Als ich nach etwa 120 km zum ersten Mal auf mein Handy geguckt habe, waren die anderen beiden Frauen etwa 10 km und 15 km vor mir (es könnte aber auch sein, dass da schon mein Tracker gesponnen hat). „Puh, ist das schlecht”, dachte ich, „15 km ist richtig viel. Das sind fast 45 min, bei dem 22er-Schnitt, den ich gerade fahre.” Gleichzeitig war ich aber auch so am Limit, dass ich mir nicht vorstellen konnte, noch schneller zu fahren. In dem Moment habe ich
eigentlich beschlossen, dass ich das Ranking ab jetzt vergesse und nur noch für mich fahre. Ich gebe einfach mein Bestes und sehe, wie weit ich komme.

Marion Dziwnik

Ich war so am Limit, dass ich mir nicht vorstellen konnte, noch schneller zu fahren.

So beschreibt Marion Dziwnik ihre Gefühlswelt, nachdem sie ziemlich genau ein Drittel des The Traka in den Beinen hatte. An den Start gegangen ist sie durchaus als eine der Favoritinnen, nachdem sie im letzten Jahr das Badlands furios gewann. 240 km später rollt sie über die Ziellinie. Das Gesicht von Schotterschwaden bedeckt, die auf Schweiß kleben. Blut rinnt den Arm hinab, ein zurückhaltendes Lächeln. Sie hat es geschafft, sie hat das Szene-Event der Gravel-Community im spanischen Girona gewonnen. Werfen wir einen Blick auf das, was sich zwischen den Eingangsgedanken und dem Siegerbild abspielte.

Angespannt vor dem Start…
… und erleichtert im Ziel.

Gehen wir dazu noch einmal zurück zum Anfang. Also an die Startlinie des The Traka. Dieses Gravel-Rennen rund um die spanische Radhauptstadt Girona. Doch nicht nur für Gravel-Fahrer*innen, sondern für alle Zweiradenthusiasten geht es in Girona vor allem ums Radfahren. Und das spannenderweise egal, in welcher Disziplin. Und vielleicht ist Girona schon allein wegen dieser Vielfalt und Mischung prädestiniert für ein Rennen wie das The Traka.

360 Kilometer, 5.000 Höhenmeter – so die einfachen und doch harten Eckdaten des zweitägigen Gravel-Rennens. Und das auch noch, zumindest für mitteleuropäische Verhältnisse, sehr früh in der Saison. Für Marion Dziwnik ist es, wie für viele andere auch, der Saisonauftakt. Nachdem sie im vergangenen Jahr das Badlands grandios für sich entscheiden konnte,geht sie hier nicht mehr als Underdog an den Start. Und doch ist der Start für sie von gewissen Selbstzweifeln durchsetzt, auch wenn Freunde und Bekannte sie bereits im Vorfeld als Favoritin handeln.

Be prepared or be squared… Marion war lieber gut vorbereitet mit genügend Wasserreserven, Rahmentasche und Satteltasche.

Und so steht sie am 30. April am Start, hat ihren Geolocator am Bike, die Startnummer befestigt und die Tourendaten auf dem GPS-Gerät. Das The Traka führt mit seinen 360 km Strecke zu Beginn direkt über zwei steile und bissige Anstiege. Hier soll sich das Feld verteilen. Einerseits aus Sicherheits-, vor allem aber auch aus Erlebnisgründen. Schotterstraßen bestimmen den Untergrund. Ganze 80 % sind es über die Strecke verteilt, weitere 5 % sind Trails im Nationalpark und 15 % auf Nebenstraßen. Mit dem Start um 6 Uhr Ende April ist es ein ruhiger Start – die Natur schläft noch und die beiden ersten Anstiege, das Keuchen der Fahrer*innen und rollende Reifen sind das bestimmende Geräusch in der Landschaft.

Für mich war es das dramatischste Radrennen, das ich je gefahren bin.

Für mich war es das dramatischste Radrennen, das ich je gefahren bin. Es gab Momente, in denen ich so am Limit war, dass mir jede Platzierung egal war, und Momente, in denen ich dachte, ich würde überhaupt nicht ins Ziel kommen.
Marion Dziwnik

Im Grunde lässt sich das The Traka grob in drei Teile strukturieren. Auf den ersten 160 km werden bereits gut zwei Drittel der Höhenmeter absolviert. Und das nicht wie man es vielleicht aus den Alpen kennt am Stück, sondern in einem Sägezahnprofil, das es in sich hat. Zwar liegt der höchste Punkt des Rennens noch knapp unter 500 m, doch der niedrigste beinahe auf Meereshöhe – und so bewegen sich die Fahrer*innen in diesem ersten Stück entweder in einem Anstieg oder in einer Abfahrt. Wirkliches Verschnaufen gibt es nicht, und den Kopf kann man maximal im Anstieg ausschalten. Im zweiten Teil geht es erstaunlicherweise schon beinahe flach dahin. Es geht durch historische Ortschaften, wie Castello d´Empuries und Pals bis nach Cruïlles. Kurz vor Pals wird das Profil auch wieder etwas kupierter – die Costa Brava wieder hügeliger. Und doch sind es eher kurze Anstiege und Ziel ist es, sich in diesem Part so gut wie möglich für das Finale zu regenerieren. Hier gilt es, eher im Strom mitzuschwimmen.

Wissen was man schon hinter sich hat und was noch kommt: Das Höhenprofil als kleiner Reminder am Lenker.

Am Gipfel des letzten Anstiegs im nördlichen Teil hat mir dann jemand zugerufen, dass Virginia nur wenige Minuten vor mir ist. „Echt jetzt?”, dachte ich, „sie war doch eben noch so weit vor mir. Wie geil ist das denn? Die krieg ich!” Auf einmal waren meine Ultradistanz-Beine wieder da und ich hatte gefühlt unendlich Druck. Ich bin gefahren wie ein Tier, bis ich sie bei etwa km 200 eingeholt hatte… und dann bin ich weitergefahren wie ein Tier.
Marion Dziwnik

Ich bin gefahren wie ein Tier… und dann bin ich weitergefahren wie ein Tier.

Ab Cruïlles, wo 270 km bereits bewältigt sind, geht es wieder in die Berge, hinein in das Les Gavarres-Massiv urnd damit wieder in das altbekannte fordernde Sägezahnprofil. Für alle, die noch Augen für die Umgebung haben, geht es hier in einen der spannendsten Teile des Rennens. Die Gegend rund um Cassà de la Selva ist voll mit römischen Überresten, mit historischen Kirchen, Aquädukten und vor allem ist sie ein ziemlich beeindruckendes Kork-Anbaugebiet. Doch ehrlicherweise ist der Blick und auch der Kopf nach 280 km im Sattel durchaus fokussiert aufs Durchhalten. Die letzten 80 km sind weiterhin kupiert, wenn auch die Anstiege nicht mehr so lang und fordernd sind. Langsam wird es dunkel, die Nahrungsaufnahme hat immer weniger Einfluss auf die Kraft und der Tunnelblick wird immer ausgeprägter. Marion hat sich hier bereits an die Spitze setzen können, sie führt das The Traka souverän an und das trotz eines Sturzes, der ihr den linken Unterarm aufriss. Es ist auch diese einsetzende Dunkelheit, die alle noch stärker zu sich selbst bringt, in ihren eigenen Kopf hinein. Und vielleicht ist gerade das die Stärke von guten Langstreckenfahrer*innen – damit umzugehen, es vielleicht auch zu steuern und daraus Energie zu schöpfen.

Die zweite Hälfte des Rennens lief fitnesstechnisch wesentlich besser. Meine Beine waren da und haben mich nicht im Stich gelassen. Das hat mich ehrlich gesagt selbst überrascht, da ich dieses Jahr noch nicht so wirklich viele Stunden im Sattel gesessen habe. Lukas, der mich in meiner Vorbereitung auf The Traka trainiert hat, hat mich bewusst eher kurze, intensive Intervalle, statt lange Einheiten fahren lassen, was anscheinend genau richtig war, um mich in kürzester Zeit maximal fit zu bekommen.

Marion Dziwnik

Und so vergehen eben auch die letzten 80 km – nicht wie im Flug, aber sie vergehen. Und im Ziel steht sie mit einem Lächeln, das ihre Freude über den Sieg, vor allem aber auch über das bestandene Abenteuer andeutet. Schon allein das Zielbild erzählt Geschichten von Blut, Schweiß und Tränen – nicht ganz martialisch gemeint, aber eben doch abenteuerlich. Und jetzt gibt es erst einmal Schlaf, bevor sich am nächsten Morgen alle wieder beim Eisessen in Girona treffen – ganz so, als wäre nichts gewesen.

Freude über den Sieg, aber vor allem über das bestandene Abenteuer.

Drei schnelle Fragen an Marion Dziwnik zur Materialwahl für das The Traka

1. Statt des Gravel-Bikes VOTEC VRX bist du das AllRoad VRC gefahren – warum?

Das VRC ist definitiv das schnellere und aggressivere Bike. Da ich wusste, dass Traka ein eher schnelles Rennen wird, habe ich mich also für das VRC entschieden. Ich bin das Rad genauso bei der Orbit360-Serie letztes Jahr gefahren und hatte dort eine ähnliche Vielfalt an Strecken.

Das VOTEC VRX-Gravel-Bike von VOTEC ENDEAVOR Teamkollegin Janine Döring
… vs. das Traka-Sieger-Bike VOTEC AllRoad VRC von Marion Dziwnik.

2. Auf was kommt es dir beim Bike an?

Schnelligkeit und sexy Optik. Das kriegt VOTEC gut hin, finde ich. Außerdem liebe ich das Roadbike-Feeling, was ich auf meinen VOTEC Rädern auf Gravel habe.

3. Du hattest kein Pannenset dabei, wie hast du versucht, Defekte zu vermeiden?

Ich hatte ein Pannenset dabei (Dichtmilch, Schlauch, Tyreplugs, Reifenheber, Minitool), hab aber die Hälfte davon unterwegs verloren, als sich meine Satteltasche von selbst geöffnet hat. Ab dem Moment, als ich das gemerkt habe, war ich dann natürlich etwas angespannt und bin noch konzentrierter gefahren. Glücklicherweise lief alles gut.

Die Rahmentasche von Apidura hat das Rennen über dicht gehalten, die Satteltasche leider nicht: Marion hat fast ihr ganzes Pannenset unterwegs verloren.

Ich bin gestürzt, habe mein wichtigstes Werkzeug verloren, der Akku meiner Gangschaltung war plötzlich leer, ich bin durch ein Schlagloch gefahren, wonach sich mein Lenker verdreht hatte, was ich ohne dem passenden Werkzeug nicht reparieren konnte. Außerdem durfte ich ohne Reparaturwerkzeug keine Fehler machen. Eine Panne und ich wäre raus gewesen. Das war für mich nervlich höchst dramatisch.
Marion Dziwnik

Nach 18 h und 30 min endlich im Ziel… auch wenn die Uhr im Bild etwas anderes sagt.

Über Marion

Dr. Marion Dziwnik gewann 2021 das Badlands und ist Expertin für Nonstop-Langstreckenrennen. Zudem ist sie Science Coordinator bei der Fraunhofergesellschaft. Das The Traka war für sie der Saisonauftakt, der auch 2022 das Badlands wieder fest im Blick hat. Sie bestritt das Rennen mit dem VOTEC VRC – dem Allroad im Portfolio. Ihr kommt das sportlichere Setup entgegen. Den geringeren Komfort kann sie mit ihrer Kraft und Erfahrung ausgleichen.

Glücklicherweise lief alles gut.

The Traka

Das The Traka ist das bekannteste Gravel-Rennen des Eventteams von Klassmarks. Die Eventagentur organisiert zahlreiche Lauf- und Radevents rund um Girona. Ihnen geht es dabei um eine nachhaltige Entwicklung der Region und vor allem die Weiterentwicklung von nachhaltigem Tourismus. Sie legen größten Wert darauf, einen minimalen Fußabdruck mit ihren Events zu hinterlassen.


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Text: Norman Bielig Fotos: Moritz Sauer