Was ist das beste Bike, um die Alpen zu bezwingen? Wie viel Sicherheit, wie viel Komfort und wie viel Leichtbau braucht es? Eine neue Generation an Rennrädern verschiebt die Grenzen des Denkbaren.

Lasst uns die Alpen bezwingen!
Lasst uns die Alpen bezwingen!

Road Bike 2.0 – eine neue Generation

Das Rennrad ist tot. Aero, Gravel, Marathon, Endurance, Climbing, Wettkampf – über das vergangene Jahrzehnt haben sich Rennräder immer stärker ausdifferenziert.

Das klassische Rennrad für einen breiten Einsatzbereich schien in der Kommunikation der Hersteller quasi ausgestorben. Steifer, leichter, windschnittiger oder komfortabler – Superlative haben lange Zeit das Marketing dominiert. Doch die Rennradbranche befindet sich im größten Umbruch ihrer Geschichte. Neue Reifengrößen und -breiten, neue Bremsen, neue Geometrie-Konzepte und Dämpfungs-Technologien definieren den Markt neu und sorgen dafür, dass die alten Werte nicht mehr gelten.

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Discs, 1×11-Schaltungen, 32-mm-Reifen und Komfort en masse – kann das gut gehen?

Dass purer Leichtbau im Alltag Wahnsinn ist, hat mittlerweile jeder verstanden. Zu steif oder „nur“ Aero, das will auch keiner mehr. Was zählt, ist die Balance der wichtigsten Parameter: Komfort, Sicherheit und Ergonomie gehören genauso dazu wie Agilität, Ästhetik und Performance. Eine neue Generation an Rennrädern bietet genau das und verspricht Vielseitigkeit ohne Performance-Einbußen. Sehr spät – aber besser als nie – beginnen die Hersteller, die Entwicklung ihrer Bikes nicht mehr nur an den Profis, sondern an den tatsächlichen Bedürfnissen von uns Normalsterblichen zu orientieren.

Ursprünglich sollte dieser Vergleichstest unter dem Titel „Endurance-Bikes“ stehen. Doch das wäre schlichtweg falsch gewesen. Schließlich sollen diese Rennräder nicht nur auf langen Brevets und Gran Fondos brillieren, sondern auch im Alltag und den persönlichen Saison-Highlights. Die neueste Generation dieser Bikes bietet die Freiheit und Autarkie einer eierlegenden Wollmilchsau. Klingt zu schön, um wahr zu sein?

Das soll jedoch kein Appell sein, den Aero-Renner in der Garage zu verkaufen. Eher ein Gedankenanstoß, den etwas belächelten Endurance-Bikes im Zweifelsfall eben doch eine Chance zu geben. Schließlich sind sie mittlerweile nicht nur verdammt cool, sondern können extrem viel!

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Was ist die Definition von Freiheit?

Rennradfahrer leiden und akzeptieren gerne, statt zu fragen: Welche Anforderungen stelle ich an mein Material und was will ich damit machen? Wie geil wäre es, mit einem Bike für alle Unwägbarkeiten gerüstet zu sein? Wenn der Ride an einer Gravel-Passage nicht mehr aufhört, sondern erst so richtig spannend wird? Fakt ist: Die großartigsten Momente erlebt man an den unscheinbarsten Orten. Dort, wo andere aufhören, beginnen häufig erst die besten Geschichten. Man muss sich nur trauen, die Straße zu verlassen, der jeder folgt. Und genau das haben wir gemacht!

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Das Testrevier: Sarntal, Südtirol

Südlich des Brenners befindet sich direkt das Sarntal. Das eher unbekannte Tal erreicht man über das Penser Joch von Sterzing aus und zieht sich 50 km gen Bozen. Auf einem abwechslungsreichen Rundkurs rund um Sarnthein haben wir die Bikes im direkten Vergleich getestet: mit steilen Stichen, Gravelpassagen und schnellen Abfahrten, die sich mit vielen Kurven in Rollercoaster-Manier die Berge hinabschlängeln. Ein exzellenter Kurs mit grandiosen Aussichten und der richtigen Topographie, um das Handling, das Limit und die Bremsperformance jedes Bikes zu erfahren. Längere Fahrten auf das Penser Joch stellten eine weitere Bewährungsprobe des Tests dar und sorgten für unvergessliche Momente, als wir die Straße zeitweise verließen. Regen, Schnee und Sonnenschein – in sechs Tagen erlebten wir alle Wetterbedingungen!
Vielen Dank an das Hotel Höllriegl für den sagenhaften Support vor Ort in Sarnthein.

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Ready anytime, anywhere.

„Lasst uns die Alpen erobern! Für die epischsten und herausfordernsten Straßen suchen wir ein Bike, das alles bietet: Komfort für unzählige Stunden im Sattel, Leichtfüßigkeit für lange Passanstiege, Stabilität und Sicherheit für die Downhills genauso wie für gelegentliche Gravel-Abenteuer und natürlich Speed, um an Gran Fondos wie der Maratona dles Dolomites teilzunehmen.“

Unsere Testeinladung für die Hersteller war so simpel wie komplex. Wir ließen ihnen die Freiheit, uns das perfekte Modell aus ihrem Line-up für diese vielfältigen Anforderungen zu empfehlen. Der Preis? Sollte keine Rolle spielen.

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Das Testfeld

Genauso überraschend wie beeindruckend waren die verschiedenen Konzepte, mit denen die einzelnen Hersteller ihre Bikes so vielseitig wie möglich zu gestalten versuchten. Die Unterschiede im Testfeld hätten dabei nicht größer ausfallen können – und damit meinen wir nicht das relativ breite Preisspektrum von 2.800 € bis 6.600 € und auch nicht das Ausstattungsniveau von 105 bis Dura Ace, sondern die Konzepte und Detaillösungen. So findet man bei den günstigeren Bikes teilweise Lösungen, die man sich für die teuersten Bikes im Test wünschen würde. Entsprechend steckte das Testfeld voller spannender Erkenntnisse, positiver Überraschungen und Enttäuschungen.

Bike Schaltgruppe Gewicht Reifen Preis
Argon 18 Krypton XROAD Disc Shimano 105 52/36, 11-28 9,14 kg 32C

2.990 €
Canyon Endurance CF SLX Shimano Dura Ace 52/36, 11-28 7,28 kg 28C

4.299 €
Cervélo C3 SRAM Force 1X SRAM Force 1 44, 11-36 7,88 kg 28C

5.999 €
Giant Defy Advanced Pro 0 Shimano Dura Ace 50/34, 11-28 7,70 kg 25C

4.200 €
Merida Scultura Disc 6000 Shimano Ultegra 50/34, 11-28 8,45 kg 28C

2.799 €
Specialized Roubaix SL4 Pro Disc Race UDi2 Shimano Ultegra Di2 50/34, 11-28 7,94 kg 26C

6.599 €
Trek Domane SLR 7 Shimano Ultegra Di2 50/34, 11-28 8,40 kg 32C

5.999 €

Argon 18 Krypton XROAD | 9.14 kg | 2.999 €
Argon 18 Krypton XROAD | 9.14 kg | 2.999 €

Canyon Endurance CF SLX | 7,28 kg | 4.299 €
Canyon Endurance CF SLX | 7,28 kg | 4.299 €

Cervélo C3 SRAM Force 1X | 7,88 kg | 5.999€
Cervélo C3 SRAM Force 1X | 7,88 kg | 5.999€

Giant Defy Advanced Pro 0 | 7,70 kg | 4.200 €
Giant Defy Advanced Pro 0 | 7,70 kg | 4.200 €

Merida Scultura Disc 6000 | 8,45 kg | 2.799 €
Merida Scultura Disc 6000 | 8,45 kg | 2.799 €

Specialized Roubaix SL4 Pro Disc Race UDi2 | 7,94 kg | 6.599 €
Specialized Roubaix SL4 Pro Disc Race UDi2 | 7,94 kg | 6.599 €

Trek Domane SLR 7 | 8,40 kg | 5.999 €
Trek Domane SLR 7 | 8,40 kg | 5.999 €

Wie viel und welche Technologie brauchen wir?

Hier teilt sich das Testfeld in zwei Segmente: Hersteller wie Trek oder Specialized setzen auf mechanische Lösungen im Rahmen-Gabel-Set (IsoSpeed oder Zertz-Einsätze), spezielle Komponenten mit Gel-Inserts und dicke Lenkerbänder sowie voluminöse Reifen (serienmäßig bis 32 mm Breite), um den Komfort zu erhöhen. Andere vertrauen auf ein klassisches Rahmendesign mit einkalkulierter Nachgiebigkeit im Carbon-Layup (Cervélo, Giant) und kombinieren dies mit speziellen Komponenten wie etwa der S15 VCLS 2.0-Sattelstütze am Canyon. Überraschenderweise liefern die mechanischen Rahmenlösungen keine effektiven Komfort-Vorteile gegenüber den klassischen Designs. Sprich: Trek oder Specialized waren nicht komfortabler als Cervélo, Giant oder Canyon.

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Unverzichtbar

Das gesamte Testfeld hatte einen gemeinsamen Nenner: Alle Hersteller schickten ausnahmslos Disc-Bikes, obwohl wir es den Herstellern offen ließen. Letzten Endes waren selbst die Disc-Zweifler unter unseren Testfahrer heilfroh darüber. Im Regen, auf Gravelpassagen und bei den langen Pass-Abfahrten boten sie zweifelsohne die beste und konstanteste Performance und begeisterten mit super Dosierbarkeit und niedrigen Handkräften, wobei uns der Disc-Cooler von Merida besonders gut gefiel. Am Ende einer Abfahrt war er spürbar heiß – der Beweis, dass diese Technologie tatsächlich funktioniert. Für den alpinen Einsatz sind 160-mm-Scheiben definitiv ein Muss!

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Das Maß der Dinge

Bei den Reifen war von 25c bis 32c alles mit dabei. Im Uphill und bei Sprints merkte man die Trägheit der 32c-Modelle. Deutlich agiler fühlten sich hier die 25c- und 26c-Modelle an, wobei Komfort und Sicherheit auf rauem Asphalt und auf Schotter geringer waren. Letztlich kristallisierten sich die 28c als optimaler Kompromiss heraus, die für die Straße genauso wie für Gravel-Einlagen taugten und insbesondere am Berg und bei Sprints den 32c-Modellen überlegen sind. Hier gilt jedoch zu beachten, dass die effektive Breite natürlich je nach Felge, Luftdruck und/oder Hersteller variiert. So rangierte die tatsächliche Breite der an den Testbikes verbauten 28c-Reifen zwischen 31 und 32 mm. In summa waren die 28c im Vergleich zu den 32c (real gemessene Breite 33 mm) also nur 1-2 mm schmaler, was auch den geringen Komfort-Unterschied in der Praxis erklärt.

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Das Auge fährt mit

Klassische Endurance-Bikes haben zwei Probleme: die Optik und das Image. Während einige Modelle durch ihre langen Steuerrohre und kompakten Geometrien alles andere als sportlich aussehen, schaffen es die neusten Modelle, den Spagat zwischen sportlicher Optik und angenehmer Sitzposition zu schlagen. Größtmögliche Variabilität bieten Bikes mit moderaten Steuerrohrlängen und integrierten Spacer-Lösungen, die von hoch und aufrecht bis relativ tief und aggressiv ein breites Spektrum an Sitzpositionen zulassen, ohne die Optik zu ruinieren.

TOPS

Einfach & effektiv: Die Canyon S15 VCLS 2.0-Sattelstütze sorgt für eine Menge Komfort.
Einfach & effektiv: Die Canyon S15 VCLS 2.0-Sattelstütze sorgt für eine Menge Komfort.
Ergonomisch: Das neue H31-Ergocockpit überzeugt durch feinste Haptik, Ergonomie und Integration.
Ergonomisch: Das neue H31-Ergocockpit überzeugt durch feinste Haptik, Ergonomie und Integration.
Play it cool: Der Disc Cooler soll die Temperatur der Bremszange signifikant senken.
Play it cool: Der Disc Cooler soll die Temperatur der Bremszange signifikant senken.
Einstellbar: Die neue IsoSpeed-Generation des Trek lässt sich über einen Schieber individuell anpassen. So kann man die Nachgiebigkeit um 30% variieren.
Einstellbar: Die neue IsoSpeed-Generation des Trek lässt sich über einen Schieber individuell anpassen. So kann man die Nachgiebigkeit um 30% variieren.

FLOPS

Unästhetisch: Die großen Zertz-Einsätze in den Sitzstreben und der Gabel bringen im Testvergleich keinen spürbaren Komfort-Vorteil zu klassischen Rahmendesigns, brechen jedoch die Linien und jedem Design-Enthusiasten das Herz.
Unästhetisch: Die großen Zertz-Einsätze in den Sitzstreben und der Gabel bringen im Testvergleich keinen spürbaren Komfort-Vorteil zu klassischen Rahmendesigns, brechen jedoch die Linien und jedem Design-Enthusiasten das Herz.
Unschön: Anstelle eines längeren Steuerrohres setzt Argon auf das 3D Head Tube System. Die Folgen: ein hässlicher Spacer-Turm, aber die Option eine tiefere Cockpit-Position zu realisieren.
Unschön: Anstelle eines längeren Steuerrohres setzt Argon auf das 3D Head Tube System. Die Folgen: ein hässlicher Spacer-Turm, aber die Option eine tiefere Cockpit-Position zu realisieren.
Old-School: Giant und Argon18 setzen noch immer auf Schnellspanner.
Old-School: Giant und Argon18 setzen noch immer auf Schnellspanner.
Limitiert: 160 mm Discs sollten der Standard sein, insbesondere wenn man jenseits der 80 kg ist und auch gerne mal in den Alpen unterwegs ist. Trek, Giant und Argon 18 sollten hier nachbessern.
Limitiert: 160 mm Discs sollten der Standard sein, insbesondere wenn man jenseits der 80 kg ist und auch gerne mal in den Alpen unterwegs ist. Trek, Giant und Argon 18 sollten hier nachbessern.

Was ist das beste Bike, um die Alpen zu erobern?

Bei diesem Test waren sich alle einig: Das neue Canyon Endurace CF SLX bietet das beste Gesamtpaket mit exzellenten Fahreigenschaften, hohem Komfort, überragendem Design und so beeindruckenden wie simplen Detaillösungen. Denn ganz offensichtlich braucht man keine komplexen Speziallösungen, um ein vielseitiges und komfortables Bike zu erschaffen, das sich auch willig jedem Rennen stellt. Und weil man bei Canyon ganz offensichtlich noch nie was vom Kleckern gehört hat, wartet das Endurace CF SLX auch noch mit dem geringsten Gewicht auf: 7,28 kg. Ohne Performance-Einbußen. Mit 4.299 € ist es das beste Gesamtpaket im Test und lässt nur eine Frage offen: Kann Canyon genügend Bikes ausliefern?

Was ist das Rennrad der Zukunft?

Die aktuell meist noch als Endurance-Bikes betitelten Rennräder durchleben einen Image- und Performance-Wandel, was zu einer Renaissance des klassischen Rennrades führt. Diese neue Generation an Rennrädern vereint das beste aus allen Welten, indem sie auf den neusten Stand der Technik der Spezialisten-Bikes zurückgreift. Was technisch möglich ist, wird sich in naher Zukunft zeigen. Fakt ist: Der klassische Aero-Renner und selbst das Race-Bike wird bei den meisten Herstellern zum Nischenprodukt, da die neuen Volks-Rennräder ein extrem breites Spektrum abdecken. Lange genug hat sich die Entwicklung der Rennräder an den Profis orientiert. Doch die neue Generation an Rennrädern ist nicht nur 100% für uns Normalsterbliche konstruiert, sondern gibt uns auch die Freiheit neue Wege einzuschlagen. Diese neue Generation brauchen wir nicht nur, sondern wollen sie jetzt auch. #reimaginetheroadbike

Alle Bikes im Test: Trek Domane SLR 7 | Specialized Roubaix SL4 Pro Disc Race UDi2 | Merida Scultura Disc 6000 | Giant Defy Advanced Pro 0 | Cervélo C3 SRAM Force 1X | Canyon Endurace CF SLX | Argon 18 Krypton XROAD Disc

Dieser Artikel stammt aus GRAN FONDO Ausgabe #002. Für das beste Lese-Erlebnis empfehlen wir unsere interaktiven Magazin Apps für iPhone & iPad – es lohnt sich! (und ist kostenlos!)

Eine Übersicht über alle Hotels in Südtirol findet ihr auf der Bikehotels Website.


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Text: Thomas Seidelmann, Robin Schmitt Fotos: Klaus Kneist, Noah Haxel, Robin Schmitt, Julian Mittelstädt (Postproduktion)