Sommerurlaub im kalten Norden? Klingt komisch, aber wer Gravel gern schon zum Frühstück hat, ist in Schweden genau am richtigen Ort. Wir haben eine Crew nach Jämtland geschickt, um alte Urlaubsmuster zu durchbrechen, horizontlosen Gravel zu genießen und das ein oder andere Rentier zu treffen.

Wir biegen um eine weitere Kurve auf der scheinbar endlosen Strecke und die Steine klimpern leise gegen den Rahmen. Vor uns liegt eine weitere Welle in dem atemberaubendem Schottermeer, auf dem wir seit Stunden surfen. Als sich die Steigung bemerkbar macht und unsere Geschwindigkeit von den bisherigen 38 km/h auf 12 km/h sinkt, fahren wir schweigend weiter. Die Steigung ist kurz, aber sie reicht aus, um unseren Beinen zu zeigen, dass das nur einer der endlosen Auf- und Abstiege ist, die alle Schotterstraßen in dieser Gegend bieten. Wir sind seit fast vier Stunden unterwegs und haben noch keine Menschenseele gesehen. Um uns herum dichter Wald, dessen Dickicht sich von Zeit zu Zeit öffnet und den Blick auf die beeindruckenden Berge freigibt – die Fjälls, für die diese Gegend bekannt ist. Der Geruch ist typisch schwedisch, eine Mischung aus der Süße der Silberbirke und dem tiefen feuchten Grün der restlichen Natur. Diese Abgeschiedenheit lässt uns gleichermaßen staunen und bangen: Für unsere Entscheidung, den Sommer im Norden zu verbringen, werden wir mit einigen der besten Schotterpisten belohnt, die Europa zu bieten hat – aber wir werden den Gedanken nicht ganz los, dass wir weit weg von allem und jedem sind, wenn jetzt etwas schiefgehen sollte.

In Schwedens Weite hat man die Wahl: Um ein und denselben Ort zu erreichen, kann man entweder 12 km über einen Berg wandern oder 150 km unberührte Schotterstraße entlangsurfen.

Klar, im Sommer reisen die meisten Leute klassischerweise in den Süden. Aber wie sich das für echte Gravel-Helden gehört, wollten wir gegen den Strom schwimmen, neue Orte zum Graveln entdecken und neue Erfahrungen auf zwei Rädern machen. Deshalb hat uns Schweden-Fans der Ausflug ins nordschwedische Jämtland auch so gereizt. Schließlich hatte uns ein befreundeter Gravel-Aficionado erklärt, dass die Strecken dort locker mit dem Unbound-Gravelrennen in Kansas mithalten können, nur dass es natürlich eine ganze Ecke kälter ist. Mit seiner dünnen Besiedlung (2,6 Einwohner pro Quadratkilometer), den dichten Wäldern und der tadellosen Kartierung hatte Jämtland in unseren Augen das Potenzial, einige der besten Schotterpisten der Welt zu bieten.

Vom Freiluftleben und Graveln mit Profi-Unterstützung

Als Region liegt es ziemlich genau in der Mitte des langen Landes. Wer im Süden lebt, für den ist Jämtland schon der Norden. Aber für die Einheimischen ist es nur ein Tor zum Norden – immerhin ist noch viel Land über diesem Gebiet auf der Landkarte übrig. Jämtland gilt als das Herz der sogenannten schwedischen Alpen. Hier findet sich auch der berühmte Wintersportort Åre, das wohl beste Skigebiet Schwedens. Von der norwegischen Grenze aus wollen wir die gesamte Region erkunden, über Östersund im Osten, das Nichts im Norden und südwärts bis hinunter zu Schwedens höchster Schotterstraße, dem Flatruetvägen. Technisch gesehen ist das zwar nicht mehr Jämtland, aber selbst die Fremdenverkehrsämter in der Zwillingsregion Jämtland-Harjedalen sind eng miteinander verbunden, deshalb haben wir beschlossen, uns das durchgehen zu lassen.

Schweden ist an sich kein neues Terrain für uns. Seit 2014 waren wir hier immer mal wieder in unterschiedlichen Regionen mit dem Fahrrad unterwegs, allerdings meist mit dem Mountainbike, um die schmalen Pfade und Wurzeln zu überwinden – damals, in der Zeit vor dem Gravel-Boom. Es ist der perfekte Ort, um das skandinavische Ideal des „friluftsliv“, des Freiluftlebens, auszuleben, bei dem das Campen und das Kochen regionaler Produkte über offenem Feuer in den Sommermonaten zur Routine gehören. Ob beim Wandern oder Radfahren, im Sommer geht es in Schweden vor allem darum, sich durch die Landschaft zu bewegen und kaum Spuren zu hinterlassen. Und wenn es jemanden gibt, der uns zeigen kann, wie die Einheimischen auf Schotter fahren, dann ist es Elite-Gravel-Racer und Weltklasse-Skyrunner André Jonsson, der dieses riesige, von Gravel-Strecken durchzogene Waldgebiet sein Zuhause nennt.

In Anbetracht der Distanzen zwischen den Orten sollte man jede Chance nutzen, um die Vorräte aufzustocken.

Die Frustrationen des Brexits – Graveln ohne Bike?

André teilt nicht nur Routen- und Insiderwissen mit uns, er hat uns auch sein Winterrad geliehen, damit wir überhaupt unterwegs sein können. Unser Abenteuer hat nämlich mit Brexit-bedingten Fahrradproblemen begonnen: Stayer, die Londoner Laufrad- und Fahrradmarke, wollte uns zwei neue Gravel-Bikes für die Reise leihen. Aber wegen des turbulenten Austritts aus der EU wurde eines der Räder beim Zoll blockiert. Und da der schwedische Gravel-Verleih noch in den Kinderschuhen steckt – Åres Sommergeschäft konzentriert sich auf komplette Downhill-Maschinen für den weltberühmten Bikepark –, brauchten wir schnell ein Rad. Da hilft es natürlich, wenn man einen Einheimischen kennt! Alle Eckdaten zu dem erfolgreich gelieferten Stayer-Bike findet ihr am Ende des Artikels.

Gravelgold, wohin das Auge blickt – den Elchjägern sei Dank

Wer in dieser Gegend Schwedens graveln will, sollte wissen, dass es zwei ziemlich unterschiedliche Landschaften gibt: Kalfjäll und Skog. Dank der kalten Winter und der dünnen Besiedlung sind große Weiten hauptsächlich mit Wäldern gefüllt, auf Schwedisch Skog genannt. Diese Wälder sind das Herzstück des dichten Gravel-Netzes, das sich durch die Region zieht und auf dem die Zufahrtswege für Elchjäger verlaufen; ein erstaunliches Nebenprodukt einer etwas fragwürdigen Tradition.
Wenn die Berge höher werden, geht die Baumgrenze in die Gebirgslandschaft Fjäll über, die als Kalfjäll bezeichnet wird, sobald sie die Baumgrenze vollständig überschritten hat. Ab einer Höhe von etwa 800 m, wenn man den Wald mit seinen Scharfschützenwurzeln hinter sich gelassen hat, öffnet sich der Horizont und das Land wird karg und vom Winter sichtlich gezeichnet. Für Radfahrer ist dieses Gebiet viel schwerer zu befahren, denn ab hier verbergen häufig Moore oder Felsen die schmalen Wanderwege. Man braucht gute Kartenkenntnisse oder Insiderwissen, um zu wissen, was befahrbar ist – und eine gesunde Portion Geschicklichkeit, um ein Gravel-Bike durch diese Gebiete zu bringen.

André Jonsson, Elite-Gravel-Fahrer und Weltklasse-Trailrunner. Und ganz nebenbei auch der Typ, der uns sein Fahrrad geliehen hat.

Halb Graveln, halb Radwandern

An der Stelle kommt André wieder ins Spiel: Als Weltklasse-Trailrunner bzw. Profi-Gravel-Biker ist er derjenige, dem wir folgen wollen. Wir treffen uns mit ihm zu einer Ausfahrt in der Nähe seines Hauses in Storlien, nur einen Steinwurf von der norwegischen Grenze entfernt. „Bei jeder schwedischen Gravel-Ausfahrt gibt es immer ein Abenteuerelement“, sagt André mit einem entspannten Achselzucken. „Erst sieht es nicht so aus, als gäbe es viele Routen, die miteinander verbunden sind, also schaut man sich Schotterstraßen an, die in der Nähe liegen, und schlägt sich dann ein bisschen durchs Dickicht oder fährt ein paar Trails, um doch noch eine Verbindung zwischen den Strecken zu finden.“ In den letzten Jahren hat André die Grenzen des Gravelns in dieser Gegend ausgereizt und ist Distanzen gefahren, die einem Tränen in die Augen treiben. Mit ihm an unserer Seite lernen wir, wie man durch das tiefe Dickicht des Walds abkürzt, um zwei Gravelstrecken zu verbinden, die sonst in einer Sackgasse enden würden – wenn man André beobachtet, ist es schon fast eine Kunstform, sich einen Weg durch Gestrüpp zu bahnen.

Denn auch das sollte man über das Graveln hier wissen: Sobald man seine Grundroute geplant hat, muss man sich auf einige Wanderabschnitte einstellen, wenn man abseits des Netzes fährt. Und der größte Teil der Gegend ist „abseits des Netzes“, wenn man Komoot Glauben schenkt. Graveln heißt immer auch, dass man Abenteuer sucht – das bedeutet aber nicht, dass man in jede Situation unvorbereitet reinlaufen bzw. -fahren sollte. Wenn auf der Karte ein sumpfiger Abschnitt eingezeichnet ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihr nass werdet. Die schwedischen Wälder sind nicht übermäßig dicht, aber mit dem Bike auf der Schulter kommt man mitunter nur langsam voran. Unser Rat ist trotzdem: Lasst euch drauf ein! Denn diese Abkürzungen von manchmal nur ein paar hundert Metern können euch viele hundert Kilometer Strecke sparen.

Die schwedische Meile

Die Schweden verlassen sich in der Regel auf ihre (inoffizielle) nationale Maßeinheit, die schwedische Meile. Das Land ist beachtlich lang – würde man es an seinem südlichsten Punkt um 180° drehen, würde es bis zur Spitze Italiens reichen. Das ist vermutlich der Grund, weshalb die Kilometer zu Zehnerpotenzen zusammengefasst werden, um eine schwedische Meile zu erhalten. Obwohl diese Einheit wohl eher für Fernfahrer gedacht ist, die Holz transportieren (und denen man fast nur auf Hauptstraßen begegnet), ist das auch für Gravel-Biker von Bedeutung. Eine unserer Routen führte beispielsweise über ein Fjäll von Bydalen nach Glen mit 12 km Wanderweg. Hätten wir die reguläre Route genommen, wären es 15 schwedische Meilen gewesen – also ganze 150 km für alle, die mitrechnen. Das ist charakteristisch für die Gegend, die Routen sind hier eher lang. In Anbetracht der überschaubaren Besiedlung und des oft rauen und wechselhaften Wetters solltet ihr also sowohl in Sachen Ausrüstung als auch mental gut vorbereitet sein auf alles, was kommen kann. Wenn ihr erst mal unterwegs seid, dann habt ihr das auch eingeloggt, dann gibt es kein Zurück mehr. Davon solltet ihr euch aber nicht abschrecken lassen, schließlich gehört das zum schwedischen Gravel-Spaß dazu.

Okay, das klang gerade vermutlich nicht wahnsinnig überzeugend. Wahrscheinlich würde das Fremdenverkehrsamt Schweden nicht als Schottermeer vermarkten und unter Umständen habt ihr auch keine Lust, euch auf eigene Faust in die Weiten des Lands wagen. Aber wir sind nicht das Fremdenverkehrsamt. Und wir lieben es! Man muss in Schweden einfach nur anders planen. Große Schleifen und epische Multi-Terrain-Touren sind großartig – doch das Gleiche gilt für kurze Touren, bei denen ihr einfach die Lücken auf eurer Karte füllen und Fahrkenntnisse in der Nähe eures Aufenthaltsorts sammeln könnt.

Unsere Basis liegt diesmal in Ottsjö in der Region Södra Årefjällen, die sich von Undersåker im Norden bis Vålådalen im Süden erstreckt und mit nur 500 Einwohnern eher überschaubar ausfällt. Von hier aus wollen wir jeden einzelnen Schotterweg abfahren. Das bedeutet viel Zeit für das Durchforsten der Karte und es bedeutet viele Sackgassen. Aber bei einer so weitläufigen und betörenden Landschaft wie in Jämtland entdeckt man selbst dann noch traumhafte neue Ausblicke, wenn man den gleichen Weg wieder zurück fährt. Und so dicht, wie die Wälder hier sind, bieten selbst kürzere Strecken eine grandiose Flucht aus dem Alltag.

Ein Dachzelt gibt einem Freiheit in der Streckenplanung: Damit könnt ihr einen Ride fast überall starten und enden lassen.
Ihr solltet nur die Erlaubnis der Landbesitzer einholen, ehe ihr euch häuslich einrichtet.

Brodelnde Kreativität mitten im Niemandsland

In Jämtland treffen zwei scheinbar widersprüchliche Phänomene aufeinander. Auf der einen Seite gibt es große Freiflächen und Abgeschiedenheit, auf der anderen Seite eine riesige Fülle ungebremster Kreativität. Von kulinarischen Konzepten bis hin zu jungen Gin-Machern, Cocktail-Meistern und der Designszene – es herrscht Hochbetrieb in der Region. Neue Unternehmen existieren friedlich neben etablierten Bastionen der Outdoor-Industrie: Trangia, Lundhags, Klättermusen, Haglöfs, Peak Performance und Houdini haben hier ihren Ursprung, und diese Liste ist alles andere als vollständig. Es ist schwer zu sagen, warum die Kreativität in dieser Region so stark ausgeprägt ist. Vielleicht liegt es daran, dass die Landschaft in Jämtland das ultimative Testfeld für Outdoor-Ausrüstung bietet und die enge Verbundenheit der Bevölkerung mit der Natur zu einer Art bewussten Abkehr vom modernen schnelllebigen und vernetzten Lebensstil geführt hat. Die Menschen hier scheinen jedenfalls der Kreativität den Vorzug vor der Konnektivität zu geben. Kann man in der abgeschiedenen Weite einfach freier denken?

Vielleicht wird die Kreativität ja auch vom Essen befördert, das möglichst oft im Freien verzehrt wird, wobei jeder Teller unverdrossen den Jahreszeiten folgt. Aus unserer Sicht scheint Schweden ein Volk von Sammlern hervorgebracht zu haben, das gelernt hat, mit der Natur zu leben. Es gibt sogar eine Regierungsinitiative, um die Produktion von Gourmet-Lebensmitteln in kleinem Maßstab in ländlichen Gebieten zu fördern. In diese Kategorie fiel auch das mittlerweile geschlossene Fåviken hinter einer der besten Schotterpisten von Åre, möglicherweise eines der renommiertesten Scandi-Restaurants aller Zeiten. Geleitet wurde es vom berühmten Koch Magnus Nilsson, den ihr vielleicht aus der Netflix-Serie „Chef’s Table“ kennt und der aus der Region stammt.

Legt großen Wert auf regionale Zutaten und darauf, dass sich die Landschaft auf dem Teller widerspiegelt:
Lena Flaten, die Betreiberin von Flammans Skafferi im Örtchen Storlien.

Lena Flaten geht einen ähnlichen Weg wie Nilsson damals, aber mit ihrem eigenen kreativen Stil auf dem Teller. Sie betreibt Flammans Skafferi in Storlien und bietet ein Gegenmittel für alle, die von der Husmanskost – also der Alltagsküche – die Nase voll haben. Das macht ihr Restaurant zu einem Muss für Gravel-Touren! Wenn ihr auf der Durchreise seid, solltet ihr die Sauerteigpizzen probieren, die den ganzen Sommer über mit unkonventionellen Belägen aus der Wildnis belegt sind. Dieses Geschmacksmedley fängt alles ein, was ihr gerade erlebt habt, und transportiert es direkt an den Gaumen weiter. Lena will ihre Gäste mit ihrer experimentellen Küche dazu inspirieren, die Natur mit der gleichen Ehrfurcht zu behandeln, wie sie es tut. Unser erster Gang bei ihr ist eine Art Sahne-Fondue mit einem Hauch norwegischem Braunkäse, über dem offenen Feuer zubereitet, in das wir Brot tunken. Danach kommt kandierter Engelwurz. Und obwohl wir vorm Probieren keine Ahnung hatten, was das ist, überzeugt uns das Essen so sehr, dass wir uns fest vornehmen, das vielseitige Kraut daheim im Garten anzupflanzen!

Der Moment, wenn man seine Reisegefährtin 1,5 km die Straße runter schickt…
…um ein Bild mit dem Teleobjektiv zu machen.

Back to Basics – Die Bedeutung von Landkarten

Zurück auf dem Bike und auf dem Weg nach Åre stellen wir fest, dass die Kartenfunktion unseres Wahoo nicht hilfreich ist, egal wie sehr wir heranzoomen. Nirgends eine Strecke oder Linie, der wir folgen können. Nada. An Orten mit mehr Verkehr aller Art haben sich bei Bikern Navigationsmethoden wie Strava Routen oder Komoot durchgesetzt – jedoch nicht in Skandinavien. Hier sind echte Papierkarten noch immer hoch im Kurs. Am besten wählt ihr für die Planung eine Hybridlösung: Während ihr die Karte auf dem Tisch ausbreitet, öffnet ihr nebenher die Website Grusvägskartan. Diese geniale Karte mit allen Gravel-Straßen in Schweden wurde von Johan Johansson erstellt, der nicht nur begeisterter Abenteurer ist, sondern auch für das Softwareunternehmen Esri Sverige arbeitet, das sich auf Geoinformationssysteme spezialisiert hat. Zusammen mit einem Freund hat er zu Beginn des Corona-Lockdowns einen Tag lang Technologien aus ihrem Arbeitsalltag geborgt, um ein konzentriertes Gitterwerk aus orangefarbenen Linien zu erstellen, das das Land wie ein Netz aus Gravel-Gold überzieht. Im Moment gibt es noch keine Option für die Routenplanung, aber Johan ist optimistisch, was die Entwicklung angeht. Er möchte, dass die Leute das Land erforschen und Abenteuer erleben – genau deshalb haben sie das Projekt ja gestartet, erklärt er. Bis dahin ist das Durchforsten mehrerer Karten einfach Teil des Abenteuers.

Auch ohne Internet oder Telefonsignal stellt die App Swedish Mountains Maps alle ihre Funktionen bereit und zeigt euch über die Kameraansicht die nächstgelegenen Schutzhütten an.

Wo sich Luchs und Elch gute Nacht sagen

Nachdem ihr eure Route abgesteckt habt, könnt ihr losfahren. Mit was ihr auf den Schotterstraßen wahrscheinlich in Kontakt kommen werdet – einfach weil sie so viel zahlreicher vertreten sind als Menschen –, sind wilde Tiere. Von Elchen über eine Vielzahl von Wildvögeln bis hin zu gezüchteten Rentieren, diese Einheimischen verdienen euren Respekt. Wenn ihr welche trefft, dann haltet an, bleibt ruhig und lasst eurem Gegenüber Zeit, seinen Weg zu gehen. Elche sind groß. Wirklich groß. Glaubt uns: Ihr wollt lieber nicht mit einem davon zusammenstoßen. Rentiere wiederum sind in Schweden Nutztiere und sollten euch daher nicht überraschen. Im späten Frühjahr ist übrigens Kalbungszeit, also achtet darauf, dass ihr euch nicht aus Versehen zwischen ein Weibchen und ihr Junges drängt.

Im Supermarkt gab es ein paar Anregungen, um in Form zu kommen und Einheimische aller Art zu treffen! Ja, das ist ein echter Bär.

Den nötigen Respekt solltet ihr natürlich nicht nur den befellten Einheimischen entgegenbringen, sondern auch dem Land, auf dem ihr euch befindet. Im Idealfall ist die einzige Spur, die ihr hinterlasst, ein feiner Reifenabdruck. Aggressives Fahren auf den Wegen und natürlich das Fahren abseits der Wege fügen der Landschaft Schaden zu – und seien wir ehrlich, sie wurde durch das raue Wetter schon genug in Mitleidenschaft gezogen. Also begrenzt bitte die Auswirkungen, die euer Besuch auf die Natur hat. Oder sorgt am besten dafür, überhaupt keine Spur zu hinterlassen. Im Moment herrscht in der Gegend eine gewisse Anti-Stimmung, was Mountainbikes angeht, daher ist Schotter der Heilige Gral.

Wie der Fiat Panda 4×4 in Italien müssen in Schweden alte Volvos für alles herhalten von Coverschmuck für Zeitschriften bis hin zur Gartendeko.

Wie man dorthin kommt

Wenn ihr jetzt auf den Geschmack gekommen seid, habt ihr drei Optionen, um in die Region zu kommen: Entweder ihr fliegt ins zentrale Jämtland (Flughafen Åre Östersund) oder ihr nehmt den Nachtzug von Stockholm. Es ist auch möglich, nach Trondheim in Norwegen zu fliegen und einen Zug über die Grenze zu nehmen.

Wo übernachten?

Wir haben in Ottsjö gewohnt, etwas südlich des Hauptorts Åre. Das ist zwar etwas abgelegener, bietet aber direkten Zugang zu einem riesigen Netz unberührter Schotterwege bis hin zu einigen sehr technischen Wanderwegen. Diesen Zugang hat man eigentlich überall, sogar von Åre aus, aber wir wollten die Menschenmassen meiden – wie an so vielen Orten hat auch hier der lokale Tourismus durch Corona zugenommen. Diesen Sommer waren erstmals fast so viele Besucher hier wie sonst nur im Winter.


Wo man fährt

Die Möglichkeiten sind endlos und jede Fahrt ist ein Abenteuer. Ein Muss ist eine Runde um den Stausee Håckrenmagasinet auf fast unberührtem Schotter. Wir empfehlen außerdem jede Fahrt, die Fröå Gruva und den Schotter zwischen dort und Huså einbezieht, mit einigen obligatorischen Runden in der Björnen XC Arena. Wenn ihr nördlich entlang des Schotters am Seeufer in Richtung Kolåsen fahrt, könnt ihr die Route auch auf der Ostseite verlängern, um noch mehr Gravel-Flair abzugreifen. Von Ottsjö nach Bydalen führen euch 10 spektakuläre schwedische Gravel-Meilen (mit 10 multiplizieren, ihr denkt dran?), bevor ihr über das Fjäll nach Glen fahrt und dort auf einer 35 km langen Schotterabfahrt Jämtland in Richtung Härjedalen verlasst. Der Fäbodvägen, auf den ihr als Nächstes stoßt, ist eine alte Bauernstraße mit etwa 50 km unberührtem Schotter und jeder Menge Kühe, die den ganzen Sommer über auf der Weide stehen. Der phänomenale Käse aus Oviken Ost macht sich als Snack auf diesem Streckenabschnitt daher besonders gut (als Erinnerung für Daheim ist er auch nicht verkehrt). Kurz vor Ende wird der Fäbodvägen ein Stück lang asphaltiert, bevor ihr eure neu erworbenen Kartenkenntnisse nutzen könnt, um die beste Gravel-Strecke nach Ljungdalen zu finden. Denn dort beginnt der Flatruëtvägen, Schwedens höchste unbefestigte Straße. Reicht für den Anfang als Tipps, oder?

Was sollte man fahren

Emmies Bike

Das Stayer Groadinger UG mit handgefertigten 650B Adventure-Disc-Laufrädern ist ein superschnelles, aber dennoch ultrakompetentes Bike für die Trails – fast das perfekte Setup für dieses Gravel-Abenteuer. Es ist in der Lage, in den surfähnlichen Wellen die volle Geschwindigkeit zu erreichen und mit seinem schönen Laufradsatz schnell zu rollen. Trotzdem bietet es mit dem reaktionsfreudigen Stahlrahmen die nötige Nachgiebigkeit für die abgelegeneren, weniger gepflegten Gravel-Passagen. Müssen wir seine Fähigkeiten abseits der Schotterpiste überhaupt erwähnen? Oder werden die nicht schon beim ersten Blick klar?

  • Ritchey WCS Adventure Fork
  • 1 x SRAM eTap AXS-Schaltgruppe
  • Ritchey WCS-Anbauteile für Cockpit und Sattelstütze
  • Stayer 650b Gravel/Adventure Disc Wheelset DT350
  • Teravail Rutland 2.1-Reifen
  • Wizard Works Lil Presto!-Tasche

Phils Leih-Bike

Das Wintertrainingsrad von André Jonsson war der Ersatz für Phils Bike, das im Zoll zurückgehalten wurde. Ein gutes Backup, nicht ganz die richtige Größe, sicherlich Verbesserungspotential bei den Reifen, aber trotzdem in der Lage, Phil ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern und ihn daran zu erinnern, dass Graveln ein wahnsinnig breites Spektrum ist und dass einem manchmal auch wenig ausreicht, wenn die Strecken so gut sind und das Fahren einfach so viel Spaß macht!

Was man mitbringen sollte

Unberechenbar ist wohl das beste Wort, um einen schwedischen Sommer zu beschreiben. Es ist riskant, auf einer langen Tour ohne Abkürzungen von schlechtem Wetter erwischt zu werden. Bei einigen Fahrten trugen wir von Kopf bis Fuß wasserdichte Kleidung, wobei die POC Signal All Weather Jacket mit eingebautem RECCO-Reflektor und die Consort MTB-Latzhose zu unserer Standard-Gravel-Uniform wurden. Merino-T-Shirts waren das A und O. Denkt auch dran, noch vor der Fahrt die App Swedish Mountain Maps herunterzuladen – sie stellt all ihre Funktionen selbst dann bereit, wenn ihr kein Telefonsignal oder Internet habt. Snacks sind ein Muss, vor allem wenn man außerhalb der überschaubaren Sommersaison unterwegs ist. Viele Ort sind nämlich außerhalb der deutlich beliebteren Wintersaison nur von Ende Juni bis Mitte/Ende August geöffnet.


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Text & Fotos: Phil Gale