Sanfte grüne Hügel, zerfurchte Kliffs, nebelumwobene Lochs – Schottlands Landschaft ist für vieles bekannt. Nicht aber für Berge. Dabei übersieht man leicht, dass es an der Westküste den Bealach na Bà gibt, einen Pass, der früher das abgeschiedene Applecross mit dem Rest Schottlands verband. Und heute die ideale Herausforderung für Beine und Kampfgeist bietet.

„Es gibt in Großbritannien keine hohen Berge.“ An dieser Tatsache klammerte ich mich fest, wiederholte sie immer wieder in meinem Kopf, während die Schwerkraft bei jedem Pedaltritt mit ihren Klauen nach mir griff. Mein Atem hing schwer in der drückenden Morgenluft, mein lautes Schnaufen verlor sich in der leeren Weite um mich herum. Die Straße wurde steiler und wieder sah ich nach unten zum Antrieb, verdammt, schon bei 36/28, es gab keinen kleineren Gang. „Es gibt in Großbritannien keine hohen Berge“, ich schwang mich aus dem Sattel und machte mich daran, mein Rad den sich auftürmenden Berg hinaufzuschieben.

Schottland hat diese einzigartige Wildheit, eine raue Schönheit, die sich in all seinen Bewohnern zeigt.
Schottland hat diese einzigartige Wildheit, eine raue Schönheit, die sich in all seinen Bewohnern zeigt.
Und nirgends findet man diese Wildheit in konzentrierterer Form als im schottischen Whiskey, der stark, aber komplex ist.
Und nirgends findet man diese Wildheit in konzentrierterer Form als im schottischen Whiskey, der stark, aber komplex ist.
Das Morgenlicht enthüllt langsam die Schönheit von Applecross.
Das Morgenlicht enthüllt langsam die Schönheit von Applecross.

Wir waren auf der Applecross-Halbinsel unterwegs, auf einer legendären Tour in Wester Ross in den schottischen Highlands mit 96 km voller wilder Kurven, die uns die dramatischsten Ausblicke in den Highlands gewähren und anschließend unsere Körper und beinahe auch unsere Entschlossenheit verschleißen würden. Es war eine furchteinflößende Strecke, auf der wir auch in den Kampf mit der längsten Auffahrt des Vereinigten Königreichs ziehen würden, dem Bealach na Bà, der auf knapp 9 km 623 m an Höhe gewinnt – ein Heiliger Gral und Wallfahrtsort für Rennradfahrer, Touristen und Midlife-Crisis-Opfer auf mächtigen Harley Davidsons. Bealach na Bà ist ein wilder Ort, eine vergessene Bastion aus Torridon-Sandstein, fernab der ausgetretenen Routen. Wir fuhren von Tornapress aus hoch, und abgesehen von gelegentlichen Autos mit ausländischem Kennzeichen, deren Fahrer sehr behutsam an die engen Kurven herangingen, war die Straße ruhig und verlassen: unsere Bühne für eine sehr persönliche Aufführung.

Der Anstieg beginnt recht einfach und verengt sich dann zu einem einspurigen Sträßchen, bevor er steil nach oben führt.
Der Anstieg beginnt recht einfach und verengt sich dann zu einem einspurigen Sträßchen, bevor er steil nach oben führt.

Während wir uns allmählich den Berg hinaufkämpften, hatte ich Zeit, über die Reise nachzudenken, die mich hierher geführt hatte. Meine Liebesgeschichte mit den schottischen Highlands lässt sich am ehesten als turbulente Affäre bezeichnen, einerseits gibt es da eine tiefe Verbundenheit und Leidenschaft für die Schönheit und beinahe kummervolle Ruhe der Landschaft und andererseits, in scharfem Gegensatz dazu, meine Abscheu vor den Horden von Stechmücken, die hier nachts auf die Jagd gehen. Manche Erinnerungen leuchteten hell, z. B. mein erster Schluck vom heftigen Cask-Strength-Whiskey, auf einem windigen Grat des Aonach Eagach, doch viele der schönsten Momente habe ich hinter dem Lenker erlebt. Bealach na Bà war immer die Flamme, die meinen inneren Nachtfalter magisch angezogen hatte, eine Reise, von der ich wusste, dass ich sie eines Tages antreten würde.

In der Mitte der Auffahrt machen sich die 20 % Steigung bemerkbar.
In der Mitte der Auffahrt machen sich die 20 % Steigung bemerkbar.

Dieser Tag war heute. Wir waren bei Sonnenaufgang losgefahren, eine grausame Uhrzeit an einem warmen Tag im August, und die Sonne lag schwer im Himmel. Es ging ein leichter Wind, kaum genug, um kleine Wellen auf dem Loch Kishorn zu erzeugen. Fast verfluchte ich die sanften Winde, enttäuscht, dass wir nicht das komplette Erlebnis haben würden, denn in dieser Gegend können Wind und Regen ungeheuer gewaltsam sein, wenn sie zwischen den Lewisian-Gneisen von Meall Gorm und Sgurr a’ Chaorachai herabschießen. Die einspurige Straße war vom Ufer des Loch Kishorn allmählich und moderat angestiegen, aber hinter jeder Kurve wartete nicht nur eine neue Aussicht, sondern auch eine höhere Steigung. Nun waren wir mittendrin im Herzen der Auffahrt, eine lange Passage mit 20 % Steigung, die uns bei jedem Senken der Pedale nach hinten zerrten.

Die vier Serpentinen des Bealach na Bà können mit denen in den Alpen durchaus mithalten.
Die vier Serpentinen des Bealach na Bà können mit denen in den Alpen durchaus mithalten.
Bealach Na Ba-6904 Bealach Na Ba-6924

Ein weiterer Kleinbus mit Touristen fuhr vor uns in eine Ausweichbucht und obwohl die verblüfften Gesichter der Insassen bei unserem Anblick davon zeugten, dass wir sehr unterschiedliche Auffassungen vom perfekten Transportmittel besaßen, waren wir doch vereint in unserer Ziel, den Bealach na Bà zu erleben. Zwei kleine Kindern pressten ihre Gesichter an das Fensterglas, als wir uns langsam vorbeikämpften, in einem Kraftakt auf den Pedalen stehend, doch schon bald zwang uns das Laktat zurück in die Sättel. Als wir dem Gipfel näherkamen, erschienen schließlich die letzten vier Serpentinen, weitläufige Schleifen aus glattem Asphalt, die sich nicht hinter den französischen Alpen verstecken müssen. Mit einem letzten Brennen in den Beinen und mit von der langen Steigung brüllenden Waden attackierten wir schließlich den Gipfel und brachen durch den Horizont. Wir wurden belohnt mit fantastischen Ausblicken auf die Isle of Skye, auf Rona und Raasay und wir nahmen uns einen Augenblick Zeit, die Atmosphäre aufzusaugen. Dann rasten wir auf der anderen Seite hinunter in Richtung Applecross, vom Berg zum Meer – und noch weiter.

Schottlands verwunschene Schönheit – wenn sie einen einmal gefesselt hat, vergisst man sie nie mehr.
Schottlands verwunschene Schönheit – wenn sie einen einmal gefesselt hat, vergisst man sie nie mehr.
Bealach Na Ba-6816 Bealach Na Ba-6740

Wir hatten mit dem Berg gekämpft, wir waren dabei Demut gelehrt worden und waren doch siegreich hervorgegangen. Wenn ich in Zukunft also jemanden sagen höre, dass „es in Großbritannien keine hohen Berge gibt“, werde ich weiterhin höflich nicken und lächeln. Und dann an meinen unvergesslichen Tag auf dem Bealach na Bà zurückdenken.

Verpasst nicht das Walled Garden Café des Applecross House, der Tee und die Scones hier sind göttlich.
Verpasst nicht das Walled Garden Café des Applecross House, der Tee und die Scones hier sind göttlich.

Wie kommt man zum Bealach na Bà?

Den Bealach na Bà erlebt man am besten in Form einer Rundtour um die Applecross-Halbinsel, eine brutale, knapp 100 km lange Schleife, die sowohl eure Kletterfähigkeiten als auch eure Entschlossenheit auf die Probe stellen wird. Die Route, die bei der Jugendherberge von Torridon beginnt und endet, folgt anfangs der A896, dann geht es nach Westen nach Shieldaig. Etwa 14 km südlich von Shieldaig fahrt ihr an der Tornapress Junction nach rechts auf den Bealach na Bà und dort geht es richtig los mit Klettern. Nach der Auffahrt und der Abfahrt nach Applecross folgt ihr der Küstenstraße im Uhrzeigersinn zurück nach Shieldaig. Unser Tipp: Wenn ihr zwischendurch eine richtig schöne Pause machen wollt, haltet auf jeden Fall bei den Applecross House Tea Rooms an. Das Walled Garden-Café ist großartig, hier gibt’s superleckeren Kaffee, Kuchen und kleinere Gerichte.

Die Eckdaten des Bealach na Bà

Länge: 8980 m
Höhenmeter: 623 m
Schnellste Auffahrt: 37 min


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