Was haben Rennradprofis mit tätowierten Rockstars gemeinsam? Was bedeutet es, Vater und Rockstar zu sein? Und wie sammelt man 26 Mio. Dollar für einen guten Zweck? Wir waren mit den Dropkick Murphys auf Europatour, sind mit Musik-Manager Jeff Castelaz auf dem Rennrad gesessen, haben Konzerte gerockt und gelernt, worauf es im Leben wirklich ankommt.

Die Dropkick Murphys beim österreichischen Nova Rock Festival – dem größten Dorf der Welt.

Samstag, 10.30 Uhr: Zwei Nightliner und drei Trucks rollten auf eine abgesperrte Seitenstraße in Berlin-Spandau. Neun Stunden war die 25-köpfige Crew der Dropkick Murphys unterwegs. Am Abend zuvor hatten sie im österreichischen Nickelsdorf vor 60.000 Menschen beim Nova Rock Festival gespielt. Nun stand ein intimes Konzert in der beeindruckenden Zitadelle Berlin-Spandau auf dem Programm. Wir hatten uns mit Musik-Manager Jeff Castelaz für einen entspannten Ride verabredet, um frische Luft zu schnappen, die Gegend zu erkunden und auch um seinen Jetlag zu überwinden – schließlich war er erst vor zwei Tagen aus Los Angeles eingeflogen, um seine Band auf Europatour zu begleiten, darunter Rock am Ring, Rock im Park, Nova Rock, Greenfield und viele weitere Gigs.

Wer die Dropkick Murphys (DKM) kennt, denkt sich vermutlich: Celtic Rock, Punk Rock, Drogen, Alkohol und fette Partys im Nightliner – doch davon keine Spur! Manager Jeff Castelaz bestätigte unseren Eindruck. Die Vorbands und jungen Musiker mögen vielleicht das Klischee der Drugs-and-Rock ‘n’ Roll-Rockstars erfüllen und sich an einem Konzertabend ordentlich abschießen . Doch aus dieser Phase sind die Dropkick Murphys, die 1996 in Quincy, Massachusetts als irisch-amerikanische Folk-Punk-Band gegründet wurde, längst heraus: Die Hälfte der Bandmitglieder ist vegan und kaum einer trinkt überhaupt noch einen Schluck Alkohol.

DKM-Gitarrist James Lynch isst mittlerweile raw-vegan, sprich, er setzt auf eine vegane Ernährung, bei der die Lebensmittel nicht erhitzt oder verarbeitet werden und fühlt sich mit seinen 39 Jahren so gut wie noch nie in seinem Leben. Dabei klärte er uns über seine Vergangenheit und die bisherigen 19 Jahre in der Band auf: Der „drug-addict alcoholic divorcee“ sei Geschichte. Er weiß wohin es führt, wenn man nicht auf sich und seinen Körper achtet – egal welchen Job man ausübt! Auch ohne – durch seine dunkle Sonnenbrille – in seine Augen blicken zu können, glaubt man ihm sofort.

Als erfolgreiche Band tourt man um die Welt und muss konstant performen. „Es ist ein bisschen wie die Tour de France“, sagte Jeff und zieht den Vergleich zu einem Profi-Rennradteam. „Auf einer Tournee geht es Schlag auf Schlag – wir reisen quer über den Kontinent und haben fast jeden Tag ein Konzert – Ruhetage gibt es nur wenige.“ Die Bandmitglieder sind absolute Performer, sie sind wie Profi-Athleten, die hohe und lange Belastung aushalten müssen. Und zwar nicht nur wegen den oftmals heißen und staubigen Sommer-Festival-Bedingungen mit Temperaturen jenseits der 30° Celsius, sondern weil die künstlerischen Fähigkeiten on tour irgendwann leiden: Und weil die Bandmitglieder auch Familien zu Hause haben. Wenn das Familienleben für einen Monat nur über Facetime stattfindet, man den Vatertag ohne seine Söhne feiern muss, man über neue Songs nachdenkt oder die Bühnenperformance verbessern will, und wenn man wochenlang auf engstem Raum fast ohne Rückzugsort im Tour-Bus lebt, dann staut sich einiges an. Ganz zu schweigen von all den Konzerten, bei denen man der Menge das gibt, was sie will: volle Unterhaltung! Das gibt natürlich einerseits viel Kraft, andererseits laugt es aber auch aus. Bekommt man das alles „Backstage“ mit, dann klingt es auch nicht mehr überraschend, sondern logisch, dass die Rockstars Yoga machen, sich sehr bewusst ernähren, penibel auf ihren Wasserhaushalt achten und häufig laufen gehen, um körperlich fit zu sein.

Es ist keine Überraschung, dass die Rockstars Yoga machen, sich sehr bewusst ernähren, Sport treiben und penibel auf ihren Wasserhaushalt achten.

„Family is all that really matters“, sagt Frontsänger Al Barr. Schaut man sich seinen Instagram-Account genauer an, realisiert man, dass die Hälfte der Posts davon handeln, dass er gerade nicht bei seinen Kids oder seiner Frau ist, aber gerne wäre. Vermutlich hat Al in seinen mehr als 20 Jahren als DKM-Lead Singer mehr Geburtstage seiner Frau verpasst als mit ihr gefeiert. Auf Tour sieht Jeff und seine Event-Crew genau darin ihren Job: Die Band beschützen und unterstützen. Oftmals braucht ein Bandmitglied nur jemanden, der zuhört. Eine Person, die den künstlerischen Druck und das Business genauso versteht wie die familiäre Belastung. Dann ist der Manager nicht mehr nur Manager, sondern Freund und mitfühlender Mitmensch.

Doch vermutlich vermisst Jeff seinen Sohn am meisten. Als ich mit ihm einen Coffee-Stop einlege, erzählt er mir seine bewegende Geschichte. Im Alter von sechs Jahren ist sein Sohn Pablo nach 13-monatiger Behandlung an den Folgen eines Wilms-Tumors erlegen. Daraufhin ist er in 30 Tagen über 3.500 Meilen von St. Augustine in Florida quer durch die USA nach Los Angeles geradelt. Im ersten Jahr war dies vor allem eine persönliche Fahrt, um den Schmerz zu verarbeiten. Begleitet wurde er von Freunden und Bekannten. Entlang der Route wurden sie von Menschen mit ähnlichen Schicksalen unterstützt und sogar Lance Armstrong fuhr einen Teil der Strecke mit – auch er hatte eine Krebserkrankung, die er glücklicherweise überstanden hatte. Und so entstand die Pablove Foundation, die es sich zum Ziel gemacht hat, einerseits das Leben der an Krebs erkrankten Kinder durch die Pablove Shutterbugs-Kunstprogramme im Bereich Gesang und Fotografie zu verbessern und andererseits die meist unterfinanzierte Kinderkrebsforschung zu unterstützen. Seit 2010 hat die Pablove Foundation über 26 Millionen US-Dollar an Spenden für die Krebsforschung im Kindesalter sowie die Pablove Shutterbugs-Kunstprogramme gesammelt. Im September 2019 findet der 11. Charity Ride statt – mittlerweile jedoch nicht mehr quer durch die USA sondern von San Francisco nach Los Angeles; denn kaum einer kann sich einen Monat Zeit für eine USA-Durchquerung nehmen.



Über Schmerz und den Tod spricht Jeff wenig, er fokussiert sich lieber auf das Gute, das Positive, auf die Liebe. Er will, dass die erkrankten Kids sich wie normale Kinder fühlen können und durch kreative Aktivitäten eine Leidenschaft entwickeln, sich selbst mehr schätzen und Vertrauen gewinnen. Und genau dieses Vertrauen hat auch Jeff, wie sich bei unserem Ride zeigte. Wir hatten eine geplante Route, waren aber offen für jegliche Begegnungen mit Menschen, interessante Abzweigungen und Sehenswürdigkeiten. Wir hatten eine Richtung, aber kein Ziel: „The road provides – if you just keep pedaling you’ll find coffee or a nice person“. Mit seiner herzlichen Art auf Menschen zuzugehen, einem breiten Grinsen und positiver Ausstrahlung kamen wir mit wildfremden Menschen ins Gespräch, hörten neue Geschichten und erfuhren, was diese Menschen bewegte. Waren wir manchmal noch erstaunt, wie engstirnig und verschlossen manche waren, begeisterten uns im nächsten Moment der herzliche und offene Empfang. So landeten wir zufällig auf einem Kongress der Zeugen Jehovas, bekamen einen kostenlosen Kaffee in einem Bikeshop ohne Café und speisten bei einem osteuropäischen Italiener in Potsdam. Und schmissen unsere Route über Bord, als uns die Zeit ausging – dabei wurde eines klar: Es ist egal zu welcher Gruppe man gehört, egal was einem widerfahren ist und egal was jemand in seinem Leben geleistet hat, entscheidend ist, wie man sich in diesem Moment fühlt und was man jetzt tut.

Zurück in der Konzert-Location Zitadelle Spandau, fällt mir ein Straßenschild mit einem Zitat der russischen Künstlerin Marianne von Werefkin auf: „Ich liebe die Dinge, die nicht sind.“ Ein Satz, den man vielleicht auch anders interpretieren kann, – aber ich fand diese Bedeutung darin: Die Liebe zu den Dingen, die noch nicht sind, zeugt von einem Vertrauen in die Zukunft, die Freude an den Möglichkeiten und Momenten, die sich ergeben können wenn wir es zulassen und damit auch der Macht der eigenen Gestaltungskraft. Jede Sekunde haben wir die Möglichkeit und die Aufgabe unsere eigene Geschichte weiter zu schreiben. Und genau das haben wir an diesem Tag gemacht. Wer in Klischees und Vorurteilen denkt, wird das Leben nie voll auskosten können, weil er sich auf seine Erfahrungen in der Vergangenheit festfährt, Neues nicht zulässt und sich von Herausforderungen und der damit verbundenen Angst niederschlagen lässt.

You’re the fighter you’ve got the fire
The spirit of a warrior, the champion’s heart
You fight for your life because the fighter never quits
You make the most of the hand you’re dealt
Because the quitter never wins
No!

Warrior’s Code, Dropkick Murphys

Jeff ist ein solcher Kämpfer. Nach dem Tod seines Sohnes hätte er sich auch in Kummer und Schmerz verlieren können, stattdessen hat er vor 10 Jahren einen Kampf gestartet, Menschen vereint und sie zusammen mit seiner jetzigen Ex-Frau und Mutter von Pablo zu Mitstreitern für eine Sache gemacht, die größer ist als sie selbst.

Kurz vor dem Konzert trafen wir auf einen britischen Künstler mit zwei frisch von den Dropkick Murphys unterschrieben Gitarren, die er nun für eine Krebsstiftung versteigern will – sharing is caring. Gerade wenn man erfolgreich ist, merkt man, dass Erfolg niemanden langfristig erfüllt. Dann erkennt man hoffentlich, dass es die kleinen Dinge im Leben, Liebe und Teilen sind, auf die es wirklich ankommt. Denn wer gibt, bekommt meist mehr zurück als man denkt. Und das tut jedem gut, egal ob Rockstar, Bankangestellter oder Vater.


Mehr Informationen findet ihr unter: pablove.org


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Text & Fotos: Robin Schmitt