ein paar Kumpels von Paul begleiten, sobald Sonne und Höhenmeter steiler werden, jedoch wieder abdrehen.
Das PCH ist das Pari Clubhouse. Pauls Büro mit Podcastzelle, Showroom und Treffpunkt für seine Pari Souplesse Rides. Klar gibt es eine Kaffeemaschine dort, aber noch viel wichtiger: Mitten im Raum steht ein großer schwarzer Flügel, auf dem ein barfüßiger und noch verschlafener Paul um 5:00 Uhr bereits in die Tasten haut. Heraus kommen gefühlvoll angeschlagene Melodien von Robert Schumann – Kinderszenen, Op. 15. Und was ist euer Roadie-Ritual vor einem langen Tag im Sattel so?
Ist doch gar nicht so warm!
Als wir in der Dunkelheit losrollern, ist alles im grünen Bereich. Die Stimmung ist locker, und nach einem kurzen Stück auf der Straße biegen wir in einen der populärsten Radwege der USA ab – den Santa Ana River Trail. Fühlt sich eher nach Sunday-Chill als Kamikaze-Komitee an. Der Santa Ana River ist übrigens ein riesiges Flussbett, das an legendäre Verfolgungsjagden bei GTA erinnert. In einem Teil des Flussbettes ist sogar ein Golfplatz angelegt – denn abgesehen von seltenen Sturzfluten führt der Fluss hier nahezu keinen Tropfen Wasser.
Die Sonne zeigt sich langsam, wir machen gut Meter. Paul hat – um den Temperaturverlauf des Tages zu dokumentieren – noch kurz vor Abfahrt das Thermometer seiner Sauna geklaut. Mit den ersten Sonnenstrahlen kommen uns ganze Hordenscharen von Roadies entgegen, das gleiche gilt für Jogger:innen mit gestählten Körpern – genau so wie man sich die sonnige Seite von L.A. vorstellt. Dass es eine unglaublich große Anzahl an Obdachlosen, Drogenabhängigen und gesellschaftlich komplett Abgehängten gibt, sieht man hier nicht – aber wir diskutieren darüber. Auch Pauls Kumpels reden über die „failed society“ – Newport Beach sei da eine echte Oase mit geringer Kriminalität, man könne sich wirklich glücklich schätzen, hier zu wohnen. Und so verstreichen die ersten Kilometer voller Gespräche – zum Glück, denn es sollte nicht mehr lange dauern, bis die Gespräche karger und die Temperaturen heißer werden.
Warum Paul Ripke nicht altert: Paul Ripkes Erfolgsrezept
Dass einer der bestbezahlten Fotografen der Welt gerne mal umsonst arbeitet, liegt nicht daran, dass Paul sich eigentlich gar nicht mehr als Fotograf sieht, sondern an einem Gefühl: Paul ist seine Zeit, mit wem und womit er sie verbringt, sehr wichtig. Deshalb hat er früher immer wieder mehrere Tage oder gar Wochen umsonst gearbeitet, um zu checken, wie sich ein Projekt anfühlt. Viele sind in Sachen Job oder Auftrag alles andere als wählerisch, machen das, was Geld bringt sowie logisch und rational eine gute Entscheidung ist. Doch wie soll die eigene Arbeit andere begeistern, wenn man selbst nicht begeistert ist? Wie soll etwas außerordentlich werden, wenn man es ohne außerordentlichen Elan macht? Deshalb macht Paul die Dinge nicht, solange sie ihm Geld bringen, sondern solange sie sich richtig anfühlen.
Viele Menschen werden vernünftig, sobald sie etwas Großes erreicht haben und wollen primär den Erfolg bewahren. Doch nicht so Paul. Die meisten Menschen klammern sich an die Sicherheiten dessen, was sie bereits aufgebaut haben. Paul wirft es auch mal weg, wenn’s am schönsten ist. Die Trennung von Projekten, Geschäftspartnern und bisherigen Erfolgen war es, die Paul immer wieder vorangebracht hat. Das braucht Mut. Mut, Verträge frühzeitig – wie z. B. seinen Formel-1-Fotografen-Vertrag, bei dem er Lewis Hamilton begleitete – aufzulösen. Und Mut, sich ins Unbekannte reinzustürzen. „Durch das Weggehen haben sich mir immer wieder viele Türen geöffnet – weggehen zu können, ist mindestens genauso wichtig wie die Arbeit auf ein Ziel hin”, resümiert der gebürtige Heidelberger.
Im Gespräch merkt man schnell: Paul ist stark von seinem Dad geprägt und hat gelernt, ins Jetzt zu investieren. Nicht für die Zukunft, sondern für den Moment zu leben. Deshalb schert er sich nicht allzu sehr um Zukunftssorgen und Vorsorge und beabsichtigt auch nicht, ein Vermögen aufzubauen, das er seinen Kids vererben wird. Natürlich muss auch Paul Rechnungen bezahlen, hat eine mehrköpfige Familie, Stress und Sorgen. Dennoch besitzt er ein Grundvertrauen, mit dem er jeglichen Unsicherheiten souverän entgegentritt und damit nicht nur langsamer altert als viele Menschen, sondern auch das Leben lebt, das er will. Und das geht nur, indem man die Dinge rauswirft, die unnötig Energie kosten, nicht mehr passen oder sich nicht mehr richtig anfühlen. Das Vertrauen in die eigenen Skills, wieder etwas Neues aufbauen zu können, besitzen nicht viele Menschen. Und genau das ist einer der Schlüssel zu Pauls Erfolg. Hinzu kommt, dass Paul verdammt ehrgeizig ist und es versteht, sich in neue Dinge reinzufuchsen.
Auch wenn Paul sehr teddybärig wirkt, er ist ein echter Macher und verfolgt seine Ziele auf sehr sympathische Weise. Mit seinen 41 Jahren ist Paul im Herzen immer ein Kind geblieben. Verspielt und mit dem Hang, auch mal Mist zu bauen, aber auf jeden Fall die Dinge anders anzugehen. Nicht immer der Vernunft das Wort zu reden. Und obwohl Paul in seinem Leben schon mehr gesehen, gemacht und erlebt hat als die meisten von uns, ist er immer noch hungrig auf Neues. Denn wie heißt es so schön: Neugier hält jung!
Timing ist alles – nur dieses Mal nicht!
Es ist 9 Uhr, die Sonne beginnt langsam zu ballern. Doch statt weiter Kilometer zu machen, gönnen wir uns erstmal ein Frühstück – wo sonst als im Fantasy Café.
Mexikanische Cola mit extra viel Zucker, ein dickes Omelett und Arme Ritter mit Bacon. What else? Bis hierhin lief alles gut, aber der wirkliche Ride hat ja noch nicht begonnen. Paul kommt zum nächsten Thema, das für ihn einen wichtigen Teil seines Erfolgs ausgemacht hat: Timing. Viele Fotografen achten auf perfekte Symmetrien, die optimale Ausleuchtung, aber verpassen dann vielleicht den besonderen Moment. Paul ist nicht nur mit einem sehr starken visuellen Verständnis für Ursache und Wirkung begabt, sondern hatte in seiner Fotografen-Karriere immer ein verdammt gutes Timing. Nicht nur, wenn es um Zeit und Ort ging, sondern auch in Bezug auf die persönlichen Höhepunkte seiner Protagonisten, die immer dann, wenn er sie begleitet hat, Sportgeschichte geschrieben haben: So war es 2014 mit der deutschen Nationalelf bei der Fußballweltmeisterschaft in Rio oder bei Nico Rosberg in der Saison 2016, als er Formel-1-Weltmeister wurde. Dann war da noch Lewis Hamilton und ja, the list goes on and on…
Doch noch eine weitere Komponente ist enorm wichtig: Als guter Fotograf ist man auch immer ein guter Freund. Man muss den Zugang zu den Models, ihr Vertrauen gewinnen, sie müssen sich in Gegenwart des Fotografen wohl fühlen. Und genau das kann Paul mit seiner sympathischen wie unaufgeregten Art so gut wie kaum ein anderer. Denn erst dann können intime Fotos entstehen.
Die Zeit im Café verfliegt. Und damit die Gunst des richtigen Timings. Die Sonne knallt bereits ordentlich, als wir uns wieder auf unsere Koblenzer Carbon-Rösser schwingen, uns von Pauls Kumpels verabschieden und nun im Duo mit Zuckerschock in die Pedale treten. Schnell ist klar: Das wird richtig kacke! Und: Unser Frühstück war alles andere als ein idealer Roadie-Snack!
Pari Souplesse Rides – Paul Ripkes Mission fürs Radfahren
Mit Birkenstocks auf Rennradtour? Lycra auch ohne Pro-Peloton-Figur? Unrasierte Beine? Pauls Ziel ist es, Menschen mehr Mut beizubringen und Inspiration zu schenken, Neues auszuprobieren und scheinbare Limits zu durchbrechen – das hat bei ihm funktioniert, und es funktioniert auch bei anderen!
Bestes Beispiel: Rennradfahren. Erst vor drei Jahren hat er mit dem Biken begonnen. Als übergewichtiger Mamil mit unrasierten Beinen. Damals vielleicht noch etwas fremd und dilettantisch für die Core-Roadszene, zwei Saisons später ist er nicht nur 30 kg leichter und fitter denn je, crusht mich auf unserem Ride nach Palm Springs, sondern veranstaltet sein eigenes privates Trainingscamp mit Jan Ullrich und Lance Armstrong. Hätte man ihm in den 90ern gesagt, dass er mal mit Ulle und Lance gemeinsam trainieren würde, er hätte es selbst nicht glauben können. Doch nur weil etwas zu einem bestimmten Punkt als unwahrscheinlich oder unmöglich erscheint, heißt es nicht, dass es auch unwahrscheinlich oder unmöglich ist. Im Gegenteil: Stimmt das Timing, ist alles möglich. Stimmt es nicht – so wie bei uns gerade – dann nur mit einer ordentlichen Portion Glück und Durchhaltevermögen!
Zwischen Hölle und Wahnsinn – mit dem Rennrad in der Sauna
Die Stunden nach dem Café-Stop wird wenig geredet. Die Schatten werden immer kürzer und befinden sich irgendwann nur noch unter den Bikes. Wir hangeln uns von Tankstelle zu Supermarkt, bunkern Eis, essen Eis, trinken Ice Tea und alles, was sich kalt anhört oder -fühlt. Könnt ihr euch vorstellen, 16 Liter Wasser zu trinken und nicht einmal in 8 Stunden zu pinkeln? Wir konnten es auch nicht, aber Paul hat es geschafft. Was getrunken wurde, verdunstete – schnell!
Da helfen auch die berühmt berüchtigten Santa-Ana-Winde nicht, auch Teufelswinde oder -hauch genannt, die aus der Wüste kommend uns direkt in die Gesichter blasen. Wenn der Wind wie Umluft im Backofen föhnt, die Bremshebel so heiß werden, dass man eigentlich gar nicht mehr bremsen will, dann weiß man eigentlich – hier hat man nichts zu suchen.
Bergauf dann die Rettung: eine öffentliche Wasserstelle am Rande des Sycamore Canyon Naturparks – Zeit für eine Dusche mit gefühltem Tee-Wasser. Das Thermometer hat die 50°-C-Marke geknackt! Noch mehr Sonnencreme und weiter geht’s. Dass wir immer tiefer in die Hölle kommen, merken wir, als uns eine 3-prozentige Steigung die letzten Körner kostet und wir uns auf die folgende Abfahrt freuen. Zu früh gefreut! Mit zitternden Händen klammern wir uns an die glühenden Bremshebel und bremsen. Nicht weil es die Straße erfordert, sondern weil uns die warme Luft in die Gesichter peitscht und wir ungelogen Schiss haben, in der Abfahrt ohnmächtig zu werden. Im Schneckentempo kriechen wir bergab und haben Glück: Genau an der Kreuzung am Ende der Abfahrt bietet uns eine nette Mexikanerin an ihrem Ständchen mit kühlen Getränken und einer Obstschale mit Tajin und Limón eine vorübergehende Erlösung an. 60° C – das haben viele Saunen auf dieser Welt als Durchschnitts-Temperatur. Fuck! Autos halten immer wieder, um sich trotz Klimaanlage auch eine Abkühlung zu verschaffen. Was würde ich jetzt dafür geben, in einem Auto zu sitzen?
Ist er tot? Der Reiz der Herausforderung
Nach der mexikanischen Versorgungsstation machen wir uns auf weitere 16 qualvolle Kilometer, mit asozialem Gegenwind und leichter Steigung. Selbst die vorbeifahrende Lokomotive hat Mitleid und hupt uns animierend zu. Ich bin am Ende, suche den Schatten, will nicht mehr weiterfahren. Paul, stoisch wie ein Bär (sind Bären das?), will weiter pedalieren – es helfe ja nix.
Irgendwann haben wir dann unseren Lunch-Spot erreicht. Um 16:20 Uhr – mit 3 Stunden Verspätung. Egal, Paul ordert erstmal zwei große Bier für die Moral. Ich hadere mit Krämpfen und muss mich fast übergeben – Erinnerungen an Taiwan und meinen Recovery Hangover-Ride kommen hoch. Dieser Ride ist ähnlich bescheuert, aber anders. Mit einer Temperaturdifferenz von 40° C muss mein unter Sonnenstich leidender Körper erstmal zurechtkommen. Kommt er aber gerade nicht. Während Paul fröhlich die Insta-Community mit neuem Content belustigt, brauche ich erst einmal 15 Minuten. Ich am Arsch, er im Glück – fuck, dieser Typ macht einen echt fertig!
Als ich 15 Minuten später wieder aufwache, hat Paul bereits das nächste Bier geordert und das Essen kommt. Nach einem kurzen Gang auf die Toilette (nein, nicht zum urinieren!) kommen ich und meine Lebensgeister wieder zurück. Wie dumm ist das hier eigentlich? Aber irgendwie auch lustig – und so kichern wir vor uns hin. Dann zeigt er mir den Chatverlauf mit den Kumpels, die wir am morgen nach dem Frühstück haben abdrehen lassen – besorgte Fragen wie: Hast du seinen Puls gecheckt? Ist er tot? Zum Glück können wir jetzt darüber lachen. Warum tue ich mir das an? Diese Frage stellen sich viele Roadies. Irgendwie haben wir eben diesen Hang, uns richtig einen einzuschenken, ans Limit zu gehen und darüber hinaus. Mehr Zeit zum darüber nachdenken bleibt nicht – wir müssen weiter. Draußen sind es noch immer 50° C. Bad news: 30 miles to go!
Timing die Zweite – Margarita-Time!
Mit Freude und Erleichterung erreichen wir das Ortsschild. Dankbar und froh, diesen Trip überlebt zu haben. Ungläubig, was wir alles erlebt und bewältigt haben. Abenteuer verbinden, und wir hatten die besten Zutaten dafür. Würden wir es noch einmal machen? Vermutlich nicht. Können wir es irgendjemandem empfehlen? Definitiv nicht!
Hatte Paul nicht vorhin erst über die Wichtigkeit von Timing gesprochen? In unserem selbstgemachten Abenteuer, in dem wir wider jede Vernunft und Timing die ungünstigste Zeit herausgesucht hatten – und das perverserweise irgendwie auch genossen – haben wir auch auf den letzten 30 Meilen die Gunst der Stunde verpasst.
Als ob das Leiden in der Hitze nicht genug gewesen wäre, wurde ich mit meinen superleichten Race-Reifen (selbst Schuld!), von denen ich mir einen marginalen Vorteil erhoffte, vom schlechten und mit Glasscherben, Nägeln und Dreck übersäten Asphalt bestraft.
Vor allem die letzten Meilen in Richtung Palm Springs waren ziemlich beschissen – erst fuhren wir auf einer alten Autobahn mit aufgebrochenem Asphalt und derart vielen Schlaglöchern, dass man springen musste wie ein Trottel – bis der Rücken weh tat. Als ob wir noch nicht genügend gelitten hatten. Zumindest passierten wir einen weiteren Shop und konnten uns abermals ein Eis gönnen.
Nach der alten Autobahnstrecke blieb uns keine andere Möglichkeit, als tatsächlich auf den Highway abzubiegen – zum Glück nur für einen Kilometer und mit großzügigem Seitenstreifen mit allerlei Müll, LKW-Reifenfetzen und gefährlichem Schnickschnack drauf. Wenn jetzt mein Reifen explodiert, würde mich das auch nicht wundern. Dreimal dürft ihr raten …
Erst war es zu viel, dann zu wenig – die Rede ist vom Sonnenschein. Der ursprüngliche Plan war, am frühen Nachmittag in Palm Springs anzukommen und ein legendäres Abschlussfoto in einem Pool mit zwei Bier und einem High-Five zu knipsen. Denn Palm Springs ist nicht nur bekannt für seine legendäre Mid-Century-Architektur, sondern auch für sein grandioses Licht. Doch wie es sein sollte, kamen wir direkt nach Sonnenuntergang am Ortsschild an. Kraftlos und am Ende. Too late!
So skurril wie es begonnen hatte, endete es auch wieder: Pauls Cousin Lynus hatte uns (schon seit Stunden) mit seinem Auto erwartet, um uns wieder nach Newport Beach zurückzubringen. Da Paul am nächsten Tag nach Europa fliegen musste, blieb keine Zeit für eine Nacht in Palm Springs. Dafür lag das Golfset im Auto – und so folgten ein paar Abschläge in der Wüste. Klavierspielen, Überlebenskampf auf dem Rad, Golfen – klassischer Tag als Roadie, oder? Zumindest für eine Sache stimmte das Timing, bevor wir bei Paul wieder zuhause landeten: Ein Prost auf diesen hirnrissig geilen Tag, und lass uns das nie wieder machen!
Keine Frage: das war sicherlich der hirnrissigste Ride, den wir je gemacht haben. War es zum Kotzen? Safe! War es dennoch geil? Auf jeden Fall! Als Außenstehender kann man Roadies häufig nicht verstehen – irgendwie schaffen wir es, Leiden und Probleme in Spaß und Befriedigung zu verwandeln. Zumindest manchmal und mit etwas Glück. An diesem Tag gelang es uns. Gerade, wenn alle Zeichen gegen einen stehen, lohnt es sich manchmal umso mehr, sich durchzubeißen. Wie heißt es doch so schön: In schwierigen Zeiten werden die größten Heldengeschichten geschrieben.
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Text: Robin Schmitt Fotos: Robin Schmitt, Paul Ripke, Lynus Dosch