Keine Frage, Rennradfahrer treffen ihre Kaufentscheidung auf unterschiedlichste Weise. Viele eifern den Profis und deren Renngeräten nach, andere den Labor- und Steifigkeitswerten und wieder andere vertrauen auf Fahrtests von Experten. Aber welche Kriterien sind tatsächlich ausschlaggebend auf dem Bike?
Mit einer 10-köpfigen internationalen Testcrew verbrachten wir 9 Tage in Barcelona, um die 10 interessantesten und exklusivsten Bikes der Saison in einem einzigartigen Vergleichstest an ihre Grenzen zu bringen. 4 Frauen, 6 Männer, darunter Tour-de-France-Weltklasse-Fahrer, Biomechaniker, Jedermänner, Bikehändler und Tourguides, jeder und jede mit spezifischem Fachwissen.
Um es kurz zu fassen: Rennradenthusiasten, die ihr Handwerk verstehen. Mit unseren Tests fährst du mehr, länger und hast vor allem langfristig Spaß! Versprochen.
Purer Realismus – die Testparameter:
Statt uns auf Laborwerte, graue Theorie und Idealbedingungen zu berufen, setzen wir auf puren Realismus und betrachten ein Produkt ganzheitlich. Zum einen testen wir es im Kontext des vom Hersteller vorgegebenen Einsatzbereiches, zum anderen in Bezug auf den realistischen Anwendungsbereich der potenziellen Käufer.
Was unterscheidet Fabian Cancellara, Peter Sagan oder John Degenkolb von uns Normalsterblichen?
Profisport fasziniert, keine Frage. Dennoch sollten wir aufhören, genau dem nachzueifern, was die Profis machen und fahren. Sie sind zwar oft echte Helden, aber meist die falschen Vorbilder. Egal ob Formel 1, America’s Cup, Downhill, Motocross oder Golf – Spitzensport bedeutet immer Spitzenbelastung und spezifisches Material, das für maximale Belastungen und einen Gebrauch optimiert ist, den ein Jedermann im Alltag nicht erreicht bzw. wovon er nicht einmal profitiert. Im Gegenteil, Spitzenmaterial ist oftmals gar nicht für den Dauereinsatz geeignet! Es ist anfällig, unpraktisch und manchmal sogar leistungsmindernd. Selbst Profis fahren im Training ein anderes Setup als im Wettkampf – dennoch wollen viele Jedermänner genau das Material mit extremer Geometrie und geringer Tauglichkeit für den Dauereinsatz, das ihre Idole fahren.
Wer blind die Profis zu imitieren versucht und genau deren Material fahren will, kämpft einen Kampf, der nicht zu gewinnen ist. Das Resultat? Weniger Fahrspaß, wenig Komfort und am Ende: Frustration, im schlimmsten Fall gar Resignation. Und damit sind wir auch bei einer wichtigen Frage: Für wen entwickeln wir eigentlich Bikes? Wer den Kunden nicht nur einen Traum verkaufen, sondern sie auch glücklich machen will, sollte sich diese Frage mehr als einmal stellen. Die Branche und der Sport brauchen ein neues Bewusstsein, das sich vor allem an den Anforderungen und Wünschen der Kunden orientiert. Manche Hersteller tun dies bereits par excellence, andere pochen leider noch immer auf die alten Standards.
7 Nationen – 250 Jahre Rennraderfahrung
Wäre ja schön, wenn wir uns mit einem Produkt die Leistung eines TdF-Champions erkaufen könnten. Aber ein Produkt schafft nur die (perfekten) Rahmenbedingungen, die Leistung erschafft der Mensch. Um unserem Namen auch alle Ehre zu machen, haben wir mit Gran-Fondo-Organisatoren rund um den Globus gesprochen, um auch deren Feedback in die Testparameter einfließen zu lassen.
Schnell war klar: So individuell der Mensch ist, so breit ist das Angebot heutiger Rennräder, wobei es der englische Begriff Road Bike besser trifft – schließlich fährt nicht jeder mit seinem Rennrad tatsächlich Rennen, wie es der Name impliziert.
Was zeichnet ein gutes „Road Bike“ aus?
Unzählige Kategorien, Material- und Ausstattungs-Varianten erlauben heutzutage keine klare Antwort mehr. Fakt ist: Wer nicht nur ein Statussymbol oder ein Bike für die Eisdiele will, sollte sich zuallererst Gedanken darüber machen, wie er fährt. Und erst danach entscheiden, was er fährt.
Aero-Bikes für Pflastersteine?
Selbst ein Blick ins Peloton zeigt, dass die Fahrer nicht jeden Trend mitgehen und stattdessen das Bike fahren, auf dem sie sich am wohlsten fühlen. So sind alle möglichen Bikes vertreten: vom Aero-Bike bis zum klassischen Renner. Schließlich ist der Gewinner der intelligenteste sowie stärkste Fahrer mit dem besten Team – unabhängig vom Material. Und das ist auch besser so. Denn ginge es nach dem Gewinner des diesjährigen Paris-Roubaix, müssten wir von nun an Pflastersteine ausschließlich mit Aero-Bikes bezwingen. Und das führt uns zur nächsten Frage.
Macht es Sinn, einen Formel-1-Rennwagen im Straßenverkehr fahren?
Wohl kaum. Wer Sportlichkeit und Power will, kauft sich einen Porsche – als alltagstaugliche Variante eines Rennwagens. Nicht das beste Auto für die Rennstrecke, für den Ampelsprint reicht es jedoch allemal. Klingt banal? Dafür aber auch real. Kaum ein Porsche-Turbo-Fahrer steht jedes Wochenende an der Startlinie eines Autorennens, noch hat er die Übung, solche Rennen „mal so“ mitzufahren – auch wenn es beruhigend ist, zu wissen, dass das Auto es könnte. Und ähnlich verhält es sich mit den Rennrädern. Wer von uns wird tatsächlich einmal bei der Tour-de-France an den Start gehen? Ein Realismus, der keineswegs negativ gemeint ist. Man sollte sich dessen schlichtweg bewusst sein, um falschem Ehrgeiz und Enttäuschungen vorzubeugen. Denn für wen Stabi-Training und Blackroll nicht zum Alltag gehören, der wird die Leistung auf den extremen Profi-Rennern gar nicht abrufen können und ist auf Endurance-Bikes deutlich besser bedient.
Was bringen schon potenzielles Watt und der theoretische Aerovorteil …
… wenn man durch eine biomechanisch korrekte Sitzposition mehr Kraft aktivieren oder ruhiger und damit aerodynamischer auf dem Sattel sitzt? Wenn mehr Komfort uns länger fahren und ein souveräneres Handling uns sicherer an unsere Grenzen gehen lässt? Wenn ein klein wenig mehr Gewicht weniger Pannenanfälligkeit bedeutet, und bessere Allroundeigenschaften verhindern, dass ein unerwartetes Gravelsegment zur Sackgasse wird? Wir sollten nicht in das schnellste Material investieren, sondern in ein Komplettpaket, das uns schneller, sicherer und glücklicher macht.
Was bedeutet Glück im Kontext der Superbikes?
Während zwei der oben genannten Attribute – schneller und sicherer – sich in Fahrtests objektiv bewerten lassen, ist es beim dritten deutlich schwieriger. Ein weiterer Vergleich mit der Automobilbranche macht das deutlich (ja, wir haben ein Faible für motorisierte Ingenieurs- und Designkunst). Liebhaber haben die unterschiedlichsten Geschmäcker bei der Wahl eines Autos, das sie glücklich macht: klassische Pagode, schneller Sportwagen, rustikaler Jeep oder doch eine komfortable S-Klasse? Übersetzt auf das Rad heißt das: klassischer Stahl-, exklusiver Titan- oder doch ein moderner Carbonrahmen?
Und da sind wir auch schon beim Testfeld:
Das ist das vermutlich am breitesten gefächerte Testfeld, das ihr in dieser Saison bei uns sehen werdet. Das liegt daran, dass wir auch ein paar Underdogs dabei haben wollten, die kaum einer in diesem Vergleich vermutet hätte – die aber verdeutlichen, dass es immer gut ist, über den Tellerrand zu schauen. Es folgen 10 Bikes zum Träumen und Verlieben: Newschool, Oldschool und alles dazwischen! Man könnte meinen (oder sollte hoffen), dass jenseits der 10.000-€-Marke alles schön und perfekt ist – doch weit gefehlt. Auch in dieser Preisklasse wird kaschiert und getrickst und es gab auch einige große Enttäuschungen sowie Überraschungen im Testfeld.
Alle Bikes im Test
Bike | Schaltgruppe | Gewicht | Preis |
---|---|---|---|
Bianchi Specialissima Super Record EPS 11sp Compact | Campagnolo Super Record EPS | 6,18 kg | 12.599 € |
Canyon Aeroad CF SLX 9.0 | Shimano Dura-Ace | 6,96 kg | 4.699 € |
Cervelo C5 Dura Ace | Shimano Dura Ace | 7,60 kg | 7.999 € |
Crema Cycles Doma | Campagnolo Record | 7,42 kg | Ab 2.850 € (Frameset) |
Festka One LT Dazzle Road | Campagnolo Super Record EPS | 6,08 kg | Ab 6.169 € (Frameset) |
Focus Izalco Max Disc Red | SRAM Red | 6,83 kg | 5.999 € |
Ritte Ace | SRAM Red | 6,78 kg | Ab 2.899 € |
Specialized S-Works Venge ViAS Di2 | Shimano Dura-Ace Di2 | 7,71 kg | 10.999 € |
Storck Aernario Platinum G1 Lightweight | Shimano Dura-Ace Di2 | 6,23 kg | 13.399 € |
Trek Madone 9.9 | Shimano Dura-Ace Di2 | 7,05 kg | 12.999 € |
Tops
Flops
Was ist das beste Bike?
Und darin liegt das Spannende wie Faszinierende am Radsport. Fahrperformance und Spaß lassen sich eben nicht in theoretischen Laborwerten quantifizieren. In der Realität kommt es auf mehr an! Wie die Bikes performen, wo sie enttäuschen und was für den Dauereinsatz wichtig ist, erfahrt ihr auf den nächsten Seiten – es lohnt sich!
Alle Bikes im Test: Storck Aernario Platinum G1 | Ritte Ace | Focus Izalco Max Disc | Festka One LT Dazzle | Crema Doma | Cervelo C5 | Canyon Aeroad CF SLX 9.0 | Specialized S-Works Venge | Trek Madone 9.9 | Bianchi Specialissima
[/emaillocker]Text: Markus Ybañez, Robin Schmitt, Emmie Collinge Foto: Constantin Gerlach, Klaus Kneist, Christoph Bayer Post-Production: Klaus Kneist Video: Klaus Kneist
Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als GRAN FONDO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die New-Road-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!