Wer träumt nicht von perfekt geteerten Passstraßen, von sportlicher Herausforderung, epischen Panoramen und exzellentem Essen? In Alta Badia, der Heimat der legendären Maratona Dles Dolomites, könnte man all das finden – doch es gibt ein großes Problem – und natürlich eine Lösung!

Touri-Stau auf dem Sella-Pass. Ach ja, wir waren ein Teil davon…

Warum ist heute jeder im Freibad? Was machen die ganzen Menschen hier? Hand auf’s Herz – wer hat sich nicht schon mal über die ganzen „anderen“ aufgeregt, die genau das in dem Moment machen wollen, was man gerade auch will?

Meistens hat dieses Phänomen einen einfachen Grund: Viele Menschen scheinen zur gleichen Zeit eine gute Idee zu haben. Und so kommt es nun mal, dass die Freibäder und Eisdielen überfüllt sind, wenn es heiß ist und die Autobahnen voll, wenn die Ferienzeit beginnt. Im Falle von Alta Badia bzw. den Dolomiten lautet die scheinbar gute Idee „Lass uns am Wochenende in die Berge gehen, Pässe fahren“. Dumm nur, dass nicht nur Radfahrer diese Idee haben, sondern auch unzählige Motorrad- und Autofahrer. Und darin liegt das Problem: Wer Alpenpässe an Sommerwochenenden fährt, stürzt sich in einen Straßenkampf. Man sucht die Erholung, doch findet oft nur Stress. Zwischen Gehupe und riskanten Überholmanövern schafft man es leider selten, die Natur richtig zu genießen.

Geballte Pferdestärken in Rosso Corsa auf dem Weg zum Passo Pordoi

„I have a dream“ kam nicht nur aus dem Munde von Martin Luther King, sondern auch von Michil Costa, dem Präsidenten der Maratona Dles Dolomites und Freigeist. Der Eigentümer des Hotels La Perla am Aufstieg zum Campolongo-Pass träumt von autofreien Pässen. Der Motorenlärm, der tagtäglich von den Bergwänden widerhallt, sei nicht nur eine Belastung für die Natur, sondern auch für die darin lebenden Menschen und Tiere. Zwangsläufig frage ich mich als Tourist: Wie ist das im Dolomiten UNESCO Weltnaturerbe überhaupt möglich, dass unreguliert Gas gegeben werden darf? Wer den Titel und den Naturschutz ernst nimmt, muss etwas ändern. Wie immer bei neuen Entwicklungen ist dabei Geduld und ausdauernder Kampfgeist nötig – es ist eben ein Marathon und kein Sprint.

Schon schön auf der Postkarte, noch schöner live: die Dolomiten

Im Jahre 2017 fand man eine Lösung: Jeden Mittwoch wurden die Passstraßen für Autos gesperrt – lediglich Radfahrer und Elektroautos durften auf die Pässe – Widerstand kam dabei nicht von den Touristen, sondern von einheimischen Restaurantbetreibern an den Pässen, die über Umsatzeinbußen klagten. Da die Auffahrten zu den Pässen in teils unterschiedlichen politischen Zuständigkeitsbereichen liegen, ist es schwierig eine Einigung zu finden. Den autofreien Mittwoch gibt es nicht mehr.

„Die Dolomiten, unsere Erde, unser Leben“ prangt auf dem Hochrad …
…von Michil Costa

„Wir müssen wissen, was wir wollen. Wir haben die Wahl und müssen selektieren“ – so radikal dieses Statement von Michil Costa auch klingen mag, es ist absolut nachvollziehbar. Dass hier die Stimme eines nachhaltigen Hoteliers spricht, wird schnell klar. Denn auch er weiß: Exzessiver Tourismus kann schlimme Folgen haben. Gleichzeitig stoßen Verbote in der Politik selten auf offene Ohren, besser wären respektvolle Regelungen mit Kompromissen auf beiden Seiten. Die große Aufgabe für die Zukunft besteht darin, die richtige Balance zu finden und die Interessen auszugleichen.

Foto: Freddy Planinschek

Und so steht auch die diesjährige Maratona im Zeichen des Ausgleichs: „Ecuiliber“ ist das Motto und ladinisches Wort für Balance. Jedes Jahr bewerben sich über 30.000 Rennradfahrer auf einen der 9.000 Startplätze, um auf gesperrten Straßen ein unvergessliches Erlebnis in einer der schönsten Architekturen der Welt zu genießen – oder aufgrund von Überanstrengung an der unbarmherzigen Mür dl Giat zusammenzubrechen. Wer keinen Startplatz erwischt, hat dennoch zwei weitere Male im Jahr die Möglichkeit, Abschnitte der Maratona-Strecke autofrei zu genießen — allerdings ohne Wettkampfcharakter.

Foto: Freddy Planinschek

Die meisten werden bereits den Sellaronda Bike Day kennen, zu dem jedes Jahr im Juni über 20.000 Radfahrer pilgern. Seit 2017 gibt es zudem den Dolomites Bike Day, an dem wir dieses Jahr teilnahmen und dessen Strecke über die Dolomitenpässe Campolongo, Falzarego und Valparola führt — autofrei versteht sich. Nachdem wir tags zuvor die Sellarunde im stressigen Samstagsverkehr gefahren waren, kam uns der Dolomites Bike Day wie ein Segen vor: super entspannte Stimmung, keine gehetzten und überambitionierten Rennradfahrer, purer Genuss! Lediglich die Tatsache, dass einige Radfahrer die Runde in entgegengesetzter Richtung fuhren, stellte ein kleines Sicherheitsrisiko dar. Schön war auch zu sehen, dass ganze Familien, Kids und auch einige E-Biker unterwegs waren. Radfahren ist eben nicht nur Rennsport, sondern Gemeinschaftserlebnis und Genuss. Im Vergleich zum Sellaronda Bike Day gibt es beim Dolomites Bike Day laut den Locals auch deutlich weniger Teilnehmer, was das Fahren noch entspannter macht.

Der Straßenzustand war passabel. An einigen Stellen jedoch ließ die Straßeninstandsetzung aufgrund des langen Winters auf sich warten – Aufpassen!

Wer jetzt den Eindruck hat, man könne nur unter der Woche oder an den Bike Days die legendären Alpenpässe fahren, der liegt falsch. Ein guter Tipp der Locals: Im Sommer ist es länger hell – wer einigermaßen fit ist, kann die Sellarunde auch erst gegen 6 Uhr abends losfahren. Freie Straßen und episches Licht inklusive!

Muss ein Ride zu den Stoßzeiten dennoch auf dem Programm stehen, sollte man mal einen Gravel-Ride in Erwägung ziehen: Hotelier Klaus Irsara gibt sich als Gravel-Pionier in Alta Badia und hat bereits hat eine Vielzahl an Routen ausgekundschaftet, die darauf warten von euch entdeckt zu werden. Ein ausgeglichener Urlaub ist immer eine Frage der richtigen Zutaten, der richtigen Dosis und dem richtigen Timing. Ihr seht: „Ecuiliber“ ist mehr als das Motto der diesjährigen Maratona.


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Text & Fotos: Robin Schmitt