Orbit360 ist anders als andere Rennserien. Nicht nur für Ultracyclists und Profi-Bikepacker gemacht, sondern für alle, die Bock auf Gravel-Biken haben. Beim Hauptevent, dem Gravity Bike Festival, lernt sich die Community kennen, bikt zusammen und taucht in eine spannende Welt ein. Wie sich das anfühlt, erfahrt ihr hier!

„Sonne, Fun und Sand.“ Was sich nach Hängematte, Piña Colada und dem Geruch von Sonnencreme anhört, ist hier etwas ganz anderes: abgekämpfte Beine, angenehmes Rennflair, nette Community, Talks und Know-how, Entspannung, Musik – ja, und letztlich doch auch Hängematte und Drinks. Und Sand, ganz viel Sand. Doch der bringt so manche Orbiter hier auf dem Festival im brandenburgischen Schlaubetal an ihre Grenzen. Was das Gravity Bike Festival so besonders macht, ob Gravel einfach nur ein Hype ist und ob ihr 2023 auch dem Ruf von Veranstalter Raphael Albrecht folgen solltet, erfahrt ihr jetzt.

Die Orbit360-Serie – Was ist das und ist das vielleicht was für euch?

Orbiter. Das sind Radfahrer, die – der Name lässt’s erahnen – kreisförmige Runden fahren. Und zwar keine gewöhnlichen. Orbit360 ist eine Gravel-Serie der Extraklasse: 18 Gravel-Strecken, durch jedes deutsche Bundesland mindestens eine, mit einer Streckenlänge zwischen 125 km und 296 km. Falls ihr euch gerade nach den vertikalen Werten fragt: Zwischen 710 hm und 4.100 hm lassen sich auf den diesjährigen Orbit-Runden erklimmen. Als Fahrer kann man aus diesen 18 Tracks so viele fahren, wie man möchte. Um in die Wertung einzugehen, muss man sie in diesem Jahr im Zeitraum zwischen dem 4. Juni und 14. August absolvieren. Gestartet werden kann an jedem Punkt eines sogenannten Orbits, man muss nur eben auch dort enden. Es gelten ein paar Bedingungen wie Fahren im Uhrzeigersinn, durchgehende Zeitnahme, Wertung Solo oder Peloton etc. Sie sind auf der Orbit360-Website in einem Handbuch (das findet ihr hier) im Detail gelistet. Mittlerweile sind die Orbits auch auf die Schweiz ausgedehnt worden, auch sie findet man auf der Orbit360-Website.

Wie ihr im Handbuch erfahren werdet, gibt es ein öffentliches Ranking und ein eigenes Punktesystem. Dabei ist das Rennen gar kein richtiges Rennen. Es gibt wenig Medienrummel, keine Geldprämien, und selbst wenn ein Punktesystem fleißig mitrechnet, ist harter Konkurrenzkampf hier ein Fremdwort. Was zählt, sind Leidenschaft für den Sport, Spaß und ein Hauch Abenteuer. Und natürlich der persönliche Antrieb.

Geboren ist die Idee aus der Not heraus, als im ersten Corona-Jahr kein Bike-Event stattfinden konnte – und das Blut der Ultracyclists ins Stocken geriet: kein Transcontinental Race, kein Atlas Mountain Race, kein Silk Mountain Race, kein Three Peaks Bike Race

Raphael Albrecht befreite sich kurzerhand aus der Starre und stampfte eine unabhängige Gravel-Serie aus dem Boden: Orbit360. Anfangs mit je einer Route pro Bundesland, damit jeder – unabhängig von lokalen Restriktionen – mindestens einen Orbit absolvieren konnte. Im dritten Jahr ist die Serie auf 18 Routen angewachsen, alle sorgfältig gescoutet und zur Verfügung gestellt von Komoot, einem der Partner der Serie. Wer das Ultra-Race-Feeling braucht: Insgesamt ergeben die Routen eine Distanz von 3.500 km und 40.000 Höhenmetern.

Das Schöne ist: Man kann den für sich passenden Orbit aussuchen, es ist kein reines Race-Event für Ultra-Bikepacker. Vielmehr spricht Orbit360 alle an, die gerne Fahrrad fahren und Lust haben, auch mal ungewöhnliche und unbekannte Strecken zu fahren. Vielleicht auch mal ein bisschen länger. Ja, warum nicht?

Für die 3. Serie verspricht Raphael verbesserte Routen, ein neues und spannendes Punktesystem, bei dem die Partner Komoot und VOTEC noch on top Preise auf die Serienpunkte setzen, und jede Menge Abenteuer. Eingeläutet wird die Serie mit einem Festival, dem zweiten nach 2020.

Wir hatten das Glück, beim Festival dabei zu sein und gleich bei der Begrüßung im Naturpark Schlaubetal wurde klar: Hier geht es ums Zusammensein unter Gleichgesinnten, um Biken, aber auch um viel Input, Spaß und Entertainment. Ganz zwanglos im Freizeitgelände mit ein paar Mietbungalows und einer großen Zeltwiese.

Das Event – Per se schon ein eigener Orbit

Betritt man das Gelände, sieht man das detailverliebte Engagement, das hinter dem Festival steckt: Lounge-Möbel, Hängematten und Bänke in der Open-Air-„Mensa“, um locker in Kontakt zu kommen, die vielen Köstlichkeiten zu genießen oder in relaxter Atmosphäre den Vorträgen zu lauschen. Eine aufwendig gestaltete „Dampfkabine“, wie das Team den Raum nennt, in dem DJs einen in die richtige Festival-Mood versetzen, während am kleinen Freiplatz nebenan an der Bar des Partners Craft – wer hätte das gedacht? – Craft-Bier ausgegeben wird.

Und auch die Coffee- und Cold-Drink-Bar der Open-Air-Mensa steht bereit, zusammen mit dem Grillchef, der Veggie-Burger und Potato Wedges zaubert. Ach ja, und zur Freude aller, die per Bikepacking nach längerer Strecke hier angekommen sind: Die Zelte sind alle bereits aufgebaut! Also, Isomatte und Schlafsack rein und ab an die Bar.

Mit dem Glas in der Hand sieht man dann auch die Angebote des Veranstalters und das ausgehängte Programm und wird in erste Gespräche verwickelt. Schnell wird klar: Es geht um mehr als das reine Radfahren. Was sich ziemlich einfach anhört – 18 Routen zur Verfügung stellen – ist harte Arbeit. Neben sorgfältigem Scouten und Prüfen der Routen gibt es jede Menge Rechen- und Medienarbeit, Organisation und Verwaltung, die kurz vor dem Festival ihren Zenit erreicht. Wir wollten von Raphael wissen, wie viel Zeit er mit seinem Team in die Vorbereitung gesteckt hat. „Puh, besonders intensiv war es die letzten 3 Monate“, erklärt uns der Gründer der Serie. „Support haben wir von einem rund 25-köpfigen Team aus Freunden und Familie erhalten.“ Wobei Raphael, wie wir erfahren, bis 2 Tage vor dem Event alles selbst plant und das Team dann für Auf- und Abbau sowie operationelle Dinge während des Festivals zur Seite steht. Und das mit Leidenschaft, wie wir spüren können. Auch die nächste Saison hat Raphael schon fest im Blick und plant bereits Sponsorengespräche und neues Scouting: „Wir freuen uns einfach riesig, wenn die Community wächst und den Spaß am Graveln und dem Austausch teilt.“ Wie man sieht, muss man dazu nicht mal um die Erde fliegen.

Am nächsten Tag dann der Startschuss für die Serie 2022. Der erste Orbit hier in Brandenburg wirkt auf den ersten Blick vergleichsweise smooth mit 126 km und 710 hm – man will ja noch das angebotene Entertainment an diesem Wochenende wahrnehmen. Wobei sich schnell zeigt, was smooth heißt: Wir schauen den Pros und Ambitionierten fasziniert zu, wie sie sich an der Startlinie aufstellen und locker plaudern, ehe sie beim Startschuss lospreschen. Klar, wir wollen von Raphael wissen, welchen Teilnehmenden er besonders viel zutraut. „Meine Teamfahrer und -fahrerinnen Marion Dziwnik und Thorben Haushahn werden hier ganz vorne mit dabei sein“, meint er und ergänzt: „Vorjahressieger Marius Karteusch wird die Serie auch wieder fahren. Allerdings ist er hier nicht dabei, weil er gerade in Kansas beim Unbound Gravel auf den 2. Platz gefahren ist.“

Wir reihen uns gemütlich hinten ein und schon im ersten Streckenabschnitt kommt ein Gefühl auf … completely on fire! Wiesen und schmale Waldtrails, die sich im sanften Auf und Ab durch das brandenburgische Bachtal schlängeln – ja, auch hier gibt’s „Höhenmeter“!

Pfade, mit einer dicken Schicht Kiefernadeln und Hölzern bedeckt … so mancher wechselt da schon mal seinen Schlauch … Aber hey, hier sind alles Kollegen und man hat die Qual der Wahl an leistungsstarken Pumpen, die plötzlich vor der Nase winken. Pump it, baby. Schließlich braucht man genug Power, um durch all den tiefen Sand zu treten, der hier urplötzlich immer wieder auftaucht. Zum Glück wird die Binnendünenlandschaft auch immer wieder unterbrochen durch Schotterwege und Pflasterstrecken, die jede verklebte Rückenfaszie lockerschütteln.

Ja, einfachen Waldboden und seltenen Asphalt gibt’s auch – pedalieren, pedalieren, Speed generieren!

Die Bikes – hier sind sie voll in ihrem Element, ob Gravel-Bikes oder Hardtail-Mountainbikes. Egal welches Rad, es begleitet einen wie ein treuer Hund im leisen Freilauf, freut sich über Gelände, Luft und auch mal etwas Matsch. Und wenn sich ein riesiges Panorama auftut, bleibt es kurz ungläubig stehen – „Das darf ich alles belaufen?“–, bevor es sich ins Vergnügen stürzt. Das kann auch mal ein Uphill-Vorwärtsschieben durchs Gestrüpp im dichten Wald sein, wenn man vor lauter Begeisterung zu spät zurück aufs Navi schaut …

Während die Ambitionierten nach Bestzeiten jagen, nehmen wir kurze Pausenmöglichkeiten dankend an, verlockende Locations gibt es ja. So kommen wir dann am frühen Nachmittag am Festival-Platz zurück, wo sich die Bestplatzierten bereits im See oder der Außendusche abkühlen. Oder bei einem Bier. Das alles nach einem Run und Schälen durch den Sand – mit einer Bestzeit von 5 Stunden 20 Minuten durch Niklas Vogel. Es gab auch noch schnellere Fahrer, die allerdings noch nicht offiziell für die Gravel-Serie angemeldet sind. Irgendwie scheint man über den tiefen Sand auch fliegen zu können.

Sportler, Live-Talks und Zittern – Jeder auf seine Art

Das Relax-Programm von Yoga bis neurogenem Zittern steht an. Yoga, okay, kennen wir. Beim neurogenen Zittern lernen wir mit bestimmten Übungen auf der Gymnastikmatte, Verspannungen, Ängste und Stress ganz abzuschütteln. Relaxed und gleichzeitig leistungsfähig sein geht eben nur, wenn man sich in Balance findet. Dazu machen wir bestimmte Halte- und Bewegungsübungen und bringen Muskulatur, Wirbelsäule und den gesamten Körper in Einklang. Die Kunst ist, Kontrolle abzugeben – und tatsächlich, bei einigen beginnen, bestimmte Körperpartien zu zittern, um Blockaden zu lösen.

Energie und Gelassenheit – das finden wir dann auch bei Live-Talks von Szenegrößen und genialen Sportlerinnen und Sportlern. Gespannt lauschen wir den Werdegängen und den Erlebnissen von Marion Dziwnik, Jan-Philipp Sacher und Jonas Fischer, die früher alle auf dem Fixie-Bike unterwegs waren. Mittlerweile trifft man sie auf Ultra-Rennen wie den Badlands, den Seven Serpents oder dem Transcontinental.

Wir erfahren, dass es bei Ultra-Rennen nicht wichtig ist, wer die meisten Watt treten kann. Entscheidend seien vielmehr die mentale Stärke und die Selbstdisziplin. Für Marion ist ein guter Trainingsplan wichtig. Klar, schließlich fährt sie am Stück von Stuttgart zum Stelvio-Pass – 390 km, 7.260 hm über insgesamt 3 lange Alpenpässe, zusammen mit Mitgliedern des VOTEC Endeavor Teams. Den Film darüber (auch zu sehen in unserem Beitrag) können wir dann am nachfolgenden Abend im Open-Air-Kino anschauen. Wer sich für die VOTEC VRX-Gravel-Bikes des Teams interessiert, kann hier mehr erfahren.

Marion Dziwnik ist – wie Raphael – Mitglied des VOTEC Endeavor Teams und hier auch wieder am Start.

In den Erzählungen der drei geht es vor allem um Werte. Um fairen Sport, wo das Erleben per se und das Miteinander im Vordergrund stehen – statt restlos kompetitivem Gerangel. Es soll in erster Linie Spaß machen. Das betonen auch Marion, Jan-Philipp und Jonas bei ihrem Talk am Abend. Jan-Philipp stellt die Frage aus dem Publikum, ob Graveln einfach nur ein neuer Hype sei, gleich auf den Kopf. Der Begriff „Hype“ wird seiner Meinung nach meistens abwertend benutzt. Dabei sei es doch aber so: Alles verändere sich, auch der Mensch. Über neue Trends und Errungenschaften solle man sich einfach freuen und sie annehmen und wertschätzen. „Wenn sie Spaß machen, ist es doch toll!“, erklärt er. „Nur mit diesem echten Wertempfinden können wir den Sport und die Community aufrechterhalten.“ Klar, hier kommt heftiger Beifall auf.

Das Miteinander betont auch Jana Kesenheimer im hier live aufgenommenen Podcast „Die wundersame Fahrradwelt“ mit Johanna Jahnke. Als erste Frau und 5. der Gesamtwertung hat Jana das 2.760 km lange Self-Support-Bikepacking-Rennen Three Peaks Bike Race gefinisht, in 7 Tagen und 20 Stunden. Wenn sie Lust auf gemeinsame Ausfahrten hat und das in ihre Gruppe postet, dann will sie dabei keine krassen Strecken runterrocken, sondern freut sich primär auf ihre Freunde und den gemeinsamen Spaß an der Sache. Wenn sie trainieren will, mache sie das eh allein, erzählt sie. Der Sport bringe einfach viele Facetten mit sich. Und es gehe nicht immer nur um hartes Training auf ihren selbst definierten langen und vielen Fahrten, manchmal brauche sie einfach einen Ausgleich.

Nach den Talks können wir in Filmen noch tiefer eintauchen in die Eindrücke und Gefühle der Sportler, direkt on the road: durch „MAIDEN RACE – Mark Beaumont’s tale of GBDURO“ oder durch den FIlm „Buy a Donkey“ über das „Rhino Run“-Rennen von Plettenberg Bay in Südafrika nach Windhoek in Namibia. Max Riese hat das pandemiebedingt gecancellte Rennen zusammen mit Rae Trew-Browne aus Südafrika und Bas Rotgans aus den Niederlanden nachgeholt und beantwortet nach dem Film persönlich jegliche Fragen.

Angezündet durch all den Input kann man seine Emotionen in den Techno-Clubnächten ausleben – ein absolutes Highlight. Oder den Abend am Lagerfeuer gemütlich ausklingen lassen, bis man in den Schlaf fällt. Schließlich stehen am nächsten Tag noch Balance-Wettbewerbe auf dem Rad wie „Foot Down“ (d. h. mit Bike balancieren, ohne Füße abzusetzen) und „Slow Down“ an. Wobei bei Letzteren bestimmt Teilnehmer der Flow-Sessions unter freiem Himmel wie Yoga klar im Vorteil sind …

Mitten in der Natur, mit authentischen Menschen in relaxter Atmosphäre, ohne Luxus und doch mit allem, was das Herz begehrt. Hier schwappt die Begeisterung über! Ist das ein Hype? Nein, denn es hat nichts mit großem Getue, Propaganda oder irgendwelchen Täuschungsversuchen zu tun. Sondern damit, die Freude am Sport auszuleben, zu teilen und jede Möglichkeit zum Graveln mitzunehmen. Also: Genießen wir den Weg und nicht das Ziel. Und kosten dabei jede Sekunde aus, statt panisch auf die Uhr zu gucken!


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als GRAN FONDO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die New-Road-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!

Text: Simone Giesler Fotos: Simone Giesler, Lisa Wassmann, Jacob Kopecky