Shimano bietet mit der GRX RX800 eine Schaltgruppe speziell für Gravel-Bikes und deren Anforderungen an. Wie schlägt sich der mechanische 2×11-fach-Antrieb im Dauertest? Können knapp 2.000 km auf harten Schotterpisten die GRX-Schaltung in die Knie zwingen? Alle Infos und den kompletten Test findet ihr hier.

Shimano GRX RX800 | 865,00 € (Straßenpreis zum Zeitpunkt des Tests) | Hersteller-Website

Der Schaltgruppen-Gigant aus Japan, der im Pro-Peleton die meisten Bikes ausstattet, hat erkannt, dass Gravel-Bikes spezielle Anforderungen an die eingesetzten Komponenten mit sich bringen. Mit der GRX-Familie möchte uns Shimano die perfekte Basis für endlosen und sorgenfreien Gravel-Spaß liefern – sowohl beim Schalten als auch beim Bremsen. Und das zu jeder Zeit, an jedem Ort und ohne zu meckern. Bevor wir auf die Performance und den Test eingehen, erhaltet ihr zunächst einen Überblick über alle Familienmitglieder.

Was ist die GRX-Schaltgruppe überhaupt?

Die Shimano GRX-Gravel-Schaltgruppe ist in drei Abstufungen erhältlich und setzt sich aus der hochpreisigen RX800, die auf Shimano ULTEGRA-Niveau einzuordnen ist, der RX600 (105-Niveau) und der günstigen RX400 (Shimano TIAGRA-Niveau) zusammen. Für eine bessere Übersichtlichkeit haben wir alle erhältlichen Shimano GRX-Versionen in einer Tabelle zusammengefasst:

GRX-Version Gänge mechanisch / elektronisch max. Bandbreite im 2-fach-Setup
RX800 1×11/2×11* mechanisch 479 %
RX815 1×11/2×11 elektronisch 479 %
RX600 1×11/2×11 mechanisch 474 %
RX400 2×10 mechanisch 502 %

*in der 1×11-fach-Version auch mit Ansteuerung einer hydraulischen Sattelstütze möglich

Benötigen wir überhaupt eine spezielle Gravel-Schaltgruppe?

Die simple Antwort lautet: Ja, die brauchen wir! Klar, es gibt eine große Anzahl an verfügbaren Schaltgruppen für Bikes mit Rennrad-Lenker. Anstiege, die auf Asphalt im kleinsten Gang schon anstrengend sind, können auf Schotter aber schlicht unbezwingbar werden. Die Lösung des Problems ist eine Vergrößerung der Bandbreite. Mit einer Verlagerung in Richtung der kleineren Gänge ist es nicht getan, da auch in der Ebene mit viel Druck auf dem Pedal und hoher Geschwindigkeit gefahren werden soll.

Wer im hochalpinen Gelände und überwiegend offroad unterwegs ist, wird mit einem 1-fach-Setup zufrieden sein. Durch den Verzicht auf einen Umwerfer wird Gewicht eingespart und man erhält mit einer großen Kassette trotzdem eine beachtliche Bandbreite. Gravel ist jedoch weit mehr als nur das Fahren von Alpenpässen über Schotterwege. Unser Test-Bike, das Mason Bokeh GRX (zum Test), musste mit Bikepacking-Trips, Mixed-Gravel-Rides mit 50 % Straße und 50 % Schotter und dem täglichen Offroad-Commute zur Arbeit mehrere Disziplinen unter einen Hut bekommen – hier ist eine 2×11-Schaltgruppe mit einer feinen Abstufung und einer ausreichenden Bandbreite nach wie vor die beste Wahl. Beides wäre mit einer bestehenden Schaltgruppe aus dem Rennrad-Bereich nicht abzudecken. Ihr seht also: Ohne Gravel-spezifische Schaltung kein Gravel!

2-fach-Schaltgruppen sind alles andere als tot. Für ultimative Vielseitigkeit sind sie definitiv eine gute Wahl.

Die an unserem Test-Bike montierte 11–34T-Kassette ermöglicht in Kombination mit der 48/31T-Kurbel eine Bandbreite von 479 %.

Die Shimano GRX RX800 im Dauertest

In den letzten Monaten hatten wir so einige Gravel-Bikes im Test, die mit allen Varianten der Shimano GRX-Schaltgruppe ausgestattet waren. Wie aber schlägt sich die mechanische RX800 im harten Dauertest über knapp 2.000 km? Eins sei verraten: Geschont wurde die Gruppe dabei nicht! Unser Testfahrer Ben hat das mit der GRX-Gruppe bestückte Mason Bokeh GRX-Gravel-Bike bei Wind und Wetter vor die Tür geschickt.

Die Shimano GRX ST-RX810-Schalthebel

Die ST-RX810-Schalthebel mit mechanischem Schaltsystem und hydraulischer Bremsanlage fallen wirklich groß aus, gerade im Vergleich zu den ST-RX815-Hebeln der elektronischen GRX Di2-Schaltgruppe. Optisch sind sie definitiv Geschmackssache. Fahrer, die entweder in der kalten Jahreszeit mit Handschuhen fahren oder große Hände besitzen, werden sich jedoch über das große Volumen freuen, ermöglicht es doch viele Griffpositionen. Auch das Reinlehnen in die Hoods mit nach außen gespreizten Händen ist kein Problem.

Bergab wissen die ST-RX810-Schalthebel zu überzeugen und bieten durch die Profilierung auf dem Gummiüberzug, die sich auf langen Tagestouren mit 10 Stunden im Sattel jedoch merkbar in die Hände drückt, massig Grip. Es ist dadurch sogar möglich, im Downhill in den Hoods zu bleiben und trotzdem über genügend Griff und Bremskraft zu verfügen. Der Drehpunkt des Schalt-/Bremshebels wurde sinnvoll verändert und zeigt sich extrem verbessert. Dadurch entwickelt man in den Hoods so viel Brems-Power, dass man in sehr steilem Gelände, in dem man ungern noch tiefer in die Drops gehen möchte, weiter in den Hoods fahren kann. Ein nicht zu verachtendes Vertrauens-Plus, sollte man nicht in den Unterlenker gehen wollen! Grundsätzlich empfehlen wir dennoch bei Abfahrten und unübersichtlichen Situationen für mehr Bike-Kontrolle, in den Drops zu greifen.

Die Beschichtung der Griffe zeigt sich wenig beständig und zerkratzt bereits, wenn sie nur schief angeschaut wird.

Neben dem optischen Aspekt, der vor allem an kleinen Gravel-Bikes ins Gewicht fällt, ist leider auch die Qualität der Beschichtung der Bremshebel negativ aufgefallen. Bereits der kleinste Kontakt zieht sofortige Kratzer mit sich, wodurch die ST-RX810-Bremshebel schnell mitgenommen aussehen. Auch wenn man hier tröstend sagen könnte, dass jede Narbe eine Geschichte erzählt: Wirklich schön sieht das nicht aus. Positiv ist jedoch die Funktion der Beschichtung hervorzuheben. Auch ohne Handschuhe hat man bei nassen Bedingungen stets genügend Grip.

Die Shimano GRX BR-RX810-Bremsen

Die an unserem Test-Bike verbauten Bremsen sind vorne per Flatmount und hinten per Directmount befestigt und greifen an einer 160-mm-Scheibe in der Front und einem 140-mm-Rotor im Heck an. In puncto Brems-Power macht der Shimano GRX-BR-RX810-Bremse so schnell niemand etwas vor! Sie punktet nicht nur durch ordentlich Biss, sondern lässt sich noch dazu sehr intuitiv modulieren. Die Brems-Power steigt beim Ziehen des Bremshebels sehr natürlich an, die Dosierung ist einsteigerfreundlich.

Die Brems-Performance der GRX-Bremsen ist erste Sahne. Hier stimmt von Brems-Power bis Dosierung einfach alles.

Für unseren Testfahrer war die 140-mm-Bremsscheibe am Hinterrad gerade noch okay, da er überwiegend auf welligem Terrain und deutschen Mittelgebirgen unterwegs ist und reichlich Erfahrung mitbringt. Bei voller Zuladung und langen und steilen Bikepacking-Abfahrten, bei denen man es notgedrungen auch mal schleifen lassen muss, kam die Bremse am Hinterrad jedoch ans Limit. Um hier genügend Reserven zu haben, empfehlen wir den Umstieg auf eine 160er-Scheibe. Das lächerliche Mehrgewicht im Vergleich zum 140er-Pendant wird durch das große Plus an Sicherheit und den zusätzlichen Spielraum mehr als aufgewogen. Wenn die Gabel für große Scheiben freigegeben ist und man vorwiegend im alpinen Raum die Downhills unter die Reifen nimmt, kann man optional auch eine Shimano XT- oder SLX-Bremsscheibe mit 180-mm-Durchmesser montieren – spezifische GRX-Bremsscheiben sind nicht vorhanden.

Die 140er-Bremsscheibe am Hinterrad ist nur für erfahrene Fahrer zu empfehlen. Allen Gravel-Assen im alpinen Raum empfehlen wir eine 160-mm-Bremsscheibe im Heck und bei Freigabe der Gabel gerne auch eine 180-mm-Scheibe in der Front.

Das Shimano RD-RX810-Schaltwerk, der FD-RX810-F-Umwerfer und die CS-HG800-11-Kassette

Die Abstufung der montieren 11–34T-Kassette ist der Knaller und auf dem täglichen Arbeitsweg mit insgesamt 40 km und 450 Höhenmeter perfekt abgestuft! Für vielseitige Gravel-Rides im Mittelgebirge und auf welligem Terrain ist sie clever gewählt und stellt für jede Situation das richtige Ritzel zur Verfügung. Beim Bikepacking im alpinen Raum wäre ein etwas leichterer Gang jedoch nützlich gewesen.

Testfahrer Ben hat während der sechs Monate und den knapp 2.000 km genau eine Nachjustierung vornehmen müssen: das Nachspannen der Schaltzüge um eine halbe Umdrehung. Sonst nichts! Wie komfortabel ist das denn? Und das bei Fahrten durch staubiges Gelände, schlammige Pfade, hohes Gras und Flussdurchquerungen. Die Robustheit und Zuverlässigkeit ist bei der Shimano GRX-RX800-Schaltgruppe auf allerhöchstem Niveau. Der Vorteil gegenüber der GRX Di2-Gruppe, die wir in der Vergangenheit ebenfalls oft und gerne gefahren sind, ist die einfache Wartung im Schadensfall an jedem Ort der Welt. Bei einem kaputten Akku oder einem Kabelriss an der Di2 seid ihr erstmal aufgeschmissen. Mit einem Ersatzzug im Gepäck lässt sich eine mechanische Schaltgruppe schnell wieder auf Vordermann bringen.

Die Schalt-Performance ist über jeden Zweifel erhaben und hat während des Tests mit klar definierten Schaltvorgängen geglänzt, die mit deutlichem Feedback einrasten. Man erhält immer die sofortige und zweifelsfreie Rückmeldung, ob und wie viele Gänge man gerade geschaltet hat. Dabei kann man beim Schaltwerk immer einen Gang auf einmal hoch in einen schwereren Gang und drei Gänge mit einem Schaltvorgang runterschalten – für ein Gravel-Bike absolut sinnvoll. Nach sechs Monaten ist die Schalthaptik immer noch so leicht wie am ersten Tag und auch für lange Tagestouren ist das Schalten leichtgängig genug, um keine müden Finger zu bekommen.

Das mechanische GRX-Schaltwerk überzeugt mit toller Funktion und Robustheit. Auch ein Sturz, der dem Schaltwerk nur allzu gut anzusehen ist, hält das robuste Teil nicht von der Arbeit ab.

Der Clutch-Mechanismus am Schaltwerk verhindert effektiv das Schlagen der Kette auf die Kettenstreben und sorgt dadurch für ein ruhiges Fahren auf holprigen Wegen. Hatte Shimano beim ULTEGRA RX-Schaltwerk noch Probleme mit dem Mechanismus, ist dieser beim Shimano GRX-Schaltwerk lösungsorientiert weiterentwickelt worden. Das Bemerkenswerte: Auch ein Sturz, bei dem das Bike mehrere Meter mit der Antriebsseite auf der Straße geschlittert ist (bitte kein Wort davon an Mason Cycles), hat die Funktion des Schaltwerks nicht weiter beeinträchtigt. Das Schaltwerk wurde hochprofessionell noch auf der Tour am Schaltwerk zurückgebogen (und natürlich zu Hause penibel nachjustiert 😉 ) und zeigt sich davon gänzlich unbeeindruckt.

Die Shimano GRX FC-RX810-2-Kurbel

Die Shimano GRX 2-fach-Kurbel hat sich während der Testdauer komplett unauffällig verhalten. Es ist mit Sicherheit nicht die steifste Kurbel der Welt, für Graveler aber sehr angenehm zu fahren. Bei einem extrem steifen Modell wie beispielsweise der Shimano DURA-ACE-Kurbel bekommt man viel mehr von den feinen Mikrovibrationen mit, da zeigt sich die GRX-Gravel-Kurbel schon deutlich komfortabler. Sie ist aber auch nicht zu weich für den ein oder anderen Sprint – bei Bens maximaler Sprintleistung von 1.680 W hat sie, wie jeder andere auch, nur müde gelächelt.

Das Shimano SM-BBR60-Innenlager und die Shimano CN-HG701-11-Kette

Nicht-GRX- bzw. Gravel-spezifisch sind das montierte Innenlager und die 11-fach-Kette. Das Lager läuft auch nach knapp 2.000 km noch ohne Probleme – das ist bei den oben genannten Einsätzen nicht selbstverständlich! Die Kette ist inzwischen bereit für einen Aufstieg in den Kettenhimmel, eigentlich sollte man schon nach 1.500 km mit der Kettenlehre schauen, wie es um die Längung bestellt ist. Bei einem Wechsel von Lager, Kette und Bremsbelägen empfehlen wir für eine optimale Funktion stets den Austausch gegen Originalteile.

Unser Fazit zur Shimano GRX RX800-Gravel-Schaltgruppe

Wir sind begeistert! Die Shimano GRX RX800-Schaltgruppe funktioniert so gut und zuverlässig, dass man sie komplett vergisst. Ein Produkt am Bike, das dann brilliert, wenn es in den Hintergrund tritt und unauffällig abliefert. Die an den Tag gelegte Zuverlässigkeit und die Robustheit der GRX RX-800-Gruppe sprechen für eine makellose Verarbeitungsqualität. Wem der kosmetische Fehler der klobigen Hoods nicht stört, findet mit der Shimano GRX-Schaltgruppe einen verlässlichen Partner fürs Gravel-Bike!

Tops

  • definierte Schaltvorgänge
  • hohe Brems-Power und intuitive Dosierbarkeit
  • sinnvolle Bandbreite fürs Gravel-Bike
  • Robustheit und Zuverlässigkeit auch nach 2.000 km

Flops

  • die klobigen Hoods stechen optisch heraus
  • die Beschichtung der Griffe ist sehr kratzempfindlich

Tester Ben
Testdauer 6 Monate
Preis Der Straßenpreis zum Zeitpunkt des Tests lag in Deutschland bei 865,00 €
Hersteller-Website bike.shimano.com


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Text & Fotos: Philipp Schwab, Benjamin Topf