Was sind die heißesten Rennrad-Trends 2022/2023? Warum kommt es nicht nur auf den Reifen an, sondern auf die Kombination mit dem Laufrad? Und warum muss die stärkste Bremse nicht per se die beste sein? Nach dem Test von 7 Allroad-Bikes haben wir 5 wichtige Erkenntnisse gesammelt und hier für euch gesammelt.

Traumstraßen, feinste Küche und meist gutes Wetter – die Gegend der Prosecco Hills um Susegana ist die heimliche Gewinnerin unseres Vergleichstests. Doch auch hier ist nicht alles Dolce Vita. Aufgebrochener Asphalt, Abschnitte auf Schotter und anspruchsvolle Topografie verlangen Mensch und Maschine so einiges ab. Nach unzähligen Testkilometern, Muskel- und Denkarbeit ziehen wir nun einen Strich drunter und verraten euch, auf was es bei modernen Allroad-Bikes ankommt. Hier die Erkenntnisse unseres Vergleichstests.

Topf und Deckel – Über Reifen und Laufräder

Zu jedem Topf gibt es einen Deckel – das gilt nicht nur bei der Suche nach dem richtigen Partner oder der richtigen Partnerin, sondern auch bei der Reifen-Laufrad-Kombination. Doch warum ist diese Kombination so wichtig? Ganz einfach: Sie hat einen erheblichen Einfluss auf das Fahrverhalten in Kurven. Sitzt ein zu voluminöser Reifen auf einer Felge mit zu wenig Innenmaulweite, neigt die Kombination in Kurven zum Walken. Die Faustregel heißt deshalb, dass ein Reifen im aufgepumpten Zustand möglichst ein U auf der Felge bilden sollte und kein ballonförmiges O. Damit verbessert sich die seitliche Abstützung des Reifens und folglich auch das Kurvenverhalten. Das gilt zwar nicht nur für Allroad-Bikes, sondern auch für Race- und Gravel-Bikes, doch bei den Allroad-Bikes ist es etwas komplizierter, ein echtes Traumpaar zu finden. Hintergrund ist, dass Allroad-Bikes tendenziell auf voluminösere Reifen setzen, viele Hersteller jedoch erst langsam damit beginnen, Laufräder mit einer größeren Innenmaulweite anzubieten. Die Innenmaulweite ist deshalb ein Maß, auf das ihr beim Kauf eines Allroad-Bikes ein besonderes Augenmerk legen solltet. Alles unter 21 mm solltet ihr dabei links liegen lassen – je nach Reifenbreite darf es jedoch gerne mehr sein. Beachten müsst ihr dabei außerdem die maximale Reifenfreiheit eures Rahmensets und, dass Reifen breiter ausfallen können als angegeben, wenn sie auf Laufräder mit größerer Innenmaulweite aufgezogen werden. Über Tubeless wollen wir hier nicht mehr viele Worte verlieren. Nur so viel: Es hat sich an modernen Allroad-Bikes absolut bewährt und ihr solltet darauf beim Kauf von Reifen und Laufrädern achten.

Bremskraft ist nicht alles

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Shimano DURA-ACE-Bremsen in ihrer neuesten Ausbaustufe BR-R9270 sind überragend. Sie überzeugen mit überlegener Bremspower und sind auch in Sachen Standhaftigkeit und Dosierung voll bei der Musik. Dabei haben sie jedoch auch ein sehr digitales Ansprechverhalten und sind in der Lage, mit wenig Hebeldruck eine äußerst starke Bremswirkung zu erzeugen. Profis und erfahrene Piloten werden davon begeistert sein – viele Einsteiger oder alle, die eher entspannt unterwegs sind, könnten von der schieren Bremspower aber auch überrascht werden. Wir wollen nicht sagen, dass die Shimano ULTEGRA BR-R8170, die ihre Bremskraft eher linear aufbaut, die bessere Allroad-Bremse ist. Jedoch solltet ihr euch sehr genau hinterfragen, was euren Einsatzbereich, euer Fahrkönnen und euren Fahrstil angeht, und euch dabei der absoluten Race-Performance der Shimano DURA-ACE BR-R9270-Bremse bewusst sein. Denn Bremskraft ist nicht alles, wenn man angesichts der Verzögerung über den Lenker fliegt.

Die Komponenten machen das Bike

Man kann mit guten Komponenten ein schlechtes Bike bauen, doch man kann aus schlechten Komponenten kein gutes Bike bauen. Dabei müssen Laufräder, Reifen, Lenker und Co. nicht mal wirklich schlecht sein. Es reicht schon, wenn sie nicht an ihr Einsatzgebiet angepasst sind. Denn was für ein reines Race-Bike gut ist, muss nicht zwangsläufig zu einem Allroad-Bike passen. Das perfekte Beispiel dazu liefert das Specialized Aethos. Hat es im letzten Jahr mit einteiligem Carbon-Cockpit und voluminösen Tubeless-Reifen den Testsieg geholt, landet es dieses Mal mit günstigerem Alu-Cockpit und schmalen Reifen im Schlauch-Setup nur im Mittelfeld – obwohl sein Rahmenset zu deutlich mehr berufen ist. Das zeigt, was eigentlich logisch ist: Das optimale Bike muss optimal an sein Einsatzgebiet angepasst sein. Dabei spielt die Laufrad-Reifenkombination – wie bereits angesprochen – ebenso eine Rolle wie die Schaltgruppe und ihre Übersetzung sowie die Sattelstütze und das Cockpit, die alle zu einem sinnvollen Gesamtkomfort beitragen sollten. Wenn wir schon beim Komfort sind …

Komfort ist Trumpf

Es ist keine Seltenheit, dass Allroad-Bikes für die langen und unvernünftigen Fahrten benutzt werden. Und wer lange fahren will, ohne Schmerzen zu bekommen, der braucht vor allem eins: Komfort. Doch Komfort funktioniert nicht nach dem Gießkannenprinzip und auch nicht nach dem Motto „viel hilft viel“. Er ist die Summe des Komforts der einzelnen Komponenten am Bike, die sorgsam aufeinander und auf den Fahrer abgestimmt sein müssen. Denn mit zu viel Komfort kann ein Bike auch schnell schwammig und ineffizient werden. Hat ein Rahmen viel Flex, kann man beim Cockpit und der Sattelstütze zu etwas steiferen Modellen greifen. Ist der Rahmen eher steif, muss man sich den Komfort aus den genannten Teilen oder den Reifen holen. Eine große Reifenfreiheit ist dabei oft ein Pluspunkt. Auch der Fahrer selbst ist in Sachen Komfort ein zu berücksichtigender Faktor. Ein Beispiel: Zwei gleich große Fahrer mit gleich langen Beinen, aber unterschiedlichem Gewicht, fahren die identische Rahmengröße und haben damit unter Ausblendung von persönlichen Vorlieben den gleichen Auszug der Sattelstütze. Beim schwereren Fahrer flext die dann jedoch mehr als beim leichteren Fahrer. Ist der Gesamtkomfort für den schwereren Fahrer dann genau richtig, kann das Bike für den leichteren Fahrer bereits zu steif sein. Andersrum: Ist das Bike in diesem Zustand perfekt für den leichteren Fahrer, kann es sich unter dem schwereren Piloten bereits zu sehr verwinden. Abhilfe können jeweils steifere oder weichere Sattelstützen, Anpassungen an den Reifen und/oder dem Luftdruck oder der Griff zu einer anderen Rahmengröße mit mehr oder weniger Sattelauszug schaffen. Ihr seht, das Thema Komfort ist ein komplexes und sehr individuelles – probieren geht hier eindeutig über studieren!

Good bye, Leichtbau

Extremer Leichtbau hat durchaus seine Berechtigung – allerdings hauptsächlich in sehr eingeschränkten Szenarien, von denen die meisten mit steilen Anstiegen zu tun haben. In allen anderen – und meist viel alltäglicheren – Szenarien spielt das reine Gewicht eine untergeordnete Rolle. Hier kommt es viel mehr auf eine sinnvolle Kombination einer ganzer Reihe von Faktoren an, von denen die wichtigsten Aerodynamik, Komfort, Gewicht, Steifigkeit an den richtigen Stellen, Robustheit und Nutzwert sind. Nun muss ein sehr leichtes Bike nicht per se schlecht in allen anderen der genannten Bereichen sein. Doch die Praxis hat gezeigt, dass sehr leichte Bikes in der Tendenz negativ mit ihnen korreliert. Ein Bike, das auf maximalen Leichtbau getrimmt ist, wird wohl in den wenigsten Fällen über Stauraum im Unterrohr oder volle Schutzblechkompatibilität und Anschraubpunkte verfügen. Ebenso sparen Hersteller bei sehr leichten Bikes oft am Material, was eine Gewichtsbeschränkung mit sich bringen kann oder beim Komfortkonzept oft zu wenig Steifigkeit für schwere Fahrer bietet. Für ein minimales Gewicht wird oftmals auch der Integration weniger Beachtung geschenkt. Das kann sich in einer schlechteren Aerodynamik niederschlagen. In Summe sind die Vorteile von extremem Leichtbau bei Allroad-Bikes, die in gemischtem Gelände bewegt werden, also nicht groß genug, um die genannten Nachteile aufzuwiegen. Wir sagen deshalb: Good bye, Leichtbau!


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Text: Tobias Hörsch, Benjamin Topf Fotos: Benjamin Topf