Wer an POC denkt, hat skandinavisch designte Fahrradbekleidung und Helme im Kopf. Die wenigsten denken dabei an Maui, Volvo oder Emanzipation. Warum diese Begriffe aber zusammengehören wie Fleischbällchen und Preiselbeerkompott, haben wir für euch herausgefunden: beim Besuch bei POC in Stockholm.

„POC ist ein schwedisches Unternehmen.“ Ein Satz, den ich während meines Aufenthalts unzählige Male gehört habe. Doch was genau bedeutet das eigentlich? Alles, was ich bisher über das schwedische Sein weiß, ist in diesem Video zusammengefasst. Aber mal ganz im Ernst: Im Vergleich zu Deutschland scheint die Debatte um Emanzipation und Gleichberechtigung ein Relikt alter Zeiten zu sein. Und so berichten die POC-Mitarbeiterinnen beim Plausch an der Kaffeemaschine darüber, wie ihre Männer gerade in Elternzeit sind und fragen sich, ob sie heute das MTB oder das Rennrad für den After-Work-Ride nehmen sollen. Apropos: Allgemein scheint das POC-Hauptquartier licht besetzt. „So sehen flexible Arbeitszeiten und familiengerechte Alltage also aus“, denke ich, nehme meine Kaffeetasse und treffe einen groß gewachsenen Herren auf dem Gang. Er trägt Leiter und Farbeimer und sagt freundlich im Vorbeigehen: „Hallo, ich bin Jan Woxing, Mitgründer und Creative Director. Schön, dass du hier bist!“ Mehr Klischee geht nicht! Emanzipation, Demokratie, Gleitzeit, flache Hierarchien – POC ist ein schwedisches Unternehmen.

POC ist ein schwedisches Unternehmen mit der Mission das bestmögliche zu tun, um Leben zu retten und die Unfallkonsequenzen von Gravity-Athleten und Radfahrern zu minimieren.

Vom schwedischen Ski-Experten zum internationalen Player

POC wurde 2005 von Stefan Ytterborn gegründet und richtete sich anfangs ausschließlich an Skirennläufer. Das gewonnene Know-how aus den Winter-Gravity-Sportarten nutzten die Schweden anschließend, um die ersten Produktreihen für den Mountainbike-Markt zu etablieren. Aus der Sicht von POC ein logischer Schritt, da viele der selbst entwickelten Technologien genutzt werden konnten und die Schnittmenge beider Zielgruppen groß war. Im Jahr 2012 kaufte Outdoor-Spezialist Black Diamond die Marke auf und POC begann, sich strategisch auch in Richtung Straße zu entwickeln. Seit 2014 befindet sich POC in einer langfristigen Partnerschaft mit dem Autohersteller Volvo und erforscht innovative Sicherheitskonzepte. 2015 wurde POC an die Investcorp-Unternehmensgruppe verkauft und erschloss weitere international Märkte. Heute ist POC in 25 Ländern vertreten und beschäftigt über 100 Mitarbeiter weltweit. Big Business und Corporate Strategies könnten aber gefühlt nicht ferner sein als im familiären Firmensitz, wo 35 schlaue Köpfe an den neuesten Produkten tüfteln.

Wo wir gerade beim Thema Geschichte sind: Schweden händigt seit 1901 den Friedensnobelpreis aus, war seit 200 Jahren nicht aktiv in kriegerische Tätigkeiten verwickelt und hat erst seit 2009 eine eigene anerkannte Sprache. #randomknowledge

Wie definiert POC Sicherheit?

Bei den Bemühungen der Schweden geht es nicht einzig darum, den besten Schutz im Moment des Aufpralls zu bieten. Es geht auch um Unfallprophylaxe und um die möglicherweise lebensrettenden Augenblicke nach dem Crash. Deshalb konzentrieren sich diverse Produkte auf mindestens eine, wenn nicht sogar auf alle drei Phasen. Die AVIP-Linie (Attention, Visibility, Interaction, Protection) soll beispielsweise mit ihren grellen Farben die Sichtbarkeit des Radfahrers beim Training verbessern. Dabei geht es im Detail nicht allein darum, dass Autofahrer die Radfahrer wahrnehmen, sondern eben auch als Radfahrer identifizieren. Sichtbarkeit allein ist allerdings nicht genug. Für Sicherheit im Falle eines Sturzes sollen unterschiedlichste Systeme sorgen, z. B. die SPIN-Technologie in Helmen oder das Aufdrucken von Keramikpartikeln auf Jerseys, um die Reibung zwischen Jersey und Untergrund zu verringern – ähnlich einer Lederkombi im Motorradsport. Derzeit arbeitet POC an einem System, das in Helme integriert werden kann und automatisch Hilfe ruft, sobald der Fahrer stürzt.

Es ist halt mehr, als nur ein Stoß gegen den Kopf.

Design für Sicherheit

Die Konzeptionierung aller Produkte beginnt mit der Prämisse „maximale Sicherheit“. Ohne Kompromisse. Das Design und alle weiteren Aspekte sind untergeordnet. Natürlich legt das Team von POC viel Wert darauf, seine Produkte ästhetisch ansprechend zu gestalten. Nicht umsonst nennen viele Fans die Formsprache als eines der Alleinstellungsmerkmale von POC. Doch Design kann mehr als nur unseren Augen schmeicheln. Fühlt man sich beim Tragen eines Helms wohl, nimmt man ihn eher als wertvolles Accessoire und nicht als notwendiges Übel wahr, das man bei jeder Gelegenheit an den Lenker bindet. Mal ganz abgesehen von den verbauten Technologien ist jeder Helm ein guter Helm, solange man ihn trägt.

Forschung und Entwicklung

Die von POC geleistete Forschungsarbeit ist beachtlich, vor allem wenn man sie in Relation mit der Unternehmensgröße und den verfügbaren Ressourcen setzt. Stockholms Standortfaktoren begünstigen den interdisziplinären Ideenaustausch mit externen Spezialisten aus den Bereichen Automobil, Sportmedizin und Neurologie. Dementsprechend finden im Hauptquartier lediglich Forschung, Entwicklung und Administration statt – gefertigt wird industrietypisch in Fernost.

Das sogenannte POC Lab soll sicherstellen, dass Produktentwicklungen auf neuesten Erkenntnissen der Hirn- und Wirbelsäulenforschung basieren. Während sich das POC Lab auf die Sicherheitsaspekte konzentriert, steht in einem weiteren Forum namens POC WATTS Lab die aerodynamische Optimierung der Produkte im Vordergrund – vor allem für den Einsatz auf der Straße ist das essentiell. Schließlich sollen Helme und Bekleidung nicht nur maximale Sicherheit generieren, sondern den Fahrer auch schneller machen. Außerdem pflegt POC eine enge Kooperation mit dem Automobilhersteller Volvo. In einem besonderen Programm mit dem Namen POC AID wird so an intelligenten Produkten gearbeitet, die durch die Implementierung digitaler Technologien u. a. Unfälle verhindern sollen. Der Radfahrer soll in POCs Vision bald Teil der Vehicle-to-Vehicle-Kommunikationskette sein – wir sind gespannt! POC und Volvo haben außerdem gemeinsam ein Testprotokoll entwickelt, das die gesundheitlichen Auswirkungen des Aufpralls eines Radfahrers auf A-, B- oder C-Säule eines Autos analysieren kann. Es hat uns überrascht zu hören, dass POC und Volvo damit Neuland betreten haben und derartige Tests nicht bereits zum Standardprozedere der Helmhersteller gehören.

So technisch und abstrakt all diese Foren in der Produktentwicklung wirken, so greifbar und menschlich ist deren Umsetzung. Fredrik Hallander, Development and Engineering Expert, hütet eine ganze Armada von Nähmaschinen und Lehmformen, um die CFD-Simulationen zum Leben zu erwecken. Während Fredrik mich durch seine Prototypen-Werkstatt führt, berichtet er von der Entwicklung des POC Octal-Helms und wie er am Strand auf Maui saß, um dessen Design den letzten Schliff zu geben. Die flexiblen Arbeitsplatz- und Arbeitszeitregelungen lassen grüßen – die Ergebnisse geben diesem Konzept recht: „Ein 13-Stunden-Tag ist halt auch auf Maui lang.“ „Spannender Typ“, denke ich mir noch, und dann zeigt er mir auf seinem Handy die Küche und die Stühle, die er in seiner Freizeit selbst baut. Charles Eames und Walter Knoll hätten Augen gemacht! Übrigens kann Fredrik nicht nur surfen, sondern auch Rad fahren.

So geht es wieder zurück zum Flughafen: froh um all die neue Bekanntschaften, die ich machen durfte, angetan von den Einblicken in den POC-Alltag und begeistert von den Trails rund um Stockholm. Ich schlage mein Notizbuch auf und notiere: POC ist ein Unternehmen, das den Alltag der zukünftigen Zero-Carbon-Gesellschaft schneller und vor allem sicherer machen will.

In einem flexiblen Umfeld entstehen innovative Produkte im zeitlosen, skandinavischen Design. Und dann arbeitet da auch noch ein Stühle bauender Surfer-Dude mit fünf Nähmaschinen. POC ist einfach ein schwedisches Unternehmen.

Tack så mycket, POC!

Dieser Artikel ist aus GRAN FONDO Ausgabe #010

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