Was ist der Unterschied zwischen Gravel- und Cyclocross-Bikes? Brauchen Gravelbikes eine Federung? Sind Mountainbikes die besseren Gravelbikes? Unser Gravel-Vergleichstest mit 12 Modellen brachte viele spannende Ergebnisse:

Einen Überblick über das Testfeld findet ihr in unserem Gravel-Vergleichtest: Was ist das beste Gravel Bike 2018? 12 Modelle im Test

1. Gravel ist mehr als Cyclocross

Auch wenn es keine exakte Definition von Gravelbikes gibt, so ist nach diesem Test klar, dass die Unterschiede zwischen einem und einem Gravelbike gewaltig sein können. Cyclocrosser sind Rennmaschinen und entsprechend aggressiv, kompakt und agil. Gravelbikes hingegen sind ausgelegt für Touren, Naturerlebnis, Fahrspaß, Abenteuer oder Alltagstauglichkeit. Das heißt, Gravelbikes müssen anpassungsfähig, komfortabel und sicher sein: Essenziell ist eine weniger aggressive Geometrie, die Sicherheit und Laufruhe spendet. Anbringungsmöglichkeiten für Packtaschen, diverse Flaschenhalter und Schutzbleche gehören genauso dazu wie Komfort spendende Elemente und mehr Spielraum bei der Reifenwahl. Viele aktuelle Gravelbikes bieten die Option, großvolumige 650B-Mountainbikereifen oder klassische Cyclocross- und Allroundreifen zu verbauen.

2. Der beste Gravel-Reifen

Dickere 650B-Mountainbikereifen bieten nicht zwangsläufig mehr Traktion und Komfort als Gravel- oder Cyclocross-Reifen. Das große Volumen der bis zu 2,2″ breiten 650B-Reifen macht die Reifen deutlich sensibler für Luftdruckunterschiede. Findet man nicht den optimalen Druck, ist der Reifen zu schwammig, unpräzise und schaukelt sich auf der Straße auf oder er springt ballonartig im anspruchsvollen Gelände hin und her und hat zu wenig Traktion. Bei optimalem Luftdruck saugt er Unebenheiten förmlich auf und rollt auf Schotter wie eine losgetretene Lawine.

In Sachen Traktion und Allround-Eigenschaften hat sich der nur 35 mm breite Panaracer Gravel King als der beste Gravel-Reifen herausgestellt: unglaublich viel Traktion, Präzision und Sicherheit. Klassische Cyclocross-Reifen bieten dasselbe, sie sind auf der Straße aufgrund ihrer Querfeldein-Stollen meist zu unpräzise. Summa summarum haben der Reifen und sein Profil eine große Auswirkung auf das Offroad-Handling des Bikes. Das zeigte sich am Festka One Gravel, das mit klassisch unprofilierten Rennradreifen ausgestattet war. Nach der Montage eines Schwalbe G-One-Reifensets bot das Festka offroad doppelt so viel Spaß und Sicherheit.

3. Das Rahmenmaterial ist nur die halbe Miete

Alu, Carbon, Titan oder Stahl – das Rahmenmaterial ist deutlich weniger relevant als das Gesamtkonzept des Bikes. Alu ist sicherlich das günstigste und beste Material, wenn man eine solide Performance wünscht, und es lässt Budget für eine spitzenmäßige Ausstattung übrig, siehe Votec VRX Elite – der Kauftipp des Vergleichstests. Titan ist per se extrem teuer, aber auch super sexy, wie das Moots Routt RSL beweist. Bei Stahl sollte man unbedingt zu hochwertigen (und entsprechend teuren) Rohrsätzen greifen, andernfalls stimmt die Performance einfach nicht. Die Unterschiede zwischen dem günstigen Specialized Sequoia Elite, das auf einen schweren und weichen Rohrsatz verwendet und dem deutlich teureren Legor Cicli, das auf custom Columbus-Rohrsätze setzt, fallen in Sachen Steifigkeit, Präzision und Gewicht sehr deutlich aus.

Carbon ist nicht gleich Carbon. Es gibt signifikante Unterschiede bei Komfort, Gewicht und Steifigkeit. So ist ein günstiger Carbonrahmen oft schlechter als ein mittelpreisiger Alurahmen. Und selbst in der Top-Liga der Carbonrahmen gibt es noch gewaltige Unterschiede. Der Testsieger, das Open U.P., begeistert mit seinem Carbonrahmen; für 1.300 € Aufpreis gibt es das U.P.P.E.R.-Modell, das mit höherwertiger Faser und modifiziertem Carbon-Layup 160 g Gewicht spart, ohne jegliche Kompromisse in Sachen Fahrqualität oder Sicherheit einzugehen.

Mindestens genauso wichtig wie das Rahmenmaterial sind die Anbauteile. Ein dämpfendes Cockpit kann den notwendigen Komfort für ein eigentlich sehr steifes Rad liefern, genauso wie zu steife Laufräder – Beispiel Legor Cicli – ein eigentlich komfortables Rad mit großvolumigen 650B-Mountainbikereifen hart und störrisch machen können.

4. Braucht es eine Federung?

Die klare Antwort ist: Nein! Federelemente können Komfort spenden, aber ein richtig gewählter Komponentenmix kann in Kombination mit einem komfortablen Rahmen und den richtigen Reifen genauso viel Sicherheit und Kontrolle bieten. Bei Federelementen ist die Dämpfung entscheidend – schließlich ist die Aufgabe einer Federung nicht, dass sich möglichst viel bewegt (Federweg), sondern dass Energie aufgenommen wird.

5. Was ist die beste Gravel-Schaltung?

Das Testfeld wird ganz klar von 1×11-Antrieben aus dem Hause SRAM dominiert. Am Merida Silex entspricht die Gang-Bandbreite mit einem 44er-Kettenblatt und einer 11–42-Kassette zu 98 % dem Übersetzungsumfang einer 2×11-Schaltung mit Kompaktkurbel und 11–32-Kassette. Im Vergleich zum Road-Einsatz sind die größeren Gangsprünge einer 1-fach-Schaltung weniger relevant, da man im Gelände deutlich seltener über einen langen Zeitraum mit exakt gleichbleibender Trittfrequenz fährt. Eine Klasse für sich war das Custom-Setup des Legor mit 1×11 Shimano XT Schaltwerk, Ultegra Di2 Schalthebeln und einer simplen Schaltlogik, wie man sie von SRAM eTap kennt.

  … Deutlich besser und sogar spurstabiler und fuhren dem Mountainbike auf Schotterwegen und flowigen Singletrails davon.

6. Ein Mountainbike ist nicht zwangsläufig potenter als ein Gravelbike

Als Referenz-Bike haben wir das 8.000 € teure Trek Procaliber 9.9 SL Race Shop Limited gegen die Gravelbikes antreten lassen. Mit 9,02 kg war das XC-Mountainbike im Mittelfeld des Vergleichstests angesiedelt, dafür mit 100-mm-Federgabel an der Front und Flatbar ausgestattet. Überraschenderweise konnte es die Gravelbikes in der Praxis nicht schlagen. Insbesondere in Sachen Präzision, Steifigkeit und Kurvenhandling waren einige Bikes, darunter das Open U.P. oder das Trek Crockett 7 Disc, deutlich besser und sogar spurstabiler und fuhren dem Mountainbike auf Schotterwegen und flowigen Singletrails davon.

7. Du bist Gravel

… oder so ähnlich. Fakt ist: Du musst für dich entscheiden, ob du pendeln, auf Abenteuerreise gehen oder schlichtweg schnelle Runden fernab des Straßenverkehrs drehen willst. Das Angebot an Gravelbikes ist sehr vielfältig und entsagt einer genauen Definition – schließlich macht genau diese Freiheit Gravel aus. Soll heißen: Du darfst und musst für dich selbst definieren, was Gravel sein soll. Und damit ist Gravel wie Enduro im Mountainbikesport mehr ein Lebensgefühl als eine Bikekategorie.

Einen Überblick über das Testfeld findet ihr in unserem Gravel-Vergleichtest: Was ist das beste Gravel Bike 2018? 12 Modelle im Test


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Text: Robin Schmitt Fotos: Valentin Rühl