Das Schaltauge war immer schon nervig. Und leider auch alternativlos. Doch nun gibt es ein Konzept, das der Alu-Krücke am Ausfallende den Garaus machen könnte. Mit der SRAM Eagle Transmission kommt ein faszinierendes Direct-Mount-MTB-Schaltwerk, das. sogar schon am Gravel-Bike entdeckt haben. Stehen wir etwa vor einer Schaltrevolution oder kommen die klassischen Schaltwerke nochmal mit einem blauen Schaltauge davon?

Bei der Frage nach dem unbeliebtesten Teil am Bike ist das Schaltauge stets ein Podiumskandidat. Der Wurmfortsatz des Ausfallendes, der Steigbügelhalter des Schaltwerks, der Blinddarm des Bikes. Verbogene Schaltaugen sabotieren die Schaltqualität, und intakte Schaltaugen können jederzeit verbiegen. Letztlich sollen sie das auch. Denn Schaltaugen dienen nicht nur als Anschraubpunkt für das Schaltwerk, sondern auch als Sollbruchstelle, um bei Stürzen den Rahmen zu schützen. Schaltaugen haben also zwei Besonderheiten. Sie sind gemacht, um kaputt zu gehen, und wenn sie es tun, ist es schwer, Ersatz zu bekommen. Denn im Rennrad- und Gravel-Segment folgen Schaltaugen keinem einheitlichen Standard. Sie sind proprietäre Parts der Hersteller, die sich von Modelljahr zu Modelljahr verändern können und es meist auch tun. Als Konsequenz müssen Komponentenhersteller ihre Schaltwerke so konzipieren, dass sie sich über Verstellmöglichkeiten an unterschiedliche Schaltaugen-Spezifikationen anpassen lassen, um die jeweils erforderliche Ausrichtung des Schaltwerks zur Kassette zu gewährleisten. Klingt kompliziert? Ist es auch. Wir sagen nur B-Screw.

Sieht so die Schaltwerks-Revolution aus?

Das SRAM Eagle Transmission-Schaltwerk – Revolution mit Ansage

Rettung naht nun ausgerechnet aus dem MTB-Segment – ihhhh. Denn das Schaltwerk, das SRAM im Rahmen der Vorstellung der Force AXS fast beiläufig präsentierte, hat auf den ersten Blick erstmal nichts am Gravel-Bike zu suchen, lässt aber unter Mountainbikern schon seit Monaten die Gerüchteküche brodeln: Bei der SRAM Eagle Transmission handelt es sich um die neueste Iteration der kabellosen SRAM MTB Top-Gruppe. Doch neben den Kabeln fehlt noch etwas: das Schaltauge. Statt eines labilen Aluteils am Ausfallende umklammern zwei massive Bügel die Steckachse und räumen jeden Zweifel an der Robustheit des Konzepts auf den ersten Blick aus der Welt. Das Schaltwerk ist eine kleine Revolution – allerdings eine mit Ansage. Denn schon seit geraumer Zeit werkelt SRAM im MTB-Bereich an einem einheitlichen Standard für das Schaltauge. Mit dem Universal Derailleur Hanger (UDH) haben die Amerikaner 2019 ein universelles Open-Source-Schaltauge vorgestellt und ein Umdenken bei den Herstellern forciert. Heute gibt es über 200 MTB-Modelle, die auf den Universal Derailleur Hanger von SRAM setzen. Doch die Einführung des UDH war gleichzeitig auch der Anfang seines Endes. Denn das Ziel von SRAM war nicht ein neues Schaltauge, sondern gar kein Schaltauge. Um dieses Ziel zu erreichen, war der UDH nur ein notwendiger Zwischenschritt, der die Hersteller dazu gezwungen hat, eine einheitliche Aufnahme an den Ausfallenden zu konstruieren. Genau diese Aufnahme nutzt SRAM jetzt, um dort mit der Eagle Transmission das erste Direct-Mount-Schaltwerk anzuflanschen.

Zwei Bügel umschließen das Ausfallende.

Was kann das SRAM Eagle Transmission-Schaltwerk?

Doch was genau bringt der Verzicht auf das Schaltauge? Erstmal das Ende der Einstellung von Anschlägen und Abständen. Durch die immer gleiche Positionierung des Schaltwerks zur Kassette ist es mit der Montage bereits perfekt ausgerichtet. Ein weiterer positiver Aspekt der fixen Positionierung: Es sind weniger bewegliche Teile nötig. Das Ergebnis ist mehr Steifigkeit und Präzision. Das Schaltwerk selbst rückt dabei 8–10 mm weiter nach innen, und der AXS-Akku liegt gut geschützt zwischen den Halterungsbügeln. Auch in Bezug auf die Schalt-Performance tut sich was. Eine besondere Rolle spielt hier eine neue Art von Steighilfen – SRAM nennt sie Steiggassen – an den Eagle-Kassetten. Diese Kletterhilfen für die Kette gibt es zwar schon lange, doch anders als bisher erfolgen die Gangwechsel jetzt ausschließlich in definierten Schaltgassen. Der Schaltimpuls kommt zwar weiterhin vom Umwerfer, aber letztlich entscheidet jetzt die Kassette, wann geschaltet wird. Bei Mehrfach-Gangwechseln legt das System daher kurze Pausen ein und lässt dann die Kette in der nächsten Schaltgasse von der Steighilfe aufs nächste Ritzel tragen. Was in punkto Schaltgeschwindigkeit nach einem Rückschritt klingt, bedeutet in der Praxis, dass man unter Volllast weitertreten kann, keinen Druck mehr vom Pedal nehmen muss und trotzdem materialschonender und verschleißärmer unterwegs ist. Der Angst vor einem teuren Totalausfall, als Folge eines Sturzes, begegnet SRAM mit modular austauschbaren Teilen. Unser Schwestermagazin ENDURO hat die SRAM Eagle Transmission übrigens bereits ausgiebig in einem Dauertest fahren können und sagt euch, wie sich die Schaltrevolution im schlammigen Testalltag geschlagen hat.

Der Akku hat ein geschütztes Plätzchen gefunden.

Heavy-Metal – Das SRAM Eagle Transmission-Schaltwerk am Gravel-Bike

Massig sieht es aus, das neue Schaltwerk mit den gefrästen Bügeln und dem dominanten Schaltkörper. In Kombination mit der 10–52-Kassette hängt da ganz schön viel Metall am Heck. Selbst in der leichten SL-Version wiegt das Schaltwerk satte 440 g und damit ca. 100 g mehr als ein Force AXS-Schaltwerk inkl. Schaltauge.
Die klassische Schaltwerk-Schaltaugen-Kombi wirkt dagegen filigran, fast ein wenig zerbrechlich und auf einen Schlag: antiquiert. Optisch erinnert das Ganze an die ersten Tage der Scheibenbremse am Drop-Bar-Bike – faszinierend und ein wenig deplatziert zugleich. Jenseits der Optik schlummert im Direct-Mount-Schaltwerk aber noch ein anderes Potenzial. Es könnte zum Game-Changer in der Diskussion um 1-fach- oder 2-fach-Antriebe am Gravel-Bike werden bzw. auch die verbliebenen 2-fach-Jünger bekehren. Natürlich war es bisher auch möglich, eine SRAM-Road-Gruppe mit einem MTB-Schaltwerk und einer 10–52-Kassette zu verheiraten und sich auf einen Schlag eine 1-fach-Übersetzung zu sichern, die einen sowohl bei 60-km/h-Abfahrten als auch bei 20-%-Anstiegen weitertreten lässt. Doch mit dem Eagle Transmission-Schaltwerk wird die Bastellösung auf einmal zur technischen Avantgarde, die handfeste Vorteile bietet. Denn eine wartungsarme 1-fach-Kurbel mit einem ultrarobusten Schaltwerk zu kombinieren, macht Sinn und ist im neuen SRAM-Universum dank Flattop-Ketten auch problemlos möglich. Egal ob Red, Force oder Rival, die AXS-Schalthebel der Straßengruppen geben Schaltbefehle klaglos an das MTB-Schaltwerk weiter und erschließen dem „Weltumgraveler“ oder Adventure-Racer eine sehr taugliche Übersetzungsbandbreite. Erstmals ist ein Antrieb erhältlich, der ohne anfälligen vorderen Umwerfer und ohne nervige Schaltwerks-Justage auskommt und dabei noch materialschonend und präzise arbeitet.

Das Schaltwerk ist nichts für Leichtbau-Fetischisten, ermöglicht aber Schaltvorgänge ohne Zugunterbrechung.
Das Direct-Mount-Schaltwerk mit seiner enormen Übersetzungsbandbreite macht 1-fach-Übersetzungen richtig attraktiv.

Das SRAM Eagle Transmission-Schaltwerk – Neuer Standard oder teure Nische?

Die spannende Frage ist, ob es SRAM gelingt, auch im Gravel-Bereich den UDH-Standard zu pushen. Mit Ventum, Lauf, YT und Revel bieten aktuell lediglich 4 Hersteller Rahmen mit kompatiblen Ausfallenden an. Anders als im MTB-Bereich, wo es problemlos möglich ist, statt des SRAM Direct-Mount-Schaltwerks einen UDH zu verbauen und z. B. mit einem klassischen Shimano-Schaltwerk zu bestücken, ist dies im Gravel/Road-Bereich diffiziler. Ein Shimano ULTEGRA-Schaltwerk beispielsweise läge in Kombination mit dem UDH außerhalb der von Shimano definierten Toleranzen. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch reibungslos funktioniert, nur offiziell freigegeben ist es eben nicht. Eine solche Kombination ab Werk anzubieten, führt in eine haftungsrechtliche Grauzone, die viele Hersteller abschrecken wird. Rahmen mit zwei unterschiedlichen Ausfallenden – einmal UDH-kompatibel, einmal mit klassischem Schaltauge – dürften sich hingegen in den meisten Fällen nicht lohnen und widersprechen der Idee, einen einheitlichen Standard zu etablieren.

Viele Hersteller dürften daher in Zukunft erstmal weiter auf das klassische Schaltauge setzen. Für kleinere Marken, die ein Alleinstellungsmerkmal suchen, eröffnet sich so eine interessante Perspektive. Sie können mit UDH-kompatiblen Rahmensets eine innovative Nische besetzen und sich mit exklusiven Antriebs-Konfigurationen, basierend auf dem SRAM Eagle Transmission-Schaltwerk, abheben. Ebenso exklusiv dürfte allerdings auch der Preis sein. 700 Euro kostet allein das SRAM XX SL T-Type Eagle AXS-Schaltwerk. Hinzu kommen nochmal 480–720 Euro für die sündhaft teuren Eagle 10–52-Kassetten und 120–180 Euro für die Kette. Puuh.

Die 10–52-Kassette bietet die Bandbreite, die wir uns am Gravel-Bike wünschen.
Ob die Eagle dauerhaft am Gravel-Bike landen kann, hängt von den Rahmenherstellern ab.

Fazit zum SRAM Eagle Transmission-Schaltwerk am Gravel-Bike


In seiner aktuellen Form scheint das Schaltwerk technisch ausgereizt. Direct-Mount ist eindeutig ein Schritt nach vorne. Jenseits von marginal gains verändert und vereinfacht es das Schalten als solches. Mit dem SRAM Eagle-Direct-Mount-Schaltwerk lassen sich effiziente und wartungsarme 1-fach-Antriebe mit einer gigantischen Übersetzungsbandbreite realisieren. Auch am Gravel-Bike? Besonders am Gravel-Bike! Die entscheidende Frage wird sein, ob die großen Gravel-Player auf den UDH-Zug aufspringen oder ob Direct-Mount-Gravel-Bikes eine kleine, aber interessante Nische bleiben werden.

Tops

  • Mit dem Schaltauge verschwindet das nervigste Bike-Bauteil.
  • perfekte Ausrichtung des Schaltwerks ohne Justieren
  • starke Schaltqualität bei Volllast und cleane Optik

Flops

  • unverschämt teuer
  • Das Schalten über definierte Schaltgassen ist etwas gewöhnungsbedürftig.
  • bisher geringes Angebot an UDH-kompatiblen Gravel-Bikes

Weitere Infos unter sram.com


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Text: Nils Hofmeister, Peter Walker Fotos: Nils Hofmeister