Der Rapha Cycling Club will das Herz der internationalen Radsport-Community sein. Wir waren zu Gast beim RCC Summit auf Mallorca und haben herausgefunden, warum es zukünftig um mehr als kostenlosen Kaffee gehen soll. Über eine Zusammenkunft der Kulturen, pinke Nähte und Megafone.
Seit ihrer Gründung im Jahr 2004 hat es sich die Radsportbekleidungsmarke Rapha zur Aufgabe gemacht, Rennradfahren zum beliebtesten Sport der Welt zu machen. Die Direktvertriebsmarke mit Hauptsitz in London hat in ihrer noch jungen Geschichte faszinierende Sprünge gemacht und irgendwie fühlt es sich so an, als wäre sie schon immer da gewesen. Wie konnte das Team um Gründer Simon Mottram ein Unternehmen erschaffen, das in nur 13 Jahren einen Marktwert von 200 Millionen britischen Pfund erlangte? Warum polarisiert diese Marke die Rennradszene wie kaum eine andere? Was genau ist eigentlich ein RCC Summit und wer sind wohl diese Menschen, die für ein viertägiges Zusammenkommen um die halbe Welt fliegen? „Entschuldigung, können Sie bitte den Tisch hochklappen? Wir landen gleich.“
Es ist der 1. November 2019 und ich befinde mich im Landeanflug auf Palma de Mallorca. Ich trage, wie ich finde, normale Klamotten. T-Shirt, Jacke und eine Jeans, bei der die Hosenbeine umgeschlagen sind. Die pinke Naht verrät dem Insider: Hier könnte es sich um ein Rapha-Produkt handeln. Ob mich einige der Mitreisenden schon dadurch als Roadie enttarnen oder doch als bier- und sonnendurstigen Pauschalurlauber abtun? Ich weiß es nicht, egal. Ich zupfe meine Rapha Explore-Daunenjacke zurecht und mache mich im Ankunftsbereich des Flughafens auf die Suche nach Gleichgesinnten. Vor mir versammelt sich eine koreanische Reisegruppe. Neben der beinahe vollständigen Rapha Off-Bike-Kollektion erspähe ich Koffer-Sticker mit Inschriften wie Bianchi, Campagnolo, Passo Pordoi, Colnago und RCC. Auch meine Erkennungszeichen werden wahrgenommen und ich bin mir sicher, dass er das ist: der Beginn des Rapha Cycling Club Summits. Der Summit ist so was wie die internationale Jahresversammlung des RCC, also des markeneigenen „Fahrradvereins“ von Rapha. Unterteilt ist dieser Cycling Club in regionale Abteilungen, die sich Chapter nennen – und bisher kenne ich nur verstreute Mitglieder aus den Berliner, Kopenhagener und Londoner Chaptern, weil ich in neuen Städten manchmal einfach in einem der Rapha-Ladenlokale vorbeischaue. Im Rapha-Jargon nennen sie sich Clubhouses, dort treffen sich viele Mitglieder, können Club-Vorteile wie gratis Kaffee genießen, aber vor allem Gleichgesinnte treffen, die einem Insider-Tipps zum Radfahren vor Ort geben können. Auf was genau ich mich mit diesem Summit eingelassen habe, weiß ich zwar gerade auch noch nicht. Aber ich bin gespannt.
Am ersten Abend gibt es zum Einstieg erst mal einen kurzen Mallorquinisch-Crash-Kurs vom Chef höchstpersönlich – eine feierliche Powerpoint-Präsentation, immer mal wieder davon unterbrochen, dass Simon Mottram der Gemeinde fröhlich zuprostet. In ausgelassener Stimmung werden die ersten Shots bestellt und dann wird in großer Runde zusammen gegessen. Verbissene Athleten, die sich diszipliniert nach Plan ernähren, sucht man vergebens, auf die angemessene Hydrierung wird dennoch geachtet. Auch Chapter-Leader Chris Chen aus Singapur meldet sich zu Wort und wird von seinen Mitgereisten gefeiert wie ein Nationalheld: „You can ride with me in the slow group and we can talk about happy things.“ Da sage ich doch nicht nein!
Am nächsten Morgen wird der Pulk vor der Ausfahrt in Gruppen eingeteilt. Würden die ca. 200 Radfahrer zusammen starten, wäre der Zusammenbruch der mallorquinischen Straßen wohl vorprogrammiert. Ride-Leader Chen erklärt mir: „In Singapur haben wir zwar kein eigenes Rapha Clubhouse, aber wir arbeiten mit einem Café zusammen und haben eine unglaublich engagierte Gruppe, mit der wir regelmäßig fahren.“ Große Teile dieser Crew versammeln sich nun um uns und energetisieren mit ihrer Euphorie halb Mallorca. Wie ein Team ohne Trainer, ein Verein ohne Wettkämpfe, scheinen sie einfach nur Spaß an der Sache zu haben. Selbstironisch wird gewitzelt „Ride slow, look pro!“, während jeder Start der vorausfahrenden Gruppen bejubelt wird. Man feiert sich selbst, die gute Zeit, das Radfahren und das Leben auf zwei Rädern. Für einige ambitionierte und über allen Maßen ehrgeizigen Radsportler mag das Treiben aufgesetzt, überzogen oder gar unangebracht wirken. Wie ein aufgedrehter Parallelkosmos fernab von FTP-Werten, Watt pro Kilogramm und Laktatwert, in dem die meisten Rapha tragen – von Kopf bis Fuß. Ich beobachte die Gruppen bei ihren Starts, schreie mir ebenfalls die Seele aus dem Leib, sehe alles vom durchtrainierten Athleten bis zum gemütlichen Genießer, vom betagten Rennrad mit 10-fach-Schaltung und Felgenbremsen bis hin zum Bike, das frisch aus dem Pro-Peloton zu sein scheint. Eine famose Koexistenz von Denkweisen und Philosophien, die im Rahmen des Summits sehr gut funktioniert – im alltäglichen Rennradfahrertum aber doch gerne mal zu Getuschel und hochgezogenen Augenbrauen führt. Diese Tendenz zum exzessiven Jüngertum scheint dem Rapha-Markenethos in den Augen der Kritiker anzuhängen. Doch warum ist das eigentlich so?
Blättert man sich durch die Bibliotheken der sozialen Netzwerke, ist zweifelsohne festzustellen, dass die Generation Y lange Zeit nur auf eine Marke wie Rapha gewartet hatte. Auf jemanden, der funktionale Bekleidung, zeitgenössisches Design und die reiche Geschichte des Rennradfahrens unter einen ästhetischen Hut bekam. Und genau das hat Rapha getan. Mottrams langgehegter Traum ging auf, das Unternehmen florierte und sprach im Laufe der Jahre längst nicht mehr nur einen auserwählten Kreis exklusiver Style-Afficionados und die Rennrad-Core-Szene an, sondern wurde massenkompatibler und … irgendwie erwachsen. Der Prestigegedanke wurde angepasst und massenkompatibel. In den Augen mancher widerspricht das der anfänglichen Exklusivität. Generation Y sah plötzlich Generation X und Generation B(oomer) in ihren Lieblingsstücken. Und so wandten die Early-Adopter in diesem Zuge ihre Augen auf die nächsten Trends, stellten womöglich ihre Garderobe auf andere Marken um – und blieben Rapha doch irgendwie treu. Denn längst haben sich Designelemente aus dem Rapha-Portfolio – seien sie selbst erfunden oder neu aufgelegt – auch bei anderen Herstellern etabliert. Mit den richtigen Produkten zur richtigen Zeit hat Rapha es geschafft, einen Rennrad-Zeitgeist zwischen Retro-Kultur und modernem Minimalismus zu definieren und dem Sport insgesamt ein ansprechenderes Gesicht zu geben. Mehr gut aussehende Radfahrer machen den Sport interessant für mehr und mehr Menschen. Und von einer größeren Anzahl an Radfahrern profitieren wir offensichtlich alle.
Der zweite Tag des Summits vergeht wie die Kilometer auf dem Rad im Flug. Am Abend wird das Erlebte miteinander geteilt, Pläne für den Folgetag werden geschmiedet. Während es Likes und Freundschaftsanfragen hagelt, werden aus tatsächlichen Begegnungen Instagram-Freundschaften und umgekehrt. Die Nacht ist kurz und bevor ich mich versehe, sitze ich wieder im Sattel. Die Kamera baumelt auf meinem Rücken, als wir uns durch die Erhebungen des Tramuntana-Gebirges schlängeln. Vor mir das Rennrad-Äquivalent zu einem waschechten Dieselmotor mit kräftigem Tritt und im großen Blatt. Im Windschatten sauge ich mich an sein Hinterrad und erkenne die RCC-Mitgliedsnummer #0001 an seiner Sattelstütze. Im feschem Martini-Racing-Kit grinst Simon Mottram mich an, während ich aufschließe, um ihn zu fragen, was es mit dem RCC, also dem Rapha Cycling Club, eigentlich auf sich hat.
Simon berichtet mir von den Anfängen der Marke und dass das erste Shooting der allerersten Kollektionen, die damals ausschließlich in Schwarz und Weiß gehalten war, hier auf Mallorca stattfand. Heute, so sagt er, sei er sehr glücklich darüber, so viele Club-Mitglieder hier zusammen auf der Insel zu sehen. Wir plaudern noch eine Weile und ich erkenne, dass auch Simon vollkommen klar ist, dass die Club-Mitglieder im RCC mittlerweile sehr viel mehr suchen als lediglich kostenlosen Kaffee. Nach der Neuauflage Ende 2019, die zu diesem Zeitpunkt also noch vor uns liegt, ist die Mitgliedschaft zwar mit 85 € pro Jahr etwas teurer geworden, doch sollen die Leistungen auch für diejenigen ansprechender sein, die kein Rapha Clubhouse in ihrer Nähe haben. Eine persönliche Unfallversicherung, bevorzugter Frühzugang zu neuen Kollektionen, exklusive RCC-Produkte und Sondereditionen nur für Mitglieder, Angebote und Rabatte von ausgewählten Industriepartnern, Zugang zu exklusiven Radsportreisen und den RCC Summits mit Rundum-Betreuung und bevorzugter Zugang zu zentralen Rapha-Events – das sind nur einige der umfangreichen Leistungen im neuen RCC-Katalog. Der Kaffee ist mittlerweile übrigens nicht mehr kostenlos, aber vergünstigt.
Ich bedanke mich für den netten Plausch und genieße die Kurven der Küstenstraße in Richtung Banyalbufar. Der Tag vergeht ebenso schnell wie der darauffolgende, und so finde ich mich am letzten Abend des Summits in einem netten Fischrestaurant am Stadtrand von Palma wieder. Neben mir sitzt Dirk, Rapha-Country-Manager für den deutschsprachigen Raum. Während wir die vergangenen Tage Revue passieren lassen, greift Tolo, Ride-Leader des mallorquinischen Clubhouses, nach dem Megafon. Im Trubel ist zwar kaum etwas zu verstehen, doch es wird schnell klar, dass er hier eigentlich keine Ansprache an alle richtet, sondern es sich um einen Heiratsantrag an seine langjährige Partnerin Alicia handelt.
Was für mein gerne auch mal biederes deutsches Verständnis kurz Fragezeichen aufwirft, scheint für die Rapha-Mallorca-Crew perfektes Timing. Alicia sagt ja, die Meute tobt, Hunderte Smartphones dokumentieren, wie Glückwünsche in gefühlt 137 Sprachen auf das Paar einprasseln. Das Chaos und die Endorphin-Explosion sind perfekt! Gemeinsam treiben wir alle durch den Abend und irgendwie scheint es, als würde man viele der Gesichter schon ein Leben lang kennen. Ich habe in den letzten Tagen viel über den RCC und seine Mitglieder gelernt und nachvollziehen können, dass das Konzept Rapha von den unterschiedlichsten Standpunkten aus mit Sinn befüllt wird. Ob diese kunterbunte Rapha-Gemeinschaft das Herz der pulsierenden weltweiten Radsport-Community ausmacht, liegt letztlich im Auge des Betrachters. An diesem Abend, hier in diesem Fischrestaurant am Stadtrand von Palma, ist sie es zumindest für mich.
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