Disclaimer: Die folgende Story beruht auf Erlebnissen professioneller Stuntmen und Genusstrinkern. Bitte nicht nachmachen!

Heldengeschichten im Radsport enden meist mit einer Champagnerdusche. Unsere Geschichte begann mit zwei Flaschen Whisky und Sake und endete 160 km später in der Rush Hour von Taichung.

Ok wir geben’s zu. Eigentlich waren wir gar nicht zum Rennradfahren in Taiwan, sondern um mit MERIDA – dem zweitgrößten Bike-Hersteller der Welt – für unser Schwestermagazin E-MOUNTAINBIKE über deren neues E-MTB eine Entwicklungs-Story über deren neues E-MTB zu produzieren. Und dazu gehörte der ganze Ablauf, von der Besichtigung der Produktion, über Meetings mit Zulieferern bis hin zu einem Business-Recovery-Ride auf den schönen Straßen im westlichen Teil Taiwans im Zentralgebirge Zhongyang. Dumm nur, dass unser Recovery-Ride am Tag nach einem langen Zulieferer-Meeting stattfand … an dieser Stelle feuchtfröhliche Grüße an Skinny Frank von MAXXIS, der am nächsten Tag nicht Rennradfahren musste!

Recovery-Ride mit Hangover

Meetings mit Zulieferern sind in vielen asiatischen Ländern oftmals kein Spaß (außer man zählt sich zum Kreise der anonymen Alkoholiker oder hält den Guinness-Rekord im Maß-Saufen auf dem Oktoberfest), denn neben der Pflege der Geschäftsbeziehung dienen solche Meetings oftmals auch dem Aushandeln von Sonderkonditionen – wer unter Alkoholeinfluss seine Sitten bewahrt und verlässlich bleibt, gewinnt an Ansehen und Vertrauen. In vino veritas – das wussten bereits die Römer. In Taiwan trinkt man jedoch gerne mit mehr Umdrehungen um die Wahrheit.

Nun ja, nach einem langen Interkontinentalflug und super spannenden wie intensiven Tagen in der MERIDA-Factory war unser Plan, den Business-Trip mit einem entspannten Ride zum Sun Moon Lake ausklingen zu lassen … – bis die spontane Einladung zum Business-Dinner mit MAXXIS kam. An unserem ursprünglichen Plan, uns am Samstag früh um 6 Uhr zum Rennrad-Ride zu treffen, hielten wir natürlich fest – schließlich hatten unsere taiwanesischen Freunde von MERIDA bereits alles organisiert.

Nach dem feuchtfröhlichen Geschäftsdinner und einem Absacker mit Regenschirm klingelte nach 4 Stunden Schlaf der Wecker: Recovery-Ride? Scheisse. Ich für meinen Teil hatte gefühlt noch 1,5 Promille: Wer hatte sich diesen Mist ausgedacht? Naja, ausgemacht war ausgemacht. Und so trafen wir uns mit dem taiwanesischen MERIDA-Sales-Manager Frank und dem MERIDA-Marketingmanager Cash, beide gänzlich unversehrt von unserem geselligen Dinner. Jap, in Taiwan gibt man sich jeweils noch zusätzlich einen westlichen Namen, damit die Westler es einfacher mit der Ansprache haben und keine Hieroglyphen in die dafür schmerzlich vermissten Tastaturtasten hauen müssen: Namen wie Whisky oder King Leo begegneten uns während der Reise auch. Bereits beim Start war klar: Das wird kein Recovery-Ride, sondern ein Hangover-Ride. Nicht nur Mama, sondern auch unser Hausarzt würden fluchen, wenn sie wüssten, was wir da gemacht hatten… Aber heißt es nicht, dass man den Alkohol herausschwitzen kann?

Nach kurzen Startschwierigkeiten wie falsch herum getragener Rapha Bib (ja, das Polster saß außen!) rollten wir los. Glücklicherweise war wenig Verkehr, weniger glücklicherweise starteten wir direkt mit einem fiesen 25 km langen Anstieg. Schwitzen bei hoher Luftfeuchtigkeit – wäre man nahe genug an uns dran geblieben, man wäre vermutlich nur von unserer Duftfahne dicht geworden. Heute purzelten nicht die Pfunde, sondern die Promille in unserem Blut.

Überraschenderweise fanden wir unseren Rhythmus, der frische Wind klärte allmählich unseren Geist und nach den ersten 10 km traute ich mich koordinativ, die ersten Bilder zu schiessen. Mit jedem Meter feinem Asphalt schlugen unsere Herzen höher: Ein lebendiges Gefühl kehrte zurück in unsere Glieder, als wir die hügelige Straße entlang schwitzten und im Gegenzug begeistert die Eindrücke aufsaugten: saftig grüne Landschaften im frühmorgendlichen Nebel, Tempel am Straßenrand und Landwirtschaft in den Hügeln – wo sonst sieht und erfährt man schon, wie Ananas und Ingwer angebaut werden?

Nach den ersten 30 km dann ein Stopp an einem Buddha-Tempel, Zeit für Räucherstäbchen und ein kurzes Gebet (wir beteten einfach nur, diesen Tag zu überleben und heile am Hotel wieder anzukommen). Leider hat das Gebet nichts geholfen – zumindest in meinem Fall nicht. Aber dazu später mehr. Leben – wie ihr euch beim Lesen dieser Zeilen vorstellen könnt – tue ich ja noch.

Direkt gegenüber dem Tempel gab es einen Pop-Up-Store von DT Swiss – wer in Taiwan unterwegs ist, sieht sehr viel teures Material und die neuesten Bikes. Das verwundert auch nicht, schließlich produzieren hier sehr viele Marken. Nicht zu Unrecht wird Taiwan als das inoffizielle Zentrum der weltweiten Bike-Industrie bezeichnet.

Zum Rennen Gewinnen konzipiert, zum Ausnüchtern missbraucht: das MERIDA Reacto. Nicht für Letzteres gemacht, hat es dennoch super funktioniert. Aber: Wenn sich der Kopf dreht, helfen die tiefen windanfälligen Felgen nicht unbedingt, die Linie zu halten.

Unser Ziel: der berühmte Sun Moon Lake. Der auf 760 m ü. d. M. liegende See ist das größte Binnengewässer Taiwans und erhält seinen Namen von seiner Form, die am einen Ende der Mondsichel, am anderen Ende der Sonne ähnelt.

Schnee im Urwald und die verflixte Papaya-Milch

Auf dem Weg hinauf passierten wir die Teeplantagen, von denen der berühmte Oolong-Tee kommt, den wir an den Tagen zuvor beim Gespräch mit William Jeng, Senior Vice President von MERIDA, getrunken hatten. Nach einem kurzen Intermezzo im Flachen kam der finale Anstieg – weitere 25 km, in denen sich die Landschaft nochmals änderte: Die üppige Fauna und Flora erinnerte an einen tropischen Urwald.

Wir rollten durch einen dunklen Tunnel. Als wir auf der anderen Seite ausgespuckt wurden, sahen wir eine weiße Straße: Schnee bei diesen Temperaturen? Falsch gedacht: Blüten-Hochsaison!

Mit pochenden Köpfen und triefenden Stirnen erreichten wir den See – statt den direkten Weg zum Restaurant zu nehmen, in dem wir eigentlich unser Mittagessen einnehmen wollten, entschieden wir uns für einen kleinen Umweg: Wenn wir schon mal hier waren, dann wollten wir den See auch richtig sehen und umrunden. Gesagt, getan – in einem flowigen Auf und Ab umfuhren wir den See und legten einen kurzen Stopp ein. Zeit für die Papaya-Milch, die ich mir zuvor im 7-Eleven-Shop gekauft hatte, dachte ich mir. Ich holte sie aus dem Support-Car, mit dem uns Marketingmanager Cash die ganze Fahrt begleitet hatte, und trank das exotische Milchgetränk in gierigen Zügen aus.

Die letzten Kilometer zum Lunchspot ging es dann nur noch bergab – nicht nur die Straße, sondern vor allem mit mir. Mit Bauchweh und Übelkeit setzte ich mich ins Restaurant. An Essen war nicht zu denken. „Ich glaub ich muss mich übergeben“, sagte ich zu meinen Kollegen. „Ja dann mach doch“, kam die Antwort. Gesagt, getan, so führte mich die Restaurantbesitzerin in ihr Hinterhaus, durch das Wohnzimmer hindurch ins Bad. Nach getaner „Arbeit“ bemerkte ich die Dusche – und wie verdammt heiß mir war. Da mir in dem Moment wirklich alles egal war, musste ich nicht lange nachdenken. Und so kam ich frisch geduscht wenige Minuten später zurück zur Mannschaft, die auch nur halbwegs fit ihr Lunch verspeiste. Noch immer in Trance, setzte ich mich zu den Anderen, würgte eine halbe Coke hinunter und hoffte, dass ich weiter rollen könnte. Das tat ich auch – zumindest für fünf Minuten. Und gab dann auf.

Es wäre feige von mir, zu behaupten, dass die Papaya-Milch an meiner Misere und meinem Tourabbruch schuld sei – aber geholfen hat sie sicherlich nicht. In Kombination mit letzter Nacht, zu wenig Schlaf und der Kopfweh fördernden Schwüle wollte mein Körper einfach nicht mehr. Verständlicherweise. Es mag vielleicht alles andere als heldenhaft sein, aufzugeben. Aber wenn man schon eine dumme Sache macht und der Körper streikt, sollte man dann spätestens auf dessen Warnzeichen hören, bevor Schlimmeres passiert.

Klimaanlage und quälende Gedanken

Die Schatten wurden länger. Ich hatte schon längst aufgegeben. Ich saß im klimatisierten Auto und siechte vor mich hin. Wie viel Uhr war es? Ich realisierte, dass es schon früher Abend war – krass, ich musste locker zwei Stunden geschlafen haben! Das Einzige, was ich mitbekommen hatte, waren ein paar quälende Gedanken und Anschuldigungen von mir selbst: Warum hast du es nicht durchgezogen? Bist du ein Weichei? Ich beruhigte mich: Manchmal muss man einfach aufgeben. Was bringt es sich zu schinden? Ich fahre ja für mich und nicht für die Anderen.

Endzeit-Stimmung: ein netter Fingergruß an den Typen mit der Kamera, der frühzeitig aufgegeben hat.

Während ich allmählich zu Kräften zurückkam und hoffte, dass Cash, der das Auto lenkte, mein Schnarchen nicht bemerkt hatte (hatte er sicherlich!), realisierte ich, dass mein Bruder Max gerade zur Höchstform auflief und in der Gruppe das Tempo machte. Das Problem: Taichung wollte einfach nicht näher kommen. Dennoch kämpften sich die Jungs durch und kamen pünktlich zur Rush Hour in Taichung an. Nüchtern und erschöpft stiegen sie am Hotel vom Rad, ich aus dem Auto. Ein kurzes High-Five. Erleichterung machte sich breit: Unsere Gebete wurden doch erhört.

Ob diese Story eine Heldengeschichte ist, darüber kann man sich streiten. Ist eigentlich auch egal. Lustig und eine Mischung zwischen bescheuert und heldenhaft war es allemal. Und Eines ist gewiss: Diese Geschichte eignet sich perfekt als Stimmungsheber beim nächsten Barbesuch. Dann aber vielleicht ohne einen Hangover – pardon – Recovery-Ride am nächsten Tag.

PS: diese Story dient der reinen Unterhaltung. Trinken und Fahren ist absolut nicht empfehlenswert und sollte nicht nachgemacht werden! Diese Story ist natürlich frei erfunden und wurde von professionellen Stuntmen in einem Bollywood-Studio mit Fototapete fotografiert 😉 Ungeachtet dessen, finden alle Taiwan-Fans hier eine Routenempfehlung von dem Ride, der nie stattgefunden hat.


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Text & Fotos: Robin Schmitt