Business, Sport oder Alltag – wenn es hart auf hart kommt, braucht man die richtigen Werte und Qualitäten. Unter einfachen Bedingungen kann jeder brillieren, doch nur die wenigsten verstehen es, sich den wirklich großen Herausforderungen zu stellen. Die Hölle des Nordens ist eine dieser Herausforderungen, bei denen man etwas für sein ganzes Leben lernt. Zumindest dann, wenn man dieses Rennen versteht.

Weltweit gefürchtet wie verehrt, sind die nordischen Pavés der Schrecken eines jeden Radfahrers. Die Hölle des Nordens fordert ihre Opfer und Tribute. Europas härtestes Pflaster bricht nicht nur Material, sondern auch Rennfahrer. Wer es einmal am eigenen Leib erlebt hat, weiß es – und kann stolz auf sich sein. Denn dieses Rennen ist ein einziger Ausnahmezustand. Ein Volksfest, bei dem die Helden bis zur totalen Erschöpfung und darüber hinaus kämpfen, während sie von Millionen von Zuschauern entlang der Strecke angefeuert werden. Nur der härteste Hund kann dieses Rennen gewinnen, wenn es nach rund 250 km und 27 Pavés in das Vélodrome von Roubaix geht.

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Doch dieser ultimativen Herausforderung darf sich nicht nur das Peloton stellen. Die Faszination des Leidens wird am Tag vor dem Rennsonntag auch den Amateuren gewährt. So haben sie die Gelegenheit, samstags selbst zu leiden und sonntags das Profi-Rennen live anzuschauen.

Aber diese Story handelt weder von Profis noch von dem legendären Frühjahrsklassiker, der im Zuge der bevorstehenden Grand Tours für die nächsten Monate in den Hintergrund gerät. Sie handelt vielmehr von den Lektionen, die man in der Hölle des Nordens lernt. Und die bringen jeden auch im alltäglichen Leben weiter!

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Wer erfolgreich sein will, muss bereit sein, über seine Grenzen hinauszuwachsen und Dinge zu machen, die andere nicht verstehen werden: Im Kontext von Paris-Roubaix ist die Brutalität der Pflasterstein-Sektionen nicht nur Probe der eigenen Leistungsbereitschaft, sondern Katalysator zugleich. Wer die Kopfsteinpflaster bezwingt, stärkt auch sein Durchhaltevermögen – und davon profitiert man beim durchgeplanten Meeting-Marathon genauso wie beim sportlichen Club-Ride. Wofür braucht man schon mehr Mut und Durchhaltevermögen als für Europas härtestes Pflaster? Wer die Hölle des Nordens besteht, ist mit allen Wassern gewaschen. Wer diese Pflastersteine bezwingt, bezwingt alles. Statt dem kurzfristigen Genuss hat man das große Ziel vor Augen und lässt sich von etwaigen Unannehmlichkeiten und Strapazen auf dem Weg zur Finish Line nicht abschrecken.

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Aber selbst mit dem größten Durchhaltevermögen wird man dieses Rennen nicht gewinnen. Glück und Taktik gehören ebenfalls dazu. Während Glück eine kleinere Rolle spielt (Terpstra 2014), ist die richtige Taktik oftmals entscheidend (Mapei 1996). Auch wenn bei diesem Klassiker jedes Jahr nur der Name eines Helden in Stein gemeißelt wird, so gründet dessen Ruhm auch auf der Leistung seines Teams. Die Domestiques helfen, opfern sich auf und bilden die Grundlage eines jeden Erfolgs, indem sie die Strapazen ertragbarer machen und die Arbeit teilen. Jeder hat seine definierte Rolle und trägt im richtigen Moment seinen Teil auf den langen 250 km bei.

Wer das bessere Team hat, gewinnt. Schließlich zählt jedes Quäntchen an übriger Energie, wenn die Glocke im Vélodrome von Roubaix erklingt. Und genau darum geht es auch überall sonst im Leben. Man kann versuchen, sich auf dem Ego-Trip durchs Leben zu boxen und unter Umständen sogar erfolgreich sein (wie Matt Hayman 2016 bewies). Aber wer auf Teamgeist statt auf Egoismus setzt und die richtige Mannschaft zusammenstellt, die sich gegenseitig unterstützt, statt gegeneinander zu arbeiten, der ist auf dem richtigen Weg (wie das Molteni Team mit Merckx). Als gutes Team ist man besser, schneller und hat vor allem mehr Spaß – egal wie hart es kommen mag!

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Geteiltes Leid ist halbes Leid. Egal wie abgedroschen dieser Satz auch klingen mag, nirgendwo hat er mehr Bedeutung als in der Hölle des Nordens. Und wer von ihr zurückkehrt, der wird seine vertraute Umgebung mit anderen Augen sehen. Paris-Roubaix ist die Bestätigung, dass Limits vor allem in unserem Kopf bestehen und wir über uns hinauswachsen können – sofern wir wollen. Denn Paris-Roubaix wird nicht mit Muskeln, sondern im Kopf gewonnen. Und das gilt für jede Herausforderung im Leben.

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Text: Robin Schmitt Fotos: Daniel Geiger, Noah Haxel