Aerodynamik hilft, dein Bike schneller zu machen, aber ist allein für sich so … 2000er. Sind Federungssysteme vielleicht die Lösung? Wir haben Suspension-Guru Mike „Mick“ McAndrews getroffen, interviewt und über die Zukunft des Rennrads gefachsimpelt.

Heute wissen wir: Federungssysteme können mehr als lediglich den Fahrkomfort erhöhen. Sie können außerdem die Effizienz des Gesamtsystems verbessern. Entkoppelt man die bewegte Masse von den Laufrädern bzw. von den Kontaktpunkten zum Boden, so kann die Fahrdynamik oder der Schwung besser aufrechterhalten werden. Gelingt das nicht, kommt der Fahrer eher ins Stocken. Ein grundlegendes Prinzip, das in den letzten Jahren auch dazu führte, dass Gravel-Reifen immer großvolumiger werden. Beim Mountainbike kommen bereits seit vielen Jahren Dämpfer und Federgabeln zum Einsatz, die sich in ihrem Design jedoch nur bedingt für den Straßenbereich eignen. Denn am Rennrad würde eine Federgabel nicht nur das Gewicht und die Performance negativ beeinflussen, sondern beim Einfedern auch die Geometrie des Rades spürbar verändern.

Mit dem Future Shock System verfolgt Specialized einen anderen Ansatz, der in Sachen Funktion und Ästhetik rennradtauglicher ist und den Vorteilen einer Federgabel so nah wie möglich kommen soll. Das Resultat soll ein effizienteres Gesamtsystem sein oder in anderen Worten: ein Bike, das den Schwung gut „mitnehmen“ kann. Das Federungssystem kommt an Modellen wie dem Diverge oder dem Roubaix zum Einsatz und natürlich hatte hier ein ganz bestimmter Mann seine Hände im Spiel: Federungs-Guru Mike „Mick“ Andrews. Mick hat eine beeindruckende Laufbahn hinter sich. Nach einigen Jahren in der Motorrad-Industrie hat er über FOX Suspension und RockShox den Weg zu Specialized gefunden, wo er die Brain-Technologie federführend mitgestaltet hat. Die Hälfte seiner Arbeitszeit widmet Mick momentan dem Rennrad-Bereich. Wir haben die Gunst der Stunde genutzt und ihn gefragt, wie federnde Elemente am Rennrad Effizienz, Kontrolle und Komfort beeinflussen können.

GRAN FONDO Cycling:
Mick, danke, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst! Lass uns von vorn anfangen: Wie bist du dahin gekommen, wo du jetzt bist?

Mike:
Ich bin schon sehr lange in dieser Branche, etwa 1992/1993 kam ich zum Fahrrad-Bereich. Ich beriet zwei Freunde, die bei RockShox waren, in Sachen Federung, weil ich ja aus der Motocross-Branche kam. Greg LeMond hatte uns angefragt, er wollte, dass wir ihm eine gedämpfte Federgabel für Paris-Roubaix bauten.

GRAN FONDO Cycling:
Spulen wir vor bis heute, zur Future Shock-Technologie. Es mag Leuten erst einmal merkwürdig vorkommen, dass sie den Lenker hoch und runter drücken können. Aber wie wirkt es sich auf das Selbstvertrauen, die Kontrolle und damit letztendlich auf das Handling aus?

Mike:
Die aktuelle Verwendung von Dämpfungssystemen im Lenker wurde von Team-Fahrern im Allgemeinen gut angenommen, außer bei Sprint-Passagen in Unterlenkerposition. Die Belastung für das System ist dann einfach anders als konzipiert und die Fahrer hatten zu viel Bewegung im System. Aber ich begrüße diesen ersten Start sehr, denn so wurde mit der konventionellen Weisheit gebrochen und die Sache mit der Suspension wurde vorangetrieben. Man erreicht damit etwa 80–90 % der Performance einer regulären Gabel.

GRAN FONDO Cycling:
Bei der Future Shock-Technologie von Specialized gibt es drei Feder-Varianten, aber alle ohne Dämpfung. Je nach Fahrstil gibt es viele Parameter, die eine Rolle spielen …

Mike:
Beim Rennradfahren erreicht man viel höhere Geschwindigkeiten als beim Mountainbiken und die Frequenz der Schläge ist sehr hoch. Eine Dämpfung kann bei hohen Frequenzen stören. Das System muss schnell ansprechen können.

GRAN FONDO Cycling:
Was ist mit Materialdämpfung und mit den Unterschieden zwischen Carbon, Stahl und Aluminium?

Mike:
Carbon-Rahmen können dämpfen und aus sich selbst heraus Stöße absorbieren. Das Problem ist nur: Wenn man zu viel Federweg bzw. Flex einbaut, wird es unkontrolliert. Man kann das „Federn“ nicht so gut kontrollieren wie mit einem Dämpfungssystem. Das Ziel ist ein ausgefeilteres System, das auf unterschiedliche Arten, je nach Fahrweise, reagiert.

GRAN FONDO Cycling:
Wenn ihr ein Federungssystem für ein Mountainbike baut, berücksichtigt ihr da den Flex im Rahmen?

Mike:
Für uns geht es primär um neue Technologien, aber ja, der Flex im Rahmen ist wichtig und wir tun unser Bestes, das schon in der Anfangsanalyse zu berücksichtigen. Wir lernen immer noch viel über die Auswirkungen des Rahmen-Flex dazu, die Lernkurve ist recht steil. Mittlerweile können wir die möglichen Effekte simulieren, bevor wir in den Feldversuch gehen. McLaren war da ein starker Antrieb. Was sie in Sachen Stoßdämpfungsdynamik simulieren und verstehen können, hat uns zum Nachdenken gebracht – über das Gesamtsystem und darüber, wie wir die Simulation anlegen. Da geht es nicht einfach um eine geradlinige Belastung.

GRAN FONDO Cycling:
Kommen wir zum Material: Denkst du, es ist irgendwie irreführend, dass immer Carbon für High-End-Produkte verwendet wird, wo es doch schwerer zu kontrollieren ist?

Mike:
Ja, früher war ich ein großer Fan von Carbon, doch dann habe ich mich „entliebt“. Es ist ein interessantes Material und es kann auf vielen verschiedenen Ebenen genutzt werden. Doch Carbon-Komponenten werden schnell überdesignt, um das Risiko, dass sie versagen, zu minimieren. Es ist ein Dilemma. Wenn man mehr über die Materialien lernt und darüber, wie man sie bearbeitet, sodass das Ganze kontrollierbar wird, und wenn man die Carbon-Komponenten nicht überdesignt, dann fallen einem großartige Parts ein, die man noch bauen könnte. Genauso ist es mit den Rahmen. Wir denken immer noch in Aluminium, auch wenn wir in Carbon bauen. Doch mit der Expertise und Erfahrung unseres Teams können wir jetzt sehr viel bessere Carbon-Teile konzipieren als früher. Aber es gibt Sachen, da bekommt man mit Aluminium einfach bessere Produkt-Charakteristika – es ist schon tricky.

GRAN FONDO Cycling:
Wenn man sich aktuelle Rennrad-Rahmen anschaut, stellt man fest, das manche sehr einfach, andere dagegen ziemlich komplex sind. Seit Jahrzehnten fahren Leute das Roubaix-Rennen, aber Carbon-Rahmen sind erst seit ein paar Jahren dabei. Viele Hersteller bauen Carbon-Rahmen mit besonderen Technologien, welche die jeweiligen Modelle gezielt an die speziellen Bedingungen anpassen.

Mike:
Damals, zu LeMonds Zeiten, warf man die starren Stahl-Gabeln und auch -Rahmen nach jedem Rennen weg, weil die meisten Kettenstreben hinüber waren. Einer der Team-Mechaniker zeigte mir sogar mal Risse im Stahlrahmen. Vielleicht waren diese Rahmen schon nachgiebig, aber für so was waren sie einfach nicht wirklich gebaut.

Damals meldete sich das Team von LeMond bei uns. Greg war schon immer etwas verrückt in der Hinsicht, hat immer „outside the box“ gedacht. Das Peloton hat ihn fast ausgelacht. Doch im zweiten Jahr unserer Zusammenarbeit gewann das Team das Rennen. Und im dritten Jahr begannen die Manager, uns anzurufen, sodass schließlich 80 % des Pelotons die RockShox-Gabeln fuhren.

GRAN FONDO Cycling:
Ihr lasst euch von McLaren und von Profisportlern inspirieren. Wie übersetzt ihr deren extreme Tests in Produkte für ganz normale Fahrer?

Mike:
Bei Specialized geschieht das in unserer S-Works-Linie. Wir designen die Produkte so, dass die Besten der Welt damit ihre Rennen fahren können. Wir wollen Siege bei der Tour de France, der WorldTour, der Weltmeisterschaft. Aber das Produkt muss auch so sein, dass es Amateur-Racer auf lokalem Niveau kaufen können und damit effektiv fahren. In vielem arbeiten wir eng mit den Teams zusammen, weil wir wissen, worauf es ankommt, wenn man schnelle Bikes bauen will. Wenn es jedoch um das Bike-Setup geht, ist die Wahl der Pros nicht immer das Beste für den Endkunden. Profis opfern manchmal Komfort und Kontrolle, um dafür etwas schneller sein zu können. Sie haben eine Agenda für das Rennen, dementsprechend gestalten wir das Setup. Auf dieses Level müssen wir das Produkt bringen können. Dann können alle Fahrer sämtliche notwendigen Einstellungen vornehmen, um auf dem Niveau zu racen. Wenn ich zu den Profis mit einem Produkt gehen kann, um sie auszuprobieren zu lassen, ob sie damit schneller sind, dann heißt das, wir haben Erfolg. Oft hört man einfach nur zu, was sie einem erzählen und welche Herausforderungen sie zu bewältigen haben und dann kommt man irgendwann wieder mit einer Technologie, die das Problem löst. Mit ihren Rückmeldungen zu den Rennen, die sie fahren, geben sie mir wichtige Antworten, ohne dass ihnen das wirklich bewusst ist.

GRAN FONDO Cycling:
Du hast auch die Specialized Brain-Technologie mitentwickelt, einen automatischen Lock-Out-Mechanismus an Mountainbike-Federgabeln und -Dämpfern. Im Wiegetritt bleibt das Fahrwerk starr, doch sobald die Laufräder auf ein Hindernis treffen, kann es ein- und ausfedern. Ist das in Zukunft auch ein Konzept, das am Rennrad sinnvoll wäre?

Mike:
Das könnte passieren. Die Technologie funktioniert bei Cross-Country-Bikes wie beim Epic sehr gut. Ich sage öfter, dass wir beim Cross-Country-MTB-Racing und beim Road-Racing eine Menge Überschneidungen sehen, sowohl bei den Fahrern als auch in den Herausforderungen fürs Produktdesign. Es gibt viele Gemeinsamkeiten in der Art der Rennen und der Effizienz. Wir hatten mit der Brain-Technologie beim Epic große Erfolge. Beim Specialized Roubaix oder bei Gravel-Bikes könnte man sich eine Version des Brain-Systems gut vorstellen, die aber anders verpackt werden müsste.

GRAN FONDO Cycling:
Was ist mit digitaler Technologie?

Mike:
Wir in der Suspension-Branche, also als Ganzes betrachtet, schauen uns Federungssysteme an, und auch, was in der Autobranche passiert, z. B. Schrittmotoren, adaptive Stoßdämpfer, Zylinderspulen. Ich habe genug anspruchsvolle Forschungsprojekte durchgeführt, die Prototypen anderer Leute getestet, und es gibt da potenziellen Nutzen. Doch für unsere Zwecke wiegt dieser Nutzen nicht die Nachteile auf, die man in Kauf nehmen muss, wenn man versucht, diese Technologien auf ein Fahrrad zu übertragen. Wobei man sagen muss: Es gibt eine Menge Technologie zur Sammlung und Messung von Daten, die sich immer weiter entwickelt und immensen Nutzen haben könnte. Der Tag wird kommen, an dem wir Elektronik nutzen können, um Federungs-Setups zu kontrollieren und zu optimieren. Aber wahrscheinlich kommt noch vorher der Tag, wo wir eine bestimmte Fahrt damit messen, analysieren und anpassen können. Das müsste etwas sein, was sich nahtlos in das System einfügt, vielleicht so etwas wie Strava. Man fährt dieselbe Strecke mehrmals und sieht, wie man abschneidet. So lernen Nutzer, dass technische Anpassungen etwas Gutes sein können und nichts, wovor man Angst haben muss. Das könnte ihnen helfen, die richtigen Einstellungen vorzunehmen und die Technologie zu optimieren. Alle Firmen stellen den Nutzern sehr gute Technologie zur Verfügung, doch nur ein kleiner Prozentsatz der Konsumenten weiß, wie man diese Technologien in vollem Umfang nutzt. Für uns als Industrie, als Hersteller, als Lieferanten solcher Technologien ist alles, was wir tun können, damit die Nutzer unsere Produkte optimieren können, ein großer Schritt nach vorne.

GRAN FONDO Cycling:
Testet ihr die Federelemente im Labor? Federungstests sollten beispielsweise ja dynamisch durchgeführt werden.

Mike:
Ja, wir machen das viel mit Suspension, aber es geht uns dabei um mehr als nur das Federelement selbst. Wenn wir ein Bike designen, testen wir es ausgiebig im Labor. Ich achte sehr genau auf die Kennlinie des Laufrads, nicht nur auf den Dämpfer oder die Gabel. Wir messen eher am Laufrad, wie bei einem Rennwagen, ohne die Bereifung zu berücksichtigen. Wir befestigen die Messinstrumente an der Achse. Wir achten sehr genau darauf, wie sich die Kennlinien über den gesamten Federweg verhalten.

GRAN FONDO Cycling:
Was ist das „next big thing“?

Mike:
Das weiß ich nicht, aber ich weiß, wo ich hinsehen muss, um das herauszufinden. Ich habe das schon vor Jahren gelernt: Ich habe dieses Wissen nicht, aber die nächste Fahrer-Generation wird dafür sorgen, denn sie wird die nächste Generation an Produkten, die wir bauen, auf andere Arten verwenden als eigentlich vorgesehen. Sie werden den Sport neu definieren. Oft tun sie das so, dass ältere Nutzer sich daran orientieren können und die Technologie-Entwicklung in die entsprechende Richtung forcieren. Das ist für mich der Trend, der sich abzeichnet, wenn ich auf meine eigene Geschichte zurückblicke.

GRAN FONDO Cycling:
Mick, vielen Dank für dieses Interview!

Mike:
Cheers!


Dieser Artikel ist aus GRAN FONDO Ausgabe #011

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Text: Benjamin Topf, Charles Nicholson Fotos: Benjamin Topf