Die Dropper-Post hat die MTB-Sitzrohre erobert und ist im Gravel-Bereich auf dem Vormarsch. Als Matej Mohorič mit einer Dropper-Post Mailand–Sanremo 2022 gewann, schien die Zeit reif für die nächste Rennrad-Revolution. Wird die Dropper-Post jetzt an Straßen-Bikes zur Wunderwaffe oder ist das Konzept zum Scheitern verurteilt? Wir haben nachgedacht, gebastelt und getestet.

„I have destroyed cycling again.“ So ordnete Matej Mohorič im Rausch des Sieges die letzten Kilometer eines denkwürdigen Mailand–Sanremo 2022 ein. Auf der Abfahrt vom Poggio, wenige Kilometer vor dem Ziel, hatte der Slowene attackiert und auf drei kurvigen Kilometern 10 Sekunden Vorsprung auf seine Verfolger herausgefahren. 10 Sekunden, die Mohorič den Sieg und dem Rennsport eine neue Debatte brachten.

Mit einer Dropper-Post gewann Matej Mohorič 2022 das Rennen Mailand–Sanremo. Ist die absenkbare Sattelstütze die nächste Rennrad-Revolution?

Denn nach dem Ziel waren weniger die unbestrittenen Abfahrtskünste Mohoričs das Thema als sein Bike. Das wirkte auf den ersten Blick unspektakulär. Statt auf den Aero-Racer MERIDA REACTO hatte Mohorič auf das aerodynamisch unauffälligere MERIDA SCULTURA gesetzt. Der Hintergrund: Anders als das tropfenförmige Sitzrohr des REACTO verfügt das SCULTURA über ein klassisches rundes Sitzrohr. In dieses Sitzrohr konnten die Mechaniker eine absenkbare FOX Transfer SL Sattelstütze – eine Dropper-Post – integrieren.

Komm, wir spielen Stütze versenken

Mohorič ist kein unbeschriebenes Blatt, was radikale Abfahrts-Lösungen angeht. Er war Pionier der mittlerweile vom UCI-Weltverband verbotenen Supertug-Position, bei der die Fahrer auf dem Oberrohr kauernd der Physik bis zu 135 Watt abtrotzen. Mit der absenkbaren Sattelstütze landete er den nächsten großen Coup. „Now I think everyone will start to use dropper posts“, orakelte der Sanremo-Sieger. Stehen wir also nach Scheibenbremsen und Aero-Integration vor der nächsten großen Rennrad-Revolution?

Absenkbare Sattelstützen sind keine Erfindung Mohoričs. An MTBs aller Spielarten ermöglichen sie einen niedrigeren Schwerpunkt, eine schnellere Gewichtsverlagerung und ein sicheres Gefühl auf verwinkelten Trails und steilen Abfahrten. Auch an eher trailorientierten Gravel-Bikes hat die Technik Einzug gehalten. Im MTB-Bereich werden die Stützen über eigene Remote- oder Daumenschalthebel bedient, bei 1-fach-Antrieben ist die Integration in die Brems-Schalthebel möglich. Doch beim Rennrad mit 2-fach-Antrieb?

Aerodynamische Vorteile in steilen Abfahrten dank niedrigerer Sitzposition.

Dropper Posts am Rennrad: nicht schöner, aber schneller?

In Mohoričs Fall frickelten die Team-Mechaniker dem Slowenen einen Drehschalter an den Lenker und verlegten einen extra Zug durch den Rahmen zur Stütze. Mohorič konnte damit seine Sitzposition um ca. 60 mm absenken und sein Gewicht in den schnellen, engen Kurven besser verlagern. Auch aerodynamisch dürfte die Stütze ein Gewinn gewesen sein. An die Wattvorteile der Supertug-Position reicht sie nicht heran, aber eine um 60 mm niedrigere Sitzposition lässt bei hohen Geschwindigkeiten einen spürbaren Vorteil erwarten.

Sind Dropper-Posts am Rennrad das nächste dicke Ding?

Mit einem Gewicht von 337 g (ohne Hebel) ist die Fox Transfer SL natürlich schwerer als ihre starren Gegenstücke aus Carbon. Bei einem World-Tour Team-Bike, das ein Gewicht von 6,8 kg nicht unterschreiten darf, ist das kein Dealbreaker. Teilweise kleben die Mechaniker Blei in die Rahmen, um das Mindestgewicht zu erreichen. Viel spannender ist die Frage, wie sich eine Abfahrt im Sattelstützen-Tiefflug anfühlt und ob sich die theoretischen Vorteile auch ohne die Fähigkeiten eines World-Tour-Profis in KOM-bringende Sekundenvorteile ummünzen lassen. Doch bevor wir unsere Abfahrt-Skills testen können, sind erstmal unsere Mechaniker-Fähigkeiten gefragt. Unser Testkandidat war die 676 g schwere RockShox Reverb AXS XPLR-Dropper-Post. Das Mehrgewicht im Vergleich zur Sanremo-Siegerstütze kommt maßgeblich durch den Akku, dafür müssen wir bei der Montage keine Züge verlegen und hoffen auf eine smarte Integration in das SRAM AXS-Schaltsetup.

Klassische Stütze vs. Reverb AXS XPLR-Dropper-Post: Die Basis für die Dropper-Post ist ein rundes Sitzrohr mit einem Durchmesser von 27,2 mm.

RockShox Reverb AXS XPLR-Dropper-Post: Rennrad-Setup im Selbstversuch

Für unseren Praxistest haben wir uns für ein Specialized Aethos mit der aktuellen SRAM Force AXS-Gruppe entschieden. Das runde Sitzrohr ermöglicht den einfachen Tausch der Standardstütze gegen die funkgesteuerte RockShox Reverb AXS XPLR-Dropper-Post. Doch ab hier ist leider Schluss mit einfach. Der Knackpunkt sind die Wireless-Blips von SRAM. Die neueste Generation der kabellosen Zusatzschalter lässt sich frei am Cockpit verteilen und gibt Schaltbefehle an die AXS-Schalthebel und von dort an Schaltwerk und Co. weiter. Eine AXS Dropper-Post damit anzusteuern, sollte theoretisch kein Problem sein und funktioniert in unserem Test auch. Aber ihr ahnt, was kommt: SRAM empfiehlt dieses Setup offiziell nicht.

Hintergrund: Die Dropper-Post braucht ein kontinuierliches, langes Signal zur Auslösung. Die Blips senden, selbst wenn man sie gedrückt hält, nur ein kurzes, einmaliges Signal. Dies reicht, um Schaltvorgänge einzuleiten, jedoch nicht, um die Dropper-Post sicher anzusteuern. Dies ist ärgerlich, da das Setup aus Wireless-Blips in Kombination mit den neuen AXS-Gruppen ergonomisch und optisch überzeugt.

Der offizielle Weg zum grenzenlosen Dropper-Post-Glück ist da ungleich steiniger. Per Multi-Clic-Schalter und Wireless-BlipBox lässt sich ein autarkes Ecosystem aufbauen, das unabhängig von der Schaltgruppe funktioniert und die Dropper-Post zuverlässig aktiviert.

Sehen so Sieger aus? Das Specialized Aethos mit der RockShox Reverb AXS XPLR-Dropper-Post.
Sieht martialisch aus – die BlipBox unterm Vorbau.
Sieht deplatziert aus – der Multi-Clic-Schalter wäre in den Drops besser aufgehoben.
Sieht klobig aus – der Akku der 676 g schweren RockShox Reverb AXS XPLR-Dropper-Post.

Fans integrierter Zugführungen werden sich mit der Lösung schwer tun. Die BlipBox unterm Vorbau und die Kabelverbindung zum Multi-Clic-Schalter sehen verdächtig nach Baumarktbastelei aus. Auch ergonomisch hat das Setup ein Manko. Der Schalter ließ sich in unserem Test nur am Oberlenker und nicht in den Drops montieren. Leider ist das jedoch genau die Griffposition, die auf den Abfahrten, auf denen die Dropper-Post ihre Vorteile ausspielen kann, Sinn macht.

Mohorič verzichtete bei seinem Setup auf Wireless-Technik und setzte auf eine Dropper-Post, die klassisch über einen Kabelzug bedient wird. Hier ist die Herausforderung die Verlegung eines extra Kabels im Rahmen.
Es gibt also unterschiedliche Setup-Möglichkeiten. Doch Hand aufs Herz, nur die Integration einer funkgesteuerten Dropper-Post über Wireless-Blips in eine SRAM AXS-Gruppe ergibt bei 2-fach-Antrieben optisch und ergonomisch Sinn. Der Hoffnungsträger aller Dropper-Post-Groupies heißt Firmware-Update. Mit der AXS-Technologie und der Wireless-Plattform hat SRAM alles, was es braucht, um die Funk-Sattelstütze elegant in den eigenen Komponenten-Kosmos zu integrieren. Warum SRAM diesen Trumpf noch nicht ausgespielt hat, bleibt ein Rätsel.

In engen, schnellen Kurven wird das Bike leichtfüßiger. Allerdings macht der fehlende Kontakt zum Sattel das Handling anspruchsvoller.

Die RockShox Reverb AXS XPLR-Dropper-Post: Kriegt sie die Kurve?

Doch genug gebastelt. Denn jetzt geht’s bergab und wir setzen zur Attacke an. Auf Knopfdruck rauscht die Stütze herunter, und wir stürzen uns in die erste Kurvenkombination. Was sofort auffällt, ist der Zugewinn an Bewegungsfreiheit. Das Bike lässt sich in engen aufeinanderfolgenden Turns spielerisch hin- und herbewegen und fühlt sich lebendig und leichtfüßig an. In langgezogenen Kurven mit großen Radien kann sich die Dropper-Post hingegen nicht absetzen. In beiden Fällen wird das Fahrverhalten anspruchsvoller. Der fehlende Kontakt zum abgesenkten Sattel macht es schwerer, Position und Kurvenlage richtig einzuschätzen und sorgt erstmal für feuchte Hände statt für entspanntes Handling.

Neben dem Handling schielen wir natürlich auch auf den aerodynamischen Vorteil in schnellen Abfahrten. Die niedrigere Position macht hier einen Unterschied. Tiefergelegt holen wir bei extremen Abfahrten ein paar km/h raus – allerdings auch nur, solange wir zwischendrin nicht treten müssen. Wir sind also schnell unterwegs, aber in einer sehr engen Nische.

Dropper-Post am Rennrad – Querschnittsdenker gesucht

Einigen Produktmanagerinnen oder Designern dürften beim Anblick des Sanremo-Siegerrades 2022 die Tränen gekommen sein. Die aktuelle Rennrad-Ästhetik ordnet sich dem Dogma der aerodynamischen Optimierung unter. Keine Neuvorstellung ohne Berechnungen von Wattersparnissen bei 45 km/h, keine Sattelstützenklemmung, die nicht noch raffinierter integriert ist, kein Rohrprofil, das nicht im Windkanal getestet wurde. Die absenkbare Sattelstütze ist die Antithese zur Aero-Ästhetik. Sie macht das Rad manchmal schneller, aber nie schöner. Sie war die erste ihrer Art, die ein World-Tour-Rennen gewonnen hat, aber auf absehbare Zeit wird sie die letzte bleiben. Dabei wird am Ende weniger die Frage nach Handling- oder Aero-Vorteilen das Schicksal der Dropper-Post am Rennrad besiegeln. Vielmehr ist ihr natürlicher Lebensraum, das runde Sitzrohr mit einheitlichem Durchmesser, vom Aussterben bedroht.

Die Sattelhöhe zu verstellen, ist die wahrscheinlich simpelste Form des Bike-Fittings. Dies während der Fahrt über einen Hebel am Lenker zu tun und damit ein Monument des Radsports zu gewinnen, war ein einzigartiger Coup. Einzigartig auch deshalb, weil es keine Nachahmer gab. Giro, Tour und Vuelta wurden ausnahmslos auf starren Stützen gefahren, und bei den meisten aktuellen High-End-Bikes passt die absenkbare Stütze weder ins Sitzrohr noch in die Designphilosophie.

Helm Specialized S-Works Prevail 3 | Shirt Maap Training Jersey | Shorts Maap Training Bib 3.0 | Socken Maap Training Sock


Die Dropper-Post am Rennrad ist etwas für Bastler und Freigeister, die Freude daran haben, ein Rad auf ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse abzustimmen oder aber im absoluten Grenzbereich auf Sekundenjagd zu gehen. Als individueller Gegenentwurf zum Aero-Einheitsbrei verdient sie es aber, weiter gedacht zu werden. Die kabellose Integration in ein bestehendes Schalt-Setup wäre dabei ein Schritt, um die Dropper-Post auch Nicht-Profis zugänglich zu machen. Mohorič trat übrigens 2023 bei Mailand–Sanremo wieder mit einer Dropper-Post an und wurde Achter.


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Text: Nils Hofmeister Fotos: Julian Schwede, Sprint Cycling Agency, MERIDA Europe