Leichter, steifer, schneller, einfach besser? Wir waren mit Specialized und der neuen Allzweck-Aero-Waffe Tarmac SL8 2024 bei den World Championships in Glasgow und haben das Race-Bike auf Herz und Nieren getestet. Ist das SL8 der nächste große Schritt oder eher eine Evolution des SL7?

Specialized S-Works Tarmac SL8 | 6,85 kg in Größe 56 | 14.000 € | Hersteller-Website

Wer Specialized fährt, fährt Superlative, zumindest in Sachen Marketing. Doch ist das Specialized Tarmac SL8 wirklich die Race-Bike-Revolution? Specialized geht mit dem Bike, ganz getreu dem Motto „One Bike to Rule Them All“, weiter in Richtung Allround-Race-Bike. Doch diesmal so richtig. Das Ziel des SL8? Nicht nur das leichteste, sondern auch mit das schnellste Bike im Peloton zu werden. Das Steuerrohr vom Venge und ein Aethos-Tretlager sollen das Meisterstück vollbringen. So wiegt der Rahmen laut Specialized weniger als 700 g und ist ganz nebenbei noch schneller als die, zugegebenermaßen in die Jahre gekommene, Aero-Waffe Venge.
Wir konnten das 14.000 € teure S-Works Tarmac SL8 im Rahmen der Weltmeisterschaften im schottischen Glasgow testen. Regen und kühle Temperaturen haben uns nicht aufgehalten, und so haben wir das Bike durch die schottischen Lowlands und über die UCI-Rennstrecke gejagt. Das Rennen um die letzten Sekunden haben wir lieber den Profis überlassen, den Nervenkitzel an der Ziellinie, die Atmosphäre der radverrückten Stadt und das Feiern mit Gleichgesinnten haben wir uns aber natürlich nicht entgehen lassen.

Specialized Tarmac SL8 2024: Als Allrounder noch am Puls der Zeit?

Schon mit dem Release des Tarmac SL7 hat Specialized das Venge, und damit Aero-Bikes totgesagt. Doch auch drei Jahre später scheint die Memo noch nicht bei allen Herstellern angekommen zu sein. Getrennte Rollen sind wieder cool, und neue Bikes gehen getrennte Wege. Das Factor O2 VAM sowie das neue Orbea Orca setzen voll auf Leichtbau, Scott zielt mit dem Foil auf die ganz schnellen Fahrer*innen, dafür hält Cannondale mit dem neuen Supersix am Allround-Race-Bike-Trend fest. Klar, Specialized hat das Aethos, aber das als Race-Bike zu bezeichnen, ist wohl etwas weit hergeholt.
Die Frage ist also, passt ein Allrounder noch ins Bild? Die ursprüngliche Argumentation steht und macht weiterhin Sinn. Ganzheitlich betrachtet sind Allrounder wohl die schnelleren Bikes, den Spezialisten im jeweiligen Gebiet aber unterlegen. So macht es vielleicht mehr Sinn, das passende Bike zu wählen anstatt auf die Allzweckwaffe zu setzen, wie es die Profis von Jumbo-Visma gerne zur Schau stellen.
Doch für uns Hobbyfahrer ist die Wahl nicht immer einfach, und die Qual der Wahl zwischen mehreren Bikes haben nur wenige von uns. Warum also nicht das Schweizer Taschenmesser unter den Bikes? Oder vielleicht doch der kompromisslose Spezialist?

Specialized Tarmac SL8 2024: Mehr Evolution als Revolution?

Dass SL7 und SL8 in die gleiche Richtung gehen, sieht man direkt, zumindest optisch hat sich außer dem deutlich tieferen Steuerrohr nicht viel getan. Doch wie lässt sich der Claim von leichteren, steiferen und natürlich schnelleren Bikes untermauern? Kurz: Leichtbau-Kenntnisse vom Aethos, „neue“ alte Aero-Erkenntnisse und ein optimiertes Carbon-Layup bilden das Rezept für das neueste Race-Bike von Specialized.
Die Aerodynamik wurde dabei vor allem an drei Punkten verbessert. Die größte und markanteste Änderung findet am Steuerrohr statt. Wie bereits vom Venge und den Aero-Bikes von 3T und Cannondale bekannt, steht das Steuerrohr weiter nach vorn heraus. Dadurch lässt es sich etwas spitzer gestalten und sorgt für einen cleanen Übergang zwischen Oberrohr und Unterrohr.

Tiefer und mit einer dicken Nase, so soll der Luftstrom an der Front elegant am Bike vorbeigeführt werden.
Das Oberrohr und Teile des Unterrohrs sitzen im Windschatten und sind laut Specialized nicht ganz so wichtig für die Aerodynamik.

Die zweite große Änderung ist das One-Piece-Cockpit. Bereits kurz vor Release veröffentlicht, passt das neue Roval Rapide-Cockpit auch an das alte Tarmac SL7, das ausschließlich mit einer klassischen Vorbau-Lenker-Kombination erhältlich war, und spart im Vergleich zum Oldschool-Vorgänger bis zu 4 Watt. Verbaut wird das Cockpit allerdings nur an den S-Works-Modellen. Zwar eine coole Neuerung mit viel Kraftersparnis, sind One-Piece-Aero-Cockpits mittlerweile aber nichts Neues mehr an Road-Bikes und schon seit einigen Jahren fest etabliert.
Weitere Aero-Benefits findet Specialized am Heck, so erlauben die neuen UCI-Regeln dünnere Sitzstreben und ein Sitzrohr so schmal wie die Sattelstütze vom SL7. Den Akku für Shimano Di2-Schaltungen steckt Specialized damit ins Sitzrohr unter die Sattelstütze.
Diese kleinen Änderungen sind es, die das neue Tarmac SL8 etwas runder und auch optisch schneller machen. Im direkten Vergleich zum Venge soll das Bike auf 40 km 16,6 Sekunden sparen, immerhin eine stattliche Leistung, ist das Venge doch noch ein waschechtes Aero-Bike. Insgesamt halten sich die Aero-Änderungen aber im Rahmen und vermitteln eher das Gefühl einer Evolution statt einer echten Revolution.

Aethos oder das neue Specialized Tarmac SL8? Am Bereich ums Tretlager ist klar, wo sich das Tarmac inspirieren lässt.
Sieht nicht nur schick aus, sondern spart auch richtig Watt. Immerhin bis zu 4 Watt im Vergleich zum Vorgänger am Tarmac SL7.
Schmal und rund, das trifft sich am Heck des Specialized Tarmac SL8 ganz gut, und ist vom Aethos inspiriert.

Aethos Know-how: Die neue DNA im Specialized Tarmac SL8 2024

Der echte Sprung nach vorn ist dagegen beim Gewicht gelungen, gerade mal 685 g soll ein 56-er S-Works-Rahmen in der leichtesten Lackierung Satin Carbon / Chameleon Snake Eye wiegen – immerhin etwas mehr als 100 Gramm leichter als der Vorgänger – so viel wie eine Tafel Schokolade.
Know-how aus der Specialized Aethos-Entwicklung soll das unglaublich leichte Gewicht ermöglicht haben. So ist laut Chefentwickler Peter Denk der Bereich ums Tretlager nahezu identisch zum Aethos. Unterrohr, Sitzrohr und Kettenstreben sind direkt vom Leichtbau-Renner abgekupfert und haben ordentlich Gewicht eingespart.
Daneben wurde das Carbon-Layup perfekt durchgespielt, immerhin 55 virtuelle Iterationen am Specialized-Supercomputer haben die Amerikaner gebraucht, um das ideale Layup zu finden.
Am Ende ergibt das einen der leichtesten Race-Bike-Rahmen am Markt. Ein voll aufgebautes Bike soll so tatsächlich an das UCI-Gewichtslimit von 6,8 kg kommen, für ein Allround-Race-Bike eine echte Revolution.
Mit dem gleichen Prozess findet Specialized für alle Größen und Rahmenvarianten das jeweils perfekte Carbon-Layup, welche damit besser an die auftretenden Belastungen angepasst sein sollen. Als weiteres Benefit soll das neue Tarmac SL8 in Sachen Fahrqualität und Handling bisherige Tarmac-Dimensionen sprengen. Und das ist nicht zu tief gestapelt, vor allem am Heck ist das Bike sehr ausgeglichen und nimmt Vibrationen sauber auf. Auch auf den schlaglochübersäten Straßen im schottischen Hinterland performt das Bike so richtig gut. Lediglich das Aethos ist noch etwas leichter und komfortabler.

Alles beim Alten – Die Geometrie des neuen Specialized Tarmac SL8 2024

Never change a running System – das hat sich auch Specialized gedacht und lässt die Geodaten des Tarmac SL8 vollkommen unangetastet Im Vergleich zum Vorgänger. Eine gute Entscheidung, denn das Tarmac ist bekannt für sein direktes und agiles Fahrverhalten, und wohl auch deswegen ein so beliebtes Race-Bike.

Größe 44 49 52 54 56 58 61
Sitzrohr 435 mm 447 mm 458 mm 475 mm 496 mm 517 mm 547 mm
Oberrohr 496 mm 509 mm 531 mm 541 mm 563 mm 577 mm 595 mm
Steuerrohr 93 mm 102 mm 113 mm 131 mm 151 mm 178 mm 198 mm
Lenkwinkel 70.50° 71.75° 72.50° 73.00° 73.50° 73.50° 74.00°
Sitzwinkel 75.50° 75.50° 74.00° 74.00° 73.50° 73.50° 73.00°
Kettenstrebe 410 mm 410 mm 410 mm 410 mm 410 mm 410 mm 410 mm
BB Drop 74 mm 74 mm 74 mm 72 mm 72 mm 72 mm 72 mm
Radstand 970 mm 973 mm 975 mm 978 mm 991 mm 1,006 mm 1,013 mm
Reach 369 mm 378 mm 383 mm 387 mm 398 mm 405 mm 411 mm
Stack 491 mm 504 mm 517 mm 534 mm 555 mm 581 mm 602 mm

Alle Modelle des neuen Specialized Tarmac SL8 2024 im Überblick

Vorneweg: Für alle Liebhaber einer knackigen mechanischen Schaltgruppe – das Tarmac SL8 ist leider nichts für euch. Sowohl Rahmen als auch das Roval Rapide-Cockpit sind ausschließlich mit elektronischen Gruppen kompatibel. Passt aber auch zu den Preisen, denn wie vom „Big S“ gewohnt, muss man für die Bikes tief in die Tasche greifen.
Das Einstiegsmodell Tarmac SL8 Expert mit SRAM Rival AXS gibt es für 6.500 €, das Topmodell S-Works Tarmac SL8 mit Shimano DURA-ACE Di2 oder SRAM Red eTap AXS für schlappe 14.000 €. Dafür kommt das S-Works-Modell aber auch schon ab Werk mit dem neuen Roval Rapide-Cockpit und einem Powermeter. Alle anderen Modelle setzen auf das Cockpit vom Vorgänger Tarmac SL7. Preislich bleibt Specialized auch dem Vorgänger treu, verzichtet aber vorerst auf das günstigere Comp-Modell.
Etwas teurer gestalten sich dagegen die Framesets. Für S-Works-Rahmen verlangt Specialized 5.500 €, und ein normaler Tarmac SL8-Rahmen kostet ganze 4.000 €.

Specialized S-Works Tarmac SL8 Di2
Specialized Tarmac SL8 PRO UDi2
Specialized Tarmac SL8 PRO eTAP
Specialized Tarmac SL8 Expert

Übersicht der Specialized Tarmac SL8-Modelle

Modell Rahmen Schaltgruppe Laufräder Herstellergewicht in Größe 56 Preis
S-Works Tarmac SL8 Di2 FACT 12r Carbon Shimano Dura-Ace Di2, 2 x 12 Roval Rapide CLX II 6,62 kg 14.000 €
S-Works Tarmac SL8 eTAP FACT 12r Carbon SRAM Red eTAP AXS, 2 x 12 Roval Rapide CLX II 6,85 kg 14.000 €
Tarmac SL8 Pro UDi2 FACT 10r Carbon Shimano Ultegra Di2, 2 x 12 Roval Rapide CL II 7.16 kg 9.000 €
Tarmac SL8 PRO eTAP FACT 10r Carbon SRAM Force eTAP AXS, 2 x 12 Roval Rapide CL II 7,44 kg 9.000 €
Tarmac SL8 Expert FACT 10r Carbon SRAM Rival eTap AXS, 2 x 12 Roval C38 7.77 kg 6.500 €
S-Works Tarmac SL8 Rahmenset FACT 12r Carbon 1,41 kg 5.500 €
Tarmac SL8 Rahmenset FACT 10r Carbon 1,69 kg 4.000 €

Das Specialized Tarmac SL8 2024 im ersten Test

Vorneweg: Wir haben hohe Erwartungen an das neue Specialized Tarmac SL8, und das Setting rund um die Weltmeisterschaften im schottischen Glasgow heizt die Vorfreude auf das Bike nur noch weiter an.
Doch als eines der beliebtesten und bekanntesten Race-Bikes müssen sich nicht nur alle anderen Bikes mit dem Tarmac messen. Auch das neue SL8 darf sich nicht vor dem Vorgänger verstecken müssen, gleichzeitig steht noch immer das alte Venge im Raum. Kann das Aero-Bike nun endlich in den wohlverdienten Ruhestand gehen?
In Sachen Aerodynamik fühlt sich das Tarmac SL8 schnell an, auch durch die tiefen Roval-Felgen und schnellen Specialized Turbo-Reifen rollt das Bike unglaublich flott. Den krassen Speed-Faktor, den viele Aero-Bikes haben, lässt das Tarmac allerdings etwas vermissen. Durch das flexible Heck entkoppelt es den Fahrer vom Asphalt und fliegt nahezu über Schlaglöcher und Unebenheiten, mit Sicherheit eines der komfortabelsten Bikes im Peloton!

Tuning Tipp: Für die günstigeren Modelle das Roval Rapide-Cockpit nachrüsten

Ansonsten bleibt das SL8 der Tarmac-DNA treu, lässt sich bereitwillig steuern, wird aber keinesfalls nervös oder unruhig. Bei höheren Geschwindigkeiten überzeugt das Bike mit einem stark ausgeprägten Geradeauslauf und im Antritt durch das unglaublich geringe Gewicht.
Schenkt man den Specialized-Zahlen zum Bike Glauben, ergibt sich wohl das erste Road-Bike, das dem Allround-Aero-Gedanken gerecht wird. Aero-Performance, die so manchem Aero-Renner Konkurrenz macht, gepaart mit einem Gewicht nahe dem UCI-Gewichtslimit von 6,8 kg, machen das SL8 nicht nur zum verdienten Nachfolger des SL7, sondern es löst auch endlich das schnelle Venge auf dem Specialized Speed-Thron ab.

Racer und Zahnärzte – Für wen ist das Specialized Tarmac SL8?

Race-Bike oder Show-Bike vor der Eisdiele? Das Specialized Tarmac SL8 kann beides. Das Handling ist wie vom Vorgänger gewohnt präzise und gewissermaßen verzeihend, erfordert daher nicht unbedingt eine erfahrene Hand und ist auch für Anfänger und weniger fitte Rider eine sichere Wahl. Dank der verbesserten Compliance ist das SL8 auch für entspannte Kaffeefahrten geeignet und strahlt mit fettem S-Works-Schriftzug pure Anziehungskraft aus. Specialized Tarmac SL8 steht auch zukünftig synonym für ein Objekt der Begierde für Racer und tiefe Taschen und natürlich für die Glücklichen, die beides haben.

Fazit zum Specialized Tarmac SL8


Das neue Specialized Tarmac SL8 2024 ist hier, und … ist dem SL7 ziemlich ähnlich, vor allem im Vorbeifahren kann man die beiden Bikes wohl kaum unterscheiden. Was als Revolution gedacht war, entpuppte sich dabei eher als Evolution und Rahmen-Mix. Doch darin steckt die Finesse am neuen Tarmac SL8: Top-Level-Aerodynamik und minimales Gewicht machen das Bike nicht nur zum ersten echten Alleskönner, sondern auch zum wohl schnellsten Bike im Peloton.

Tops

  • schickes und ergonomisches Roval One-Piece Rapide-Cockpit
  • fahrbereite Komplett-Bikes mit tatsächlichen 6,8 kg

Flops

  • leider kommt nur das S-Works-Modell mit dem neuen Roval Rapide-Cockpit

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Text: Calvin Zajac Fotos: Calvin Zajac, Specialized

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