Wir sind Mitglieder im Fight Club. All die Gesichter um uns herum gehören Menschen, deren Körper voller Narben und Blut sind und unvermeidlich die Wunden aufweisen, die das Radfahrerdasein mit sich bringt. Wenn du dich für einen Radfahrer hältst, aber keine Spuren an deinem Körper das beweisen, dann kämpfst du nicht hart genug.

Der Kellner, der dir Kaffee mit Milchschaum und Rohrzucker serviert, könnte Radfahrer sein oder der Arzt, der dir sagt, dass du deine Cholesterinwerte senken solltest, oder der Mechaniker, der den Ölwechsel an deinem Auto macht. Die junge Frau in der Bäckerei, die sorgsam deine Baguettes in Papier wickelt, könnte Radfahrerin sein oder der stets grantige Busfahrer oder der Friseur, der dir die Spitzen immer viel zu stark kürzt. Oder der Versicherungsmakler, der ständig anruft, um dir eine neue Police anzudrehen, oder der Pförtner, der nie „Guten Morgen“ sagt, oder der Typ, der die Burger wendet, die du freitags immer isst. Jeder, das heißt JEDER, der dir begegnet, könnte Radfahrer sein. Mein Freund, wir sind nicht allein.

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„Wenn du dich für einen Radfahrer hältst, aber keine Spuren an deinem Körper das beweisen, dann kämpfst du nicht hart genug.

Der italienischer Schriftsteller Roberto Saviano beginnt sein Buch „Zero Zero Zero“ in ähnlicher und brillanter Weise, indem er uns deutlich macht, dass jeder um uns herum ein Junkie sein könnte. Die Brutalität dieser Erzählung macht aus jedem von uns einen potenziellen Junkie, ohne Ausnahme und ohne Vorurteile. Etwas breiter gedacht, könnte man Savianos Buch als Muster dafür lesen, dass es auch beim Radfahren – wie in allen Lebensbereichen – eine Abhängigkeit geben kann. Wir sind Mitglieder im Fight Club. All die Gesichter um uns herum gehören Menschen, deren Körper voller Narben und Blut sind und unvermeidlich die Wunden aufweisen, die das Radfahrerdasein mit sich bringt. Wenn du dich für einen Radfahrer hältst, aber keine Spuren an deinem Körper das beweisen, dann kämpfst du nicht hart genug.

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Kämpfen. Ja. Das ist es, was wir als Radfahrer gemeinsam haben. Wir sind süchtig nach dem Leiden, dem Adrenalin und dem Blut. Geschorene Kämpfer in Lycra, die mit einer fragilen Schale Rivalen abschrecken. Denn noch nie waren so leichte Körper auf der Straße so stark. Noch ist der Asphalt dem warmen, menschlichen Blut nah, das in seine kalten Poren sickert.

Blut. Ja. Diese tiefrote Flüssigkeit, die die Energie in unsere Muskeln transportiert. Die in den härtesten Augenblicken, wenn wir einen Berg erklimmen, aufkocht, die wir zur Schau stellen, wenn wir zeigen wollen, wie hart die Schlacht war. Wir sind von Natur aus Exhibitionisten, wir verbergen unsere Sucht nicht. Wir wollen, dass die ganze Welt sieht, was für ausgehungerte Pedaljunkies wir sind.

Pedale. Ja. Wir brauchen die Watts gegen unsere brachialen Entzugserscheinungen. Furcht. Schmerz. Leidenschaft. In die Hölle und zurück, freiwillig und zeitweise. Pure Energie, die wir speichern und wieder wegwerfen, Tag um Tag. Tritt um Tritt. Schlag um Schlag.

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Wir sind Süchtige, Junkies, aber wir wollen nicht in die Hollywood Hills auf Entzug geschickt werden. Hügel sind zum Hochfahren da, vielleicht mal für ein KOM auf Strava, aber hauptsächlich dafür, sie schneller hochzufahren als irgendwer sonst. Die Frage ist: Wie abhängig willst du sein? Den Grad der eigenen Abhängigkeit zu kontrollieren macht alles noch aufregender. Du entscheidest, wie tief du in diesen Sport hinein willst, der keine Muster oder Stereotype kennt. Denk dran: Der Polizeibeamte, der dir gestern einen Strafzettel verpasst hat, könnte Radfahrer sein oder der Typ aus dem Callcenter, der jeden Tag anruft und dir Internet kostenlos zur Probe verspricht, oder der Nachbar, der sein Auto immer zu nah an deinem parkt …


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Text: Alberto Álvarez Fotos: David Broadbent (Illustration)