Wartet – darf ein Gravel-Bike überhaupt ein so langes Steuerrohr haben? Kona nähert sich dem Konzept „Gravel“ von der Mountainbike-Seite aus an und bringt zwei Gravel-Neulinge auf den Markt: das Kona Libre und das Rove LTD. Wir haben beim Test auf Madeira und Porto Santo ordentlich Schotter unter die Stollen genommen.
Dass Gravel-Bikes gerade so etwas wie der heißeste Scheiß auf dem Rennrad-Markt sind, ist nicht sonderlich neu. Hauptsächlich bieten hier aber bislang klassische Rennrad-Hersteller Modelle an, die man auch abseits geteerter Straßen bewegen kann. Anders gesagt: In der Regel wird das Rennrad schottertauglich gemacht. Kona, ein Hersteller mit reichlich Mountainbike-DNA, nähert sich nun quasi von der anderen Seite dem Schotterweg an: Das Mountainbike wird straßenfreundlicher.
Mit diesem Background hängt auch zusammen, dass Kona eine etwas andere Definition von Gravel hat als die meisten anderen Hersteller, denn für die US-Amerikaner kann Gravel auch ein klassischer Mountainbike-Trail sein. Ihre Ansicht: Wenn das Rad einen Mountainbike-Trail meistert, dann sollte es den staubigen Schotterweg allemal befahren können.
Gravel oder Nicht-Gravel?
Zu diesem Ansatz passt auch der erste Ort, an dem wir die Bikes testen. Madeira ist wahnsinnig grün, aber auch ziemlich bergig und ganz anders als z. B. Mallorca. Gefühlt gibt es keine flache Stelle, dafür aber eine unfassbare Natur, die an Indonesien erinnert. Doch Moment mal, Gravel war doch das mit den staubigen Schotterpisten, auf denen es etwas auf und ab geht, oder? Beim Blick aus dem Fenster auf dem Weg vom Flughafen Richtung Hotel ist aber von Staub und „etwas auf und ab“ nur wenig zu sehen.
Bei Konas Wurzeln verwundert es kaum, dass das Libre und das Rove LTD. im ersten Moment von der Geometrie her doch eher an Mountainbikes als an Roadracer erinnern – langes Steuerrohr, tiefes Sitzrohr, kurzer Vorbau. Wenn man sonst auf der Straße zu Hause ist, fühlt sich das zunächst etwas ungewohnt und komisch an. Man sitzt komplett anders. Kürzer, aufrechter, weniger gestreckt. Da kommt unweigerlich das Gefühl auf, dass das Rad nicht ganz passt, das muss irgendwie zu klein sein. Ist es aber nicht. Das ist gewollt und soll so sein. Nun gut, dann glauben wir das mal.
Tag 1, Rad 1: Madeira auf dem Kona Libre
Auf Madeira erlebt man gerne mal drei Jahreszeiten an einem Tag – Sonne, Regen und Nebel wechseln sich pausenlos ab und sorgen für ordentlich Matsch auf den Trails. Wir starten auf rund 600 m Höhe. Von dort geht es sogleich auf einen schmalen Waldweg, der eigentlich gar kein Weg, sondern vielmehr ein aufgeweichter Trampelpfad ist.
Ein Shimano Ultegra RX 2×11-Schaltwerk mit 105er-Kurbel soll zusammen mit den wuchtigen WTB 650B Tubeless-Laufrädern für die nötige Power und den Vortrieb auf dem schlammigen Untergrund sorgen. Die Kona Verso-Carbongabel verspricht in Kombination mit dem langen Steuerrohr und dem 90 mm kurzen Vorbau-Stummel eine bessere Balance und mehr Kontrolle. Die verbauten Komponenten sind grundsolide und machen den Fokus des Bikes klar: Sie stehen für Haltbarkeit und weniger für Glamour. Wer will, kann an Rahmen und Gabel zudem reichlich Taschen oder Flaschen montieren. Wir brauchen das heute nicht.
Das Libre ist alternativ in einer DL-Variante für 3.999 € erhältlich, die mit einem SRAM Force 1×11-Antrieb ausgestattet ist. Das lohnt sich vor allem, wenn man oft in schwierigerem Gelände mit viel Auf und Ab unterwegs ist. Dann entfällt der häufige Wechsel des Kettenblattes, was eindeutig für mehr Fahrfreude sorgt.
Rahmen Kona Race Light Carbon
Gabel Kona Verso Carbon Touring
Laufräder WTB KOM i25 TCS 650B, 27,5”
Kurbel Shimano 105
Schaltung Shimano Ultegra/105 2x11spd
Bremsen Shimano 105 Flatmount 160 mm vorne/160 mm hinten
Sattelstütze Kona Thumb w/Offset
Cockpit Kona Road-Lenker/Kona Road Deluxe-Vorbau
Reifen WTB Byway TCS 650 x 47C
Sattel WTB SL8 Pro
Gewicht ca. 8,8 kg
Preis 3.199 €
Größe | 46 | 49 | 51 | 54 | 55 |
---|---|---|---|---|---|
Oberrohr | 534 mm | 558 mm | 572 mm | 588 mm | 608 mm |
Sitzwinkel | 72,5° | 72,0° | 72,0° | 72,5° | 72,5° |
Lenkwinkel | 70,5° | 70,5° | 71° | 71° | 71° |
Kettenstrebe | 440 mm | 440 mm | 440 mm | 440 mm | 440 mm |
Radstand | 1042 mm | 1052 mm | 1058 mm | 1068 mm | 1084 mm |
BB Drop | 75 mm | 75 mm | 72 mm | 72 mm | 70 mm |
Stack | 575 mm | 590 mm | 610 mm | 630 mm | 660 mm |
Reach | 378 mm | 383 mm | 386 mm | 389 mm | 394 mm |
Ungewohnte Möglichkeiten
Auf dem Kona Libre sitzt man zwar anders und ziemlich ungewohnt, aber dennoch bequem, komfortabel und sicher. Schon nach kurzer Zeit hat man sich wirklich an dieses etwas andere Rad gewöhnt und wird eins mit ihm. Ob Kurve, Steigung oder Sprung, das Libre meistert mühelos jede Herausforderung – man merkt ihm deutlich die Verwandtschaft mit dem Mountainbike an. Die knallharte und verwindungssteife Carbon-Gabel gibt direkte Rückmeldung über den Untergrund und weiß zu überzeugen. Von den innenverlegten Zügen ist selbst dann kein Mucks zu hören, wenn man ordentlich durchgeschüttelt wird. Nichts klappert oder scheppert.
Das Kona Libre ist ideal für Mountainbiker, die vertraute Fahreigenschaften auch bei einem Bike mit Rennradlenker suchen. Für Rennradfahrer ist es wahrscheinlich nicht sportlich genug, gerade auf der Straße und bei höherer Geschwindigkeit.
Auf trockeneren Passagen lassen wir es dann auch mal ein wenig mehr laufen. Hier zeigen sich die Nachteile der Geometrie: Durch die kompakte Sitzposition und die hohe Frontpartie büßt das Libre zwangsläufig an Agilität und Aggressivität ein. Zudem bieten die verbauten Reifen nicht immer die gewünschte Traktion, wenn es mit viel Tempo zurück in einen steileren Hang mit glitschigen Passagen geht. Man bekommt das Gewicht nicht so auf das Hinterrad, wie es nötig wäre. Allerdings hätten wir auch glatt verdrängt, dass wir uns auf einem Trail befinden, der eigentlich nur für Mountainbikes gedacht ist. Wir kritisieren hier also auf sehr hohem Niveau.
Irgendwann ist es dann mit dem Wald vorbei und wir nähern uns der Küste. Einige Hundert Höhenmeter unter uns brechen die Wellen am Strand. Eine Abfahrt, die an einen Alpenpass erinnert, bringt uns direkt an den Atlantik. Hätten wir das auch auf einem klassischeren Gravel-Bike erleben können? Bestimmt. Doch die herausstechende Trail-Performance des Libre hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Fazit
Das Libre ist kein klassisches Gravel-Bike im Sinne eines Offroaders, der vom Rennrad abstammt und mit dem man schlechte Straßen oder lose Schotterwege meistern kann. Es geht einen Schritt weiter – denn es weiß in schwierigem Gelände zu überzeugen. Die Geometrie ist zunächst gewöhnungsbedürftig, man lernt die komfortable Sitzposition jedoch recht schnell zu schätzen. Wenn es schnell und flach wird, ist das Libre aber zu viel Mountainbike und zu wenig Road-Bike. Hier fehlt es an Agilität.
Tops
- hervorragendes Handling im Gelände
- robust und hart im Nehmen
- komfortable Sitzposition
Flops
- Kona-Komponenten solide, aber weniger „glamourös“
- für lange Strecken auf der Straße zu wenig agil und zu zahm
Mehr Infos unter: konaworld.com
Tag 2, Rad 2: Porto Santo auf dem Kona Rove LTD.
Vom Hafen Funchal aus geht es frühmorgens mit der Fähre Richtung Porto Santo. Nach rund 2,5 Stunden erreichen wir die karge, weitgehend baumlose Insel, auf der einst Christoph Kolumbus lebte. Es sieht ein wenig aus wie am Mont Ventoux. Zudem wird gleich klar, dass wir hier die Art „Gravel“ vorfinden, die näher an der klassischen Definition zu sein scheint.
Auf dem rund 42 km² großen Ödland werden wir heute das Kona Rove LTD. testen. Ein zierlicher, funkelnder Reynolds 853-Rohrsatz in Rotbraun mit großvolumigen 650B-Reifen und einer wuchtigen Carbon-Gabel mit Steckachsaufnahme erwartet uns auf Porto Santo. Neben den hauseigenen Kona-Komponenten ist eine komplette SRAM Force 1×11-Gruppe verbaut. Na dann wollen wir mal!
Rahmen Reynolds 853 Cromoly
Gabel Kona Full Carbon Flatmount CX Race Disc
Laufräder WTB Asym i23 TCS 650B, 27,5”
Kurbel SRAM Force 1
Schaltung SRAM Force 1 11spd
Bremsen SRAM Force 1 160 mm vorne/160 mm hinten
Sattelstütze Kona Thumb w/Offset
Cockpit Kona Road-Lenker/Kona Road-Vorbau
Reifen WTB Horizon Road Plus TCS 650 x 47C
Sattel WTB Volt Comp
Gewicht ca. 10,9 kg
Preis 3.999 €
Größe | 48 | 50 | 52 | 54 | 56 | 58 |
---|---|---|---|---|---|---|
Oberrohr | 515 mm | 531 mm | 546 mm | 536 mm | 579 mm | 599 mm |
Sitzwinkel | 75° | 74,5° | 74° | 73,5° | 73° | 72,5° |
Lenkwinkel | 70,5° | 70,5° | 71° | 71° | 71,5° | 71,5° |
Kettenstrebe | 435 mm | 435 mm | 435 mm | 435 mm | 435 mm | 435 mm |
Radstand | 1011 mm | 1023 mm | 1032 mm | 1043 mm | 1050 mm | 1064 mm |
BB Drop | 74 mm | 74 mm | 72 mm | 72 mm | 70 mm | 70 mm |
Stack | 530 mm | 550 mm | 570 mm | 590 mm | 610 mm | 630 mm |
Reach | 373 mm | 378 mm | 383 mm | 388 mm | 392 mm | 400 mm |
Einfach mal krachen lassen
Einfach mal krachen lassen
Das Rove LTD. vermittelt optisch eher den Eindruck eines klassischen Langstrecken-Tourers. Die Kombination aus dünnen Rohren, unzähligen Anschraubpunkten für Taschen und Flaschenhalter sowie den großvolumigen Reifen zeugt eindeutig davon, wofür der Stahlrenner primär konzipiert wurde. Aber wie verhält er sich im Gelände? Verdient das Rove LTD. den Namen Gravel-Bike? Um deutlich sportlicher und gestreckter zu sitzen, haben wir zunächst einige Spacer unter dem Vorbau entfernt – unsere Präferenz für Agilität ist nicht zu verheimlichen. Der mit 90 mm sehr kurze Vorbau sorgt ohnehin dafür, dass die Sitzposition nicht zu gestreckt wird.
Im Gegensatz zum Libre ist das Rove LTD. deutlich mehr Straßenrad als Mountainbike. Zu überlegen wäre hier jedoch, den Vorbau durch ein etwas längeres Exemplar zu tauschen.
Nun aber rauf aufs Rad! Nach einem knackigen Anstieg auf feinstem Teer verlassen wir die Wohlfühlpiste und begeben uns auf typisches Gravel-Terrain. Zahlreiche Schotterpisten mit Meerblick versprechen einiges und das Rove LTD. scheint einen sofort herauszufordern: „Lass es ruhig ordentlich krachen!“ Wenn es das so will, kann es das haben! Wir peitschen die knapp 11 kg Stahl also über Schotter, Felsen und Sand. Dabei haben wir jederzeit volle Kontrolle und schaffen es, die Power auf den Gravel zu kriegen. Hier hüpft oder springt nichts. Die von uns geschaffene tiefere Position im Cockpit erlaubt in Kombination mit dem sehr breiten Lenker in der Unterlenkerposition ein sehr sportliches Fahren, ohne dabei je das Gefühl zu haben, dass es kritisch wird. Das Rove LTD. scheint wie gemacht für dieses Terrain!
Wie schon beim Libre stoßen die Reifen manches Mal aber an ihre Grip-Grenzen: Auf losem Untergrund hat man mit der in der Mitte glatten Lauffläche nicht immer die Traktion, die man sich wünscht. Dadurch verliert man im Gelände ein wenig an Fahrspaß. Mit grobstolligeren Reifen wäre hier durchaus mehr drin. Auf schlechten Straßen oder kantigem Kopfsteinpflaster hingegen bieten sie dank des bei Tubelesse niedrigeren Luftdrucks einen ungeahnten Komfort. Vorausgesetzt, man findet den richtigen Luftdruck für das Terrain.
Gegen Ende der Tour donnern wir noch wie die Verrückten über einen Golfplatz (angeblich durften wir das, so hieß es zumindest), danach Richtung Flugplatz. Denn zurück nach Madeira geht es per Flugzeug. Der Flug samt Landung ist dabei ungemütlicher und wackeliger als der Tag auf dem Rove LTD. #nevergofullaero
Fazit
Das Rove LTD. fühlt sich nicht nur auf langen Strecken, sondern auch auf Schotterpisten und im anspruchsvollen Gelände zu Hause. Für einen Stahlrahmen abseits der üblichen Gravel- oder Rennrad-Geometrien weist es durchaus ein sportliches und agiles Fahrverhalten auf. Das Zusammenspiel der Reynolds-Rohre und der kompromisslosen Carbon-Gabel sorgt dabei für ordentlich Vortrieb. Das Gesamtpaket und die unzähligen Einsatzmöglichkeiten als Commuter, Touring-Rad und eben auch als sportliches Gravel-Bike machen das Rove LTD. für alle diejenigen attraktiv, die alles wollen und obendrein das Abenteuer suchen. Hierzu trägt auch die Reifenfreiheit des Rahmens für bis zu 47 mm breite Pneus bei.
Tops
- hervorragendes Handling auf Schotter
- sportlich agil
- gute Kraftübertragung
- robust
- unzählige Möglichkeiten zum Anbau von Taschen und Flaschenhaltern
Flops
- Gewicht
- Kona-Komponenten solide, aber weniger „glamourös“
Mehr Infos unter: konaworld.com
Dieser Artikel ist aus GRAN FONDO Ausgabe #011
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Text: Stefan Trocha Fotos: Joonas Vinnari, Henry James, Stefan Trocha