In einem Moment stehst du noch an der Ampel, und wenn sie grün wird, gibst du richtig Gas, um an einem der kultigen roten Doppeldeckerbusse vorbeizukommen bevor sich die Lücke schließt. Doch schon im nächsten Moment blickst du über das satte Grün von riesigen Parkflächen, auf denen eine Herde Rotwild herumstreunt. Diese Oasen der Gelassenheit sind Balsam für die Seele. London ist superdynamisch, voller Energie, immer für Spaß und Schabernack zu haben, und mit einer Radszene, die ihresgleichen sucht. 48 Stunden lang konnten wir den „Big Smoke“ auf zwei Rädern erkunden.

Aber als das Flugzeug am Abend vorher auf der Landebahn aufsetzte, konnten wir nur hoffen, dass eben diese Bikes schon irgendwo auf uns warten würden, zweirädrige Gefährten für die pulsierenden Straßen dieser Stadt. Unsere Planung im Vorfeld war nicht ganz so präzise gewesen wie die Wachablösung vor dem Buckingham Palace, denn die Anreise erfolgte mit wenig Gepäck und eben auch ohne Bikes. Aber es schadet ja auch nicht, wenn man von Anfang an ein paar Herausforderungen einbaut. Manchmal ist es schön, ein paar Dinge dem Zufall zu überlassen – und manchmal zeigt sich der glückliche Zufall in Form eines edlen Passoni-Titanbikes. In Proseccolaune beim Launch des Pop-up-Stores von Passoni und Ashmei wurden daher schon kurz darauf Pläne für das Wochenende geschmiedet – und unser Bike-Problem löste sich in Londoner Luft auf.

Wie man auf den Straßen Londons Freunde findet

Es gibt dieses Vorurteil, dass die Leute in London nicht miteinander reden. Das stimmt so nicht, aber natürlich gibt es gewisse Regeln, an die man sich halten muss. Es ist in der Tat sehr unwahrscheinlich, dass man sich zu Stoßzeiten in der U-Bahn plötzlich in einer tiefgreifenden philosophischen Unterhaltung mit Fremden wiederfindet. Denn das ist die Zeit, in der die Londoner abschalten, sich zurückziehen. Es gibt in der Regel keinen Handy-Empfang, deshalb liest man ein Buch, hört Musik oder schaut einfach Löcher in die Luft. Es ist die ruhige Zeit des Tages, Londons Moment der Stille inmitten der Rush Hour. Und nur, wer nicht dort lebt, findet das Schweigen unangenehm.

Doch sobald man ein Pub, eine Bar oder ein Café betritt, ist der Vibe völlig anders. Ebenso bei einer morgendlichen Tour durch einen der vielzähligen Parks. Zwei Räder bringen einen durch den Tag und durch die Nacht und durchbrechen dabei alle Barrieren. Eine frühmorgendliche Fahrt durch den Regent’s Park führt unweigerlich zu brennenden Lungen und Beinen, aber auch zu dem Gefühl, unter Freunden zu sein. Es bilden sich Gruppen, jeder leistet mal seinen Beitrag an der Spitze, so lange, bis das Tempo zu anstrengend oder die Verlockung von Kaffee und Croissant in einem der vielen tollen Cafés zu stark wird. Beim Frühstück bilden sich neue Freundschaften, die Woche für Woche und Runde für Runde stärker werden.

Wenn man durch das Roehampton Gate in den Richmond Park hineinfährt, fühlt man sich, als wäre man aus dem Großstadtdschungel plötzlich in eine ländliche Idylle gebeamt worden. Francis Cade ist Stammgast im Richmond Park und schließt sich unserer Tour an, gewappnet mit seiner zuverlässigen Kamera. Er ist ein aufstrebender Londoner Vlogger und so grüßen ihn alle paar Meter andere Radfahrer.

Die Freiheit auf zwei Rädern

„Freiheit“ und „Fahrrad“ werden oft gleichgesetzt, und nirgends entspricht das mehr der Wahrheit als in London. Es gibt kein Transportmittel, das einen besser durch den Trubel der Stadt bringt. Anders als im Kaninchenbau des London Underground kann man auf dem Rad die Umgebung genießen und anhalten, wo und wann man Lust hat. Von regenbogenbunten Obstständen auf dem Markt über spontane Straßenpartys bis zum Foto mit den besten Soldaten der Queen ist alles drin.

Wenn man mal aus der Stadt raus will, empfiehlt sich ein Ride nach Surrey zu Box Hill, ein beliebter Wallfahrtsort für Radfahrer. Eine konstante Steigung und ein paar Serpentinen machen ihn zu einer idealen Location, um die Beine so richtig aufzuwärmen oder sich für ein alpines Abenteuer einzustimmen. Und alle sind hier, um ihr Bestes zu geben.

Sightseeing ist Definitionssache

Es gibt eine Tour für jeden. Sightseeing kann vielerlei bedeuten: Die Skyline von London funkelt auch an einem trüben Tag, von der Spitze von „The Shard“ hoch in den Wolken zur zeitlosen Eleganz der St. Paul’s Cathedral. Geheime Tunnel unter der Themse und Brücken darüber in luftiger Höhe, immer findet sich ein Moment, um anzuhalten und zu genießen – etwas, das vielen Londonern nicht oft gelingt.

Wie der Wechsel der Gezeiten in der Themse, so steht auch London nie still. Manchmal ist die Stadt wie ein reißender Fluss, voller Eindrücke, sie setzt einen unter Strom, fühlt sich an wie eine Beatmungsmaschine auf Red Bull. Wenn man abreist, fühlt man sich verkatert, nicht nur wegen des Alkohols, sondern auch wegen der Reizüberflutung aller Sinne. Man verlässt London etwas außer Atem, aber mit einer Schatztruhe voller Geschichten und Erinnerungen, die einem keiner mehr nimmt.


Hotelempfehlung:
Die besten Locations als Ausgangspunkt für eure Touren:
Die besten Rides:
  • Surrey – Box-Hil
  • Regents Park Laps
  • Richmond Park
  • Chiltern loop

Dieser Artikel ist aus GRAN FONDO Ausgabe #008

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Text: Fotos: Robin Schmitt