Mit dem OPEN WI.DE. macht das Schweizer Unternehmen um Andy Kessler ordentlich Platz – Platz für richtig breite Reifen und eine halbe Kiste Bier. Wir waren mit dem neuesten Modell der edlen Gravel-Bike-Schmiede für euch auf den Schotterpisten des Juras unterwegs. Ob größer auch immer besser ist, erfahrt ihr hier!

OPEN WI.DE. | 3.200 € (Rahmenset)

Wenn ihr bereits unseren Artikel zum ersten Fahreindruck der neuesten DT Swiss Gravel-Laufräder gelesen habt, ist euch unter Umständen nicht entgangen, dass wir auf einem brandneuen Gravel-Bike der Marke OPEN unterwegs waren. Der Lockruf des Schweizer Juras war einfach zu verführerisch und so schlüpfen wir erneut in unser Holzfäller-Hemd und harren der Dinge, die da kommen. Direkt bei den ersten Vorbereitungen zur Abfahrt werden wir jedoch skeptisch: Warum tragen alle anderen wasserdichte Jacken, lange Trägerhosen und die regenfesten Handschuhe griffbereit in der Rahmentasche? Immerhin sind es beim Start der Tour in Basel milde 15° C, und wer so richtig graveln will, trägt doch eigentlich lockere Shorts … . Wir zucken mit den Achseln und ahnen noch nicht, wie sehr wir unsere Garderobenwahl später noch bereuen werden. Es geht gemütlich über den Rhein in Richtung Jura, während uns Andy Kessler, CEO von OPEN, die technischen Finessen des neuen Bikes erklärt.

Was ist neu am OPEN WI.DE.?

U.P., U.P.P.E.R., U.P.P.E.S.T.? Nein! Das neueste Modell der Marke OPEN, die sich selbst als Gravel-Marke versteht, hört auf den Namen WI.DE. – Nomen est Omen. Das WI.DE. verfügt über eine immense Reifenfreiheit und kann so mit Pneus in 27,5×2,4” bzw. 700x46C gefahren werden. Im Gegensatz zu manch anderen Herstellern bezieht sich diese Angabe auf Reifen mit Seitenstollen und offroad-tauglichen Profilen, nicht auf Slick-Bereifung.

Die weit heruntergezogenen Kettenstreben und der Verzicht auf einen Anschraubpunkt zur Umwerfermontage ermöglichen einen standardmäßigen Q-Faktor. Um auf langen Touren entspannter zu sitzen und um in technischen Passagen sicher auf dem Bike zu sein, wurde das Steuerrohr, je nach Rahmengröße, im Vergleich zum U.P. und U.P.P.E.R. um circa 1,5 cm verlängert.

Size XS S M L XL
Seat tube 500 mm 500 mm 530 mm 560 mm 590 mm
Top tube 510 mm 530 mm 550 mm 570 mm 590 mm
Head tube 99 mm 125 mm 150 mm 170 mm 196 mm
Head angle 68.0° 69.0° 71.0° 71.5° 71.5°
Seat angle 74.5° 74.0° 73.5° 73.5° 73.5°
Chainstay 420 mm 420 mm 420 mm 420 mm 420 mm
BB Drop 80 mm 77 mm 75 mm 75 mm 75 mm
Wheelbase 990 mm 1.004 mm 1.009 mm 1.022 mm 1.042 mm
Reach 346 mm 358 mm 370 mm 382 mm 490 mm
Stack 520 mm 545 mm 570 mm 595 mm 620 mm

Neben den Befestigungsmöglichkeiten für Schutzbleche verfügt das WI.DE. über insgesamt fünf Anschraubpunkte für Trinkflaschen oder Werkzeugbehälter. Wer all diese Punkte nutzt und große Bidons anbringt, kann fast eine halbe Kiste Bier problemlos am Bike transportieren. 😉

Potenziellen Kunden stehen ab sofort fünf Rahmengrößen von XS bis XL zur Auswahl, wobei die Größe XS besonders geeignet für Fahrer/innen unter 1,70 m ist. Das WI.DE. ist eine Ergänzung des Produktportfolios. Sowohl das New U.P. als auch das U.P.P.E.R. bleiben also im Line-up.

In gewohnter OPEN-Manier wird es das Rahmenset des WI.DE. in einer Standardlackierung und als Ready-to-Paint-Version geben. Mit ihr hat man die Möglichkeit, persönliche Vorlieben bereits bei der Farbwahl voll auszuleben. Eine zweifarbige Lackierung soll laut OPEN bereits ab einem Aufpreis von 300 € realisierbar sein. Ab Mitte Juni sollen die Größen M und L und ab Mitte Juli alle weiteren Rahmengrößen für 3.200 € verfügbar sein. Die Unterschiede zwischen WI.DE. und U.P. findet ihr noch einmal auf einem Blick in dieser Tabelle.

Feature WI.DE. U.P.
Fahrstil Allroad, Gravel, extreme Trails, gemischtes Terrain (offroad dominant) Road, Allroad, Gravel, gemischtes Terrain (on- / offroad)
Reifenfreiheit 700c* 35–46 mm 28–40 mm
Reifenfreiheit 27.5”* 1.9–2.4” 1.9–2.1”
Antrieb 1x only 1x und 2x
Geometrie Tall Road Standard Road

* In Abhängigkeit der Reifen-Felgen-Kombination, ausreichende Reifenfreiheit immer erst vorab überprüfen

OPEN WI.DE. – Unser Test-Bike im Detail

Das von uns getestete OPEN WI.DE. ist ausgestattet mit einem kompletten ENVE-Kit für Lenker, Vorbau und Sattelstütze und läuft auf DT Swiss GR 1600 SPLINE 25- bzw. GRC 1400 SPLINE 42-Laufrädern. Die Schaltgruppe 1x SRAM Force eTap AXS wird mit einem SRAM Eagle eTap AXS-Schaltwerk und der dazugehörigen 10–50T SRAM Eagle-Kassette aus dem Mountainbike-Bereich kombiniert. Dank des Übersetzungsverhältnisses von 500 % sollten also auch trotz 42T-Kettenblatt die steilsten Rampen kein Problem darstellen. Mithilfe der neuen SRAM AXS-Plattform können Road- und MTB-Schaltungskomponenten problemlos miteinander kommunizieren und dementsprechend kombiniert werden. Wenn es jetzt noch die kabellose und absenkbare SRAM Reverb AXS-Sattelstütze im passenden 27,2 mm Durchmesser geben würde, wäre der super-cleane Gravel-Spec perfekt! Die Rotoren an Front und Heck messen 160 mm Durchmesser. In Größe L bringt unser Test-Bike mit dem DT Swiss GRC 1400 SPLINE 42-Laufradsatz in 27,5” und Schwalbe G-One Bite-Reifen mit Tubeless-Set-up sportliche 8,28 kg auf die Waage.

OPEN WI.DE. – Erster Test

Die Ebene des Rheins liegt hinter uns und über die „Many Hill Show“ des Juras überqueren wir mehrfach die Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz – ein stetiger Wechsel zwischen Croissant und Gipfeli, Baguette und Rösti. Auf der 79 km langen Route klettern wir über 2.300 Höhenmeter und schätzen dabei die Uphill-Performance des OPEN. Das niedrige Gesamtgewicht und die riesige Bandbreite der SRAM Eagle-Kassette erleichtern das Erklimmen selbst steilster Rampen. Für erfahrene Rennrad-Racer dürften die Gangsprünge vor allem in den leichteren Gängen zwar recht groß sein, doch glücklicherweise sind wir nicht hier, um die letzten Sekunden herauszukitzeln, sondern um die Eindrücke des Bikes und der Landschaft aufzusaugen. Der SRAM-Schaltgruppen-Mix aus Force und Eagle eTap AXS funktioniert tadellos. Weder springt uns die Kette auch nur einmal vom Kettenblatt noch können Schlammpackungen dem Antrieb etwas anhaben. Auch die SRAM Force-Bremsen mit den 160 mm großen Rotoren können mit ihrer Dosierbarkeit und Brems-Power überzeugen. In dieser Konfiguration also eine kompromisslose Empfehlung für alle Gravel-Fans!

Beim Anblick der atemberaubenden Kulisse tritt das WI.DE. in den Hintergrund. Und genau das ist eine der größten Stärken dieses Bikes, man verschwindet förmlich in der Szenerie und wird eins mit ihr. Die zentrale Sitzposition lässt uns sowohl entspannt cruisen als auch effizient über die Schotterautobahnen pacen. Hier harmonieren die Geometrie des Rahmens, die Sattelstütze ohne Versatz und der 90 mm lange Vorbau sehr gut miteinander. Darüber hinaus bietet das Gesamtsystem ein sehr hohes Maß an Komfort. Die großvolumigen Schwalbe-Reifen in 27,5×2,25” nehmen den größten Schlägen ihren Schrecken, während sowohl Rahmenset als auch ENVE-Komponenten mit ihrer Compliance kleiner Vibrationen ausgesprochen angenehmen dämpfen. Komfort sollte stets ausbalanciert sein und nicht nur einen Ursprung haben – unser WI.DE. setzt dieses Mantra mit Bravour um. Das hohe Level an Komfort macht sich ebenfalls in den Abfahrten positiv bemerkbar. Gutmütig lässt sich das OPEN auch bei hohen Geschwindigkeiten kontrollieren, ohne träge zu wirken.

Bereits das OPEN U.P., der Vorgänger des WI.DE., glänzte mit seinem Handling im Gravel-Vergleichstest. Das um 1,5 cm längere Steuerrohr des WI.DE. schadet diesem in keinster Weise. Während sehr großvolumige Reifen das Lenkverhalten eines Bikes ohnehin etwas indirekter werden lassen, harmoniert die höhere Front mit diesem Charakter – weniger aggressiv, mehr Genuss und ein noch höheres Maß an Sicherheit. Im Downhill profitieren davon Gravel-Biker aller Könnerstufen.

Die Übersetzung, das geringe Gesamtgewicht und der Leichtlauf von Laufrädern und Reifen lassen uns auf kompakten Untergründen problemlos mit über 30 km/h über die Pisten fliegen, doch offenbart sich während der wenigen asphaltierten Transfer-Stücke die Kehrseite der breiten Pneus. Während sie am Kurveneingang deutliche und kraftvolle Lenkimpulse des Fahrers fordern, neigen die Reifen in der Kurve zum Übersteuern. Hier sollte man also bei der Wahl des Reifens besonders achtsam sein und entsprechend seiner eigenen Vorlieben wählen. Als Faustregel gilt: Je breiter ein Reifen, desto deutlicher zeigt sich sein Charakter.

Als wir am Ende des ersten Tages von Regen und Temperaturen um die 0-Grad-Grenze überrascht werden, nicken uns die Kollegen aus ihren wasserdichten Lycra-Klamotten wohlwollend zu, während wir auf dem Bike in unserem ach so stylischen Flanellhemd bibbern. Auf den letzten Kilometern in Richtung Hotel schätzen wir sowohl den guten Geradeauslauf des WI.DE. als auch die großen Schaltwippen und Hoods unseres Testbikes die man trotz beinahe gefrorenen Fingern noch betätigen kann. Tag zwei führt uns über den Chasseral bei schönstem Wetter und im schönsten Flanellhemd in Richtung Biel, wo wir zufrieden die Tage im Sattel Revue passieren lassen und resümieren.

Fazit

Mit dem WI.DE. präsentiert OPEN ein ausgesprochen potentes Bike, welches mit seinem ausgewogenen Handling, der großen Reifenfreiheit, den vielen Anschraubpunkten für Schutzbleche, Trinkflaschen und Gepäckbehälter eine ideale Basis für individuelle Aufbauten bietet. Das hohe Level an Komfort und Sicherheit des WI.DE. wird Gravel-Fans aller Könnerstufen begeistern. Wer bei der Reifenwahl bedacht vorgeht, bekommt mit diesem Rahmenset eine sehr stimmige Basis für den Aufbau des nächsten Mehrtages-Abenteuer-Bikes oder der sportlichen Afterwork-Ride-Spaßmaschine für technisches Gelände. Bigger is better!

Wie sich das OPEN WI.DE. im direkten Vergleich mit der Konkurrenz schlägt, werden wir in den kommenden Monaten für euch herausfinden.

Mehr Informationen findet ihr unter opencycle.com


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Text: Fotos: Marc Gasch, OPEN