Das Gran Guanche ist ein nonstop Bikepacking-Event über die kanarischen Inseln. Unser guter Freund Till Schenk berichtet wie er und Annika Vossen dieses Rennen zwischen atemberaumbender Landschaft, Fährenfahrten und schalflosen Nächten erlebt hat. Eine GRAN FONDO Contribute-Story: Film ab!

38 Stunden leiden und kein Ende in Sicht

Der Wind bläst, die Luftfeuchtigkeit tropft von den Bäumen und die Temperatur ist nah dem Gefrierpunkt. Wir wurden im Vorfeld gewarnt, nicht über den Teide zu fahren, da ein Schneesturm angekündigt ist und nun sind wir hier, 10 km unter dem Gipfel. Wir lehnen uns in den Seitenwind und die Sicht ist fast auf dem Nullpunkt angekommen. Wie Fabelwesen tauchen immer wieder Bäume aus dem dichten Nebel auf. Es ist brutal, aber irgendwie auch faszinierend und wir haben ein Lächeln auf dem schmerzenden Gesicht.

Wir, das sind Annika Vossen und ich, befinden uns nach 36 Stunden, 440 km und 9.000 Metern Anstieg mitten im Bikepacking-Race namens Gran Guanche. Seit 38 Stunden ohne Schlaf brennen die Muskeln und uns rennt die Zeit auf der Jagd nach der letzten Fähre von Teneriffa nach La Gomera davon.

38 Stunden vorher wachen wir um 3:45 Uhr in unserem Apartment auf Lanzarote auf und sowohl drinnen als auch draußen ist alles dunkel. Die Elektrizität funktioniert nicht und damit verlieren wir wichtige Zeit und können nicht mal einen Kaffee trinken. Wir sind zu spät dran. Noch während wir in Richtung Orzola, dem Startort, rollen, geht das Rennen los und wir jagen schon früh den roten Rücklichtern der Mitstreiter, die sich bereits den ersten Anstieg hinauf schlängeln, hinterher.

Nach dem zweiten Anstieg auf den Tabayesco mit seiner unfassbaren Aussicht über das Meer und einem Stop in den Büschen, beruhigt sich mein Magen, der bis dato Probleme gemacht hat und wir jagen unter dem Quietschen meiner Bremsscheibe die Abfahrt in Richtung der Strände von Famara hinunter. Was ich lediglich für ein leichtes Schleifen gehalten habe, stellt sich auf dem Weg aus dem Nationalpark Timanfaya, der auch als Feuerberge bezeichnet wird, als richtiger Energieverlust heraus. In der langen Abfahrt rollt mir sogar Annika, die immerhin 20 kg weniger wiegt, davon. Zeit, um die Bremsen zu reparieren, ist jedoch nicht. Wir müssen die Fähre nach Fuerteventura erwischen.

Wir schießen eine 7 km lange Abfahrt nach El Golfo, einer der schönsten Ecken auf Lanzarote, hinunter, als unsere Jagd nach der Fähre abrupt gestoppt wird: Die Straße ist aufgrund von Steinschlag gesperrt. Absolut kein Durchkommen und für einen kurzen Moment stirbt der Traum von der frühen Fähre. Dann kommt mein innerer Trotz auf Touren und ein 25-km-Zeitfahren beginnt. Inklusive der 7 km langen Abfahrt, die wir gerade erst runtergekommen sind. Nur Annika schafft es, dem Tempo standzuhalten, doch mit dem Geschmack von Laktat im Mund erreichen wir gerade noch die Fähre.

Die zweite Insel – Noch kein Ende der Probleme

45 Minuten später rollen wir wieder von der Fähre und legen auf Fuerteventura los. Genau 3 km, bis meine Bremse wieder Probleme macht. Nach einer aufwendigen Problembehebung geht es 20 Minuten später endlich weiter.

Die Sonne brennt mittlerweile, aber die Aussicht mit den Dünen auf der einen und der Sandwüste auf der anderen Seite lenkt uns von den Schmerzen ab.

Vor vielen Jahren haben mich auf Lanzarote zwei „Hotshots” gebeten, ihnen eine richtig harte Radroute zu basteln. Gesagt, getan: Als sie abends zurückgekommen sind, habe ich nur „wenn wir die Arme noch heben könnten, würden wir Dir eine reinhauen”, zu hören bekommen.

Jetzt befinden Annika und ich uns mitten in genau diesen Bergen, in die ich die Jungs damals geschickt habe. Wir leiden, aber aus welchen Gründen auch immer, genießen wir jeden Meter.

Nach einem schnellen Supermarkt-Stop fliegen wir gefühlt mit unseren Bikes in Richtung der Fähre nach Gran Canaria. Eine Insel, auf der noch keiner von uns beiden war. Wir erreichen die Fähre im Dunkeln und die Müdigkeit will uns in die Knie zwingen, aber für Schlaf ist keine Zeit. Bei so einem Rennen dient die Fähre dazu, Kalorien zuzuführen und die Räder wieder auf Vordermann zu bringen. Wenn es richtig gut läuft, bleibt noch ein bisschen Zeit, um die Beine auszuruhen.

Ab durch die Nacht

Gran Canaria ist unfassbar schön. Die Strände, der Regenwald und traumhafte Aussichten. Zumindest hat man uns das so gesagt. Wir selbst haben keine Ahnung, nachdem wir im Dunkeln angekommen sind und die Insel auch wieder in der Dunkelheit verlassen haben. Dazwischen liegen 2.000 vertikale Meter und Temperaturen, bei denen wir das Gefühl in Händen und Füssen verloren haben. Nach 24 Stunden im Rennen ist das Einzige was wir sehen, der Kegel unserer Lampen.

Bei Nacht zu fahren, ist etwas ganz Besonderes und lässt sich mit Tagfahren nicht vergleichen. Alle Sinne sind geschärft, man sieht nur, was die Radlampe erleuchtet und fährt rein nach Gefühl in den Beinen. Da man auch nicht sieht, wie steil der Anstieg ist, kann einem das Hirn auch keine Tricks spielen.

Nach dem finalen und längsten Anstieg auf Gran Canaria folgt eine rasante Abfahrt in die Nacht und in Richtung Fähre. Jeder Muskel im Körper schmerzt und der Fokus richtet sich nur auf die wenigen sichtbaren Meter vor uns. Wir erreichen die Fähre und haben sogar noch Zeit, unsere Vorräte an der nahegelegenen Tankstelle aufzufüllen.

Schneesturm und ein kleines Desaster

Es gibt keine Faser im Körper, die zu diesem Zeitpunkt nicht gerne schlafen will, aber auch hier gilt wieder, wir haben keine Zeit. Für die vierte und längste Insel, Teneriffa, muss alles perfekt vorbereitet sein, damit wir das Ziel schaffen können. Die Speicher sind so gut es geht gefüllt, die Kette ist frisch geölt und alles ist sauber verstaut. Dann geht es für uns direkt von der Fähre runter in den fast 60 km langen Anstieg, von dem ich bereits so viel gehört habe.

Als wir den Nationalpark erreichen, erhalte ich eine Nachricht, dass wir nicht versuchen sollten, über den Teide zu fahren, da es eine Schneesturm-Warnung gibt.

Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem sowohl Annika als auch ich mental und körperlich an einem absoluten Tiefpunkt sind. Seit 36 Stunden keinen Schlaf, 440 km auf dem Rad und rund 9.000 Meter geklettert, liegen wir fast seitlich im Wind und die Temperaturen nähern sich dem Nullpunkt.

Obwohl wir komplett leer sind und die Fähre unerreichbar scheint, haben die brutalen Bedingungen etwas Besonderes. Es ist, wie durch einen dunklen Märchenwald zu fahren.

Ich senke den Kopf und pushe mich immer wieder im Gegenwind ans Limit. Versuche mich kurz zu erholen und pushe mit letzter Energie weiter, bis wir endlich die 45 km lange Abfahrt zur Fähre erreichen. Umgeben von den schneebedeckten Bergen und traumhaften Aussichten, kommen die Lebensgeister und Motivation wieder und wir schmeißen alles in die Abfahrt hinein.

Gerade als die Hoffnung auf das Erreichen der Fähre wieder aufkommt, kommt der nächste Rückschlag: Ich versuche in einen tieferen Gang zu schalten, um noch mehr Geschwindigkeit aufzunehmen, aber nichts passiert. Ich versuche es noch einmal, wieder nichts. In mir kommt kurze Panik auf und die zerstört alle Hoffnung, noch die letzte Fähre des Tages zu erreichen. Ich hatte vergessen, die Batterie in der Schaltung auszutauschen.

Unfassbar, wie sehr in diesem Moment, in dem die Spannung ablässt, der ganze Körper auf einen Schlag aufgeben will. Wir stehen nach nun mehr als 40 Stunden ohne Schlaf und 480 zurückgelegten Kilometern unterhalb des Teide und fangen in Sekundenschnelle an, am ganzen Körper zu zittern. Es wird Nacht und wir erreichen Minusgrade. Wir ziehen jedes Kleidungsstück an, das wir dabei haben, und rollen in die Nacht. Die 35 km geben mir den Rest. Die Hände schmerzen, mittlerweile regnet es und wir sind bis auf die Knochen durch. Kurz gesagt: Der Tank ist einfach nur leer.

Dank Zwangsstopp über Nacht gibt es zum ersten Mal etwas Richtiges zum Essen, eine Dusche und die Chance, unsere Radkleidung zu waschen. Zudem gönnen wir uns den Luxus eines Hotelzimmers und sind überraschend frisch und motiviert, als wir am nächsten Morgen auf der Fähre gen La Gomera unterwegs sind.

La Gomera – Das Beste zum Schluss

Die Sonne scheint, als wir im Hafen ankommen, aber vor uns tun sich dunkle Wolken am Gipfel des ersten Anstiegs auf. Die Fahrer, die in der Nacht schon auf La Gomera gefahren sind, sind in den Genuss von Dauerregen gekommen.

Wir machen uns an den ersten Anstieg und zum ersten Mal nach 500 km schaffe ich es, von Annika wegzufahren. Ich bin hoch motiviert und hole sogar den einen Mann, der vor mir von der Fähre ist, ein. In den Anstiegen ist er stärker, im Flachen ich. Nicht gerade das ideale Rezept für 100 km mit 3.200 Höhenmetern.

Als der Sportsfreund dann aber nach dem ersten Anstieg vor der Abfahrt anhält, um sich eine Jacke anzuziehen, geht der Rennspirit mit mir durch und ich attackiere in die Abfahrt und direkt den nächsten Anstieg. Von da an fahre ich eigentlich nur noch über dem Limit und riskiere alles, da ich definitiv zu wenig Essen für so eine Attacke dabei habe. Ich will aber auch nicht anhalten, solange er mich noch vor sich sehen kann, in der Hoffnung, dass irgendwann seine Motivation verloren geht.

Ein kurzer Stopp im Formel-1-Style in einem Café, eine Fanta, eine Cola und zwei Snickers retten mich und es geht mit dem Gefühl eines Gejagten weiter den Berg rauf.

Trotzdem schaffe ich es noch, die unbeschreiblichen Aussichten auf La Gomera zu genießen. Als ich aus dem Nebel über den Gipfel fahre, tut sich mir eine Welt wie aus Lord of the Rings auf. Ich bekomme vor Begeisterung den Mund nicht zu, ehe es dann auch noch zu regnen beginnt.

Nach einem letzten Anstieg und traumhaften Aussichten steht das große Finale an. 20 km Abfahrt mit Dauerblick aufs Meer und die Serpentinen. Eigentlich sollte das ein Schaulaufen sein, aber die Realität raubt mir die letzte Energie. Die Seitenwinde sind so heftig, dass ich zweimal in Kurven aus dem Pedal raus muss, um nicht von der Straße abzukommen.

Hinter mir fährt Annika ihr eigenes Rennen gegen eine der anderen Frauen und attackiert über den Gipfel in die regennasse Straße. Sie fährt dabei mit dem Mut einer Person, die zum Glück noch nie ernsthaft gestürzt ist.

Die finalen Meter sind nur noch Freude und es stellt sich heraus, dass ich am Ende etwas entspannter hätte fahren können. 20 Minuten ist mein Vorsprung auf den nächsten Mann und dann kommt auch schon Annika ins Ziel gerollt. Als erste Frau in ihrem ersten Ultra-Rennen.

Gran Guanche ist ein Rennen über fünf Kanarische Inseln, jede mit ihrer ganz eigenen Charakteristik. Ein Rennen, das Erinnerungen für die Ewigkeit kreiert hat. See you out there!


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Text: Till Schenk Fotos: Johannes Schenk