SCOTT präsentiert die neue Version des Addict Gravel und setzt neue Maßstäbe in Sachen Integration. Ist das Gravel-Bike die perfekte Wahl für Gravel-Rennen und kann es mit heruntergezogenen Sitzstreben und neuem Cockpit auch im Komfort Bestnoten erzielen? Wir haben das Topmodell, das SCOTT Addict Gravel Tuned, bereits getestet!
Nach einem genüsslichen Treffen im Biergarten geht es am Sonntagnachmittag auf dem schattigen Fahrradweg unten am Fluss weiter in die Eisdiele – ganz entspannt und ohne Zeitdruck natürlich. Das beschreibt eins zu eins eure Wochenendaktivität? Dann seid ihr hier höchstwahrscheinlich falsch. Die Schweizer sind bekannt für ihre High-Performance-Bikes à la Addict RC Ultimate und haben bei der Entwicklung der neuen Version des Addict Gravel vor allem drei Sachen im Kopf gehabt: Speed, speed und … speed! Der Trend zu mehr Race-Performance im Gravel-Bereich kristallisiert sich aktuell klar heraus, schließlich haben wir in den letzten Monaten mit dem Cervélo Áspero-5 Force eTap AXS 1 (zum Test) und dem Ridley Kanzo Fast (zum Test) bereits zwei Gravel-Race-Bikes über unsere Schotterpisten gescheucht. Das brandneue Gravel-Bike aus dem Hause SCOTT soll mit aerodynamischen Features, einem geringen Gewicht, optimaler Kraftübertragung und einem direkten Handling vor allem die schnellsten Gravel-Biker und all jene mit sportiven Hintergedanken ansprechen und euch zu neuen Bestzeiten (nicht nur) auf lokalen Schotterpisten verhelfen. Alles nur Marketing-Blabla oder steckt mehr dahinter? Das findet ihr in diesem Test heraus. Dazu nehmen wir zunächst die Basis unter die Lupe: die Ausstattung und Details des neuen SCOTT.
Das SCOTT Addict Gravel Tuned im Detail – Integration für alle!
Hallo, Schönheit, wo darf’s denn hingehen? Das neue SCOTT Addict Gravel Tuned glänzt wie auch schon das SCOTT Addict eRIDE Premium (zum Test) mit einer perfekten Integration. Das neue einteilige Creston iC SL X-Cockpit versteckt sämtliche Kabel und sogar Montageschrauben vor den Augen des Betrachters. Das Gewicht liegt laut Hersteller bei 335 g für die Version mit 110 mm Vorbaulänge und 420 mm Lenkerbreite. Dank integriertem Mount ist neben einer Montage von Wahoo- oder Garmin-GPS-Computern auch das gleichzeitige Montieren von Action-Cameras oder Vorderlichtern, wie dem neuen Syncros NAINAMO 1200, möglich. Eine sinnvolle und smarte Funktion, die dunkle Jahreszeit kommt schneller, als uns lieb ist! Durch die zweiteiligen Spacer ist ein Anpassen der Cockpithöhe auch ohne ein Kürzen bzw. Neuverlegen der Kabel möglich. Im Gegensatz zu anderen Herstellern spendiert SCOTT selbst den günstigsten Gravel-Einstiegsmodellen names Speedster Gravel mit zweiteiligem Cockpit eine komplett interne Kabelverlegung – Integration für alle ist hier das Motto, bravo!
In der folgenden Galerie könnt ihr euch die Syncros-Komponenten und das optionale Syncros-Zubehör genauer anschauen, bestehend aus Cockpit, Vorderlicht, Hinterlicht, Fender und Satteltasche.
Neben zwei Anschraubpunkten am Oberrohr – hier soll in Zukunft eine schicke Syncros-Tasche Platz finden – bietet der neue Addict Gravel-Carbon-Rahmen drei Anschraubpunkte für zwei verschiedene Flaschenpositionen am Unterrohr, zwei Anschraubpunkte am Sitzrohr und zwei weitere Mounts auf der Unterseite des Unterrohrs für eine weitere Flasche oder eine Toolbox. Das Gravel-Bike ist auch für schlechtes Wetter und Pendelfahrten zur Arbeit gerüstet. Beinahe unsichtbar sind die dafür nötigen Anschraubpunkte für Schutzbleche auf der Unterseite der Sitzstreben versteckt. Schutzbleche, die sich nahtlos in die Optik des Bikes einfügen sollen, wird es später im Jahr direkt bei der Hausmarke Syncros geben. Die Reifenfreiheit verringert sich bei der Nutzung von Schutzblechen von 700 x 45C (ohne Fender) auf 700 x 40C (mit Fender). Unserem Augenmaß nach könnte je nach Reifen-Felgen-Kombination aber auch ein 50C-Reifen ausreichend Platz im Rahmenset finden. Der neu entwickelte Rahmen ist ausschließlich für 700C-Laufräder vorgesehen, die Kompatibilität mit kleineren 650B-Laufrädern ist nicht gegeben. Das von uns getestete SCOTT Addict Gravel Tuned ist das einzige Modell der Gravel-Plattform von SCOTT, das mit einem Rahmen aus sogenannten HMX-Carbonfasern ausgestattet ist. Die anderen Modelle müssen sich mit den minimal schwereren HMF-Fasern zufriedenstellen – die Gewichtsdifferenz liegt jedoch gerade einmal im Bereich zweier großer Schlucke aus der Trinkflasche.
Ausstattung und Geometrie des SCOTT Addict Gravel Tuned – 2-fach ist König
Bei einem Blick auf die Ausstattungslisten der Addict Gravel-Serie wird die Vorliebe von SCOTT für 2-fach-Antriebe schnell klar. Das macht nicht nur vor dem topografischen Hintergrund der Schweizer Sinn. Auch bei dem vorgesehenen Einsatz als Gravel-Race-Maschine sind möglichst kleine Gangsprünge für viele von Vorteil. Unser Test-Bike, das SCOTT Addict Gravel Tuned, ist mit SRAMs kabelloser High-Performance Schaltgruppe, der RED eTap AXS, ausgestattet. Absolut sinnvoll und dem Race-Konzept entsprechend gibt es den in die Kurbel integrierte Powermeter beim Addict Gravel Tuned direkt ab Werk dazu. In puncto Übersetzung ist zu erkennen, dass die Entwickler von SCOTT täglich die steilsten Anstiege zu erklimmen haben. Mit der Kombination aus 46–33T vorne und 10–36T hinten sind auch Steigungen jenseits der 10-%-Marke kein Grund, um bei eurem GPS-Computer die Route neu berechnen zu lassen.
SCOTT Addict Gravel Tuned 2022
8.699 €
Ausstattung
Bremsen SRAM RED AXS 160/160 mm
Schaltung SRAM RED eTap AXS 2 x 12
Kettenblatt 46/33
Vorbau Creston iC SL X 100 mm
Lenker Creston iC SL X 420 mm
Laufräder DT Swiss GRC 1100 Disc 12 x 100/12 x 142 mm
Reifen Schwalbe G-ONE R 700 x 45C
Kassette SRAM FORCE CS-XG-1270 10–36
Technische Daten
Größe 49 52 54 56 58
Gewicht 8,12 kg in Größe 56
Der König ist tot. Lang lebe der König. SCOTT bringt den 2-fach-Antrieb wieder in den Gravel-Moshpit!
In Sachen Laufradwahl spendiert SCOTT dem Addict Gravel Tuned einen Satz DT Swiss GRC 1100-Laufräder, einem der schnellsten Laufradsätze im Gravel-Sektor. Durch eine ordentlich breite Maulweite von 24 mm werden die jüngst vorgestellten Schwalbe G-ONE R-Reifen (hier geht’s zum Test) in 700 x 45C gut abgestützt und ergeben eine wirklich schnelle Kombination für flotte Gravel-Ausfahrten. Die Kombination von 160-mm-Bremsscheiben vorne und hinten ist gut gewählt. Wer gerne up- oder downgraden möchte, kann vorne auch eine 180er-Scheibe bzw. hinten eine 140er-Scheibe montieren. Des einen Freud, des anderen Leid: SCOTT setzt auf ein Pressfit-Innenlager, von dem sich der Hersteller ein Plus an Formschlüssigkeit, Steifigkeit und Performance im Vergleich zum geschraubten Lager verspricht. Wir sind bekannterweise keine Riesen-Fans davon und bevorzugen im Zweifel immer ein sauber geschraubtes Innenlager – auch wenn dabei das Gewicht um 3,8 g steigt ;).
Größe | 49 | 52 | 54 | 56 | 58 |
---|---|---|---|---|---|
Sattelrohr | 477 mm | 507 mm | 528 mm | 546 mm | 566 mm |
Oberrohr | 518,0 mm | 534,5 mm | 554,5 mm | 578,5 mm | 592,5 mm |
Steuerrohr | 95 mm | 122 mm | 140 mm | 166 mm | 187 mm |
Lenkwinkel | 70° | 70° | 71° | 71° | 71° |
Sitzwinkel | 74,5° | 74,0° | 73,5° | 73,0° | 73,0° |
Kettenstrebe | 425 mm | 425 mm | 425 mm | 425 mm | 425 mm |
BB Drop | 71 mm | 71 mm | 71 mm | 71 mm | 71 mm |
Radstand | 1.009 mm | 1.023 mm | 1.029 mm | 1.049 mm | 1.064 mm |
Reach | 374 mm | 378 mm | 387 mm | 398 mm | 406 mm |
Stack | 519 mm | 544 mm | 565 mm | 590 mm | 610 mm |
Das SCOTT Addict Gravel Tuned im Test – Jetzt geht’s vorwärts!
SCOTT verspricht mit dem Addict Gravel Tuned eine Race-Maschine – und hat definitiv nicht zu viel versprochen. Das Bike glänzt mit einem sehr bereitwilligen Antritt und einem ausgesprochen guten Vortrieb. Ehe ihr euch verseht, habt ihr das Gravel-Bike auf 30 km/h beschleunigt – und könnt danach vor allem auf feinem Schotter ohne Probleme die Geschwindigkeit halten. Das Addict Gravel Tuned ist eine Effizienzbestie und verschwendet kaum ein Watt, das ihr in die Pedale tretet. Die Punkte, die das SCOTT-Bike auf dem Antriebskonto hat, wurden jedoch scheinbar vom Komfortkonto eingezogen. Der Rahmen ist sportlich steif und auf maximalen Vortrieb ausgelegt, Komfort erzeugt er jedoch nur im eingeschränkten Maße. Es sind hauptsächlich die clever gewählten Anbauteile, die ein gewisses Grundmaß an Komfort erzeugen. Vor allem das Creston iC SL X-Cockpit hat es uns angetan und überzeugt mit einer tollen Ergonomie und einer guten Vibrationsdämpfung. Auch die Schwalbe-Pneus wissen hochfrequente Unebenheiten effizient zu schlucken. Wird der Untergrund uneben, ist jedoch eine aktive Fahrweise und ein Körperfederweg seitens des Fahrers gefragt. Leider reicht das Gesamtlevel an Komfort so nicht aus, um das Bike für lange Strecken über ruppige Gravel-Pisten uneingeschränkt zu empfehlen.
In der Ebene überzeugt das SCOTT Addict Gravel Tuned mit einem beinahe stoischen Geradeauslauf und vor allem auf losem Untergrund benötigen die Lenkimpulse einen gewissen Nachdruck – daran muss man sich zu Beginn gewöhnen. Ist die Einlernphase jedoch vorbei, lässt sich das Gravel-Bike trotz der breiten Reifen sportlich präzise steuern. Es glänzt mit einem agilen Handling, das zwischen Front und Heck ausgeglichen ist und auch Einsteiger nicht mit einem Übermaß an Direktheit überfordern wird. Dazu trägt auch das hohe Sicherheitslevel bei, das dem Fahrer übermittelt wird. Positiv überrascht waren wir von den enormen Reserven, die das Bike im anspruchsvollen Gelände hat. Wer das geringe Maß an Komfort hier verkraften kann, bekommt feinste Gravel-Offroad-Performance, die erst mit dem Abwinken des Fahrers endet. Wir selbst haben das Bike selbst in kniffligsten Situationen nicht aus der Reserve locken können – stets bleibt es berechenbar.
Für wen ist das SCOTT Addict Gravel Tuned das richtige Gravel-Bike?
Um eins vorweg zu nehmen: Würden wir beim UNBOUND Gravel – also den inoffiziellen Gravel-Weltmeisterschaften – antreten, wäre das SCOTT Addict Gravel Tuned nicht für jede Renndistanz unsere erste Wahl. Auch wenn das Gravel-Bike mit einem tollen Antritt und einer bemerkenswerten Effizienz glänzt, ein Langstrecken-Gravel-Rennen wird nun mal nicht mit einem 2500-Watt-Zielsprint gewonnen, bei dem es auf maximale Tretlagersteifigkeit ankommt. Bei vielen Gravel-Rennen, die stundenlang über fordernde Schotterpisten führen, ist aus unserer Sicht ein hohes Komfort-Level von größter Bedeutung. Das Bike sollte den Fahrer vor ermüdenden Vibrationen und Schlägen schonen und ihn dadurch länger frisch und leistungsfähiger halten, was wiederum dazu führt, dass man länger und kräftiger in die Pedale treten kann und schneller im Ziel ankommt. #sustainedpower Klingt logisch, oder? 😉
Wer viel auf asphaltierten Straßen und Hardpack-Gravel unterwegs ist, wird sich jedoch über eine richtig schnelle Gravel-Rakete freuen. Auch die kurzen Renndistanzen des UNBOUND Gravel-Rennens können wir uns durchaus auf dem SCOTT vorstellen – FTP um die 330 Watt inklusive. Versierte Gravel-Veteranen, die das Underbiking zelebrieren, können sich mit dem Bike natürlich auch ins Abenteuer stürzen und den ein oder anderen Trail mit Vollgas mitnehmen. Aufgrund der D-förmigen Sattelstütze muss auf die Option der Dropperpost leider verzichtet werden, was das Bike an dieser Stelle jedoch etwas einschränkt. Insgesamt ist das neue Gravel-Bike das Rad im Portfolio der Schweizer mit der höchsten Allround-Tauglichkeit, und mit der Option zur Montage von Schutzblechen ist es auch perfekt als Winter-Bike für alle befestigten Untergründe geeignet. Sportlicher Allrounder? Definitiv! Langstreckentauglicher Tourer? Off-Grid-Bikepacker? Eher nicht. Ihr seid euch noch gar nicht genau sicher, welche Art von Gravel-Bike ihr überhaupt sucht? Dann geht es für euch nach dem Lesen des Tests direkt weiter zu eurer persönlichen Gravel-Kaufberatung!
Fullforce voraus – mit dem Slogan im Kopf könnten die Entwickler des neuen SCOTT Addict Gravel Tuned am Tüfteln gewesen sein. Herausgekommen ist ein Gravel-Bike, das mit einer direkten Beschleunigung, einer hohen Effizienz und einem ausgeglichenen Handling glänzt und in puncto Integration Maßstäbe setzt. Wer mit einem geringen Level an Langstreckenkomfort klar kommt, findet mit dem Addict Gravel Tuned einen sportlichen Allrounder für schnelle Gravel-Rides.
Tops
- ausgeglichenes Handling
- sportlicher Allrounder
- direkte Beschleunigung
- hohe Effizienz
- sehr hohes Level an Integration
Flops
- geringer Langstreckenkomfort
- limitierte Allround-Eigenschaften
Weitere Informationen zum SCOTT Addict Gravel Tuned findet ihr unter scott-sports.com
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Text: Benjamin Topf, Philipp Schwab Fotos: Daniel Geiger, Benjamin Topf