Welches Antriebssystem ist das beste für E-Rennräder? Große Unterschiede in Sachen Leistung, Drehmoment, Akku-Reichweite, Geräuschkulisse, Usability und Handling zeigen, dass die Hersteller das ideale E-Rennrad vollkommen unterschiedlich interpretieren. Dennoch gibt es klare Tendenzen. Wir haben die fünf relevantesten E-Road-Antriebe ausführlich getestet und herausgefunden, welcher Motor für euch der richtige ist.
Watt soll dat? Die wichtigsten Kennzahlen erklärt
E-Rennrad-Antriebe werden anhand bestimmter Kennzahlen beschrieben. Den Charakter und das Fahrverhalten des Motors auf der Straße kann man aus diesen Werten aber nur bedingt herauslesen. Sie geben vielmehr einen groben Richtwert vor. Eine Übersicht aller relevanten Kennzahlen haben wir euch bereits im E-Rennrad-Einmaleins gegeben, weshalb wir darauf hier nicht weiter eingehen. Die Eckdaten der getesteten Motoren findet ihr in folgender Tabelle.
Motor | Art | Stufe | Drehmoment | Unterstützungslevel max. | Akku-Kapazität |
---|---|---|---|---|---|
Bosch Active Line Plus | Mittelmotor | 4 | 50 Nm | max 270 % | 300, 400, 500, 625 Wh |
Ebikemotion X35 M1 | Nabenmotor | 3 | 40 Nm | N/A | 250 Wh |
FAZUA Evation | Mittelmotor | 3 | 60 Nm | max. 240 % | 250 Wh |
Specialized SL 1.1 | Mittelmotor | 3 | 35 Nm | max. 100 % | 320 Wh |
Shimano STEPS E8000 | Mittelmotor | 3 | 70 Nm | ≈ 300 % | 504 Wh |
Motor | Geräuschkulisse | Akku Entnahme nötig zum Laden1 | Akku Entnahme möglich?2 | Widerstand über 25 km/h | Optimale Trittfrequenz3 |
---|---|---|---|---|---|
Bosch Active Line Plus | gering | Ja/nein | ja i. d. R. | nicht spürbar | 75 – 85 rpm |
Ebikemotion X35 M1 | mittel | nein | ja, beim Händler | nicht spürbar | optimal 15 – 25 km/h |
FAZUA Evation | mittel | ja | ja | nicht spürbar | 70 – 90 rpm |
Specialized SL 1.1 | gering | nein | ja, beim Händler | nicht spürbar | 70 – 110 rpm |
Shimano STEPS E8000 | mittel | nein | ja i. d. R. | gering | 70 – 90 rpm |
1Bosch Aktive Line Plus: Je nach Rahmen wird der Akku zum Laden entnommen.
FAZUA: Mindestens ein Herausklappen des Akkus ist notwendig.
2Bosch Aktive Line Plus und Shimano STEPS E8000: In der Regel kann der Akku selbst entnommen werden. Ebikemotion und Specialized SL 1.1: Der Akku kann beim Händler entnommen werden.
3 Ebikemotion: geschwindigkeitsabhängig, optimal 15 – 25 km/h.
Worauf kommt es bei E-Rennrad-Motoren an?
Bauform und Gewicht
Das beste Antriebssystem ist nur so gut wie das Bike, in dem er steckt. Dabei hat die Größe des Motors einen signifikanten Einfluss auf die Fahr-Performance. Kompakte Motoren lassen den Designern mehr Spielraum beim Entwickeln ihrer Rahmen. Nicht nur das Gewicht, sondern auch die Lage von Motor und Akku beeinflussen das Handling des Bikes enorm. Liegt der Schwerpunkt möglichst tief und zentral unter dem Fahrer, lässt sich ein Bike natürlicher handeln. Gerät der systembedingte Schwerpunkt zu weit nach vorne oder liegt er zu hoch, wird das Handling des Bikes spürbar beeinträchtigt – ein Phänomen das man häufig bei Bikes mit In-Tube-Akkus vorfindet.
Displays und Remotes
Beim Display und bei der Remote reicht das Spektrum von minimalistischen und voll-integrierten Lösungen bis hin zu großen Bedienelement mit App-Features. Bei sämtlichen Cockpit-Systemen im Test müssen die Bike-Hersteller eine der vorgefertigten Lösungen der Motorenhersteller verwenden. Shimano und Specialized bieten die Option, vollkommen ohne Bedienelement am Lenker auszukommen, sofern man eine Bluetooth-Schnittstelle und das eigene Smartphone einsetzt. Auch als Kunde hat man hier zusätzlich die Möglichkeit, das Cockpit mit den Plug-and-Play-Komponenten an die persönlichen Vorlieben anzupassen. Trotz der Vielfalt an Display-Lösungen kämpft man als E-Rennradfahrer immer wieder mit einigen Problemen: Die Remote ist oft nicht gut zu erreichen oder so klobig, dass die gesamte Linienführung des Cockpits darunter leidet. Bei manchen System muss man sogar die Hand vom Lenker nehmen, um den Modus zu wechseln – ein, je nach Fahrsituation, gefährliches und wenig ergonomisches Unterfangen! Zudem finden sich die Displays mancher Systeme an Stellen wieder, wo normalerweise der Fahrradcomputer angebracht ist – der Kampf um die besten Plätze am Rennlenker scheint somit eröffnet. Und auch die Ablesbarkeit des Displays ist bei starker Sonneneinstrahlung oft erschwert. Mit dem System von Specialized werden bereits Informationen zur Tretleistung des Fahrers, Kadenz und Geschwindigkeit an zahlreiche Fahrradcomputer übermittelt. Gleichzeitig liefert das enthaltene Turbo-Connect-Display sämtliche Daten übersichtlich an den Fahrer, zur Navigation kann man es jedoch derzeit noch nicht nutzen. Unser Wunsch ist es, zukünftig ein Display für sämtliche Systeme zu haben, das die Funktionen eines GPS-Computers (sprich Navigation) mit der Anzeige der wichtigsten Fahrdaten des Motors kombiniert. Im Bereich Connectivity und Usability gibt es noch viel Potenzial für die Hersteller.
Nicht nur eine Frage des Akkus: die Reichweite
Klar, ein großer Akku mit hoher Kapazität kann dem Motor viel Energie zur Verfügung stellen und für große Reichweiten sorgen. Hier finden sich derzeit Akkus mit 250 Wh wie bei FAZUA oder Ebikemotion, 504 Wh bei Shimano und zwischen 300 Wh und 625 Wh bei Bosch. Außerdem bieten Hersteller wie Ebikemotion oder Specialized zusätzliche Range-Extender-Akkus, welche im Flaschenhalter Platz finden und mit bis zu 250-Wh-Kapazität für zusätzliche Reichweite sorgen. Wichtig ist dabei: Die Reichweite hängt nicht nur von der Größe eures „Tanks“ ab! Auch Stromverbrauch, Effizienzgrad und Leistung eures Motors, sowie rund 20 weitere externe Faktoren sind entscheidend – u. a. die Fahrweise, das Fahrergewicht und die gefahrenen Kilometer oberhalb der 25 km/h-Grenze. Deshalb kann man keine allgemeingültige Aussage über die Reichweite bzw. Reichhöhe treffen. Mehr dazu lest ihr im Artikel unseres Schwestermagazins E-MOUNTAINBIKE „Die Wahrheit über Labortests“.
Die Systemfrage: Naben- oder Mittelmotor?
Der Ebikemotion-Antrieb setzt auf einen Nabenmotor. Dabei kommt ein herkömmliches Tretlager zum Einsatz, während sich der Akku im geschlossenen Unterrohr und der Motor in der Hinterradnabe befinden. Diese Bauart ermöglicht Bike-Herstellern Rahmen mit einer schlanken Silhouette, ähnlich der normaler Rennräder zu entwerfen. Weitere Vorteile sind der Q-Faktor im Standardmaß und das geringe Gewicht, durch das E-Rennräder mit Ebikemotion-Antrieb häufig unter der 12 kg-Marke bleiben. Der Akku ist außerdem fest in das geschlossene Unterrohr integriert und verbleibt zum Laden im Bike – Steckdosen im Bikekeller sind also Pflicht. Im Test offenbaren sich weitere Aspekte, über die man vor der Anschaffung nachdenken sollte: Die Motordrehzahl eines Nabenmotors ist abhängig von der Winkelgeschwindigkeit des Hinterrades. Einfacher gesagt: Wenn sich das Hinterrad im steilen Anstieg nur langsam dreht und man die Unterstützung des Motors am meisten benötigt, hat er am wenigsten Bumms! Dieses Phänomen tritt auf, da der Nabenmotor bei geringer Geschwindigkeit seinen effizienten Drehzahlbereich verlässt und somit gleichzeitig Stromverbrauch und Hitzeentwicklung zunehmen und die Motorunterstützung abnimmt.
Die Mittelmotoren sind die Muskelprotze des Vergleichstest. Das höhere Drehmoment und die größeren Akkus mögen auf dem Papier ihre Überlegenheit verdeutlichen, gehen aber gleichzeitig mit einem höheren Gesamtgewicht einher. Auch sie zeigen in der Praxis ihre Tücken. Bei Specialized muss der Akku zum Laden im Rahmen verbleiben, während er bei Shimano und Bosch entnommen werden kann. Maßgeblich ist hier natürlich die vom Hersteller gewählte Integration des Akkus: Einzelne Bike-Modelle sehen beispielsweise auch bei Shimano-Antrieben eine Akkuentnahme nicht vor. Zum Laden des FAZUA-Akkus kann dieser in der sogenannten Ladestellung, also zur Hälfte geöffnet, verbleiben oder alternativ ganz herausgenommen werden; im Rahmen kann der FAZUA-Akku leider nicht geladen werden.
Außerdem wird klar, dass die Mittelmotoren durch ihre Lage Geräusche stärker an den Rahmen des Bikes übertragen und ihn so als Resonanzkörper nutzen. In der Praxis nimmt der Fahrer somit einen Nabenmotor, der u. U. lauter ist, als leiser wahr, da dieser weiter von seinem Ohr entfernt und dazu noch überdeckt vom Windgeräusch in den Hintergrund tritt. Die Position des Mittelmotors hat jedoch auch seine guten Seiten: Trotz des i. d. R. höheren Gewichts, ist der Schwerpunkt des Bikes zentral ausbalanciert und weit unten angeordnet. Somit muss der Einfluss des Mittelmotors nicht kategorisch schlechter oder besser sein, sondern hängt stark von der Umsetzung des Bike-Herstellers ab. Womit wir beim finalen Punkt sind: Bei Mittelmotor-Systemen müssen die zum Teil recht großen Akkus Platz finden. Hersteller wie FAZUA und Bosch mit der In-Tube-Bauweise integrieren ihre Akkus, doch sind dafür zum Teil drastische Eingriffe in die Rohrsätze der Bikes nötig. Logische Konsequenz eines geöffneten Rahmens ist: Die torsionale Rahmensteifigkeit leidet und entsprechend stärker müssen die Rohre konzipiert werden. Auch Toleranzen und Spaltmaße sind ein wichtiger Aspekt: So entscheiden beim FAZUA, für dessen System das Unterrohr beinahe über die gesamte Länge geöffnet werden muss, lediglich ein Paar Millimeter über die einwandfreie Funktion.
Bei Specialized und Ebikemotion sind die Batterien ins geschlossene Unterrohr integriert. Zwar kann der Akku dabei nur durch Mechaniker im Fachhandel ausgebaut werden, aber die Stabilität der Rahmenkonzepte profitiert von dieser Bauweise deutlich. Um eine gute Handling-Performance bei allen Systemen zu gewährleisten, sind Rahmenhersteller hinsichtlich der Akku-Integration nicht selten vor neue Herausforderungen gestellt. Hier soll es jedoch rein um die Motoren gehen.
Testkriterien: Auf was haben wir geachtet?
Bei unserer Suche nach dem E-Rennrad-Motor mit den besten Allround-Eigenschaften, haben wir auf das geballte E-Know-how unserer Kollegen vom E-MOUNTAINBIKE Magazin zurückgegriffen. Nachdem wir die behaarten Beine der Mountainbiker endlich in die Bibs bekommen hatten, ging es im schönen Baiersbronn im Schwarzwald zur Sache. Dabei haben wir nicht nur auf die Stärke der Tretkraftunterstützung geachtet, sondern auch darauf, in welchen Trittfrequenz- bzw. Geschwindigkeitsbereichen die Systeme optimal funktionieren. Schließlich entscheidet die richtige Trittfrequenz nicht nur über die maximale Leistungsentfaltung, sondern auch über die Effizienz – sowohl beim Motor als auch beim Mensch, und diese beiden wollen synchronisiert werden. Wichtig war uns außerdem das Verhalten der Systeme an der 25-km/h-Schwelle: Wie geschmeidig ist der Übergang zwischen Unterstützung und Abschalten des Motors? Die Geräuschkulisse der Antriebe war ebenso bedeutend wie die Integration der Systeme und deren intuitive Bedienbarkeit. Zusätzlich haben wir das natürliche Fahrgefühl getestet: Wie breit ist der Q-Faktor? Wie beeinflusst das System die Fahreigenschaften? Last, but not least waren neben der Einfachheit des Ladevorgangs auch die Integrationsmöglichkeiten und das Design der Systeme von Bedeutung. Connectivity, verfügbare Apps, Displays und Remote-Optionen zur Motorsteuerung wurden natürlich ebenfalls beurteilt.
Was ist nun der beste E-Rennrad-Motor?
Fakt ist: der Markt für E-Rennräder ist gerade in der Findungs- und Definitionsphase. Die großen Unterschiede der Systeme in Sachen in Sachen Leistung, Drehmoment, Akku-Reichweite, Geräuschkulisse, Usability und Handling erlauben es, vollkommen unterschiedliche Typen an E-Rennrädern zu erschaffen. Wie gut oder schlecht ein E-Rennrad-Antriebssystem ist, hängt stark davon ab, welche Art von E-Rennrad man sich als Kunde wünscht und wie der Hersteller die Integration realisiert. Die gute Nachricht ist: Der Markt für Rennrad-Elektromotoren bietet derzeit einige gute Lösungen, die wir guten Gewissens empfehlen können. Dennoch gibt es aufgrund der noch jungen Entwicklung im E-Rennrad-Bereich noch kein perfektes Produkt. Die meisten Motoren, die nun im E-Rennrad-Segment zum Einsatz kommen, sind zwar schon eine Weile auf dem Markt, doch befinden sich Rennrad-Integrationslösungen noch in ihrer ersten Generationsstufe. Während einige Systeme aus dem E-Mountainbike-Bereich übernommen und entsprechend angepasst wurden, sind nur die wenigsten spezifisch für die Bedürfnisse eines E-Road-Bikes maßgeschneidert. Aus diesem Grund ist es zu früh, in diesem Kontext einen Testsieger zu küren. Deshalb findet ihr hier im Folgenden die Erfahrungen und Testergebnisse der relevantesten Konzepte mit ihren Stärken und Schwächen. So könnt ihr für euch herausfinden, welche Systemeigenschaften am besten zu euch passen!
Alle Motoren im Test: Bosch Active Line Plus | Ebikemotion X35 M1 | FAZUA Evation | Specialized SL 1.1 | Shimano STEPS E8000
Dieser Artikel ist aus GRAN FONDO Ausgabe #012
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Text: Benjamin Topf, Felix Stix Fotos: Robin Schmit