Touren & Reisen

Mit Romance Cycling durch 1001 Nacht – Atlas Mountains „Unbound“

Redouane sagte, es habe diesen Winter nicht viel Schnee gegeben. Die Skisaison habe gar nicht erst richtig angefangen. Und doch sahen wir, wann immer die Straße sich nach Süden wandte, die majestätischen, schneebedeckten Gipfel des Atlasgebirges am Horizont. Vielleicht hatte es zum Skifahren nicht ausgereicht, aber es reichte, um uns die Sprache zu verschlagen.

Fünf Tage waren wir im Atlasgebirge unterwegs. Mit dem Ziel, als Team zusammenzufinden, gemeinsam zu fahren und neues, herausforderndes Terrain zu entdecken. Auf der Karte betrachtet waren wir nie weiter als eine Autostunde südlich vom Herzen Marrakeschs, mit der pulsierenden Altstadt Medina voller Lärm und Leute, Musik und Gewürze, Schlangenbeschwörer, Affen mit gefärbtem Pelz und sogar mit einem Mann, der an einem Klapptisch falsche Zähne verkaufte. Doch nicht weit vor den Toren der orientalischen, lebhaften Metropole fanden wir tagelange Einsamkeit, fuhren stundenlang auf verlassenen Feldwegen, die sich in einem Auf und Ab durch die atemberaubende Landschaft wandten.

Vor Antritt des Trips hatte keiner von uns eine Ahnung, was uns erwarten würde. Wir wussten nur, wir wollten etwas ganz Anderes machen. Mehr als ein Trainingscamp, wir wollten Neues entdecken. Marokko ist genauso gut erreichbar wie die eher typischen europäischen Bike-Destinationen, bietet aber eine völlig andere Landschaft und Kultur.

Die Vielfalt, die wechselnden Farben und die Schönheit des Atlasgebirges haben mich einfach umgehauen. Die Bandbreite des Terrains war ebenfalls unglaublich.

Jeder Tag war völlig anders als der zuvor, wir hätten in den fünf Tagen genauso gut in fünf verschiedenen Ländern unterwegs sein können. Wir pflügten durch die Wüste, wo wir Pfaden durch Sand und entlang bunt bemalter Steine folgten, die irgendjemand irgendwann mal dort platziert hatte. Ein langer, verblockter Anstieg durch einen Pinienwald, wo wir einer Armee aus Raupen begegneten, die ihrer Königin in ein neues Heim folgte. Vorbei an einem surreal anmutenden Fußballfeld auf einer Salztonebene, wo einst ein Fluss sein Bett hatte.

High Fives mit Kindern, durch deren entlegene Bergdörfer wir fuhren und die uns zujubelten, auf ihren Bikes neben uns fuhren und Wheelies machten. Eine Einladung ins Haus eines Berber-Schäfers, wo wir uns um ein Feuer im rußgeschwärzten Keller drängten und unsere Hände wärmten, nachdem wir in ein Unwetter geraten waren.

Durch die staubigen Hügel am Fuß des Atlasgebirge fahren. High Fives mit den Kids aus den Dörfern austauschen. Off-Road-Pässe hochfahren, die in den Wolken liegen und sonst nur von Berber-Schäfern genutzt werden. Szenen, die man sich im Traum nicht ausmalt.

Es sind die Menschen, die einen Ort ausmachen, und die auch uns während des kurzen Aufenthalts in Marokko Tiefsinnigkeit und perspektivenreich Werte verliehen. Jeden Tag waren wir mit Abdel Hida unterwegs, einem marokkanischen Profifahrer, der schon in großen Rennen überall in Afrika gestartet ist. Seine bescheidene und freundliche Art verblüffte uns immer wieder, während er uns wortlos davonfuhr.

An einem Tag kümmerte sich Ali um den Support, der in seinem ramponierten Landrover Defender – sein Kilometerstand zeigte bereits 800.000 km – uns hinterher fuhr. Ali riss unaufhörlich Witze und drehte die Berbermusik so richtig laut auf. Als er nach dem „Raupen-Anstieg“ eine Tüte voll Datteln herum reichte, sangen wir ihm schon Loblieder, doch als er uns in sein Haus weit oben in den Bergen zum Mittagessen einlud, sicherte er sich endgültig den Platz in unserer Hall of Fame.

Für unseren letzten Tag war eine Tour geplant, die auch bereits ohne das heraufziehende Unwetter anspruchsvoll gewesen wäre. Die ganze Nacht und am frühen Morgen peitschte Regen nieder, der einzige, den wir während unseres Trips sahen (und der einzige Regenfall dieser Gegend in über zwei Monaten). Wir fragten uns, was wir tun sollten. Insgeheim waren wir alle erleichtert, als unser Guide Redouane uns sagte, wir könnten nur die halbe Tour fahren. Manche Pässe seien nun im besten Fall gefährlich, wenn nicht gar völlig unpassierbar.

So kam es, das wir unsere letzte Ausfahrt schon zum Mittagessen beendeten. Zu einem ganz besonderen Mittagessen … . Es heißt ja, in den Bergen bringen schwierige Zeiten das Beste in den Leuten zum Vorschein, und das hätte hier nicht mehr zutreffen können. Nach einem kalten, nebligen Vormittag, an dem wir bis auf 2.000 m Höhe gefahren waren, waren wir völlig fertig. Doch plötzlich wurden wir eilig, aber herzlich empfangen und in ein kleines Haus in einem kleinen Bergdorf gebeten. Wie in so vielen anderen Augenblicken in dieser Woche wussten wir nicht, was uns erwarten würde. Der Hausbesitzer, ein Berber-Schäfer, hieß uns die dreckigen Bikes im steinernen Vorraum abzustellen und in den angrenzenden Raum hineinzukommen.

Dabei handelte es sich um eine kleine Kammer, in deren Mitte ein Feuer brannte. Die Wände waren rußgeschwärzt und diverse Tagines blubberten vor sich hin. Hocker wurden herbeigebracht, und wir saßen dicht gedrängt ums Feuer, das langsam wieder Leben in unsere Hände und Füße zauberte. Abdel zog ein flaches Stück Schaumstoff unter seinem Jersey hervor und grinste weise über seinen überlieferten Trick gegen die Kälte.

Bald fingen unsere Lycra-Klamotten an zu dampfen und der Raum war erfüllt von Gelächter. Wir gingen nach oben, wo man uns ein leckeres Mittagessen servierte, aus den Tagines, die schon lange vor unsere Ankunft vor sich hin geköchelt hatten. Die Berber-Familie war unglaublich gastfreundlich und großzügig, und das Essen wurde noch durch eine traditionelle marokkanische Teezeremonie abgerundet: Grüner Tee, Minze und Zucker wurden mit kochendem Wasser aufgegossen, gerührt, abgegossen, nochmals verrührt und nochmals aufgegossen. Das Ergebnis war die perfekte Begleitung zum Essen.

Was für eine besondere Woche. Es war sehr erdend, ich spürte eine echte Verbindung zur Natur, zum Draußensein – die ganze Woche über. Das hat man nicht bei jedem Bike-Trip.

In den letzten Stunden vor unserem Heimflug ruhten wir unsere müden Beine in der Sonne auf der gekachelten Terrasse eines Riads in Marrakesch aus. Marokko hatte uns eine Erfahrung beschert, die völlig anders war als ein typisches Trainingscamp, und wir alle waren extrem dankbar dafür. Ohne Zögern können wir Marokko allen ans Herz legen, die ein Bike-Abenteuer suchen. Und wir können es kaum erwarten, selbst wieder hinzufahren.

How we did it

Unser Flug: mit British Airways, direkt von London nach Marrakesch. Von deutschen Städten: München, Frankfurt, Düsseldorf, Berlin, Köln
Unsere Reiseleitung: Bike-Morocco (komplette Planung der Touren, Guides. Unterkünfte)
Kosten unseres Trips: 7 Tage (inkl. je 1 freier Tag in Marrakesch zu Beginn und am Ende) mit Guides, Unterkünften und sämtlichen Mahlzeiten: weniger als 1.200 € (exklusive Flug)

Mehr Informationen findet ihr auch unserer Website www.rmnc.cc


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Text & Fotos: Romance Cycling