Zeit fürs Sofa? Mit dem Buch „Das Limit bin nur ich“ von Jonas Deichmann katapultiert man sich einmal um die Welt, schwimmend, rennend, bikend. In Kürze kommt auch der Film „Vale la Pena“ in die Kinos. Ob vom Sofa oder Sessel, es kann einiges auszulösen – um letztlich die beste aller Aktionen zu verkünden: Zeit, das Gravel-Bike zu packen.

Salzwasser, immer nur Salzwasser. Das Trinkwasser hingegen begrenzt sich auf eine kleine Flasche, die zudem bedrohlich leerer wird. Die Wellen, sie schwappen ins Gesicht und verbergen die Sicht auf Schiffe, vorgelagerte Inseln – oder das offene weite Meer. Egal, in der Dämmerung sieht man eh nichts. Man spürt nur das schwere schwimmende Hotel an der Leine hinter sich und – endlich aus dem Meer gestiegen – wieder Wasser, wenn man in der kargen Einöde sein Schlafsack im Regen ausbreitet.

Das beschreibt nur die erste Disziplin des Extremsportlers Jonas Deichmann in seinem jüngsten Abenteuer: Fast 27.000 Kilometer hat er insgesamt zurückgelegt, um der Welt einen Gürtel umzulegen, in 120-facher Ironman-Distanz. Mit dem Gravel-Bike durch Europa und Asien, schwimmend vom kroatischen Karlobag bis zur Grenze zu Montenegro, per Pedes quer durch Mexiko von der Pazifik- zur Atlantikküste. Der mehrfache Weltrekordhalter war dabei völlig auf sich gestellt. Für unsereins meist ein Gräuel, scheint Jonas das Packen zu leben – und zwar minimalistisch: Swimpacking mit Packtasche als Floß, Bikepacking mit Rahmen, Front- und Satteltaschen, Laufen mit umfunktioniertem Kidrunner. Start der Reise: September 2020, noch vor der zweiten Corona-Welle, und so mit unvorhersehbaren Herausforderungen.

Auf der Suche nach … ja was?

Nach 54 Tagen und 460 Kilometern – der längsten Swimpacking-Strecke überhaupt – beendete Jonas feierlich seine erst kürzlich gestartete Schwimmkarriere. Einstieg in die Schwimm-Rente, wie er in seinem Buch „Das Limit bin nur ich“ und den Kurzfilm-Diaries preisgibt. Etwa acht bis zehn Kilometer hat er täglich zurückgelegt und auf seine ruhige, aber hartnäckige Art eine chinesische Wall durchbrochen. Schon zu Beginn beschreibt Jonas eine Schwimmszene in der Dunkelheit mit co-existierenden Meerestieren: „Es fühlt sich definitiv so an, als ob ich nicht hier sein sollte“.

’Was sucht er dann?’, mag man sich fragen. Die Antwort erhält man spätestens beim Umstieg auf den Sattel. Das Rad ist sein Element. Esposa, wie er sein Gravel-Bike liebevoll nennt, seine Ehefrau – mit Ackergaulqualitäten. Und auch Laufen geht dem 34-jährigen Stuttgarter gut von den Beinen. Aber was treibt einen an, gleich die ganze Welt zu umrunden? Die Jagd nach immer neuen Weltrekorden? Der Rausch, die Hormone, das „Runner’s High“-Gefühl, die eigene Grenzerfahrung, die Publicity? Man mag vieles vermuten und sicher fließt auch alles immer ein bisschen mit. Einmal reingehängt, scheint es für ihn kein Abseilgerät zu geben. Jonas betont, dass es um die einzigartigen Erlebnisse, unvorhergesehenen Momente und vielseitigen persönlichen Bekanntschaften geht, die er unterwegs erfährt. Und von alldem gibt es jede Menge.

Er biked, und biked und beißt

„Wenn heute jemand zu mir sagt, das hat noch keiner gemacht, du wirst scheitern, dann sage ich: Ja super, dann kann ich der Erste sein“. Das Zitat von Jonas sagt es aus: Das Unmögliche möglich machen, hinein ins Neue und Schwierigkeiten nehmen, wie sie kommen. Von München nach Karlobag, von Dubrovnik nach Wladiwostok, von Lissabon back to Munich – alles Bike-Etappen auf seiner Esposa. Auftürmende Berge, Wetterkapriolen, sich lange hinziehende Distanzen. Keine Unbekannten für den ehemaligen Sales-Manager einer schwedischen IT-Firma, schließlich ist Jonas bereits mit dem Rad in 64 Tagen von Portugal nach Wladiwostok und in 72 Tagen vom Nordkap bis zum Kap der Guten Hoffnung gefahren.

Gelegenheiten zu Erlebnissen aller Art hatte er auch hier, auf der 21.600 Kilometer langen Bike-Strecke durch Schneematsch, vereiste Wege, sibirische Kälte, Versorgungsengpässe im Nirvana. Der Abenteurer scheint jede Grenze mit seiner Ausdauer aufzulösen – physisch wie mental. Dass Jonas die fortschreitende Situation in der Corona-Pandemie als sportliche Herausforderung nahm, zeigt sich an der Extra-Schleife in der Türkei und der Änderung der Laufstrecke durch Mexiko statt USA. Was er als sein größtes Hindernis beschreibt? Die Bürokratie zu den Einreiseregelungen. Pässe über die Schweiz auf dem Weg nach Russland und zurück machen ihre ganz eigene Weltumrundung. Es sind die zahnlosen Papiertiger, die einem gefährlich werden.

Selfsupported und doch nicht allein

Detailverliebte Interessierte werden im Buch mehrmals zwischen den Zeilen lesen – und doch nicht immer alles finden. Geht es um die gesamte Logistik, erfährt man zwar schon mal eine Packliste oder ein Hinweis zu kälteresistenten Schmierstoffen und provisorisch geflickten Schalthebeln. Wie aber alles vor Ort in jeder Situation abläuft, lässt sich eher erahnen. In den Diaries gibt es ein paar zusätzliche informative Szenen und man darf gespannt sein, wie der Kinofilm weitere Lücken füllt.

Letztlich geht es ja nicht um eine Schritt-für-Schritt-Anleitung. Dem Buch und Diaries lässt sich eines aber auf jeden Fall entnehmen: Jonas war auf sich gestellt. Material und Verpflegung hat er in allen Disziplinen mit sich geführt, geschlafen hat er im Zelt oder bei fehlender Aufbaumöglichkeit unter freiem Himmel und Vordächern. Komplett im Off war er dennoch nicht: Dank Social-Media erhielt Jonas Tipps bei kniffligen Situationen und sein Filmproduzent von ravir film traf an einigen Stellen ein, um ein paar Szenen zu drehen. Und es blieb nicht bei diesem Kontakt: Aufgegriffen durch die Medien begleiteten immer wieder Radclubs den Abenteurer – sobald es zwischen Europa und Asien ein Fleckchen Zivilisation gab. Bis ihn in Mexiko eine Welle der Begeisterung durch seine Marathondistanzen trug.

Energieschubkarren

Viva la Mexico! Zugeschobene Melonen als gutgemeinter Nahrungsschub werden in seinem „Schubkarren“, dem Kidsrunner, eher schwergewichtige Kids. Anfeuerungen, Parolen singende Mit-Läufer und Polizeieskorten zum Schutz vor Drogenkartellen. Vamos, vamos contigo amigo! Freunde wurden sie alle irgendwo. Bei all den Einladungen nach seinen täglichen Runs, die öfter mal die Marathon-Distanz überschritten, konnte Jonas seinen Konzepten unter-freien-Himmel-schlafen und Riegel-essen dann doch nicht immer treu bleiben. Ebenso wenig wie seinem ursprünglichen Plan, den Atlantik mit dem Segelboot zu überqueren. Das ist aber eine andere Geschichte und der Coronasituation geschuldet.

Man mag sich fragen, warum die letzte Etappe, die Bike-Strecke zwischen Lissabon und München, im Buch fast untergeht. Sollte es – betitelt mit „4000 Kilometer locker ausrollen“ eher zu unspektakulär sein? Oder ist es knapp abgehandelt, damit man das mit vielen Bildern bestückte Paperback bereits als Weihnachtsgeschenk in den Händen halten konnte? Wie auch immer, einige werden an dieser Stelle enttäuscht sein, könnte man hier doch endlich seine Stecknadel „Nachmachen“ setzen. Andere wiederum werden im gesamten Buch ein paar mehr Gefühlsbeschreibungen vermissen.

Klar ist: Die Zeilen werden zum spannenden 360°-Rundumflug, auf dem man die gesamte Strecke mitschwimmen, -fahren und -rennen kann. Die Bilder und Inputs über so manche Orte und landestypischen liefern einen weiteren Eindruck. „Das Limit bin nur ich“ ist ein Buch für Sportler, Abenteuersuchende und Puristen. Es ist für alle, die das Erlebte des Extremsportlers erfahren wollen und den Energieschubkarren vielleicht für das ein oder andere eigene Vorhaben nutzen. Freunde ausufernder Romane oder detailverliebter Programmbeschreibungen werden mit dem Schriftstück vielleicht nicht ganz glücklich. Wer etwas mehr live-Feeling erfahren und einen Blick auf so manche Details erhaschen will, kann sich schon mal die Diaries anschauen. Wir sind gespannt, was der Kinofilm direkt out off the road alles preisgibt und welche Szenen des „größten Abenteuers von Jonas“ er einfängt. Nachmachen? Why not – Jonas war schließlich auch kein Schwimmer;-)

Mehr Informationen

über Jonas Deichmann und seine Projekte: jonasdeichmann.com , zu den Kurzfilm-Diaries und Hinweise zum Film: valelapena-film.com sowie ravir film

Und wenn auch ihr Bikepacking und eure eigene Tour angehen wollt, kann euch unser Crashkurs Bikepacking mit Infos zu Bikes, Equipment und Co. ein guter Support sein. Es muss ja nicht immer gleich um die ganze Welt gehen.


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Text: Simone Giesler Fotos: Alexander Litau, Andrej Bavchenkov, Daniel Rintz, Hans Bauer, Jonas Deichmann, Markus Weinberg