Ein langer Hebel heißt viel Krafteinwirkung – aber warum fahren immer mehr Profis und Amateursportler kurze Kurbeln am Dropbar-Bike? Auf den ersten Blick kontraproduktiv, doch es gibt ein paar wichtige Punkte, die für kürzere Kurbeln sprechen. Wir haben uns dem neuesten Trend gewidmet und sagen euch, ob und für wen sich kurze Kurbeln wirklich lohnen.

Wer das aktuelle Geschehen im Radsport verfolgt, sieht: Was vor einigen Jahren unvorstellbar war, ist heute Realität und wird zunehmend zum neuen Standard. Breitere Reifen, niedriger Luftdruck, Tubeless statt Tubular – das alles war aus Performance-Sicht lange undenkbar. Warum also nicht auch kürzere Kurbeln? Besonders im Bereich Aerodynamik und Bikefitting könnten sie einige spannende Vorteile bieten. Auch Top-Profis wie Tadej Pogačar, bekannt für sein ausgefeiltes Setup und übermenschliche Leistung, setzen zunehmend auf kürzere Kurbeln und individualisieren ihre Radgeometrie weit über die klassischen Standardlängen von 170, 172,5 und 175 mm hinaus. Also nicht verwunderlich, dass kurze Kurbeln aktuell ein heiß diskutiertes Thema sind. Was genau der Vorteil kurzer Kurbeln sein soll, wer davon profitieren kann und wie der Umstieg gelingt, klären wir hier. Dazu haben wir uns 5 der spannendsten Kurbellängen zwischen 165 und 172,5 mm besorgt und dem GRAN FONDO Dauertest unterzogen. Und diesmal ganz persönlich, denn ich fahre bei recht hohem Trainingsvolumen am 56-er-Bike Standard-Kurbeln in 172,5 mm Länge. Können kürzere Kurbeln in unserem Fall tatsächlich noch Vorteile bringen? So viel können wir schon vorwegnehmen: Nach dem Test bleiben definitiv andere Kurbeln am Bike.

Kurze Kurbeln für eine bessere Aerodynamik – Wirklich ein Erfolgskonzept?
Im Radsport dreht sich vieles, wenn nicht sogar alles, um Aerodynamik. Rennen werden immer schneller, und die Bedeutung von Geschwindigkeit und Effizienz durch einen niedrigen Luftwiderstand wächst immer weiter. Und so werden Räder und Komponenten immer stärker auf Aero-Performance getrimmt. Dass das funktioniert, steht außer Frage, doch den Großteil des Luftwiderstands erzeugt der Fahrer selbst – und das lässt sich hauptsächlich durch eine schnellere Sitzposition beeinflussen.

Genau hier kommen kürzere Kurbeln ins Spiel. Kürzere Kurbeln bewirken ein Öffnen des Hüftwinkels und ermöglichen dadurch eine aerodynamischere Position. Klingt detailverliebt und komplex, aber im Detail eigentlich nicht so kompliziert und leicht nachvollziehbar.
Mit kürzeren Kurbeln bewegt sich das Bein beim Pedalieren nicht so weit nach oben oder unten. Die Hüfte bleibt dadurch „offener“, wodurch die Position weniger extreme Winkel erzeugt und mehr Spielraum für eine tiefere, aerodynamische Haltung des Oberkörpers bietet, ohne den Power-Output zu beeinträchtigen. Besonders Triathleten und Zeitfahrer profitieren von dieser extrem aerodynamischen Körperhaltung und fahren daher schon länger mit verkürzten Kurbeln, aber auch Rennradfahrer und Gravel-Biker auf der Suche nach maximaler Effizienz und hoher Durchschnittsgeschwindigkeit setzen immer mehr auf diesen Benefit. Vorteile, die nicht nur bei immer schnelleren Rennen über den Podiumsplatz entscheiden, sondern auch beim Training über mentalen Zusammenbruch oder entspannte Trainingsrunde entscheiden – wie im windgeplagten Südschweden, der Wahlheimat und Testregion unseres Testers Calvin.

Mit kurzen Kurbeln zum perfekten Fit für einen Nicht-Norm-Körper?
Die Suche nach dem effizientesten Setup ist mittlerweile auch im Amateurbereich fest verankert, doch eines wird häufig vernachlässigt: Wir alle haben unterschiedliche Proportionen. Es gibt Menschen mit langen Beinen und kurzem Oberkörper oder umgekehrt. Warum also gibt es nur drei Standard-Kurbellängen für alle Körpertypen und -größen? Viele Bike-Hersteller bieten zwar eine Vielzahl an Rahmengrößen an. Geht es jedoch um Satteloptionen, Lenkerbreiten und eben Kurbeln, beschränkt sich die Auswahl häufig auf ein Minimum. Bei Kurbellängen dreht sich alles um die gängigen Längen von 170, 172,5 und 175 mm – minimale Unterschiede, bedenkt man, dass viele Hersteller Kurbellängen zwischen 160 und 180 mm im Programm haben.

Kurze Kurbeln können auch bei der Wahl der richtigen Position helfen und das Bikefitting noch weiter optimieren. Dazu kommt eine Reduktion des Bewegungsablaufs des Knies, der so weniger extrem ist und durch höhere Kadenz zu geringerer Maximallast führt. Das bedeutet: Weniger Gelenkbelastung und potenziell mehr Komfort.
Besonders Fahrer, die viel trainieren, können langfristig von kurzen Kurbeln profitieren und die Belastung auf Knie und Hüfte reduzieren.
Die Kurbellänge: Ein kleiner Schritt für das Bike, ein großer für den Fit
Die Anpassung der Kurbellänge klingt zunächst nur nach Veränderungen um wenige Millimetern. Doch gerade im Bereich des Bikefittings können kleine Unterschiede große Auswirkungen haben. Klingt banal, aber wer schon mal mit sich verstellender Sattelstütze unterwegs war, weiß: Selbst die kleinste Änderung macht viel aus. Wer kürzere Kurbeln fährt, muss also auch einige Fit-Anpassungen vornehmen:
- Sattelhöhe: Kürzere Kurbeln bedeuten, dass der Fahrer weniger tief treten muss. Die Sattelhöhe sollte daher meist um den entsprechenden Längenunterschied nach oben angepasst werden. Wer also von einer 172,5-mm-Kurbel auf eine 167,5-mm-Kurbel umsteigt, muss die Sattelhöhe um etwa 5 mm erhöhen. Vorausgesetzt, die Sattelhöhe soll exakt beibehalten werden.
- Sattel-Offset: Mit einer Erhöhung der Sattelhöhe verschiebt sich durch den veränderten Sitzwinkel der horizontale Abstand zum Lenker leicht nach hinten. Eine minimale Anpassung des Sattels nach vorn kann helfen, das ursprüngliche Fit-Gefühl beizubehalten.
- Lenkerhöhe: Wer die Sattelhöhe erhöht, sollte auch den Lenker nach oben stellen, zumindest wenn es um das Beibehalten des Bikefittings geht. Auf der Suche nach Aero-Vorteilen empfiehlt es sich dagegen, die Lenkerhöhe unverändert zu lassen, denn mehr Überhöhung kann zu einer aerodynamischeren Position auf dem Bike führen.



Unser Test mit verschiedenen Kurbellängen in 160 mm, 165 mm, 167,5 mm, 170 mm und 172,5 mm hat gezeigt, dass solche kleinen Änderungen im Fit spürbare Auswirkungen auf die Fahrerposition und den Komfort haben, und auch ein verbessertes Aero-Gefühl macht sich bemerkbar. Da aber auch kleinste Änderungen das Potenzial haben, den Fit spürbar zu beeinflussen, empfehlen wir einen Termin im Bikefitting-Studio, das gibt nicht nur mehr Sicherheit durch professionelles Know-how, sondern schont auch den Geldbeutel, denn so lässt sich jede Kurbellänge im Handumdrehen testen und vermeidet Fehlkäufe.


Kurze Kurbeln im Test: Wenige Millimeter mit großer Wirkung
In unseren umfangreichen Tests wurden die verschiedenen Kurbellängen auf unterschiedlichstem Gelände ausprobiert und mit dem Fit gespielt – da hätte jedem noch so schnellen Profi vor lauter Change der Kopf geraucht. Von steilen Anstiegen im Gebirge bis hin zu schnellen Flachlandstrecken – mit jeder Länge haben wir verschiedene Erfahrungen gemacht. Doch warum eigentlich die Suche nach einem besseren Fit? Besonders bei hoher Trainingsbelastung, so auch zuletzt in Covid-Zeiten bei viel Zeit und 25–30 Wochenstunden auf dem Bike, verspürt unser Tester Calvin manchmal Druck in den Knien und im unteren Rücken. Eigentlich nicht überraschend bei dem Volumen, doch mal sehen, was die kürzeren Kurbeln können.
Und so ging es voller Vorfreude direkt aufs Bike, und für den besten Effekt natürlich direkt auf Pogačars Lieblings-Kurbeln – 165 mm Länge. Ein großer Sprung! Beim Umstieg von 172,5 mm langen auf kürzeren Kurbeln wie 165 mm oder 167,5 mm bemerkt man eine deutlich höhere Kadenz und ein „runderes“ Gefühl im Tritt. Dagegen wirkten die 160 mm kurzen Kurbeln in unserem Test recht ungewohnt, als ob man auf Zehenspitzen Mini-Schritte gehen würde – es gibt also auch zu kurze Kurbeln! Und so stellte sich bei Calvin – mit 185 cm Körpergröße und 86,5 cm Schrittlänge – mit den 167,5-mm-Kurbeln ein idealer Tret-Rhythmus ein.

Der Wechsel auf kürzere Kurbeln ermöglichte dazu eine aggressivere Sitzposition, ohne den Hüftwinkel zu sehr zu schließen, und gewährleistete damit weiterhin ein hoher Power-Output. Es war uns zwar nicht möglich, die Aerodynamik im Windtunnel zu messen, allerdings konnten wir eine angenehmere und aerodynamischere Körperhaltung mit mehr Überhöhung einnehmen, und das ganz ohne Watt-Wertverlust oder extremem Hüftwinkel. Mit 160-mm-Kurbeln lag Calvins Trittfrequenz sogar über 100 rpm, während er mit 165-mm-Modellen bei etwa 95 rpm und teilweise darüber lag. Für Calvin zum Beispiel passt die Länge von 167,5 mm perfekt. So stellte sich über all die unzähligen Testfahrten ein natürliches Fahrgefühl ein, dazu eine etwas aerodynamische Position und weniger Belastung auf die Gelenke bei einer durchschnittlichen Frequenz von knapp unter 95 rpm. Und siehe da, die Probleme sind ebenfalls verschwunden, obwohl Calvin im Testzeitraum nicht ganz an sein Trainingsvolumen der Hochzeiten anschließen konnte. Leider bieten nicht alle Hersteller diese Zwischengröße an, doch die Testkurbel bleibt erstmal am Rennrad. Und auch am Gravel-Bike wird der Umstieg kommen.

Machen kürzere Kurbeln wirklich Sinn?
Yes, kurze Kurbeln sind nicht nur ein weiterer Trend wie etwa ovale Kettenblätter, sondern können das Radfahren tatsächlich verbessern. Dabei sind sie aber in erster Linie eine Lösung für Probleme, mit Benefits auf der Suche nach einem minimalen Effizienzgewinn. Wenn du aber happy mit deiner Position und Geschwindigkeit bist, machen kurze Kurbeln eventuell mehr kaputt als besser.

Die Anschaffung kürzerer Kurbeln ist zudem eine Investition, besonders wenn man nicht sicher ist, welche Länge die Richtige ist. Daher empfehlen wir, zunächst verschiedene Längen auszuprobieren, bevor man eine finale Entscheidung trifft. Wer sich das Ganze sparen möchte, kann auch ein professionelles Bikefitting in Erwägung ziehen, um direkt die optimale Kurbellänge herauszufinden. Generell ist ein professionelles Bikefitting die beste Option, um schnell und sicher zur idealen Position auf dem Bike zu kommen. Auf unserer Suche nach dem perfekten Fit haben wir uns die Bekanntesten in der Szene vorgenommen und im eigenen Test ausprobiert, den Test gibt’s hier.


Tatsache ist, dass kurze Kurbeln für bestimmte Fahrer eine sinnvolle Anpassung darstellen. Für Profis, die ihre Performance optimieren möchten, ist der Umstieg auf kürzere Kurbeln bereits fast Standard. Doch auch für Ambitionierte und Freizeitsportler können sie eine Möglichkeit sein, den Komfort zu steigern und das Verletzungsrisiko zu senken.
Die Zukunft der Kurbellängen – Der Wunsch nach mehr Individualisierbarkeit
Die Diskussion um Kurbellängen zeigt auch, dass es Potenzial für mehr Individualisierung gibt. Die 2,5-mm-Abstufungen der Standard-Kurbellängen bei Komplettbikes könnten auf 5 mm ausgeweitet werden, um besser auf die Unterschiede der Fahrer einzugehen. Das heißt: Anstatt 170, 172,5 und 175 mm kommen 165, 170 und 175 mm zum Einsatz. Eine Welt, in der wir die Kurbellänge beim Kauf eines Bikes genauso individuell anpassen können wie die Rahmengröße, wäre optimal – doch das ist bisher nur Zukunftsmusik und wirkt genauso wie ein individualisierbares Cockpit eher unwahrscheinlich.

Fazit
Letztendlich bleibt die Frage, ob der Wechsel zu kürzeren Kurbeln für jeden sinnvoll ist. Fakt ist, dass der Trend durchaus Potenzial bietet – sei es für Profis auf der Jagd nach Geschwindigkeit oder Freizeitsportler, die auf der Suche nach mehr Komfort und Effizienz sind. Trotzdem ist ein professionelles Bikefitting empfehlenswert, nicht nur, um den besten Fit und die passende Kurbellänge zu finden, sondern auch, um den Traum von Bike/Rider-Symbiose im preislich angemessenen Rahmen schnell zu verwirklichen.

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Text: Calvin Zajac Fotos: Jan Richter, Martin Staffa, Robin Schmitt