The Good, the Bad and the Ugly: In bester Tradition des bekannten Italowesterns treffen sich der Jaguar I-PACE und die einzigartige Rennradschöpfung aus dem Hause Heroïn im Tal des falschen Königs zum ultimativen Innovations-Showdown. Wer kann dem Druck zuerst nicht mehr standhalten?

Falza Rego, der falsche König – so wird der Herrscher der Fanes im ladinischen Nationalepos genannt. Im Rausch der Macht verriet er der Sage nach sein Volk an den Feind. Als Strafe dafür wurde er in Stein verwandelt und sitzt heute noch als Steinmassiv am Falzarego-Pass in Italien seine ewige Strafe ab. Wenigstens hat er so mittlerweile den besten Blick auf feinsten Radsport: Bereits 19 Mal war der Falzarego-Pass Austragungsort einer Bergetappe des Giro d’Italia, zuletzt im Jahre 2008. Wer hier als Erster die Ziellinie überschritt, konnte sich mit Fug und Recht zu den besten Bergspezialisten der Welt zählen – und in einen Siegesrausch verfallen.

Heute verbindet der Falzarego-Pass nur kleine Städte der italienischen Provinz Belluno. Wen es hierher verschlagen hat, der ist nicht allein wegen der Dorfromantik nach Italien gereist. Hier verfallen Sportwagenfahrer immer wieder dem Rausch der Geschwindigkeit. Der 15 km lange Pass besteht aus unzähligen Haarnadelkurven. Man darf sich nicht von der malerischen Schönheit der Bergkulisse täuschen lassen: Jede Unachtsamkeit kann verheerende Folgen haben. Für ein potentes Fahrzeug sollte das aber kein Problem sein. Daher ist der Falzarego-Pass für uns die ideale Teststrecke für einen Innovations-Showdown. Geladen haben wir zwei Fahrzeuge, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten.

The good – Das perfekte Bike

Das Heroïn-Bike ist entstanden auf der Suche nach absoluter Perfektion. Hinter seiner Entwicklung stand nicht der ökonomische Druck der Bike-Welt, jede Saison ein neues Bike vorzustellen. Es ging um das Erfüllen eines höheren Ideals: Was ist bei der Entwicklung eines Bikes überhaupt möglich? Was scheint unmöglich, ist aber doch machbar? Und wie viel Aufwand kann man in ein Rennrad stecken, bevor man als verrückt gilt? Diese akribische Suche nach Antworten, dieses restlose Ausreizen des Möglichen und dieses Ringen um ein Ideal machen den Kern der Marke Heroïn aus. Die in Frankreich ansässige Luxus-Brand lässt ihr Bike komplett in Italien von Meistern im Umgang mit Carbon herstellen. Jedes Rohr wird einzeln erzeugt und an den Fahrer angepasst, bevor die Rahmenteile verbunden werden. Wie genau? Das Fügeverfahren ist seit 30 Jahren ein streng gehütetes Firmengeheimnis.

Heroïn HR CUSTOM Edition | 7,3 kg Maßanfertigung | 11.500 € | Hersteller-Website

Schaltgruppe SRAM RED eTap, 2 x 11, 50–34 T
Kassette SRAM RED eTap XG-1190, 10–28 T
Bremsen SRAM Red eTap HRD, 160/160 mm
Laufräder DT Swiss PRC 1400 SPLINE DB 35
Reifen Pirelli P Zero Velo, 700 x 25C
Sattelstütze Heroïn carbon fiber Seat Post
Lenker Heroïn compact integrated carbon fiber Handlebar, 420 mm
Vorbau Heroïn, 110 mm
Gewicht 7,3 kg Maßanfertigung
Preis 11.500 €
Verfügbarkeit erhältlich

Um den hohen Ansprüchen gerecht zu werden, muss sich das Heroïn-Bike dort beweisen, wo für gewöhnlich Formel-1-Wagen das Licht der Welt erblicken: im Windkanal der französischen Formel-1-Strecke Magny-Cours. Die Konsequenz aus diesen Tests: An kritischen Stellen umgibt das Heroïn-Bike nun eine Textur, wie man sie von Golfbällen kennt. Sie macht sich dieselben physikalischen Eigenschaften zunutze und soll den Luftwiderstand reduzieren. Die Monocoque-Gabel wurde als optische Verlängerung des Rahmens designt. Der Rahmen wurde von Kabeln, Schrauben und Klemmen befreit, wo es nur möglich war. Übrig geblieben ist ein Querschnitt, der wie ein Pfeil durch die Luft schneidet.

Hat man erst mal das perfekte Bike erschaffen, hält man an dieser Entwicklung fest. Es gibt nicht jede Saison eine Weiterentwicklung und ein neues Modell: Nein, das Portfolio von Heroïn besteht tatsächlich immer nur aus einem Bike mit Felgenbremsen und einem Bike mit Scheibenbremsen – und das war es schon an Auswahl. Trotzdem wird den Kunden überlassen, welche Anbauteile sie fahren wollen.

Jaguar I-PACE | 400 PS | 77.850 € | Hersteller-Website

The bad – Der aggressive Jaguar

Der zweite Kontrahent auf dem Falzarego-Pass verbindet, wie das Heroïn-Bike, ein aufregendes Äußeres mit einem kompromisslos fortschrittlichen Innenleben: der Jaguar I-PACE. Das britische Traditionsunternehmen wagt damit den Einstieg in die Welt der vollelektrisch angetriebenen Fahrzeuge. Auch der Jaguar I-PACE weiß mit dem Luftwiderstand bei hohem Tempo umzugehen. Bei Geschwindigkeiten von über 105 km/h senkt sich das Luftfederfahrwerk ab, um die Aerodynamik zu verbessern – wie eine Großkatze, die sich bereit macht, auf ihre Beute zu springen. In der Vorder- und Hinterachse integrierte Elektromotoren erzeugen bei 400 PS Leistung ein maximales Drehmoment von fast 700 Nm. Sie katapultieren Fahrer und Fahrzeug in weniger als 5 Sekunden über die 100-km/h-Marke.

The ugly – Der Rausch der Geschwindigkeit

Welches Gefährt ist fortschrittlicher? Der Jaguar oder das Heroïn-Bike? Der Showdown zwischen den beiden wird in einem Innovationsrennen auf dem Pass des falschen Königs ausgetragen. 2019 wurde der I-PACE als Auto des Jahres ausgezeichnet. Was interessiert das aber die Macher des Heroïn-Bikes, die sich zum Ziel gesetzt haben, das Rennrad des Jahrhunderts zu erschaffen?

Wir gehen an den Start. Bereits nach der ersten Kurve kristallisieren sich Gemeinsamkeiten zwischen dem Heroïn-Bike und dem Jaguar heraus. In erster Linie ähneln sich die beiden Fahrzeuge in dem Adrenalinrausch, den sie freisetzen. Sie ermöglichen, ja fordern geradezu ein Tempo, das zu jeder Zeit unsere vollste Konzentration beansprucht. Nicht minder herausfordernd ist der Anspruch, den beide Fahrzeuge in puncto Emotionen und Performance an sich selbst stellen. In jeder Kurve versprühen sowohl der Jaguar als auch das Heroïn-Bike eine kraftvolle Effizienz, die unsere eigenen Fähigkeiten zu testen versucht. Lässt sich die nächste Kurve noch schneller fahren, kann man den Bremspunkt noch weiter hinauszögern und sich noch tiefer hineinlehnen? Die schöpferische Kraft der Entwickler und Designer ist in unseren Köpfen die ganze Zeit präsent und dominiert unsere Wahrnehmung, der Blick wandert in einen Tunnel. Die Schönheit der Berglandschaft am Falzarego-Pass zieht unbemerkt an uns vorbei. Wie benommen treten unsere Tester am Kurvenausgang beim Heroïn-Bike in die Pedale bzw. beim Jaguar aufs Gas und wir merken, dass es hier gar nicht mehr um den Showdown zwischen Bike und Elektroauto geht. Längst hat sich eine dritte Größe in den Standoff eingeschlichen und erhebt bedrohlichen ihren Kopf: Der Rausch der Geschwindigkeit ist kurz davor, uns hinterrücks zu überwältigen. Stopp! Wir machen nicht weiter, zu groß ist der Respekt davor, was uns hinter dem Scheitelpunkt erwarten könnte, sollten wir noch tiefer in den Rausch verfallen. Wir beenden das Innovationsrennen und nennen es unentschieden.

Abschied aus Italien

Wir verlassen den Falzarego-Pass, lassen Herz und Verstand langsam wieder zur Ruhe kommen. Berauscht von den Eindrücken, macht sich die Erschöpfung in Körper und Geist nur langsam bemerkbar. Weder der Jaguar noch das Heroïn-Bike sind Fahrzeuge, die man für entspannte Touren nutzt. Trotz oder gerade wegen ihrer enormen Effizienz laden sie dazu ein, sich voll zu verausgaben. In unserem Innovationsrennen haben sich das Heroïn-Bike und der Jaguar I-PACE einen erbitterten Kampf geliefert, ohne einen eindeutigen Sieger. Beide Fahrzeuge waren uns treue Begleiter und haben uns nicht wie der falsche König im Stich gelassen. Auch der Pass hat sich heute von seiner guten Seite gezeigt. Wir sind ihm mit Ehrfurcht begegnet und wurden davon verschont, unserem Rausch zu verfallen und dafür die Konsequenzen tragen zu müssen. Die Frage, ob wir jemals wieder auf dem Falzarego herumkurven werden, stellt sich uns nicht, auch nicht die Frage, womit. Nur wann es wieder so weit sein wird, ist unklar. Hoffentlich müssen wir nicht zu lange auf den nächsten Rausch warten.


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Text: Rudolf Fischer Fotos: Valentin Rühl, Trevor Worsey