Man kennt sich seit Ewigkeiten, hat sich aus den Augen verloren … plötzlich trifft man sich wieder und eigentlich ist alles genauso wie damals. Das Surly Midnight Special ist ein zeitloses Stahlbike mit modernen Features und dem gewissen Etwas, das man so an ihm schätzt – genau wie dein bester Kumpel von früher.

Surly Midnight Special | 11,40 kg | 2.199 €

Du hattest schon fast vergessen, wie er aussieht – doch eigentlich ist er immer noch genauso, wie du ihn in Erinnerung hast: schlank, elegant, mit dem gewissen Etwas, nur etwas gereifter und moderner. So ist auch das Surly Midnight Special trotz klassischem Rahmen und Unicrown Gabel aus 4130er CroMo-Stahl sowie offen verlegter Züge ein modernes Rennrad. Sogar ziemlich modern, schaut man sich nur die ungewöhnlich dicken Reifen an. Doch das Surly kann auch noch mit anderen aktuellen Features wie Steckachsen vorn und hinten, einem durchgehenden 44 mm Steuerrohr sowie Flat-Mount Discbrakes punkten.

Klassik trifft Moderne: schlanke Stahlrohre aber moderne Standards wie z. B. das durchgehende 44-mm-Steuerrohr.
Schnell aber vielseitig: Die 47 mm breiten WTB Horizon Reifen fühlen sich auf feinstem Asphalt genauso zuhause wie auf zerrissenen Hinterlandstraßen oder Schotterpisten.
Ebenfalls auf dem neuesten Stand der Technik: Scheibenbremsen und Steckachsen. Dank offener Ausfallenden lassen sich per Adapter aber auch Räder mit 135/100 mm Schnellspannachsen verwenden.

Jeder erinnert sich gerne an die gemeinsame Zeit zurück und wird nostalgisch. Auch ein Surly wäre kein Surly wenn es nicht über Rückwärtskompatibilität und Vielseitigkeit verfügen würde. Im Vergleich zu den anderen Bikes der Mädels und Jungs aus Minnesota fallen die Features zwar eher gering aus, dennoch verfügt das Midnight Special über mehr Anschraubpunkte als die meiste Konkurrenz bieten kann. Am schlanken Rahmen findet sich Platz für drei Flaschenhalter, Aufnahmen für Gepäckträger und Schutzbleche vorn wie hinten und sogar Haltepunkte für Oldschool-Unterrohrschalthebel. Rahmen und Gabel sind außen in robusten Pulverlack gehüllt und innen für maximale Langlebigkeit und Korrosionsresistenz elektrochemisch tauchlackiert. Die Ausfallenden verfügen zwar ab Werk über Steckachsen, sind aber nach unten offen und können mit Adaptern auch klassische 135/100 mm Schnellspannachsen aufnehmen. Praktisch sind auch das geschraubte BSA-Tretlager sowie die dünne 27,2 mm Sattelstütze. So kann diese bei Bedarf gegen eine Carbonversion getauscht werden, die auch bei geringerer Auszugshöhe gut dämpft.

Schutzblech- und Gepäckträgeraufnahmen sind nur ein Teil der Vielseitigkeit des Rahmens
Das geschraubte Tretlager gibt keinen Mucks von sich, ist günstig und einfach zu tauschen. Man beachte die riesige Reifenfreiheit trotz dicker 47 mm Schlappen! Sozusagen das Trademark aller Surly Bikes.
Die schlanke Unicrown Gabel passt hervorragend zum schlichten Look des Midnight Special, ist seitensteif und bietet dennoch etwas Dämpfung. Leider ist sie auch ziemlich schwer.

Die Ausstattung

Die ewige Competition mit dem besten Kumpel: Wer bekommt mehr Aufmerksamkeit auf der Party? Wenn du mit dem Midnight Special auf dem nächsten Group-Ride aufkreuzt, kannst du dir nicht sicher sein, ob dein neues Outfit heißes Gesprächsthema ist oder der schlanke Stahlrenner mit den dicken Schlappen. Denn die 47 mm breiten WTB Horizon-Reifen im 650b-Format in Kombination mit den dünnen Stahlrohren sind sicher beeindruckend anzuschauen und werden die ein oder andere Frage aufwerfen. Die restliche Ausstattung ist solide und gut aufeinander abgestimmt, weist mit 2.199 € jedoch kein sonderlich überragendes Preis-Leistungs-Verhältnis auf. Besagte Reifen sitzen leider auf schweren Alexrims Adventurer 2-Felgen mit Formula-Naben, die SRAM Rival 22 schaltet dafür unauffällig auf einer Sunrace CSRS3 11-32 Kassette.

Kettenradgarnitur Sram S390 50/34t
Schaltung Sram Rival 22
Bremsen Hayes CX Expert
Vorbau ProMax DA-296
Lenker Salsa Cowbell 3
Reifen WTB Horizon, 650b x 47
Naben Formula RX-812 / Formula RX-300
Felgen Alex Adventurer 2 32h tubeless compatible
Preis 2.199 €
Gewicht 11,40 kg

Als Antrieb gibt’s eine klassische Rival 22 2-fach-Schaltung mit Kompaktkurbel
Surly kombiniert dies mit einer Sunrace CSRS3-Kassette, die die Schaltperformance zwar nicht knackiger macht, aber sehr leise und unauffällig läuft

Weitere erwähnenswerte Komponenten sind der Salsa Cowbell 3-Lenker mit seinem leichten 12° Flare und Drop Angle sowie die TRP Spyre-Bremsen. Diese finden ihren Platz zwar an modernen Flatmount-Aufnahmen, werden jedoch mechanisch betätigt. Das hat den Vorteil, dass sie unterwegs leicht repariert werden können und nicht entlüftet werden müssen – eine Sauerei mit DOT-Flüssigkeit wird dadurch zur Fehlanzeige. Allerdings kann sich im Vergleich zu hydraulischen Bremsen eine unterlegene Bremsleistung und Dosierbarkeit als Nachteil ergeben. Genau herausfinden konnten wir dies leider nicht, denn unser Midnight Special kam mit den zwar auch mechanischen, aber falschen Bremsen vom Distributor – und das auch noch auf riesigen, hässlichen Post-Mount-Adaptern. Am Gesamtgewicht von satten 11,40 kg ändert dies jedoch nicht viel. Aber hat nicht auch der allerbeste Freund nun mal seine Schwächen, mit denen man umzugehen lernt?

Der Salsa Cowbell 3-Lenker bietet viel Platz und Kontrolle. Mit 12° Flare ist er ein sehr guter Mittelweg zwischen klassischen Lenkern und mehr Kontrolle offroad.
Das Midnight Special kommt auch im Original Spec mit mechanischen Scheibenbremsen. Dann jedoch vom Modell TRP Spyre und nicht, wie an unserem Testbike, mit Hayes CX Expert. Die originalen Bremsen nutzen außerdem direkt die Flat-Mount-Aufnahmen statt der riesigen Post-Mount-Adapter.

 Bros before Hos – Lass dich von der leichten Carbonschönheit nicht blenden, gute Freunde wie das Surly hat man für’s Leben.


Das Fahrverhalten

Umgekehrt hat jeder beste Kumpel aber auch Eigenschaften, für die man ihn bewundert. So auch das Midnight Special.

Das Surly ist zuerst einmal kein gutmütiges Gravelbike, sondern ein sportliches Allroadbike. Das zeigt sich schon in seiner klassischen Road-Geometrie mit horizontalem Oberrohr, der eher tiefen Front und den recht steilen Sitz- und Lenkwinkeln. Es verfügt jedoch über einen minimal längeren Nachlauf der Gabel für etwas mehr Stabilität sowie eine etwas geringere Tretlagerabsenkung als beim klassischen Roadbike. Das gibt etwas mehr Pedalfreiheit in Kurven und außerdem sind so auch dünnere 650b-Reifen statt der verbauten 47 mm Schlappen möglich. Die Sitzposition ist sportlich, aber nicht unbequem und absolut langstreckentauglich. Clever – und leider zu selten: Um das Handling bei den sich ändernden Lenk- und Sitzwinkeln über alle acht Rahmengrößen möglichst ähnlich zu behalten, verfügen die Bikes ab Größe 56 über eine geringere Gabelvorbiegung. Somit weist ein 46 cm Bike ein nahezu gleiches Handling auf wie ein 60 cm Bike.

Und das Handling ist hervorragend: Mit einer Feinfühligkeit, Wendigkeit und Präzision, die man dem Midnight Special aufgrund der dicken Reifen und dem hohen Gewicht gar nicht zutraut, lässt es durch verwinkelte Straßen zirkeln und verfügt dennoch über vertrauenserweckende Stabilität und Laufruhe sowohl on- als auch offroad. Außerdem schafft das Surly es, die Balance in der Anforderung an den Fahrer zu halten – ein Anfänger wird mit ihm genauso viel Spaß haben wie der Fortgeschrittene.

Nichtsdestotrotz ist das hohe Gewicht leider spürbar und schränkt das Einsatzgebiet etwas ein. So ist es definitiv mehr ein Flachlandbomber als die Bergziege und fühlt sich auf der Langstrecke auch wohler als in zackigen Sprints. Das heißt nicht, dass es kein guter Kletterer ist oder der Rahmen nicht steif genug ist – es ist nur einfach langsamer. Dafür jedoch sehr konsistent.
Wie dein bester Kumpel ist es stets zu jeder Schandtat bereit und deckt dir den Rücken, was auch immer passiert. So lässt es sich auf Schotter und Waldwegen genauso schnell fahren, liegt genauso satt, macht genauso viel Spaß und fährt sich genauso sicher wie auf feinstem Asphalt oder der zerrissenen Straßendecke in Wo-auch-immer-hausen. Definitiv ein Bike für alle, die etwas weniger schnell aber dafür länger, öfter und überall fahren.


 Sollen wir …? Auf jeden Fall! Das Midnight Special ist für jede Schandtat bereit und deckt dir den Rücken, egal was hinter der nächsten Kurve auf euch wartet.


Helm POC Octal X Spin | Socken POC Essential Road Light Sock | Brille Adidas Whipstart | Hip Bag North St. Pioneer 12 X-Pac

Bike und Reifen passen perfekt zueinander. Sie schlucken fast alles, was man ihnen in den Weg legen kann, sind aber trotzdem nicht behäbig und können je nach Luftdruck auch erstaunlich schnell sein. Aufgrund des Volumens ist der Druck jedoch eine tricky Angelegenheit und sollte idealerweise auf den Untergrund angepasst werden auf dem man sich hauptsächlich bewegen wird. Denn während 30 – 35 psi ideal für Gravel scheinen (70 kg Fahrer), verformen sie sich im Wiegetritt auf Asphalt damit schon zu stark und verlangen eher nach 35– 40 psi. Und der Unterschied zwischen Magic Carpet Ride und Hüpfeball sind oft nur 5 psi. Für mehr Offroad-Grip könnte man – bei der verbauten Marke und Reifengröße bleibend – einen WTB Byway oder maximal einen WTB Venture nachrüsten. Mehr Profil würde das Feeling des Bikes zerstören.

Tuning-Tipps
leichtere Laufräder
auf Tubeless umrüsten
Frameset kaufen und Custom aufbauen

Der restliche Spec ist unauffällig – bis auf die Bremsen. Die Wertung ist jedoch außer Konkurrenz, da das getestete Bike nicht über die originale Ausstattung verfügt. Die an unserem Testrad verbauten Hayes CX Expert zeigen zwar gute Bremspower und Dosierbarkeit, fangen bei starken oder langen Bremsmanövern aber an zu rubbeln und brauchen etwas Aufmerksamkeit und Feingefühl. Positiv und als sehr angenehm zu erwähnen ist der Salsa Cowbell 3-Lenker da sein Flare mit 12° nicht übertrieben ausfällt, er aber trotzdem etwas mehr Stabilität bietet als der klassische Rennbügel.

Schlicht, schnörkellos, maximal funktional und mit tadelloser Fahrperformance sowie solidem, intelligenten Spec. Das Surly Midnight Special ist eine hervorragende Symbiose aus Geometrie und Laufradkonzept und insgesamt ein ausgesprochen homogenes Paket.

Fazit

Die Ausstattung des Surly Midnight Special ist solide, unauffällig und sehr stimmig gewählt, für den Preis jedoch kein Schnäppchen und auch das hohe Gewicht beeindruckt negativ. Demgegenüber stehen jedoch eine durchdachte Geometrie mit hervorragendem Handling und Fahrverhalten auf unterschiedlichsten Untergründen sowie hoher Komfort, vor allem auf langen Distanzen. Dank bewährter Surly-Robustheit, durchdachten Features und zeitloser Optik ergibt sich insgesamt ein hoher Langzeitwert. Darum ist das Midnight Special auch wie der beste Freund: Man genießt jede Zeit zusammen, schätzt den Charakter, ist offen und ehrlich zueinander und kann über Schwächen hinwegsehen. Einfach ein korrekter Typ für geile Zeiten.

Stärken

– hervorragendes Handling
– sehr homogenes Gesamtpaket
– robust und vielseitig
– Langzeitwert

Schwächen

– Gewicht
– Preis eher hoch für die Ausstattung

Mehr Infos unter: surlybikes.com


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Text: Fotos: Christoph Bayer