Wenn wir gefragt werden, wieso wir Rad fahren, ist „Freiheit“ eines der ersten Worte, die uns in den Sinn kommen. Doch Radfahren schafft auch eine Verbundenheit mit den Menschen, mit denen wir fahren, mit unseren eigenen Körpern, mit Landschaften und Kulturen. Wir trafen „The Roosters“ nach ihrer letzten Reise, die sie über die Karpaten von Krakau nach Kiew führte. Das geht nach den meisten Maßstäben als harte Tour durch – umso mehr, wenn man sie auf Fixies fährt.

Wer sind die Roosters?

Vier immer bekannter werdende Wahnsinnige aus Madrid, die keine Grenzen kennen und deren gemeinsame Leidenschaft Langstreckentouren auf Fixies und mit vollem Gepäck sind. Ihre Abenteuer haben sie schon von Madrid nach Bordeaux, von Porto nach Valencia und selbst durch die Wildnis Japans geführt.

Die Roosters sind unerschrockene Querdenker, für deren Touren eine einzige Bedingung gilt: gefahren wird auf Fixed Gear, und alles, was man fürs Überleben braucht, wird auf dem Bike transportiert. Die Art von Touren also, die extrem erschöpfend sind und jede Freundschaft auf die Probe stellen.

Lange Tage in der Ukraine

„Die Überquerung der Grenze von Polen in die Ukraine war nicht gerade das angenehmste Erlebnis, das wir je hatten, und dann begrüßten uns die Karpaten mit sintflutartigem Regen, eisigen Nächsten und, quasi als Sahnehäubchen auf dem Scheißkuchen, einigen anderen misslichen Umständen.“ Wie die Roosters von dieser Phase ihrer Tour erzählen, hört sich das ziemlich elend an, doch sie zucken mit den Schultern, ihr Motto ist einfach: „Lächeln, Zähne zusammenbeißen, weiterfahren.“ Sie sagten sich, dass das eine jener Aktionen ist, auf die man später zurückblickt und lachen muss, und jetzt, wo es schon eine Weile her ist, sind sie schon fast in der Lage dazu. Schließlich führte sie ihre Route in die Weite der ukrainischen Ebene, wo sich die Landschaft entlang scheinbar endloser, gerader Straßen entfaltete und ihre Blicke wie von magischen Kräften gesteuert an den Horizont zog – hypnotisch, wie sie sagen.

Auf den ersten Blick sähen viele Straßen wohlwollend aus, doch eine Garantie, dass hinter der nächsten Kurve nicht eine bösartige, machiavellische Naturgewalt lauert, gäbe es nicht. Im ständigen Wechsel aus Auf und Ab stießen die Roosters auf Beinmuskel zerreißende Auffahrten. Das Vorankommen wurde so hart, dass sie das Gefühl hatten, jene Asphaltbänder seien aus Boshaftigkeit gegenüber jedem Menschen geschaffen worden, der das Pech hat, auf ihnen unterwegs zu sein.

Auf ihren Touren ist den Roosters das Frühstück absolut heilig. Es ist die Zeit des Tages zum Plaudern und Witzemachen über das, was der Tag wohl bringen mag. Der Morgen folgt einer gewissen Routine – Kaffee, Bikes checken, Streckenplanung, alles mit einem Lächeln im Gesicht. „Es ist immer gut, diese Momente der Ruhe richtig auszukosten, denn schneller als man denkt, können sie dahin sein,“ sagen sie zu uns.

  Dein ganzer Körper fühlt sich an wie auf einem Höllenritt, erzählen sie. Einmal haben wir uns über 80 km auf dieser von Schlaglöchern übersäten Straßen geschunden.

Von feindseligen Schlaglöchern

Die Ukraine ist noch immer ein geteiltes Land, in dem sich Reformisten und Konservative unversöhnlich gegenüberstehen. Einige Gebiete an der russischen Grenze leiden nach wie vor unter einem Krieg, den der Rest der Welt vergessen zu haben scheint. Ein Land, das durch den Mangel an Wohlstand und durch Korruption erkennbar beeinträchtigt ist. Wenn die Straßen den Zustand eines Landes widerspiegeln, dann verrät der von Schlaglöchern vernarbte Asphalt so einiges über die Ukraine.

Es überrascht nicht, dass die Schlaglöcher zum gefürchtetsten Feind der mit Bikepacking-Equipment beladenen Roosters wurden. „Dein ganzer Körper fühlt sich an wie auf einem Höllenritt“, erzählen sie. „Einmal haben wir uns über 80 km auf dieser von Schlaglöchern übersäten Straßen geschunden. Unsere Knie hatten die ganze Zeit mit den Anstrengungen des Fixed-Antriebs zu kämpfen, und zeitweise war es einfach unerträglich.“

Auch starke Regenfälle sind in der Ukraine nicht ungewöhnlich, verwandeln aber jedes der Schlaglöcher in einen kleinen Matsch-Pool. Die Tiefe im Vorhinein abzuschätzen, ist eine Fähigkeit, die mühsam erlernt werden muss. Wer hier nicht das nötige Feingefühl hat, landet gerne mal in einem Schlammbad, bei dem das gesamte Tretlager unter Wasser steht und die Reifen auf unsichtbare Steinbrocken stoßen. Auf einer Abfahrt erlitt Roosters-Mitglied Aukerman einen schlaglochbedingten Platten und gelangte gefährlich nah an den Abgrund am Straßenrand. Nachdem er noch einmal davongekommen war, war er sich sicher, dass er das Rad liegen lassen und zu Fuß zum nächsten Übernachtungspunkt gehen würde: „In diesen düsteren Momenten wird einem klar, wie wichtig es ist, dass man sich gegenseitig unterstützt. Das Leben ist einfach besser, wenn man es gemeinsam durchsteht.“

Auf dem Zeltplatz des interkulturellen Austauschs

Einen Platz zum Zelten zu finden, sei eigentlich nie ein Problem, erzählen die Roosters. Oft sind die Einheimischen begeistert, Reisende aus anderen Teilen der Welt zu treffen, laden sie ein, auf ihrem Land zu übernachten und löchern sie mit Fragen. An einem Abend trafen die Roosters auf Kinder, die in einem sumpfigen See angelten. „Wir hatten gerade unter unseren Campingduschen gestanden und uns darüber amüsierten, wie weit weg das alles von unserem Alltag war“, erzählt einer von ihnen. Die Kinder, die nicht älter als 12 zu sein schienen, kamen herüber und setzten sich zu den Roosters, die Bier trinkend und rauchend zusammensaßen. Es war einer dieser glücklichen Zufälle, bei dem ganz unterschiedliche Lebenswelten aufeinanderprallen und Grenzen überwunden werden – man könnte sagen, es war eine lebensbejahende Unterhaltung mit diesen Kindern.

Doch nur wenige Augenblicke später wurde diese interkulturelle Begegnung durch zwei Typen gestört, denen der Sinn offensichtlich nicht nach Plaudern und Kennenlernen stand. Als die beiden Neuankömmlinge sehr offensichtlich die Kameraausrüstung beäugten, wurde den Roosters klar, dass es Zeit war, sich von dem schönen Plätzchen am See zu verabschieden.

Sie erzählen uns: „Wir wollen immer sagen können: Ich hab dir ja gesagt, eines Tages lachen wir darüber. Und natürlich, wann immer es geht, wollen wir ein Land mit positiven neuen Erfahrungen verlassen.“ Für die Roosters sind Begegnungen mit den Locals Teil des Abenteuers, aber Ärger gehen sie trotzdem lieber aus dem Weg. Ihr Blick vom Bike aus ist ein privilegierter, ein flüchtiger Eindruck der Leben, die dort in den Dörfern und Städten gelebt werden. Reisen fördert ein Verständnis für die Bedürfnisse, die unterschiedliche Menschen haben, dafür, dass es nicht den einen Weg zum Glück gibt. Und doch gibt es dieses eine gemeinsame Bedürfnis: Verbundenheit zu spüren.

Dieser Artikel ist aus GRAN FONDO Ausgabe #008

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Text: Hannah Troop Fotos: Lino Escurís