Warum steigen wir aufs Bike? Auf diese Frage gibt es wohl fast so viele Antworten wie Speichen in einer Laufradmanufaktur. Und egal wie lange man schon dem besten Hobby der Welt nachgeht, man kann immer wieder neue Gründe dafür entdecken. Wie unser Autor, der einen Weg gefunden hat, Zen und Bike zu vereinen.

Höhenmeter erklimmen, episch ballern und viele Kilometer sammeln, das sind sicher weit verbreitete und auch irgendwie etablierte Gründe, um aufs Rad zu steigen. Denn wer kommt nicht gerne von seinen ruhmreichen Touren zurück und freut sich über Kudos-Daumen und anerkennende Blicke der Bike-Dudes für die erbrachten Leistungen? „Einfach toll gemacht!“, ruft man sich gegenseitig zu. „Und beim nächsten Mal fahren wir noch schneller und noch weiter.“ Damit es auch schön vergleichbar bleibt, nehmen wir natürlich altbekannte Strecken, um die eigenen Rekorde zu knacken. Diese immergleichen Strecken kennt sicher jeder. In meiner Heimat, dem Hamburger Osten, tummeln sich unzählige Freizeit-Pelotons beispielsweise gerne am Deich. Gähn.

Ohne Zweifel ist es der Knaller, von A nach B zu fliegen. Sich im Gruppeto zu verstecken, sich dabei nur auf das Hinterrad der Vorderfrau bzw. des Vordermanns zu konzentrieren und für die persönliche Bestzeit alles links und rechts an einem vorbeifliegen zu lassen. Die Landschaft ist ja egal, kennt man ja eh schon alles. Hauptsache schnell. Doppel-Gähn.

Abseits der Straßen auf technisch anspruchsvollen Pfaden nur das Hinterrad anzustarren, empfiehlt sich nicht. Hier schaut man dann doch schon mal genau auf den Weg und die Umgebung. Ist ja auch sicherer. Aber selbst beim Graveln haben sich Wettstreit und die Definition über Leistungsdaten eingeschlichen. Das ist wohl die Macht der Gewohnheit. So ein Gravel-Bike ist ja auch irgendwie ein bisschen wie ein Rennrad mit dicken Reifen. Damit kann man jetzt eben auf bekannten Schotterwegen durch den Wald schießen. Dreifach-Gähn.

Klar ist es ab und an toll, sich diesem Leistungsdruck hinzugeben, zu ballern und Bestzeiten zu kreieren. Nur bleibt dabei eines der essenziellen Dinge auf der Strecke bzw. auf dem Weg. Nämlich der Weg selbst.

„Der Weg ist das Ziel“

Dass der Weg nicht ganz unerheblich ist und man deshalb im Leben nicht nur mit Scheuklappen starr das Ziel im Blick haben sollte, das propagierte Konfuzius schon lange vor der Erfindung des Fahrrads. Nichtsdestotrotz hat dieser Satz noch immer seine Berechtigung. Heute vielleicht sogar noch viel mehr als gedacht.

Die Welt um uns herum dreht sich gefühlt stetig schneller und in unserer Gesellschaft definiert sich vieles ganz klar über Leistung, Erfolg und Geschwindigkeit. Im Großen und Ganzen kann man daran sicher nicht viel ändern. Aber man kann es in Situationen ändern, in denen man die Kontrolle hat und in denen man ohnehin freiwillig und gerne am Start ist. Zum Beispiel beim Biken.

Doch was bedeutet das nun für die Zeit auf dem Rad? Eigentlich nicht viel. Im Grunde geht es nur um die Verschiebung von Schwerpunkten während sowie das erfüllende Gefühl am Ende des Rides. Das Motto heißt: Genieß die Momente und den Weg in all seinen Facetten.

Dafür braucht es nicht viel. Im Grunde muss man nur neugierig sein, den Blick heben, seine Augen öffnen, sich überraschen lassen, sich Zeit nehmen und sich mit technischen, optischen und kulinarischen Highlights belohnen wollen. Ach und ganz wichtig: Spaß haben! Dabei werden Spitzengeschwindigkeiten zur Nebensache, Durchschnittsgeschwindigkeiten obsolet und die zurückgelegten Kilometer sind plötzlich nicht der Rede wert. Man nimmt ganz einfach den stressigen Druck heraus. Wenn nötig auch aus den Reifen, um es noch etwas gemütlicher auf dem Weg zu haben.

Natürlich war das schon immer möglich, doch dank Gravel-Bikes geht dieses Entschleunigungskonzept jetzt hervorragend auf. Das Ass im Ärmel von Gravel-Bikes ist schließlich das unbedingt Unspezifische. Ganz salopp gesagt: Es ist eben ein Fahrrad, das irgendwie alles kann und überall durchkommt. Kritiker werden sich jetzt sicher ganz leicht räuspern, mit dem Kopf schütteln, abwinken und sich auf eines ihrer spezialisierten Bikes für ganz bestimmte Einsatzzwecke schwingen. Sollen sie doch machen.

Alle Macht den Menschen hinter Dropbars

Wir wissen: Mit keiner anderen Bike-Gattung als dem Gravel-Bike funktioniert das Erkunden, Entdecken und Rumbummeln auf unbekannten Wegen leichter. Ein Gravel-Bike lässt endlich wieder den Menschen entscheiden, wo es hingeht. Es legt nicht durch Konstruktion, Geometrie und Ausstattung fest, welchen speziellen Weg und welchen Untergrund man wählen muss, um voranzukommen und Spaß zu haben.

Mit dieser zurückgewonnenen Freiheit gilt es jetzt zu spielen. Für die ersten Pedalumdrehungen in Freiheit braucht man genialerweise nicht mal in die Ferne zu schweifen, sondern kann schon vor seiner eigenen Haustür beginnen. Mal die altbekannten Pfade verlassen und einfach immer der Nase nach graveln. Links anstatt rechts in den Wald einbiegen, den kleinen Singletrail wählen anstelle des breiten Schotterwegs und sich so langsam im Irgendwo verlieren. Wichtig dabei: Nicht ständig daran denken, wie der Weg beschaffen sein wird, den man nicht kennt. Einfach eine Himmelsrichtung aussuchen und losfahren.

Fast wie die alten Entdecker aus dem Geschichtsunterricht. Nur eben mit moderner Technik und selbstverständlich mit einem zeitgemäßen Look. Denn nur weil man Neuland entdeckt und entsprechend langsamer unterwegs ist, muss man ja nicht so aussehen. Stichwort: #lookprogoslow. Natürlich kann es auch mal anstrengende und technisch anspruchsvolle Überraschungen geben, die dabei zu meistern sind. Und ja: Das Bike mal schieben oder gar tragen zu müssen, gehört durchaus zum guten Ton auf solchen Rides. Es ist sozusagen das Salz in der Entdeckersuppe.

Ganz wichtig – Belohnung

Bei aller Entdeckerlaune sollte aber eine Sache auf keinen Fall zu kurz kommen: die Belohnung. Klar, der neu entdeckte Singletrail mit der grandiosen Lichtung und dem verwunschenen Bachlauf ist schon ganz nice und könnte Belohnung genug sein. Stimmt. Verbindet man seine Tour aber zusätzlich mit kulinarischen Highlights – während und nach der Tour –, wird daraus eine wirklich runde und genussvolle Sache. Dabei ist es egal, ob es ein leckeres Stück Kuchen, ein erfrischendes Stieleis oder das kühle Finalbier ist. Hauptsache, man nimmt sich Zeit, um zu genießen. #noridewithoutmmmhh

Höher, schneller, weiter? Nö. Es geht nicht darum, wohin es geht, sondern wo lang. Seid beim Entdecken einfach neugierig und aufgeschlossen, genießt den Weg und wiederholt eure Rides – aber natürlich immer auf anderen Wegen.


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Text & Fotos: Martin Augner