Was sind die heißesten Rennrad-Trends für 2021/2022? Welche Rolle spielt die richtige Wahl der Reifen und warum ist die Steifigkeit eines Rennrads inzwischen nicht mehr so wichtig? Nach dem Test von 15 Road-Bikes haben wir wichtige Erkenntnisse gewonnen und für euch hier gesammelt.

Die Toskana ist nicht nur für ihre Weite und Schönheit bekannt. Sie bringt mit anspruchsvollen Strecken auch Mensch und Material beim Testen an ihre Grenzen. Nach vier Monaten Arbeit und 15 getesteten Rennrädern haben wir neue Trends identifizieren können und verraten euch im folgenden Artikel, in welche Richtung es für die Rennräder der neuesten Generation geht.

Reifen entwickeln sich zur größten Stellschraube am Rennrad

Die Wahl der richtigen Reifen entscheidet über Sieg und Niederlage – und noch viel wichtiger als das: Sie entscheiden darüber, wie viel Spaß ihr auf dem Rennrad habt. Die Zeiten sind vorbei, in denen es einzig und allein auf einen möglichst geringen Rollwiderstand angekommen ist. Moderne Rennräder bieten mehr Reifenfreiheit denn je und stoßen so die Reifenhersteller an, immer breitere Rennradreifen zu produzieren. Davon profitieren nicht nur Fahrer und Fahrerinnen der Pro-Tour, sondern vor allem solche, für die Rennradfahren ein Hobby ist. Und die nie auf das letzte Quäntchen Geschwindigkeit aus waren – und damit meinen wir den Unterschied zwischen 43,6 oder 42,6 km/h im Durchschnitt über 5:53 h. Durch das große Angebot an verschiedenen Reifen in diversen Größen und den stetig wachsenden Einsatzbereich der Bikes spielt die richtige Reifenwahl eine immer bedeutendere Rolle. Auch der beste Rahmen mit den tollsten Komponenten wird niemanden glücklich machen, wenn ein Pneu mit zu geringem Grip oder ohne Komfort montiert ist. Umgekehrt sind die Hersteller jetzt in der Lage, ein und dasselbe Rad allein durch die Wahl der Reifen für verschiedene Einsätze und Zielgruppen auszustatten.

So kann das gleiche Bike sowohl auf der Ebene und perfektem Asphalt bei hohem Reifendruck Strecke machen als auch eine Woche später im Gelände mit breiten und profilierten Reifen mit niedrigem Druck die Gravel-Trails erobern. Der Stellvertreter hierfür ist das Canyon Grail CF SLX aus unserem Vergleichstest. Ein anderes Beispiel ist das MERIDA REACTO mit seinen 700 x 32C-Reifen: Wer mit dem Bike die Schotterabkürzung auf dem Weg zur wöchentlichen Aero-Trainingseinheit nehmen will, wird nicht enttäuscht.

Canyon Grail CF SLX 8 eTap | Zum Test
MERIDA REACTO TEAM-E CUSTOM | Zum Test

Unsere allerwichtigste Reifen-Erkenntnis hat jedoch erst im zweiten Schritt mit dem Pneu selber zu tun: Denn um die Performance eines Reifens optimal ausnutzen zu können, bedarf es einem idealen Zusammenspiel aus Felgen und Reifen. Für bestmöglichen Kurvengrip und ein optimales Abrollverhalten sollte der Reifen stets im U auf der Felge sitzen und keine O-Form bilden. Das passiert oft dann, wenn ein zu breiter Reifen auf einer Felge mit einem zu kleinen Felgeninnenmaß verbaut wird. Der Trend zeigt: Das Innenmaß moderner Felgen wächst und wird damit breiteren Pneus gerecht. Abgesehen von Einzelfällen – wie Climbing-Bikes – konnten wir das in unserem Testfeld eindeutig ablesen. Beachtet also beim Tuning unbedingt die Hinweise der Hersteller, wenn es darum geht, eure gewünschte Reifenbreite mit der Felge zu kombinieren. Oma wusste es schon: Man liegt, wie man sich bettet! Und das gilt auch für eure Reifen.

Wo wir schon beim Thema Reifen-Felgen-System sind, darf der Tubeless-Aufbau von Rennradreifen natürlich nicht fehlen. Die Vorteile liegen im Gravel-Bereich unbestritten auf der Hand: Neben einem geringeren Gewicht und verbessertem Abrollverhalten versüßen auch eine bessere Pannensicherheit und ein Plus an Komfort das Leben eines jeden Schotter-Fans. Dennoch steckt das Thema im Rennrad-Bereich noch immer in den Kinderschuhen. Im Vergleich zum Mountainbike-Sektor, in dem das Fahren ohne Schlauch seit Jahren Standard ist und beinahe jeder Reifen mit jeder Felge harmoniert, hinken die Rennradreifen hier leider hinterher und sind teilweise nur mit viel Mühe dicht zu bekommen. Unserer Erfahrung nach eignet sich der Tubeless-Aufbau perfekt für Felgen-Reifen-Systeme, die mit mittleren und niedrigen Luftdrücken auskommen. Bei schmaleren Reifen im 700 x 28C-Bereich, die mit 6–7 bar gefahren werden, hinkt das System jedoch hinterher. Aufgrund des geringen Reifenvolumens und des hohen Drucks entweicht bei einer Panne zu schnell zu viel Luft. Selbst im Idealfall, wenn die Milch das Loch vollständig schließen kann, bleibt zu wenig Luft im Reifen übrig, um noch weiter zu fahren. Bei voluminöseren Systemen kann mit weniger Reifendruck gefahren werden und die Tubeless-Milch hat minimal mehr Zeit, um ihre Magie zu entfalten.

Auf die richtige Gewichtsverteilung kommt es an

Ein geringes Gesamtgewicht hat natürlich seine Vorteile und ein sehr leichtes Bike wird am langen und steilen Anstiegen immer die Nase vor einem schweren Bike haben. Viel wichtiger als ein möglichst geringes Gewicht des Bikes ist im Alltag jedoch seine Verteilung. Das Mason Resolution Ekar-Rennrad ist z. B. eines der schwersten Bikes ohne E-Support in unserem Vergleichstest, hat sich aber trotzdem den begehrten Kauftipp geschnappt. Der verhältnismäßig schwere Stahlrahmen generiert im Zusammenspiel mit einem cleveren Komponenten-Mix viel Komfort und der Fahrer hat durch eine geschickte Gewichtsverteilung nach vorne immer genug Druck auf dem Vorderrad.

Mason Resolution Ekar | Zum Test
Specialized S-Works Aethos | Zum Test

Aber auch das leichteste Rad im Test, das Specialized S-Works Aethos, ist ein Paradebeispiel für eine clevere Gewichtsverteilung. Das Rennrad hätte mit etwas Tuning und einem leichteren Laufradsatz – wie dem üblicherweise verbauten Roval CLX Alpinist – gut und gerne unter die 6-kg-Marke fallen können. Der Hersteller hat jedoch bewusst darauf geachtet, verhältnismäßig viel Gewicht an den richtigen Stellen zu positionieren und einen Laufradsatz zu montieren, der nicht der Kategorie Ultraleichtbau angehört. Vielmehr sind hier Laufräder vorzufinden, die etwas mehr auf die Waage bringen, um die Montage von Tubeless-Pneus zu ermöglichen und das leichte Bike auf der Ebene nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen. Durch das Gewicht der Felgen und damit der rotierenden Masse nimmt das Aethos den Schwung besser mit und ist in der Ebene trotz des geringen Gesamtgewichts angenehm effizient. Das Mehr an rotierender Masse wirkt sich außerdem auf den Geradeauslauf und die Spurstabilität des Specialized Aethos aus. Gerade bei einem insgesamt so leichten Bike schafft das Vertrauen und setzt die Messlatte für Wohlfühlfaktor und Fahrspaß hoch.

Ihr seht: Gewicht und dessen Positionierung haben bei Weitem mehr Auswirkungen als nur das Antriebsverhalten. Mit einer bewussten und cleveren Gewichtsverteilung lassen sich ebenso der Komfort, das Handling und das Sicherheitsgefühl auf einem Bike beeinflussen. Weniger ist längst nicht immer besser!

Der Steifigkeitswahn ist vorbei

Jahrelang war die Bike-Industrie von zwei großen Bestrebungen gesteuert: Gewichtsminimierung und Steifigkeitsmaximierung. Ein möglichst leichter Fahrer sollte auf einem maximal leichten Rennrad, das auf größtmögliche Steifigkeit entwickelt wurde, Bestzeiten einfahren. Auch wenn diese Fehlannahme immer noch in vielen Köpfen verankert ist, sehen doch viele Produktentwickler inzwischen ein, dass für ein wirklich schnelles Rennrad noch mehr Faktoren von entscheidender Bedeutung sind. Zum einen ist hier der Faktor Komfort zu nennen. Der Marketing-Claim „Smoother is faster“ dürfte fast allen ein Begriff sein. Wer auf einem vergleichsweise komfortablen Bike sitzt, das nicht jeden Schlag und jede Erschütterung an den Fahrer weitergibt, bleibt länger unverkrampft und schont seine (Halte-)Muskulatur beziehungsweise hat hinten raus einfach länger mehr Körner übrig. Außerdem springt das Rennrad nicht bei dem kleinsten Steinchen hin und her, sondern hält die Spur und lässt sich effizienter bewegen. Zum anderen spielt die Compliance des Rennrads eine große Rolle und ist nicht gleichzusetzen mit Komfort. Unter Compliance versteht man die Nachgiebigkeit des Bikes und des Rahmensets.

Eine wohldosierte Nachgiebigkeit wie beim Specialized S-Works Aethos resultiert in erhöhtem Kurvengrip und gesteigertem Sicherheitsempfinden. Auf eine maximale Steifigkeit zu verzichten, ist daher alles andere als eine schlechte Idee! Das Wichtige dabei: Der Bereich, in dem ein Bike nachgiebig ist, entscheidet darüber, ob das Fahrverhalten letztlich profitiert oder nicht. Sowohl das Mason mit seinem Stahl-Rahmen als auch das Hightech S-Works Aethos mit Carbon-Rahmen meistern diesen Drahtseilakt mit Bravour. Einerseits mit Schweißnähten und cleveren Ausstattungs-Entscheidungen, andererseits mit Supercomputern, High-Tech und maximaler Innovations-Power.

Mit dem richtigen Tuning ist fast alles möglich

Dieser Vergleichstest hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, was mit dem richtigen Tuning alles möglich ist – das richtige Rahmenset vorausgesetzt. Die Verwandlungskünstler in diesem Test sind das Canyon Grail CF SLX 8 eTap, das eigentlich als Gravel-Bike über die Schotterpisten fliegt, das MERIDA SCULTURA ENDURANCE mit extra breiten Reifen und das Cannondale SuperSix EVO Hi-MOD Disc Ultegra, das mit Komponenten aus dem Gravel-Bereich auch abseits befestigter Straßen eine gute Figur abgibt.

MERIDA SCULTURA ENDURANCE CUSTOM | Zum Test
Cannondale SuperSix EVO Hi-Mod Disc Ultegra | Zum Test

Der Spielplatz war dabei so groß wie noch nie! Moderne Rennräder sind sowieso schon unglaublich vielseitig einsetzbar, mit der richtigen Ausstattung ist aber noch mehr möglich. Ein Bike mit zwei Laufradsätzen kann deshalb zwei separate Bikes für Straße und Schotter ersetzen, ohne Kompromisse einzugehen.

Die Zeiten von n+1 und das wirre Stapeln der Räder im Keller sind vorbei. Dafür sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen: Eine große Reifenfreiheit und eine gewisse Robustheit. Wenn ein Bike diese zwei Eigenschaften mitbringt, ist vieles möglich. Wichtige Punkte, die bei uns immer wieder auf Kritik stoßen, sind die Bandbreite der Schaltgruppe und damit die Wahl der Kettenblätter. Ein vielseitiges Bike, das mit diversen Einsatzszenarien zurechtkommen soll, ist mit zwei riesigen Kettenblättern und einer winzigen Kassette unnötig limitiert. Genauso freut sich kein Hobby-Rider im 1-fach-Setup über ein 46er-Kettenblatt, das im bergigen Terrain nur frustriert.

Wattmesser sind nicht nur für Pro-Tour-Racer ein hilfreiches Werkzeug

Wattmesser sind für Profis und all jene, die ihr Geld mit Radfahren verdienen, ein unersetzbares Tool. Zu professionell ist der Radsport und zu hoch die Leistungsdichte, um ohne ständige Überwachung der erbrachten Leistung ganz vorne eine Chance zu haben. Es geht aber nicht nur um Ambitionierte: Auch Tourer und Hobby-Rider können davon profitieren, Kenntnis und Kontrolle der eigenen Leistungsfähigkeit zu haben.

Wer ist nicht schon überambitioniert aufgebrochen, nur um dann bis zur Mittagspause alle Körner verblasen und die restlichen Stunden des Tages ohne Power im Sattel gehängt zu haben? Fest steht: Man kann eine Tour deutlich länger genießen, wenn man seine Belastungsgrenzen genau kennt und einordnen kann, wann es noch ein Genuss ist bzw. bei welcher Belastung ihr tagelang pedalieren könnt.

E-Rennräder sind auf einem guten Weg, auch wenn dieser noch lang ist

Der Markt und die Nachfrage wachsen stetig und E-Rennräder haben den Status als Nischenprodukt abgelegt. Längst haben viele Biker die Vorteile der elektrisch angetriebenen Rennräder erkannt und als sinnvolle Alternative zum Nicht-E-Rennrad für sich entdeckt. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, dass auf unsere Einladung zum Rennrad-Vergleichstest gleich drei Hersteller motorisierte Rennräder ins Rennen geschickt haben. So auch das SCOTT Addict eRIDE Premium, das sich von der Seite betrachtet kaum von einem Rennrad unterscheidet und gerade mal 10,9 kg auf die Waage bringt.

SCOTT Addict eRIDE Premium | Zum Test
Orbea Gain M20i | Zum Test
Trek Domane+ LT 9 | Zum Test

Umso verwunderlicher ist es dann jedoch, dass manche Punkte am E-Rennrad noch immer in den Kinderschuhen stecken. Warum gibt es beispielsweise so viele Stromkreisläufe? Das E-Bike hat sowieso einen großen Akku an Bord. Warum also für GPS-Computer, Schaltgruppe, Lichtanlage etc. jeweils ein eigenständiges System ans Bike schrauben, statt alle miteinander zu vernetzen? Moderne E-Mountainbikes zeigen, dass das im Bereich des Möglichen ist! Wenn die E-Rennräder in der Entwicklung noch die ein oder andere Hürde meistern, stehen ihnen alle Türen offen! Orbea macht mit dem Gain M20i schon mal einen Anfang und verbindet die Lichtanlage mit dem Hauptakku.

Die Rückkehr der Satteltasche

Die neue Generation Rennräder schlägt einen neuen Weg ein und definiert sich deutlich mehr über das „Rad“ als über das „Renn“. Vielseitigkeit ist Trumpf und man kann deutlich besser und entspannter Touren fahren, ohne ständig Trainingsplan, Watt- und Herzfrequenzzahlen im Blick zu haben. Das letzte Gramm Gewichtsersparnis spielt dabei keine Rolle und der Trend geht auch beim Rennrad zu Fahrradtaschen und Transportlösungen. Es wird wieder mehr Gepäck direkt am Bike befestigt, beispielsweise in Form von Satteltaschen, die Werkzeug, Ersatzschlauch, CO2-Kartusche, Müsliriegel und den Notgroschen immer griffbereit mitführen. Lest euch hier unbedingt unser Hype This-Special zum Thema „How to carry your stuff“ sowie unsere große Taschen-Enzyklopädie durch.


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als GRAN FONDO-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, das die New-Road-Welt auch weiter ein kostenloses und unabhängiges Leitmedium hat. Jetzt Supporter werden!

Text: Philipp Schwab & Benjamin Topf Fotos: Valentin Rühl